Protocol of the Session on September 24, 2015

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Das Zahlenmaterial, das Sie, Frau Kollegin, uns hier genannt haben, mag zutreffen. Ich meine, es müsste noch einmal genauer überprüft werden.

Wichtig ist auch zu sagen, dass ein Jugendlicher, der straffällig wird, bei uns dem Jugendrecht unterliegt und auch mit freiheitseinschränkenden Maßnahmen im Wege einer Jugendstrafe bedacht werden kann, wenn schädliche Neigungen vorliegen, wenn eine besondere schwere der Schuld vorliegt. Außerdem besteht die Möglichkeit, im Rahmen einer solchen Freiheitsentziehung durch ein Strafgericht entsprechende therapeutische Einsatzmittel zur Verfügung zu stellen.

Etwas anderes ist die Behandlung der Jugendlichen außerhalb des Strafrechts. Wir hatten gestern eine umfängliche Debatte über die Zuwanderung von Menschen und auch von vielen Jugendlichen. Wir waren uns darüber einig, dass alles getan werden muss – baulich, von den Unterbringungsmöglichkeiten her –, um auch den Jugendlichen eine vernünftige Bleibe zu bieten.

Mit Ihrem Antrag liefern Sie zum Teil selbst schon die Argumente dafür, warum das so nicht funktioniert: miese Unterbringungsmöglichkeiten, keine richtige Inobhutnahme, fehlende Betreuung, fehlende Beschulung, fehlende Tagesstruktur. Wenn man dies – auch mit einer entsprechenden baulichen Einrichtung, mit entsprechend ausgebildetem Personal, Pädagogen, Sozialpädagogen, Therapeuten – hinbekommen würde, dann könnten wir uns vorstellen, dass eine solche Maßnahme Sinn ergäbe und auf den Weg gebracht werden musste. Zeit ist schon hinreichend ins Land gegangen.

(Abg. Hinners [CDU]: Welche Maßnahmen?)

Es geht darum, eine entsprechende Einrichtung und Personal zur Verfügung zu stellen, um den Jugendlichen, die unbegleitet sind und keine personalen Ansprechpartner haben, solche personalen Ansprechpartner im Rahmen einer Vormundschaft oder im Rahmen einer Vereinsbetreuung zu gewährleisten und ihnen einen Ablauf des Tages zu bieten, damit sie eine Struktur haben, in die sie sich eingebunden fühlen, in der sie betreut sind und sich intellektuell, schulisch und beruflich weiterentwickeln können.

Wenn sie sich dem entziehen sollten, kann man natürlich auch davon Gebrauch machen, dass sie in dieser Einrichtung verbleiben, das ist völlig klar.

(Abg. Hinners [CDU]: Also die Tür abschließen?)

Es muss aber auch immer klar sein: Freiheitseinschränkende Maßnahmen obliegen im Grundsatz der Entscheidung eines Richters. Daran sollten wir festhalten.

Wir werden diesen Antrag zwar nicht ablehnen, wir halten ihn aber für nicht hinreichend vorbereitet. Bei dieser Frage werden wir uns der Stimme enthalten. Wir könnten uns jedoch vorstellen – das macht für uns Sinn –, diese Form der Unterbringung zügig auf den Weg zu bringen. – Danke schön für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Leonidakis.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die CDU fordert heute zum wiederholten Mal die Schaffung einer geschlossenen Einrichtung für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge. Ehrlich gesagt: Ich bin schon erstaunt, als wie lernresistent Sie sich damit beweisen!

(Beifall DIE LINKE)

Sie haben scheinbar immer noch nicht begriffen, dass Jugendhilfe nach Herkunft rassistisch und vermutlich auch gesetzwidrig ist. Sie unterstellen ja, dass Jugenddelinquenz eine Art Alleinstellungsmerkmal geflüchteter Jugendlicher ist. Ich weiß nicht, wo Sie leben, aber in meiner Welt gibt es durchaus auch Jugendliche ohne Fluchthintergrund, die mit Gesetzen in Konflikt geraten.

