Es ist verlängerte Redezeit vereinbart worden, sie beträgt für den jeweils ersten Redner je Fraktion bis zu 30 Minuten.
Die Redner werden in folgender Reihenfolge aufgerufen: Als erster Redner spricht Herr Bürgermeister Dr. Sieling, danach die Redner der CDU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion DIE LINKE, der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der FDP-Fraktion.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Bilder der vergangenen Tage und Wochen gehen uns, glaube ich, allen unter die Haut. Hunderte, Tausende von Frauen und Männern, Familien mit Kindern, alle sind auf der Flucht vor Krieg und Vertreibung, sie stehen vor häufig verschlossenen Grenzen und begehren Einlass in die Staaten Europas. Das ist auch deshalb so bedrückend, weil der derzeitige Umgang Europas mit dieser großen Herausforderung – oder man muss ja eigentlich genauer sagen, der Umgang einzelner Mitgliedsstaaten, und leider vieler Mitgliedsstaaten – alles andere als angemessen ist; im Gegenteil, das ist beschämend, und das muss man auch so sagen!
Das Ganze wurde natürlich dadurch verstärkt, dass sich die Flüchtlingszahlen im Sommer noch einmal in rasanter Geschwindigkeit um ein Vielfaches vermehrt haben. Es gibt einen enormen Zeitdruck, und wir alle stehen vor ständigen Herausforderungen. Viele Menschen müssen handeln, und sie handeln, und dafür möchte ich ihnen hier zu Beginn im Namen des Senats sehr ausdrücklich meinen Dank aussprechen!
Ich möchte zuerst allen danken, die mit einem ganz enormen Einsatz und großartigem Engagement wirklich täglich ehrenamtlich, nicht selten rund um die Uhr, an der Lösung der Aufgaben arbeiten, das ist beeindruckend für Bremen und Bremerhaven. Ich möchte mich auch bedanken bei den Beschäftigten der Behörden, die mittlerweile in allen Bereichen daran arbeiten und dabei auch Großartiges leisten, und ich will – ohne irgendjemanden zu übergehen – hier aber besonders den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Sozialressorts danken, die in den letzten Monaten ein enormes Pensum erbracht
und uns in dem Zusammenhang die Grundlagen dafür geschaffen haben, und auch die Grundlagen dafür, dass die Träger und Vereine zum Teil über Nacht Unterkünfte herrichten und das Ganze auf den Weg bringen. Aber auch den Beiräten in unseren Stadtteilen sei Dank dafür, dass sie sehr konzentriert und positiv ausgerichtet die Grundlagen dafür geschaffen haben, dass wir Orte, Hallen finden konnten, und vieles andere mehr, um dies möglich zu machen.
Mein letzter Dank geht auch an die Polizei, die ihren Einsatz zeigt, aber auch – und das habe ich in der Form noch nie erlebt – an die Bundeswehr, die uns Plätze und Personal anbietet und uns wirklich sehr konkret hilft. Ich weiß gar nicht, ob wir die letzten Tage so geschafft hätten, wenn das nicht gewesen wäre. Wirklich vielen, vielen Dank dafür!
Meine Damen und Herren, wir sehen es, glaube ich, jeden Tag im Fernsehen in den Nachrichten, und wir lesen es in den Zeitungen, wie groß die Herausforderung für die Europäische Union ist. Bundesaußenminister Steinmeier spricht davon, dass es die größte Herausforderung ist – und ich glaube, das sehen alle so, die Bundeskanzlerin schließt sich dem ja ausdrücklich an –, dass Europa, glaube ich, vor der größten Herausforderung steht und auch der Zusammenhalt nicht ungefährdet bleibt. Während viele Länder bemüht sind – immer noch zu wenige, aber doch viele Länder, aber vor allem natürlich Deutschland –, eine gesamteuropäische Lösung zu finden, verhalten sich andere Länder wirklich so, als seien sie nicht von diesem Planeten. Ich will dabei ausdrücklich noch einmal Ungarn benennen, denn das ist das Land mit dem unwürdigsten Umgang. Die Rhetorik und das Handeln des ungarischen Präsidenten Orbán sind, glaube ich, für alle Demokraten schwer zu ertragen, und ich muss sagen, ich persönlich finde es eigentlich nur traurig, dass dieser Herr Orbán heute in Deutschland in Bayern bei der CSU zu einer Klausur eingeladen ist. Ich hoffe, dort wird ihm deutlich gesagt, weil die CSU und Bayern in letzter Zeit große Leistungen erbracht haben, bei allen auch kritischen Diskussionen will ich das sagen, dass er seine Haltung zu ändern hat. Grenzschließungen und Haftandrohungen für Flüchtlinge sind das Gegenteil von humanitärer Hilfe. Tränengas und Wasserwerfer sind nicht hinnehmbar in einem Europa, das demokratisch ist und den Menschen dient.
