Protocol of the Session on August 23, 2017

(Beifall FDP)

Es ist hier eben darauf hingewiesen worden, dass die Pflege öffentlich kontrolliert werden

Stadtbürgerschaft 3561 47. Sitzung/23.08.17

muss. Wir als Freie Demokraten sind auch dafür, die Wohnungs- und Betreuungsaufsicht zu stärken. Das ist ein Bereich, in dem viele tätig sind und der öffentlich kontrolliert werden muss, jedoch nicht, wie die LINKEN es sagen, öffentlich organisiert sein muss. Wir sind eher der Meinung, wenn wir Geld für die Pflege benötigen, wenn wir dort mehr Aktivitäten brauchen und wenn Menschen dort fehlen, dann ist es gerade auch richtig, wenn sich Menschen engagieren, die dort tätig sein wollen, um dort Geld zu verdienen. Private können dort auch tätig sein, denn sie leisten gute Arbeit. Das gilt es, nicht zu diskreditieren, sondern anzuerkennen. Durch die öffentliche Kontrolle ist auch gewährleistet, dass die Standards eingehalten werden.

(Beifall FDP)

Es ist weiterhin deutlich geworden, dass eine Entbürokratisierung notwendig, die Nutzung von IT und anderen Dingen müssen möglich gemacht werden, damit das Pflegepersonal entlastet wird. Klaus Möhle hat darauf hingewiesen, und auch das ist notwendig. Es macht nämlich dort selbstbestimmtes Arbeiten, eine bessere Arbeitsqualität und eine Arbeit auf Augenhöhe im Krankenhaus mit den Ärzten möglich, die sozusagen von anderer Seite dafür sorgen, dass Menschen gesund werden.

Es ist dann möglich, mit den Patienten mehr Zeit zu verbringen und individuell und selbstbestimmt dort zu arbeiten, aber nicht von irgendwelchen Managementsystemen gehetzt durch das Krankenhaus zu eilen. Das ist, glaube ich, notwendig, um einerseits bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen, aber andererseits auch ein besseres Ergebnis, denn im Mittelpunkt sollte stehen, dass die Kranken gesund werden und dass die alten Menschen möglichst selbstbestimmt entscheiden und leben können. Das gilt auch für die Pflege.

(Beifall FDP)

Die Betreuungsquoten sind angesprochen worden. Über die Betreuungsquoten werden wir beim Wohn- und Betreuungsgesetz reden. Es ist nämlich genau wichtig, darüber zu reden, was wir dort erreichen. Ich glaube, die Schlagworte eins zu fünfzig und eins zu vierzig, die diskutiert werden, werden der Situation nicht gerecht.

Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dass wir kein Gesetz erlassen können, dass die Anbieter nicht erfüllen können, weil das Personal nicht vorhanden ist. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch ganz klar unser Ziel defi

nieren. Ich glaube, ein Gesetz, das keine Vorgaben macht, welche Ziele erreicht werden sollen, führt dazu, dass die Anbieter warten, bis das Gesetz eine Festlegung vornimmt, sodass wir weiterhin eine Lücke haben werden. Es muss also eine Zielvorgabe in das Gesetz geschrieben werden. Am Ende ist es meiner Meinung nach wichtig, dass man sich an den Bedürfnissen der Patienten in den Einrichtungen und an den Bedürfnissen der zu pflegenden Menschen orientiert, dass man also einbezieht, welche Patienten im Krankenhaus liegen und welche Pflege gerade auf den Stationen benötigt wird. Es liegen nämlich durchaus unterschiedliche Bedürfnisse vor. Insofern kommen wir mit Pauschalen nicht weiter, sondern wir müssen uns an den einzelnen Situationen orientieren, wenn wir dort etwas festschreiben. Ich bin gespannt, ob es uns gelingt, eine Idee zu entwickeln.

