Protocol of the Session on November 10, 2016

dass die Erkenntnis des Möglichen bei der CHP, aber auch hier im Parlament langsam reift. Es geht hier um eine Willkürherrschaft und nichts anderes.

Kritische Medienhäuser werden geschlossen und Journalisten inhaftiert. Das Beispiel der Cumhuriyet ist um die Welt gegangen. Insgesamt sind seit dem Putschversuch 68 000 Staatsbedienstete entlassen worden, davon 21 000 Lehrerinnen und Lehrer und über 1 500 Uni-Rektorinnen und -Rektoren. Das sind mitnichten alles Linke. Trotzdem muss man es benennen, auch wir als LINKE.

Gestern hat die EU-Kommission der Türkei schwere Vorwürfe im Hinblick auf die Medien- und die Mei nungsfreiheit gemacht. Der sogenannte Fortschritts bericht ist ein Rückschrittbericht. Er kritisiert die Entlassung von einem Fünftel der Staatsanwälte und Richter und bezweifelt die Unabhängigkeit der Justiz. Sogar Staatsminister Roth aus dem Auswärtigen Amt geht offenbar von Verfolgung aus, wenn er türkischen Regimekritikern die Asylantragstellung unterbreitet. Wir ächten heute mit gutem Grund die Todesstrafe, während Erdoğan versucht, sie wieder einzuführen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sorgenfalten reichen nicht mehr aus, Handeln ist notwendig. Die „Patriot“Raketen müssen abgezogen und der schändliche Flüchtlingsdeal muss sofort gekündigt werden.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss!

Wir schließen uns Ihrer dritten und vierten Ziffer des Antrages zur Türkei an, da sie mit den Antragspunk ten gleichlautend sind, die wir eingereicht haben. Zu den ersten beiden Ziffern des Antrags bitten wir um getrennte Abstimmung, da wir uns enthalten wollen, weil wir es nicht für richtig halten, die Verfolgten ei ner politischen Justiz zu spalten, wie alle Beteiligten mittlerweile feststellen.

Wir finden eine Solidarisierung mit ihnen richtig und fordern die Freilassung aller, nicht nur einer bestimm ten Gruppe. Wir halten es für naiv, hier von einem rechtsstaatlichen Verfahren auszugehen, und hätten eine deutlichere Positionierung an diesem Punkt für wichtig gehalten. – Danke schön!

(Beifall DIE LINKE, FDP)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Zenner.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist leider erneut erforderlich, an die Verteidigung der Menschenrechte zu erinnern, und es ist gut, dass sich alle Fraktionen auf einen gemein samen Antrag verständigt haben.

(Beifall FDP)

Menschenrechte, das ist ein urliberales Thema, daraus ist eigentlich der Liberalismus entstanden, Aufklärung, deutscher Vormärz. Von der Würde des Einzelnen und seiner Entwicklung zu denken und zu argumentieren, das ist Liberalismus pur, und deswegen sind wir in allen Punkten hier völlig d’accord.

(Beifall FDP)

Ich möchte nicht noch die vielen Menschenrechts verletzungen, die hier angesprochen worden sind, ergänzen. Man könnte ein Handbuch von Amnesty International verteilen, darin sind alle Menschen rechtsverletzungen aufgeführt.

Wir als Freie Demokraten stehen völlig dahinter, und wir möchten in der Menschenrechtspolitik dazu beitragen, gerade in der Außenpolitik, dass men schenwürdige Lebensumstände in allen Ländern entwickelt werden, dass wir Kriegsflüchtlingen und Verfolgten humanitären Schutz gewähren und in der Außenpolitik noch Folgendes zusätzlich beachten: Einschränkungen fundamentaler Menschenrechte im Namen der Terrorismusbekämpfung abwenden, finanzielle Zuwendungen in der Entwicklungszusam menarbeit strikt an die Einhaltung von Menschen rechten knüpfen, die Vereinten Nationen und ihre Organisationen stärken und finanziell besser ausstat ten, den Internationalen Staatsgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte weiter stärken und eine europäisch abgestimmte Flüchtlings- und Außenpolitik mit einer fairen Lastenverteilung herbeiführen! Das sind konkrete Maßnahmen im Rahmen der Menschenrechtspolitik.

(Beifall FDP)

Zu den Anträgen, die hier vorliegen, zur Türkei: Es zeigt sich, dass wir für ein Land, das der Europäischen Union beitreten will, nicht nur einen erheblichen Handlungsbedarf sehen müssen, sondern sich die Türkei aufgrund der Umstände und der politischen Entwicklung in der Türkei auf dem Weg nach Eu ropa zumindest unter der Regentschaft Erdoğans verabschiedet hat.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Derjenige, der durch Aktionen Journalisten, Politiker, Richter, Lehrer ohne triftige Gründe einfach verhaften und aus dem Verkehr ziehen lässt, handelt nicht mehr eines Rechtsstaates würdig!

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Für uns als Parlamentarier muss es eine Selbstver ständlichkeit sein, dass Kolleginnen und Kollegen, die ohne triftige Gründe, die vielleicht für eine Aufhebung der Immunität etwas hergeben würden –

(Abg. Özdal [CDU]: Das wissen wir nicht! Wissen Sie, ob es triftige Gründe gibt? – Zurufe SPD, CDU)

mir ist in dieser Richtung bisher nichts bekannt! –,

(Abg. Özdal [CDU]: Lassen Sie doch die Staatsan waltschaft ermitteln! – Unruhe SPD, Bündnis 90/ Die Grünen)

dass sie unsere Solidarität beanspruchen können, damit sie ihr Abgeordnetenmandat weiter ausüben können. Das sagen wir als Liberale, weil es für je dermann gilt, und zwar für jeden Parlamentarier, ganz gleich, ob er links, rechts oder in der Mitte des Parlaments angesiedelt ist!