Wir haben in Deutschland wieder Grenzkontrollen erlebt, bei anderen Nachbarn auch. Das ist ein sensibles Thema vor dem Hintergrund der europäischen Entwicklung, des Schengener Abkommens und auch anderer Dinge, aber es war aus meiner Sicht und aus Sicht des Senats eine notwendige Maßnahme, um eine Entschleunigung zu erreichen. Wir brauchen Zeit, um die Entwicklung in geordnete Bahnen zu bringen, aber uns muss klar sein, dass das alles nicht die Probleme lösen, sondern sie nur verzögern wird, aber auch Verzögerung hilft im Übrigen. Ich habe schon die Situation in Bayern angesprochen und was die Großstädte dort leisten, da ist man sich übrigens parteiübergreifend einig. Dort arbeiten die sozialdemokratisch regierten Großstädte wie München und Nürnberg Hand in Hand mit der Landesregierung, die ja bekanntlich CSU-geführt ist, und das ist auch notwendig und richtig so. Ich will auch sagen, dass es ein bisschen Fortschritt gibt. Man erkennt Zeichen europäischer Solidarität, wenn man sieht, dass gestern Abend die Innenminister beschlossen haben, die Verteilung von 120 000 Flüchtlingen anzugehen.
Das ist ein erster, noch sehr bemühter Schritt. Aber damit ist eine politische Entscheidung verbunden, die ich richtig finde, nämlich die politische Entscheidung, auch die Möglichkeit einer Mehrheitsentscheidung zu ergreifen und nicht nur im Bereich der Einstimmigkeit zu bleiben, die sicherlich ein hohes Gut ist, gerade in einem solchen Staatenbund wie Europa; aber das ist gut.
Heute wird der Ministerrat sicherlich intensiv darüber diskutieren, aber ich hoffe, dass die vier Länder, die sich an dieser Stelle immer noch querstellen, noch – ich darf das einmal so salopp sagen – zu Verstand kommen und ihre Verantwortung wahrnehmen, denn wir müssen uns auch auf den Weg machen, eine europäische Asylpolitik zu entwickeln. Es kann nicht angehen, dass es jedes Land unterschiedlich hält, übrigens so unterschiedlich, dass – das wurde mir vorhin gesagt – die EU-Kommission mittlerweile, in Anführungszeichen, blaue Briefe an einzelne Staaten verschickt, weil sie sich nicht in hinreichender Weise um das Grundrecht des Asyls kümmern.
Ich will hier sehr deutlich die Haltung des Senats erklären: Das Recht auf Asyl ist nicht abhängig von der Kassenlage oder politischer Opportunität, es ist ein Grundrecht, das wir nicht verletzen wollen.
Ich will vielleicht gerade in diesem Zusammenhang ansprechen, dass wir hierbei natürlich nicht nur aus unserer Geschichte als Deutsche eine besondere Verpflichtung haben, sondern auch deshalb, weil durch Kriege, Armut oder Terror jetzt weltweit 60 Millionen Menschen auf der Flucht sind. Dabei geht es um Existenzgrundlagen und auch Umweltkatastrophen, der Klimawandel und andere Gründe tragen mit dazu bei, dass Menschen fliehen. Gerade in den letzten Tagen ist das am Beispiel von Bangladesch noch einmal sehr deutlich geworden.