(Beifall DIE LINKE – Zuruf Abg. Frau Ahrens [CDU])

Selbst wenn man das Modell der geschlossenen Jugendeinrichtung befürworten würde: Ihr Problem ist Ihnen in der Zwischenzeit abhandengekommen. Die Jugendlichen, die nicht nur Gesetzeskonflikte, sondern auch Traumata oder Suchtprobleme hatten, treten kaum noch in Erscheinung. Stattdessen treten andere, viel umfangreichere Probleme massiv auf. Die Missstände in der ZASt benennen Sie selbst in Ihrem Antrag. Seit Jahren ist das bekannt. Schon 2013 hat der Flüchtlingsrat oder auch die Amtsvormundschaft Alarm geschlagen und von Kindeswohl gefährdenden Zuständen gesprochen. Die Situation in diesem Sommer vor der Räumung ist hinlänglich bekannt. Darauf möchte ich jetzt aber nicht weiter eingehen. Mit der Räumung wurde sowohl vonseiten des Ressorts als auch für die Jugendlichen selbst ein großer

Aufwand betrieben, nur damit innerhalb von Wochen nach dem Einzug alles wieder ist wie vorher: Wieder ist die ZASt hoffnungslos überbelegt, wieder schlafen Jugendliche auf den Fluren, wieder ist die Personalsituation jenseits jeglicher Jugendhilfestandards, wieder ist die hygienische Situation schlimm, weil es kaum Reinigung gibt, am Wochenende sogar gar keine. Noch nicht einmal eine durchgängige ausreichende Essensversorgung ist gewährleistet.

Ich mag mich nicht damit abfinden, dass für diese Probleme über Jahre hinweg keine Lösungen gefunden wurden. Wenn man all das weiß – und das wissen die Behörden –, dann sorgt man doch dafür, dass alle immer wenigstens satt werden können, dann sorgt man rechtzeitig dafür, dass genügend Reinigungspersonal eingesetzt wird, dann richtet man für Neuankömmlinge mit Gesundheitsproblemen gesonderte Räume ein, dann sorgt man für ausreichend Betreuung. Ich finde, satt zu werden und gesund zu bleiben, kann nicht zu viel verlangt sein, in keiner Situation!

(Beifall DIE LINKE)

Leider ist die ZASt nur der Anfang. In einigen Unterkünften haben Jugendliche keine Bezugsbetreuer. Gefährdete, traumatisierte, psychisch labile Jugendliche fallen komplett durchs Netz. Die Amtsvormundschaft ist nach wie vor überbelastet. Ein Vormund ist aktuell für 80 Mündel verantwortlich. Das kann man nicht schaffen, und das ist sogar gesetzwidrig, wie vieles andere im Übrigen auch. Natürlich führen diese Missstände dazu, dass Jugendliche, die abzurutschen drohen, ohne Betreuung, Schulplatz oder Zuwendung eher abdriften, als wenn sie das alles hätten. Dass einige strafrechtlich in Erscheinung treten, ist dann wirklich nicht erstaunlich und wird durch diese Umstände noch begünstigt. Es waren im Verhältnis aber nie überdurchschnittlich viele. Die Aufmerksamkeit, die seitens einiger Parteien im Saal auf sie gerichtet wurde, war jedoch im Verhältnis übergroß. Wenn die CDU allen minderjährigen Flüchtlingen die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt hätte wie dieser Kleinstgruppe, wäre schon viel gewonnen gewesen.

(Beifall DIE LINKE, Bündnis 90/Die Grünen)

Aber auch der Senat hat für die rund 30 Personen alle Register gezogen. Es wurde eine Sonderermittlungsgruppe bei der Polizei eingerichtet. Zwischen den Behörden werden unter Missachtung des Sozialdatenschutzes Informationen ausgetauscht. Auch der ehemalige Bürgermeister Böhrnsen forderte eine geschlossene Einrichtung explizit für minderjährige Flüchtlinge. Sein Rücktritt wäre die Gelegenheit gewesen, diesen Plan endlich zu beerdigen.

(Beifall DIE LINKE)

Aber anscheinend ist die geschlossene Unterbringung insbesondere den Kollegen der SPD ein echtes Anliegen.

(Abg. Tschöpe [SPD]: Ja!)

