Protocol of the Session on November 9, 2017

Man muss aber auch nicht glauben, dass das schon das Ende der Auseinandersetzungen für die nächsten Jahre wäre, sondern das ist jetzt, wie ich finde, ein Schritt in die richtige Richtung. - In diesem Sinne bedanke ich mich einstweilen für die Aufmerksamkeit!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Görgü-Philipp.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Würde des Menschen ist unantastbar, so heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Das gilt für alle Menschen, also auch für ältere und beeinträchtigte Menschen. Wir alle möchten, dass wir später in Würde gepflegt und versorgt werden. Deshalb beschließen wir heute das neue Wohn- und Betreuungsgesetz. Dieses Gesetz beinhaltet viele wichtige Neuerungen. Das muss als Erstes gesagt werden.

Im Vorfeld lag das Augenmerk stark auf dem Personalschlüssel in der Nacht. Darauf werde ich später eingehen. Zuerst einmal möchte ich aber betonen, der Gesetzentwurf entstand mit hoher Beteiligung von verschiedenen Institutionen, wie zum Beispiel der freien Wohlfahrtspflege, der Seniorenvertretung, des Landesbehindertenbeauftragten und der Gewerkschaft ver.di.. Alle Beteiligten haben die Gelegenheit erhalten, sich einzubringen. Viele Anregungen und Bemerkungen wurden in den Gesetzentwurf aufgenommen. An dieser Stelle möchte ich ein Lob an die Verwaltung aussprechen, meine Damen und Herren!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Darüber hinaus fand bereits am 18. Januar dieses Jahres eine öffentliche Fachanhörung in der Friedensgemeinde statt. Der Gemeindesaal war voll mit interessierten Nutzerinnen und Nutzern sowie Expertinnen und Experten. Auch die sozialpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der Fraktionen waren anwesend.

Die wichtigsten Neuerungen des Gesetzes, die sich positiv auswirken werden, möchte ich in Stichworten erwähnen. Erstens, Sinn des Gesetzes ist der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner. Dieser Schutz wird ausgeweitet. Es kann zwischen verschiedenen Wohn- und Unterstützungsangeboten gewählt werden,

also zum Beispiel zwischen Service-Wohnen und Wohngruppen. Sie dürfen selbst entscheiden, wie viel Unterstützung und Versorgung sie brauchen, und somit weiterhin ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen.

Zweitens, das Selbstbestimmungsrecht und die Unabhängigkeit der Bewohner sind ernst zu nehmen und umzusetzen. Drittens, die Öffnung der Einrichtung zum Stadtteil, Kooperationsmöglichkeiten und Schutz vor Isolation sind im neuen Gesetz verankert, Stichwort inklusive Gesellschaft. Niemand soll versteckt und ins Heim abgeschoben werden. Das heißt mehr Teilhabe an der Gesellschaft.

Viertens, das Recht auf eine gute Pflege und Unterkunft sowie der Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner der Pflegeeinrichtungen vor Gewalt sind uns sehr wichtig. Hierfür nötige Gewaltschutzkonzepte sind vorgesehen, womit die Gewalt in der Pflege enttabuisiert wird. Wie wir alle wissen, wo Überforderung ist, ist auch Gewalt.

Fünftens, mit dem Punkt kultursensible Pflege werden Themen wie Ernährung, Religionsausübung und Freizeitgestaltung aufgegriffen. Sechstens, gleichgeschlechtliche Pflege: Die Bewohnerinnen und Bewohner entscheiden, ob sie von einer Frau oder einem Mann gepflegt werden möchten.