Zum Schluss möchte ich Folgendes wiederholen: Die Pflege ist ein Pflegefall. Wir dürfen sie nicht länger dabei belassen, sondern wir müssen sie verbessern. Es sind Möglichkeiten aufgezeigt worden. Ich bin froh, dass viele daran mitwirken wollen, damit sich die Situation verbessert. - Herzlichen Dank!

(Beifall FDP)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. KappertGonther.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen Kollegen! Ich möchte noch auf ein paar inhaltliche Aspekte eingehen, allerdings möchte ich zunächst sagen, dass es eine bizarre Vorstellung ist, dass ich mich als Gesundheitspolitikerinnen, die seit sechs Jahren diesen Bereich für die Grünen vertritt, nicht zu drängenden aktuellen gesundheitspolitischen Problemen äußern soll, und zwar nur deshalb nicht, weil eine Wahl bevorsteht. Diese Vorstellung ist doch sehr irritierend.

(Beifall SPD)

Zur Frage von Frau Grönert, den Pflegevorsorgefonds umwandeln! Ja, es ist eine unserer politischen Forderungen, den Pflegevorsorgefonds in einen Personalfonds umzuwandeln. Dem Pflegevorsorgefonds werden jährlich 1,2 Milliarden Euro zugeführt. Der Kollege Erlanson hat es ja zu Recht gesagt, mit diesem Geld könnte man 38 000 neue Stellen schaffen. Dass man diesen Fonds verpflichtend mit einer Gießkanne über das Land ausbringen muss, ohne auf die kommunalen Besonderheiten zu achten, ist nicht festgeschrieben. Selbstverständlich

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müssen immer in allen sozialpolitischen Fragen die Besonderheiten der Regionen und der Kommunen beachtet werden. So müsste das natürlich auch hier der Fall sein.

Die solidarische Pflegeversicherung! Sie ist der Schlüssel. Wenn alle Menschen gleichermaßen einzahlen, und zwar auch Abgeordnete und Selbstständige, dann erhält das System entsprechend mehr Geld. Dieses Geld benötigen wir für eine gute Qualität in der Pflege, für die Pflegenden und für diejenigen, die pflegebedürftig sind.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Es ist weiterhin die Ausbildungssituation angesprochen worden. Hier handelt es sich um eine Riesendebatte, die wir seit Jahren führen. Weder die Bundesregierung noch der Gesundheitsminister kommen voran, obwohl wir wissen, dass wir integrative Modelle benötigen, weil man in der Altenpflege zunehmend mehr krankenpflegerische Kompetenz benötigt, denn alte Menschen erkranken auch im Pflegeheim krank. In den Krankenhäusern ist zusätzliche altenpflegerische Kompetenz notwendig, weil die Menschen älter werden. Das Hin- und Hergefahre zwischen dem Altenpflegeheim und dem Krankenhaus, weil ein alter Mensch im Altenpflegeheim erkrankt ist und weil man letztlich im Krankenhaus nicht weiß, welche pflegerische Betreuung notwendig ist, sodass er wieder ins Altenpflegeheim zurückgefahren wird, muss doch nun wirklich endlich einmal der Vergangenheit angehören.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Der Trend - das ist auch angesprochen worden - sollte zur dualen Ausbildung gehen. Die Akademisierung ist aus Sicht der Grünen das Gebot der Stunde. Viele europäische Länder machen es uns schon vor. Sie wird auch dazu beitragen, die Löhne stärker anzuheben und sich mit den Ärzten auf Augenhöhe zu begegnen. Als Ärztin möchte ich noch einmal sagen, dass das Milieu im Krankenhaus und im Pflegeheim maßgeblich durch die Pflege bestimmt wird. Wenn wir die Pflege aufwerten, dann kommt das nicht nur der einzelnen Pflegerin oder dem einzelnen Pfleger zugute, sondern direkt den zu pflegenden Menschen, weil sie vom Milieu natürlich getragen werden und leben. Geschichten, dass insbesondere in Altenpflegeheimen Neuroleptika und Psychopharmaka verwendet werden, um Menschen ruhig zu halten, weil keine ausreichende menschliche Fürsorge vorhanden ist, muss der Vergangenheit angehören, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Abschließend einen Satz: Diese unglaublich gesellschaftspolitisch relevante Aufgabe wird man nur gemeinsam mit Bürgerinnen und Bürgern, mit Pflegekräften und mit denjenigen, die pflegebedürftig sind, lösen können. Alle müssen gemeinsam in einen Dialog eintreten, und in diesem Dialog ist Mitbestimmung die zentrale Forderung. - Ich danke Ihnen!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort Frau Senatorin Stahmann.