Wenn die geschlossene Unterbringung die Ultima Ratio sein soll, wie Sie immer gesagt haben, warum wurden dann nicht zunächst genügend Jugendhilfeeinrichtungen mit Flucht- und Therapiekonzepten geschaffen? Warum beantragen Sie dann nicht zunächst bedarfsgerechte Konzepte und Angebote in der Jugendhilfe? Stattdessen fordern Sie gleich die erwiesenermaßen risikoreichste Einrichtungsart.

Die Risiken sind doch aus den zahlreichen Skandalen rund um die Heimunterbringung bekannt. Im Februar hat Kristina Vogt die Debatte bestritten und an die Haasenburg erinnert, die nach Misshandlungen geschlossen wurde. Vom Senat wurde damals beteuert, dass in Bremen alles besser gemacht werden würde. In der Zwischenzeit hat es einen weiteren Skandal in einer geschlossenen Jugendhilfeeinrichtung gegeben, denn vom Friesenhof in Schleswig-Holstein wurden erst vor wenigen Monaten menschenunwürdige Behandlung, systematische Verängstigung und widerwärtige Erniedrigung öffentlich.

Nach dieser langen und traurigen Geschichte der Heimerziehung erneut eine geschlossene Einrichtung zu fordern, zeugt von der rückschrittlichen und realitätsfernen Vorstellung, dass man soziale Probleme mit einer Law-and-Order-Politik in den Griff bekäme.

(Beifall DIE LINKE – Glocke)

Ich bin froh, dass einige Kollegen der Grünen das jetzt infrage stellen. Insofern werden Sie sich nicht wundern, dass wir Ihren Antrag ablehnen. – Vielen Dank!

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Möhle.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde, ehrlich gesagt, Frau Grönert, dass die Debatte überflüssig ist, wie Sie schon gemeint haben, dass sie überflüssig sein könnte, wenn man irgendetwas anderes täte. Wir haben das lang und breit diskutiert. Auch ich bin es langsam leid, dass über eine Einrichtung, die intensivpädagogische Arbeit mit freiheitsentziehenden Maßnahmen betreibt, immer nur gesagt wird, dass das Wegsperren sei und sonst gar nichts. Das ist nicht das Modell!

(Beifall SPD)

Mit Verlaub: Das ist nicht das Modell, es geht nicht darum, die Jugendlichen wegzusperren, und damit war es das dann. Eine intensiv-pädagogische Maß

nahme gehört zwingend dazu. Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, wir wollten diejenigen, um die es geht – das ist ja tatsächlich nur eine kleine Gruppe von hoch agressiven Jugendlichen –, wegsperren, ist das völliger Blödsinn. Das ärgert mich allmählich, denn wir wollen etwas ganz anderes.

Zwölf dieser Jugendlichen sitzen derzeit im Gefängnis. Das ist das totale Eingesperrtsein, aber hallo! Sagen Sie nicht, dass es keinen Sinn machen könnte, vor dieser Aktion, nämlich Jugendgefängnis, noch eine andere Einrichtung zu schaffen, die genau das verhindert! Das ist die Absicht, die dahinter steht, sonst gar nichts! Sie stellen sich jedes Mal hier hin und behaupten in Ihrer linken Ideologie, das sei Wegsperren, und dann werde der Schlüssel weggeworfen. So ein Blödsinn! Mich regt das allmählich ziemlich auf.

(Beifall SPD, CDU)

Ich kann sehr gut verstehen, dass man aus fachlicher Sicht die eine oder andere Diskussion darüber führt. Ich bin im engen Gespräch gewesen, auch mit der Landesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege. Ich habe gesagt, wir würden auf jede dieser Einrichtungen verzichten können, wenn ihr ein gescheites Angebot dafür präsentieren könntet, was wir denn mit diesen Jugendlichen machen sollen.

Ich sage ganz klar: Die meisten Träger wollen da nicht heran. Der Träger in der Rekumer Straße ist der Einzige, der sich traut, sich damit zu beschäftigen, alle anderen haben kein Konzept. Wir brauchen ein Konzept, das unseren Vorstellungen entspricht, dass man nämlich diesen Jugendlichen helfen muss, damit sie eben nicht im Gefängnis landen. Ihnen muss vorher etwas angeboten werden. Ich könnte mich auch hierhin stellen und sagen: Ach, lassen wir den ganzen Streit, wir warten ab! Dann sage ich Ihnen, die Jugendlichen werden über kurz oder lang alle im Jugendgefängnis sitzen.