Das sind weltweite Fluchtbewegungen, die auch mit der seit Jahrzehnten diskutierten weltweiten Wirtschaftsweise zu tun haben. Es ist ein Grund, einmal deutlich zu sagen: Wir brauchen weltweit eine neue Wirtschaftsordnung, damit sich die reichen Länder nicht weiter abschotten, sondern damit wir alles gemeinsam, auch gemeinsam mit anderen Kontinenten, entwickeln können.
Wir stehen aber vor sehr konkreten Problemen. Man beklagt die Auswirkungen, man muss Maßnahmen ergreifen. Auf Bundesebene wird – Gott sei Dank! – darüber geredet, dass das unglaubliche Zurückschneiden der Zuwendungen, die der UNHCR für humanitäre Hilfe bekommt, aufgehoben wird. Dazu gibt es europäische und weltweite Initiativen. Es ist
wirklich unglaublich, dass die USA das als Sparkasse benutzt, also reduziert hat. Dies wird sich aber umkehren.
Wir werden aber dennoch die Hausaufgaben nicht nur vor Ort machen müssen, sondern auch in der Struktur und in der Ausrichtung unserer Einwanderungspolitik. Es wird so deutlich wie noch nie, dass wir Wege für legale Einwanderung und Zuwanderung brauchen. Wir müssen verstehen – wer es jetzt noch nicht verstanden hat, dem ist in gewisser Weise nicht mehr zu helfen –, dass Deutschland, aber auch Europa Einwanderungsländer werden und sind.
Ich will deshalb hier sehr deutlich sagen, dass ich der Auffassung bin – das wird sehr breit getragen –, dass Deutschland diese Aufgabe natürlich strukturieren muss und wir ein Einwanderungsgesetz brauchen,
und ich habe mich sehr gefreut, dass Sie sich gestern so eindeutig dazu positioniert haben. Das ist ein wichtiges Signal. Stein für Stein müssen wir es dahin entwickeln, dass wir ein Einwanderungsgesetz in Deutschland bekommen.
(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE – Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Aber klatschen können sie nicht!)
Ich denke, wir müssen in diesem Zusammenhang sehr deutlich und klar sehen, dass damit aber auch eine Strukturierung der Einwanderung verbunden ist, das ist der Grundgedanke eines Einwanderungsgesetzes, und das heißt sehr klar, dass auf der einen Seite das Grundrecht auf Asyl nicht unterlaufen werden darf, sondern allen Menschen offenstehen muss. Wir müssen offen sein für Menschen, die wegen Flucht und Vertreibung und vor dem Hintergrund von Kriegen hierherkommen, das ist gar keine Frage.
Auf der anderen Seite sind wir jetzt aber in einer Situation, die es uns erschwert. Ich spreche dies hier extra an, weil die Verteilungsschlüssel noch nicht ausreichen werden. Darum gibt es eine Debatte, wie man es im Hinblick darauf strukturiert, dass auch Menschen mit einem sehr verständlichen und richtigen Anliegen kommen, nämlich ein besseres Leben für ihre Kinder und Familien zu erreichen. Bevor darüber despektierlich geredet wird und wir das vorschnell angehen, bitte ich alle, noch einmal einen kleinen Besuch im Auswandererhaus in Bremerhaven zu unternehmen
und sich dort anzuschauen, wie es die Deutschen gemacht haben, als sie vor 150 Jahren auf dem Weg in
ihr gelobtes Land, in die USA waren. Im Auswandererhaus sieht man Lebensläufe, wie Menschen weggegangen sind, es waren sehr häufig junge Männer, die Söhne, die jungen Familienväter, die sich auf den Weg gemacht haben, um dort ein besseres Leben zu haben. Als sie dann dort angekommen waren, haben sie die damals zur Verfügung stehenden Wege genutzt, um ihre Familien zu informieren und zu sagen, kommt hinterher, zieht uns nach! Nichts anderes erleben wir heute und deshalb dürfen wir uns darüber nicht erheben. So ist es auf dieser Welt. Wenn man freien Verkehr will, wenn man möchte, dass sich die Menschen bewegen können, dann muss man damit rechnen und es auch wollen, dass eine Zukunft in unserem hochentwickelten Land möglich ist, meine Damen und Herren.