Herr Präsident, sehr verehrte Damen und Herren! Das Thema Pflege geht alle an. Ich glaube, es gibt hier niemanden im Raum, der nicht mit dem Thema Pflege in seinem familiären Umfeld oder individuell betroffen ist, denn unsere Gesellschaft hat sich ganz stark gewandelt.

In den Sechzigerjahren war es ganz selbstverständlich, dass ältere Leute gemeinsam mit ihren Kindern in einer Wohnung lebten. Es gab Häuser - daran kann ich mich sehr gut erinnern -, in denen es ganz selbstverständlich war, dass die Großmutter in einer Wohnung wohnte und die übrigen Familienmitglieder in einer zweiten Wohnung. Die Menschen hatten auch Zeit, sich um andere zu kümmern. Ich glaube, dass seit den Sechziger- und den Siebzigerjahren durch den Einsatz der Technik und durch die Veränderung der Arbeitswelt, gesellschaftlich eine Entwicklung entstanden ist, der wir uns heute schwer gewachsen fühlen.

Wenn man Siebzigjährige in Deutschland fragt, dann sage nur 10 Prozent, dass sie sich vorstellen könnten, in ein Pflegeheim zu gehen. Die Menschen wünschen sich, in ihrer eigenen Wohnung bleiben zu können. Sie wollen selbstbestimmt leben, und sie wollen in Würde alt werden. Das muss auch immer unsere Messlatte für die Organisation der Pflege in der Gesellschaft sein: würdevoll und selbstbestimmt.

(Beifall SPD, FDP)

Unsere Gesellschaft in Bremen steht vor der riesengroßen Herausforderung - wir befinden uns schon mitten darin, nicht das Sozialressort allein, sondern wir gemeinsam hier in der Bremischen Bürgerschaft und mit den anderen Ressorts -, wie wir Städte, Bremerhaven und Bremen, organisieren, wie organisieren wir Stadtteile, wie organisieren wir das Leben in den eigenen vier Wänden, sodass man dort auch alt werden kann. Wir haben in Bremen bereits 4 000 Nachbarschaftshelferinnen und Nachbarschaftshelfer im Einsatz, die ältere Menschen tagtäglich unterstützen. Zusätzlich

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sind ambulante Pflegedienste vorhanden, die pflegebedürftige Menschen aufsuchen.

In den einzelnen Quartieren beginnt eine Entwicklung, die Sie vielleicht aus Ihren Wohnquartieren kennen. In Kattenturm am Sonnenplatz organisieren sich beispielsweise verschiedene Anbieter sozialer Dienstleistungen, der Martinsclub, die Bremer Heimstiftung, die aufsuchende Altenarbeit und die sozialen Dienste, um älteren Menschen zu ermöglichen, gut im Quartier älter werden zu können, ohne in eine Pflegeeinrichtung gehen zu müssen.

Das zweite Thema, das hier deutlich wird, ist die Frage: Wie wollen wir selbst in dieser Gesellschaft alt werden? Das Thema ist aktuell, es wird uns aber auch noch in den nächsten Jahren begleiten.