Mit der Novellierung des Wohn- und Betreuungsgesetzes soll auch der Personalschlüssel verbindlich geregelt werden. Darüber haben wir schon viel in der Sozialdeputation gesprochen und verhandelt. „Keiner nachts alleine!“, das ist ein Spruch aus dem Protest der Pflegenden. Er ist richtig. Wir Grünen sind dafür, die Personalpräsenz aufzustocken, damit eine sichere Pflege und Aufsicht gewährleistet werden kann.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn heute ein Personalschlüssel von 1 zu 25 für die Nacht, wie im Antrag der LINKEN gefordert, beschlossen würde, wie sollte das gehen? Ist dieser Schlüssel per se für jede Einrichtung der richtige? Für mich gibt es Klärungsbedarf, ob der Personalschlüssel - 1 zu 50, 1 zu 40, 1 zu 25 - nicht auch davon abhängen sollte, welchen Pflegegrad die Bewohner haben. Wie fit sind sie? Welche Art der Betreuung benötigen sie, welche Pflege und in welcher Intensität? Über diese Fragen wird bundesweit eine Debatte geführt. Das ist richtig und wichtig. Ich meine, hier müssen wir weitermachen.

Landtag 4047 52. Sitzung/09.11.17

Aktuell haben wir es mit einem großen Fachkräftemangel zu tun, auch wenn Bremen seine Ausbildungskapazitäten kräftig ausgebaut hat. Es dauert eben seine Zeit, bis die Menschen im Arbeitsmarkt angekommen sind. Deshalb können Krankenhäuser pflegebedürftige Menschen zum Teil nicht entlassen, weil diese aufgrund des fehlenden Personals weder in der ambulanten noch in der stationären Pflege aufgenommen werden können.

Wir alle haben ein Anrecht auf eine professionelle Versorgung. Wir Grünen möchten einen angemessenen Präsenzschlüssel für den Tag und die Nacht. „Keiner nachts alleine!“, wie schaffen wir das? Fachkräfte gewinnen durch bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen, und vor allem muss unser Ziel sein, die pflegenden Menschen im Beruf zu halten! Viele Fachkräfte arbeiten nur zehn Jahre in ihrem Beruf. Das wollen wir ändern. Auf Bundesebene finden jetzt die Sondierungen für eine neue Regierung statt. Die neue Regierung muss es sich zur Aufgabe machen, die Pflege deutlich zu verbessern. Dafür stehen wir Grünen, und auch für diesen Punkt machen wir uns in den Verhandlungen stark.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sollten das Gesetz heute so beschließen mit dem klaren Ziel, einen Mindestpersonalstandard von 1 zu 40 einzuführen.

Ein weiterer Punkt des Gesetzes ist, die Aufsicht nach dem Bremischen Wohn- und Betreuungsgesetz soll auch erster Ansprechpartner für Nutzerinnen und Nutzer der ambulanten Pflege im häuslichen Bereich sein, wenn es zu Pflegemängeln oder Beschwerden kommt. Die Bremische Wohn- und Betreuungsaufsicht wird nicht selbst tätig, das ist ein zu großer personeller Aufwand. Die Wohn- und Betreuungsaufsicht schaltet aber die zuständigen Institutionen und Pflegekassen ein. Damit wird das Problem behoben, dass kaum jemand wusste, wohin man sich wenden kann, wenn Mängel in der Pflege auftauchen. Hier bedarf es noch einer guten Öffentlichkeitsarbeit. Durch diese neue Regelung wird das Ressort einen Überblick über die Art, Weise und Häufigkeit der Beschwerden in der ambulanten Pflege erhalten, da wir in diesem Anwendungsbereich auch Schutzbedarf der Nutzerinnen und Nutzer sehen.

Ein wichtiger Bestandteil ist die Überprüfung des Gesetzes als zweiter Schritt. Am heutigen Tag wäre eine Entscheidung noch zu früh. Wir wollen erst die Erfahrungen mit dem Gesetz und die Erfahrungen aus den anderen Bundesländern abwarten. Darüber hinaus muss dabei

das Persönlichkeits- und Wahlrecht der Nutzerinnen und Nutzer berücksichtigt werden, welche möglicherweise nicht ständig Kontrolle zu Hause empfangen möchten.