Sie sagen, das kommt nicht mehr so häufig vor, aber die Hälfte derjenigen sitzt ja, wie ich gesagt habe, schon im Jugendgefängnis, deswegen sind die Deliktzahlen natürlich geringer.

Ich plädiere ganz massiv dafür, endlich damit aufzuhören, diese Einrichtungen, die wir ins Auge fassen, einfach als Wegsperreinrichtungen zu betiteln. Das ist nicht die Absicht, das wissen Sie auch ganz genau!

(Beifall SPD)

Was wir wollen, habe ich skizziert. Auch ich finde im Übrigen im Zusammenhang mit diesem Antrag übel – das wird einfach vermischt –, dass auf einmal über die Zustände in der ZASt gesprochen wird. Es wird über die Zustände bei der Aufnahme unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge geredet. Das kann man machen, das hat aber mit dem Thema, über das ich gerade eben gesprochen habe, nichts zu tun.

Ich glaube, dass die Forderungen allesamt berechtigt sind. Wir brauchen mehr Casemanager, wir brauchen mehr Vormünder. Wir brauchen eine bessere und auch konsequentere Registrierung und Betreuung, das gesamte Programm, aber unabhängig davon, wer in Bremen regiert könnte, ist das in der jetzigen Lage so, wie man es sich wünscht, nicht herstellbar, auch das sage ich ganz deutlich. Ich möchte, dass einfach einmal zur Kenntnis genommen wird, dass wir es innerhalb einer sehr kurzen Zeit mit einer sehr, sehr hohen Zahl unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge zu tun haben. Wir müssen einfach Zeit haben, um die entsprechenden Strukturen aufzubauen, auszubauen und weiterzuentwickeln.

Genau das passiert auch. Es wird nach Personal gesucht. Alles wird gemacht, um das hinzubekommen, aber glauben Sie bitte nicht, dass das einmal so eben schnell „aus der Hüfte“ zu erledigen ist. Auch mir geht das alles zu langsam. Ich würde mir wünschen, wir hätten diese Zustände nicht. Sie sind ganz einfach der Situation geschuldet. Deshalb schlage ich vor, dass wir die eine Frage einmal von der anderen trennen sollten. Im Übrigen glaube ich auch, dass die meisten unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die hierherkommen, überhaupt keine „Probleme“ machen, ganz im Gegenteil! Sie wollen hier lernen, sie wollen hier sesshaft werden, sie suchen hier nach Perspektiven. Wir sind verpflichtet, ihnen dabei zu helfen. Das tun wir auch. Ich bin davon überzeugt, dass das in nächster Zeit eher noch besser werden wird, zumal es noch viel zu tun gibt.

Kindeswohlgefährdung, das ist so schnell einmal dahergesagt. Ich weiß, dass immer wieder die Diskussion aufbrandet, was Kindeswohl ausmacht. Das steht auch in dem Antrag, und das ist auch von der LINKEN behauptet worden. Ich meine, dass mit dem Begriff sehr sorgfältig umgegangen werden muss. Ich glaube, dass das mittlerweile sogar schon zu einer Art Kampfbegriff geworden ist. Ich warne davor. Ich sage ganz klar: Kindeswohlgefährdung ist ein sehr spezielles und sehr ernst zu nehmendes Thema. Ich glaube, dass wir weit davon entfernt sind, das, was in der ZASt passiert, so betiteln zu können. Das nervt mich, ehrlich gesagt, ein bisschen. Es geht dabei um ganz andere Fragen, es geht darum, dass Eltern ihre Kinder quälen, ihre Kinder grün und blau schlagen, sie totschlagen und all diese Dinge, das ist Kindeswohlgefährdung. Das hat aber mit den Jugendlichen, um die es hier geht, nichts zu tun.

Deswegen bitte ich an der Stelle um ein bisschen mehr Sorgfalt in der Argumentation. Manches Mal verrät die Wortwahl einiges. Deswegen warne ich davor, das in einen Topf zu werfen. – Ich höre erst einmal auf!

(Beifall SPD – Heiterkeit CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Schaefer.