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Der Antrag: Mir wäre es lieb gewesen, wenn wir in dieser Richtung auch einen gemeinsamen Antrag hätten verabschieden können.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Es ist hier immer so eine Art Wettlauf zwischen den Anträgen und eine Nabelschau, die der Sache ei gentlich nicht gerecht werden.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Wir brauchen hier mehr Geschlossenheit, auch nach draußen, auch an die Kolleginnen und Kollegen in der Türkei! Abgeordnete, Journalisten und andere Mitglieder der Gesellschaft müssen wissen, dass die Bundesrepublik Deutschland zu den Rechten eines demokratischen Staates und eines Rechtsstaates steht und dass sie auf unseren Schutz und unsere Solidarität vertrauen können.

(Beifall FDP, SPD, DIE LINKE)

Deswegen ist der Antrag, der von der LINKEN gestellt worden ist, unterstützungswürdig und findet unsere Unterstützung.

Man kann es natürlich auch abgeschwächter formulie ren, wie es die drei anderen Fraktionen getan haben: Sie halten es rechtsstaatlich für äußerst bedenklich. Ich finde, dass es selbstverständlich ist, dass wir den Rechtsstaat wünschen, aber das ist für mich in dieser Situation zu zart formuliert.

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Hier muss eine ein bisschen klarere Kante gezeigt werden, und ein Regime – so will ich es einmal nen nen –, das mit Verhaftungen ohne Rechtsgrundlage vorgeht, wo wir aus unterschiedlichsten Quellen, auch von Intellektuellen aus der Türkei nichts Sub stanzielles erfahren,

(Glocke)

was auf irgendwelche kriminellen Aktivitäten zu rückzuführen ist, dann geht es hier allein um poli tische Maßnahmen, die rechtsstaatlich nicht mehr gehalten werden können, und deswegen muss hier ganz deutlich gesagt werden, dass wir mit diesen Praktiken nicht einverstanden sind und dass wir ein deutliches Zeichen in Richtung Türkei an unsere Kollegen senden. – Danke schön!

(Beifall FDP, DIE LINKE)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Eckhoff.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich sollte die Debatte heute geführt werden, um das Thema Men schenrechte und insbesondere auch das Thema To desstrafe in den Mittelpunkt zu rücken. Deshalb lassen Sie mich mit diesem Thema beginnen, bevor ich gleich noch zwei bis drei Anmerkungen zum aktuellen Verlauf der Debatte machen werde!

Erstens, solche Anträge sind gut und wichtig, deshalb hat die CDU-Fraktion sie auch gern mitgetragen. Ich finde aber, solchen Worten im Parlament muss auch immer ein glaubwürdiges Handeln folgen.

(Beifall SPD)

Wenn Sie sich die – in Anführungszeichen – Hitliste der Hinrichtungen weltweit ansehen, dann finden Sie auf Platz eins China mit circa 1 500 Hinrichtungen im Jahr. Auf Platz zwei finden Sie den Iran mit circa 1 000 Hinrichtungen im Jahr. Wenn Sie sich gerade anschauen, wie wir handeln, wie häufig auch der Senat im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Entwicklung in diesen Ländern handelt, dann bin ich doch froh, dass wir zumindest eine Bundeskanzlerin haben, die, wenn sie diese Länder besucht, auch das Thema Menschenrechte häufig in den Mittelpunkt ihrer Besuche rückt. Sie trifft sich regelmäßig mit den Vertretern der Zivilgesellschaften in diesen Ländern.

(Beifall CDU)

Ich habe dies zum Beispiel, um das auch ganz deut lich zu sagen, bei den verschiedenen Iran-Initiativen, die es in diesem Jahr gab, vermisst. Es haben weder ein Besuch noch ein Termin stattgefunden, weil man nicht adäquat vertreten gewesen ist. Ich hätte lieber gelesen: Ein Termin habe nicht stattgefunden, weil sich die bremische Regierung intensiv für die Men schenrechte im Iran einsetzt habe. Es werden dort zum Beispiel junge Menschen unter 18 Jahren hingerich tet, wenn sie homosexuelle Handlungen vornehmen. Das ist die tagtägliche Situation im Iran. Es werden 14-, 15- und 16-jährige entweder aufgehängt oder

enthaupteter, weil sie ihre sexuelle Orientierung in dem Alter finden.

Ich finde die heutige Initiative gut und richtig, aber wir müssen unser Handeln in den nächsten Jahren diesen Worten auch anpassen.

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, FDP, ALFA)

Meine zweite Bemerkung will ich in Richtung ALFA machen: Herr Schäfer, wenn Sie sich manchmal so fühlen, wie Sie das angesprochen haben, dann müssen wir das zur Kenntnis nehmen. Ich fühle mich für den Haushalts- und Finanzausschuss nicht angesprochen. Wir versuchen, uns mit dem Kollegen Leidreiter immer ernsthaft auszutauschen, wenn Anregungen kommen. Aber Sie müssen doch auch bedenken, in welchem Zusammenhang Sie Ihre Kritik äußern, wenn Sie zu diesem Punkt – ich habe gerade über Hinrichtungen im Iran und in China gesprochen – einen Änderungs antrag stellen. Es ist bei diesem Tagesordnungspunkt nicht angemessen, die Diskussion zu führen, wenn Sie sich ausgegrenzt fühlen. Es sind Gremien wie der Vorstand vorhanden, oder Sie können mit den Fraktionsvorsitzenden sprechen oder extra einen Antrag stellen.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Oder mit dir! – Heiterkeit)