(Heiterkeit – Beifall SPD – Abg. Frau Ahrens [CDU]: Das ist jetzt aber echt schwer, Herr Präsident!)
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob das Alter dazu beiträgt, gelassen zu werden. – Las sen Sie mich das zu Ende bringen. Ich glaube, dass die Wirtschaft in dieser Frage eine deutlich größere Verantwortung hat, als Sie das gern wahrhaben, dass wir in der Frage der Umverteilung noch deutliche Aufgaben haben, dass wir die Armut insgesamt be kämpfen müssen, um auch die Kinderarmut in den Griff zu bekommen. Mein Interesse ist, dass wir die Auseinandersetzung auch deutlich von den Interessen der Kinder und Jugendlichen her führen, was nicht immer so passiert, aber vielleicht ganz hilfreich wäre.
(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Jetzt hauen Sie Ihren Koalitionär aber mal raus! – Abg. Röwekamp [CDU]: Bloß nichts ändern! Alles ist gut in Bremen!)
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kol legen! Auch wenn sich jetzt Teile der Opposition auf geregt haben, so fand ich gerade das nachdenkliche Herangehen des Kollegen Möhle in dieser Frage, die wir heute diskutieren, völlig angemessen.
Wer hier so tut – und außer der LINKEN haben alle, in Bremen oder Bremerhaven, schon einmal das eine oder andere Jahr in diesem Bundesland regiert –, als ob es Fraktionen und Parteien gebe, die den Schlüssel haben, Kinderarmut sozusagen so zu bekämpfen: „Man muss es nur umsetzen, und die anderen sind zu doof oder weigern sich, das zu tun, oder sind zu hartherzig oder sonst etwas“,
(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD – Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Sie brechen noch nicht einmal den Trend!)
Deswegen ist es richtig – ich habe sehr aufmerksam zugehört –, dass der Kollege Möhle deutlich gemacht hat, dass wir ein gemeinsames Problem haben; was wir im Übrigen im Armutsausschuss – Herr Kolle ge vom Bruch, unter Ihrer Leitung – noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht haben. Es ist kein Zufall gewesen, dass wir einen so großen Anteil der Empfehlungen des Armutsausschusses über alle Fraktionen hinweg, von der LINKEN über die Koa lition bis zur CDU, gemeinsam gefasst haben. Wenn wir dann die Zahlen sehen, wie sie jetzt wieder von Bertelsmann veröffentlicht worden sind, dann sehen wir, dass wir eine Einigkeit darüber hatten, was wir empfehlen. Wir haben aber auch eine Einigkeit in der Ratlosigkeit, dass diese Empfehlungen kein Wunder mittel für die sofortige Heilung einer strukturell tief verwurzelten Kinderarmut im Lande Bremen sind. Das sind sie offensichtlich nicht, und wenn Sie das einmal eingestehen würden –
genau, wenn Sie das jetzt eingestehen, das finde ich hervorragend, – dann kann man das Polit-Bashing
aus der Debatte streichen und gemeinsam darüber nachdenken, wie wir dieses Problem wirklich ange hen wollen.
Weil das in der Debatte immer ein wenig schräg rüberkommt, war für mich ein Bericht, der letzte Woche zu diesem Thema im Fernsehen kam, noch einmal sehr verdeutlichend. Da wurde nämlich eine alleinerziehende Physiotherapeutin gezeigt, die auf einer Vollzeitstelle bei einem anerkannten Arbeitgeber gearbeitet hat – alleinerziehend, fünf Kinder – und arm ist nach allen Definitionen, über die wir heute sprechen. Wir haben es also gar nicht mit Verelendung, mit Leuten, die irgendwo in einer Schrottimmobilie hausen, oder mit irgendwelchen Randgruppen zu tun, sondern mit einem Problem inmitten der Gesellschaft: Offensichtlich kann diese Frau, die den ganzen Tag schuftet, in diesem System mit ihrem Verdienst in einem relativ schlecht bezahlten Beruf, mit Steuern und Abgaben, die sie trotzdem zahlen muss – das sind auch politische Entscheidungen, wer wie viele Steuern zahlt, oben und unten in diesem System –,
ihre fünf Söhne nicht ausreichend beim Aufwachsen unterstützen. Daran sehen Sie, dass diese Dinge zu sammenhängen – von der Frage der Steuerpolitik im Bund, von der Frage, was ein Mindestlohn bedeutet und wie er in den nächsten Jahren vielleicht auch noch von der Höhe her wachsen muss, bis hin zu dem, was wir vor Ort in Bremen tun – und dass sie nicht einfach per Fingerschnippen zu lösen sind.