Aber natürlich gibt es eine berechtigte Debatte über die Frage, wie wir jetzt damit umgehen. Es hat ja schon eine Beschlussfassung gegeben, bestimmte Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären, Sie alle wissen es. Die Debatte darüber läuft, hier auch über weitere Balkanländer zu sprechen und eventuell einen solchen Weg zu gehen. Die Debatte in vielen Ländern und auch auf der Bundesebene ist an dieser Stelle sehr intensiv, und es steht die Frage an, inwieweit das mit in das Paket eingeht.
Ich will hier nur sagen, dass man meines Erachtens darüber diskutieren kann. Im Senat haben wir uns darüber noch keine abschließende Meinung gebildet. Wir kennen auch die einzelnen Verfahren noch nicht, aber das ist nur ein kleiner Tropfen oder nur ein kleiner Bereich. Ich bitte darum, diese Debatte nicht zu überhöhen. Noch gibt es keine klaren Zahlen darüber, ob es wirklich dazu geführt hat, dass sich die Zuwanderung aus den bisherigen sicheren Herkunftsstaaten reduziert hat. Auch wird die Reduzierung im Kosovo oft eher darauf bezogen, dass die Menschen dort informiert und Maßnahmen ergriffen worden sind, damit sie dort bleiben.
Ich will auch darauf hinweisen, dass uns das keine große Vereinfachung bringt. Sicherlich, die Anhörung entfällt, und das BAMF braucht es nur schriftlich zu bescheiden. Aber dann? Dann kann jeder vor das Verwaltungsgericht ziehen. Die Quoten steigen, die Bundeskanzlerin hat in der vergangenen Woche gesagt, bundesweit sind es zwei Drittel. Wir haben in Bremen – das ist in allen Großstädten so – eine höhere Anzahl von Klagen vor dem Verwaltungsgericht, dann sind natürlich wieder alle gleich. Im Übrigen landet es danach bei den Ausländerämtern, die sich darum kümmern müssen, wie der weitere Prozess zu organisieren ist.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns das also nicht überhöhen, aber lassen Sie uns auch nicht einfach die Tür zuschlagen. So diskutieren wir es jedenfalls, denn es gehört in ein Paket.
In dieses Paket gehören aber gewisse Dinge nicht. das will ich hier auch in aller Deutlichkeit sagen. Verschärfungen, die dazu führen, zu glauben, es sei besser, Sachleistungen zu geben als Geldleistungen, sind nichts weiter als eine Bürokratiekanone.
Wie soll ich mir das denn vorstellen? Jeder, der hier herkommt, bekommt natürlich seine Hygieneartikel und die ersten Grunddinge als Sachleistungen ausgehändigt, das ist jetzt schon so. Wenn wir das umstellen, bauen wir eine Beschaffungsbürokratie auf, müssen Vergaben machen und so weiter und so fort. Das wäre ein großer Unsinn, meine Damen und Herren, und human wäre es auch nicht.
Wir sollten auch in der gleichen Art und Weise davon absehen zu glauben, wir würden einen Schritt weiterkommen, wenn wir die einen ins Töpfchen und die anderen ins Kröpfchen täten. Menschen unterschiedlich unterzubringen – die einen sind Flüchtlinge und haben einen klaren Asylanspruch, bei den anderen ist man skeptisch – halte ich ebenfalls für den falschen Weg.
Wir müssen uns vielmehr darum kümmern, dass die Wege danach beschleunigt werden, und deshalb denke ich, dass wir als Senat diesem Aspekt nicht beitreten werden. Ich bitte, auch darüber noch einmal gut nachzudenken, weil wir meiner Meinung nach die gemeinsame Herangehensweise im ganzen Land brauchen und annehmen müssen.