Wir brauchen mehr Personal, um bessere Qualität zu bekommen, aber wir müssen auch klären, woher wir dieses Personal nehmen können. Wir Grünen und sicherlich auch alle hier im Plenarsaal möchten nicht, dass sich solche Zustände wie damals im Pflegeheim in Huchting wiederholen. Wir müssen mit allen Mitteln dagegen kämpfen!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Die Maßnahmen, die ergriffen werden müssen, um die Attraktivität dieses Berufs zu verbessern, sind noch lange nicht ausreichend. Die Pflegeberufe befinden sich in der Abwärtsspirale. Die Zunahme der Pflegebedürftigkeiten in den stationären Pflegeeinrichtungen, das nicht vorhandene Personal, die nicht angemessene Bezahlung und das schlechte Image werden wir in einer verschärften Personalverordnung, wie DIE LINKE es sich vorstellt, nicht verbessern.

Nun noch kurz zu den Vorschlägen der CDU, die wir bereits lang und breit in der Sozialdeputation besprochen haben und die sie uns nun noch einmal mit dem Änderungsantrag erneut präsentiert hat! Diese Änderung werden wir auch jetzt ablehnen.

Der Dringlichkeitsantrag der CDU dagegen entspricht im großen Teil unseren in der Sozialdeputation verabschiedeten Zielen. Daher haben wir drei Punkte aus dem Antrag übernommen. Zum ersten Punkt: Ab dem 30. April 2019 ist in Paragraf 7 der Personalverordnung ein Betreuungsschlüssel im Nachtdienst von 1 zu 40 vorzuschreiben.

(Glocke)

Ein Betreuungsschlüssel im Nachtdienst - -. Ich komme gleich zum Schluss! Oder ich lasse das stehen und komme gleich noch einmal. - Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben hier in diesem Haus und auch an anderen Stellen schon vielfach über die Pflege und die Situation in der Pflege in Bremen und Bremerhaven, in unserem Land, diskutiert. Ich glaube,

Landtag 4048 52. Sitzung/09.11.17

wir haben vielfach feststellen müssen, dass die Pflege ein Pflegefall ist. Jetzt ist hier mit dem Gesetzesvorhaben der Versuch gemacht worden, das Ganze zu verbessern. Das ist aber nur ein Gesetz, und zum Ausfüllen dieses Gesetzes muss es auch Menschen geben, die diese Arbeit machen. Ich habe in der letzten Woche mit einer Mutter gesprochen, deren Sohn anfangen will, in der Pflege zu arbeiten, weil er das für richtig und für eine wichtige Aufgabe hält. Ich finde es toll, dass es Menschen gibt, die nach wie vor diesen Weg gehen wollen, und ich freue mich darüber.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Genauso aber, wie wir es den Menschen schuldig sind, die in Heimen und Einrichtungen leben, dass sie dort selbstbestimmt und frei leben und möglichst so frei über ihr Leben entscheiden können, wie es ihnen jeweils möglich ist, sind wir es den Menschen, die in den Pflegeeinrichtungen arbeiten, schuldig, dass sie gute Arbeitsbedingungen vorfinden und nicht überfordert sind. Ich glaube, das müssen wir alles im Blick haben.

Ja, Herr Erlanson, ich stehe dazu, ich habe nichts gegen private Anbieter von Pflegeeinrichtungen. Wir sind dann natürlich in der Pflicht, sie zu kontrollieren und hinzuschauen, denn sonst misslingt es, und es funktioniert nicht, wenn man nicht hinschaut. Deswegen muss ich auch sagen, es ist richtig, dass es solche Einrichtungen gibt wie die Wohn- und Betreuungsaufsicht.

Ich muss auch sagen, ich war früher der Meinung, dass man mit dem Medizinischen Dienst und anderen viel weiterkommt. Ich habe inzwischen gelernt, dass das alles nicht reicht und wir darauf achten müssen, dass die Wohn- und Betreuungsaufsicht entsprechend ausgestattet ist und die entsprechenden Mittel hat. Da sind wir auf einem guten Weg.