Wenn man sich die Berichte anschaut – es gibt zwei Armuts- und Reichtumsberichte des Senats, es gibt den Abschlussbericht des Ausschusses der Bremischen Bürgerschaft, es gibt den Bericht der Arbeitneh merkammer, und alle sind sehr dick und sehr klein gedruckt – und wenn man das liest, dann haben wir – sehr geehrte Frau Ahrens, darin stimme ich Ihnen zu – in Teilen vielleicht auch ein Problem der Umsetzung von Dingen, die wir erkannt haben. Das ist sicher so bei der Frage, dass wir Kita-Plätze für alle brauchen und nicht ein paar Hundert unversorgte Kinder, dass wir Kita-Plätze auch für Alleinerziehende brauchen, die zu ungünstigen Zeiten in Schichten arbeiten im Krankenhaus oder woanders,
wobei ich mir aber erhoffe, dass wir bald ein System der Kindergartenfinanzierung und des Kindergar tenausbaues haben, das dies ermöglicht, so wie es in Hamburg und Berlin der Fall ist.
, sondern wir haben auch ein Erkenntnisproblem, und ich würde mir wünschen, dass wir all diese Be richte und Projekte, Maßnahmen und Initiativen, die darin stehen, noch einmal ganz bewusst von außen anschauen lassen, warum diese nicht – –.
Ja, Frau Vogt! Wenn man die Welt so erklärt, dass es einfach reicht, da, wo jetzt 15 Euro ausgegeben werden, 17 Euro auszugeben, und dann ist alles gut. Wenn man die Welt so erklärt, muss man nichts anschauen, dann muss man auch nicht nachdenken.
(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Sie waren doch selbst im Armutsausschuss dabei! – Zuruf Abg. Frau Vogt [DIE LINKE])
Nein! Dann ist die Politik einfach, Frau Kollegin Vogt! – Ich würde mir wünschen, dass wir eine Wirkungs analyse haben, durch die wir tatsächlich wissen, was mit diesem Geld – das viele Geld seit Jahren steigender Sozialhaushalte, Arbeitsmarkthaushalte, Wirtschaftsförderungshaushalte, Bildungshaushalte, Kita-Haushalte, Schulhaushalte – sinnvollerweise vielleicht in Teilen anderes passieren kann, damit die Effekte auf die Zahlen, also konkret auf die Menschen, andere werden. Sehr verehrte Damen und Herren, das würde ich mir wünschen.
Dabei sind wir mit unseren Instituten, die wir im Land Bremen haben, ganz gut aufgestellt, und es gibt viele Erkenntnisse. Ich glaube aber, dass das noch nicht zu Ende gedacht ist. Ich schließe mich dem Kollegen Möhle komplett an, dass der Faktor Arbeit zentral ist. Es ist doch kein Zufall, dass dieses Problem in Bundesländern, in denen wir faktische Vollbeschäf tigung mit drei, vier Prozent Arbeitslosigkeit haben, nicht existiert. Der Faktor Arbeit ist zentral.
Deshalb ist es ein Unterschied, ob man über Armuts bekämpfung, also über die tatsächliche Befreiung aus Armut spricht, die dann über ordentlich bezahlte reguläre Arbeit kommt, oder ob man über etwas spricht – was wir auch sehr viel haben und worüber der Kollege Möhle auch gesprochen hat –, das eher eine Armutsbegleitung ist; was man auf gar keinen Fall als etwas Überflüssiges denunzieren darf, weil über diese Projekte der gesellschaftliche Zusammenhalt kommt, den wir trotz dieser Probleme noch in einem hohen Maße haben. Darüber kommen Würde und Selbstbewusstsein der Menschen, die zwar arm sind, aber in der Gesellschaft durch Teilhabe aufgenom men werden, und darüber kommt in den Stadtteilen
und Quartieren der Zusammenhalt, dass wir auch mit den armen Menschen zusammengehören. Das organisieren all die vielen Menschen, die in diesen Initiativen und Projekten sind. Sie organisieren aber nicht den Ausweg aus der Armut selbst. Dieser kommt, indem wir Arbeitsplätze haben, die auch in Zukunft Familien oder Einzelpersonen und darüber die Kinder ernähren. Deshalb ist der Faktor Arbeit zentral, und da er sich teilweise der politischen Einflussnahme entzieht, ist er eben auch so schwierig und über ein Anti-Armutsprogramm – welcher Regierung auch immer – nicht einfach so herstellbar.