Wir wollen sozialräumlich arbeiten. Diese Vorstellung hat die Koalition in den letzten Jahren mit verschiedenen Konzepten stark vorangetrieben. Das Cambrai-Dreieck ist ein Beispiel dafür. In Gröpelingen, in Walle, mir fallen in jedem Stadtteil Initiativen ein, in Blumenthal, in Bremen-Nord, in denen wir diesen Ansatz zusammen mit verschiedenen Dienstleistern aus dem Bereich der Wohlfahrtspflege verfolgen und umsetzen, aber auch aus dem öffentlichen Bereich.

Der aktuelle Anlass der Debatte! Ich finde, er ist von den Grünen gut gewählt worden, und das muss man hier auch noch einmal benennen. In der letzten Woche wurde ich vom Fernsehen eingeladen worden, und ich wurde darum gebeten, zu der Aussage der freien Anbieter des BPAs Stellung zu nehmen, dass der BPA gern die Fachkraftquote im Bereich der Pflege absenken möchte. Ich finde, dass das eine Aussage ist, die hier im Parlament debattiert werden muss.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn ich einerseits aufgefordert werde, mehr qualifiziertes Personal für den Bereich der Altenpflege bereitzustellen, dann muss andererseits diese Frage auch hier debattiert werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ich finde, man kann eine Debatte zur Fachkraftquote führen, aber man muss sich auch bewusst sein, dass damit verbunden ist, dass jeder pflegen kann. Bei dieser Debatte schwingt auch mit: dann dürfen wir nicht so gut bezahlen. Das kann ich als Sozialsenatorin - und da werde ich jetzt ein bisschen emotionaler - nicht durchgehen lassen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist hier benannt worden, dass die Pflege ein hoch verantwortungsvoller Bereich ist, in dem wir in einer Eins-zu-eins-Situation für Menschen verantwortlich sind. Die Dokumentationspflichten, die hier beklagt wurden, resultieren doch auch daraus, dass sich Ärzte und Pflegende gegen Schadensersatzansprüche absichern wollen. Ich finde, man muss diese überbordende Bürokratie infrage stellen. Im Mittelpunkt der Pflege muss immer der einzelne Mensch stehen.

(Beifall FDP)

Das ist aus meiner Sicht eine ganz wichtige Feststellung. Mit den Trägern, die im Augenblick Probleme haben - und das ist eine wachsende Anzahl -, die Fachkraftquote sicherzustellen, führen wir Einzelgespräche. Wir analysieren die Situation, und lassen Ausnahmeregelungen zu. Ja, wir verhängen auch, wenn jemand die Fachkraftquote unterschreitet, einen Belegungsstopp, weil wir es als Haus und auch der medizinische Dienst, mit dem wir den Belebungsstopp abstimmen, verantworten müssen, wenn etwas an dieser Stelle misslingt. Ich sehe eine Fachkraftquote von 50 Prozent eigentlich als die unterste Grenze an.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir würden doch auch nicht für den Schulbereich sagen, dass jeder unterrichten könne, dass im Kindergarten jeder betreuen könne, und es reichten 50 Prozent der Erzieherinnen und Erzieher aus. Die Debatte ist eine andere! Wir benötigen gesellschaftlich eine bessere Bezahlung der Fachkräfte, und wir müssen weitere Weichen stellen, dass sich mehr Menschen für diesen Beruf interessieren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Mit der Bremer Pflegeinitiative, die wir im Jahr 2012 gestartet haben, hat unser Haus die Weichen dafür gestellt. Im Jahr 2012 sind wir mit zwölf Partnern gestartet, im Augenblick haben wir 27 Partner. Eine ganz alte Forderung, nämlich die Ausbildungsumlage, haben wir umgesetzt, und wir haben die Zahl der Ausbildungsplätze von 50 auf 250 Ausbildungsplätze angehoben. Wir haben gemeinsam in der Metropolregion ganz stark in den Schulen dafür geworben, dass sich mehr junge Leute für diesen Beruf begeistern. Fakt ist, dass die gesamten Ausbildungsplätze im Augenblick nicht besetzt werden können, obwohl wir sie finanzieren. Deswegen müssen wir die Anstrengungen weiter ausbauen.