Auch wenn die FDP den Gesetzentwurf so nicht ganz mittragen wird, erkennen wir an, dass er auf dem richtigen Weg ist. Deswegen werden wir ihn auch nicht ablehnen, sondern uns an der Stelle enthalten.

Warum gibt es dort einige Punkte? Ja, Frau Görgü-Philipp, Sie haben eben deutlich gemacht, dass es schwierig sei festzulegen, ob der richtige Schlüssel 1 zu 25 sei, weil das vielleicht zu viel sei, man müsste auf die Frage eingehen, wie denn der Bedarf ist und welchen Pflegegrad es auf den einzelnen Stationen gibt. Ich sehe es auch so, dass man das individuell beurteilen muss, aber dennoch begründen Sie hier, dass der richtige Schlüssel 1 zu

40 sei. Das passt argumentativ für mich nicht zusammen. Auf jeden Fall ist aber richtig, 1 zu 40 ist besser als 1 zu 50, da entscheiden wir uns als FDP dann auch lieber für die Grasmücke in der Hand als die Taube auf dem Dach.

(Abg. Frau Dr. Müller [Bündnis 90/Die Grünen]: Grasmücke?)

Die ist kleiner!

(Abg. Fecker [Bündnis 90/Die Grünen]: Da haben Sie aber gestern Abend lange gesucht!)

Das war übrigens gerade eben hier Herr Kollege Fecker!

Als Nächstes müssen wir darüber reden, dass es natürlich notwendig ist - auch im Sinne des Verbraucherschutzes -, ambulante Angebote zu kontrollieren, aber die Frage bleibt, ob man das im Wohn- und Betreuungsgesetz regeln kann, und in welchem Ausmaß man dort kontrollieren kann. Immerhin geht es um Leistungen, die in Privatwohnungen erbracht werden, in denen das Persönlichkeitsrecht und das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung gelten. Dort kann man die Rechte nicht einmal eben so aus der Hüfte heraus im Wohn- und Betreuungsgesetz einschränken. Das müssen auf der einen Seite alle im Kopf haben, die hier mehr fordern, und auf der anderen Seite natürlich genau sagen, dass da Betrug und so weiter stattfindet. Das wissen wir, das haben wir in einzelnen Fällen erlebt.

Gleichwohl erleben wir auch in sehr vielen Fällen, dass dort richtig gute Arbeit geleistet wird, da darf man nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, das muss man genau anschauen. Also kommen wir zu unserem Ergebnis, es ist auf einem besseren Weg.

Mit dem Gesetz, das die Koalition vorlegt, ist es nicht so, wie wir es uns vorstellen würden. Genauso können wir uns nicht dem CDUÄnderungsantrag anschließen, da er einige Dinge enthält, die wir nicht mittragen wollen, beispielsweise können wir nicht die Forderung nach Befristung der Beratung teilen. Wir wissen, dass eine Beratung irgendwann enden muss, aber die Welt ist so kompliziert, dass man nicht sagen kann, nach sechs Monaten ist Schluss, sondern man muss schauen, was in den ersten Monaten erreicht worden ist, ob es Aussicht auf Besserung hat oder ob man es abbrechen kann. Ehrlich gesagt, sollte man es aus meiner Sicht lieber nach drei Monaten abbrechen, wenn es nicht klappt, und man sollte es länger machen, wenn es auf einem guten Weg ist. Deswegen können wir das an dieser Stelle nicht mitmachen.

Landtag 4049 52. Sitzung/09.11.17

Wie gesagt, es ist unser Ziel, dass die Pflege besser wird, und daran werden wir weiter mitarbeiten. Es wird hier ein Weg beschritten, nicht konsequent und nicht an allen Stellen zu Ende. Es bleibt die große Aufgabe, die Personalfrage in den Pflegeheimen zu klären und dafür zu sorgen, dass wir ausreichend Menschen haben, die diese Arbeit machen, aber dies können wir mit diesem Gesetz nicht regeln. Dieser Aufgabe werden wir uns weiterhin stellen müssen.