Wenn wir über Arbeit sprechen, finde ich es wichtig, zu erwähnen, dass Bremen mit seiner Vorreiterrolle beim Mindestlohn einen wichtigen Pflock einge schlagen hat. Jetzt haben wir einen bundesweiten Mindestlohn.
Wir müssen auch darüber sprechen, dass Umgehungs- und Vermeidungstatbestände dieses Mindestlohnes jetzt in einer zweiten Phase verschärft angeschaut werden müssen. Wenn es immer mehr Leuten gelingt, obwohl dieser Mindestlohn im Gesetz steht, Leute in irgendwelchen Graubereichen zu beschäftigen, in denen der Mindestlohn dann doch nicht gezahlt wird, dann sind wir wieder bei dem Beispiel der Mutter, die zwar arbeitet, manchmal sogar weitaus mehr als 8 Stunden, manchmal auch sehr hart, aber eben sehr wenig verdient. Deshalb müssen wir beim Mindestlohn sicher noch einmal gesetzgeberisch in der einen oder anderen Art nachlegen. Wir müssen uns auch bei der Umverteilung – die in der Gesellschaft teilweise von unten nach oben stattfindet, die zunehmend stattfindet und die Gesell schaft spaltet in einige sehr Reiche, einige, die ein sehr gutes Auskommen haben, und die vielen, die immer weiter abgehängt werden –, dazu bekennen, welche Steuerpolitik wir letztendlich auf Bundesebene betreiben wollen.
Wir müssen uns schon dazu äußern, ob die sehr gut Verdienenden, ob Vermögen, ob Erbschaften in einer gewissen Weise besteuert werden sollen oder nicht, damit die Mittel, die ohne Zweifel nötig sind, um gute Bildung, Kita-Betreuung und so weiter zu organisieren, zustande kommen. Ich glaube, dass es richtig ist, dass all diese Berichte den Faktor Bildung von der Krippe über die Kita bis hin zur Ganztagsschule in den Mittelpunkt gestellt haben. Ich warne aber vor einem erneuten Irrglauben: Wenn wir, wie wir es zum Beispiel bei der dualen Ausbildung in den letzten Jahren erlebt haben, die Anforderungen an Bildung immer weiter nach oben schrauben, immer mehr differenzieren, immer wei
ter pushen, sodass manche duale Ausbildung heute nicht mehr weit von einem Fachhochschulstudium entfernt ist, dann hängen wir erst recht die Menschen ab, die aus den unterschiedlichsten Gründen – die jeder von uns auch haben könnte, das könnten wir sein – diesen Bildungsanforderungen nicht mehr nachkommen. Diese Menschen hängen wir dann von der Möglichkeit ab, auf der Basis von Bildung durch eigene Arbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen und ihre Kinder ordentlich zu versorgen. Deswegen müssen wir immer auch dafür sorgen – das ist ein Streit gewesen, den wir hier in diesem Hause bei den Assistenzberufen hatten –,
dass es einfache Ausbildungen gibt, dass Menschen eine Ausbildung machen, abschließen und dann auch arbeiten können, weil sie dann mit ihren Möglichkei ten, die vielleicht aus dem einen oder anderen Grund eingeschränkt sind, dort auch Erfolg haben können. Wenn wir das ohne Ende nach oben schrauben, dann hängen wir diesen Teil, der dem nicht nachkommen kann, immer weiter ab.
Sehr geehrter Herr Kol lege, ist Ihnen bekannt, dass zu den allermeisten handwerklichen und gewerblichen Ausbildungen immer eine theorieabgespeckte Ausbildungsversion angeboten wird, sodass man diese Abschlüsse in verkürzter Zeit „theorieabgespeckt“ machen kann? Beispielsweise ist aus dem Schlosser inzwischen der Industriemechaniker und der Maschinen- und Anlagenführer geworden.
Mir ist bekannt, was Sie sagen. Mir ist auch bekannt: Wenn ich durch die Berufsschulen in dieser Stadt reise und mit den Verantwortlichen spreche, beklagen diese das gleiche, was ich gerade gesagt habe: dass wir trotzdem immer noch viel zu viele Ausbildungsgänge haben – Ausbildung ist ja nach Universität und Hoch schule nicht die allerhöchste Ebene der Ausbildung in diesem Lande –, die die Anforderungen zu hoch schrauben, sodass ein Drittel der jungen Leute dem faktisch, wie wir das ja auch sehen, einfach nicht nachkommen kann. Insofern: Kein Widerspruch, aber das Problem bleibt bestehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn wir grundsätzlich, so wie wir das im Armutsausschuss getan haben, darauf verzichten, dass die Koalition