Protocol of the Session on June 24, 2016

Ich habe ja gehört oder gelesen, dass Sie gesagt haben, es gebe gar keinen blauen Brief. Ich habe den Brief, den Ihnen Herr Dr. Norbert Walter-Borjans und Herr Dr. Wolfgang Schäuble am 8. Juni 2016 geschrieben haben. Der Präsident des Senats hat ihn auch. Ich gebe zu, er ist nicht auf blauem Papier geschrieben. Sie haben vielleicht formal recht, das ist kein blauer Brief. Wenn man aber den Inhalt liest – ich zitiere –:

„Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Senatorin! Der Stabilitätsrat hat beschlossen, Bremen zur verstärkten Haushaltssanierung gemäß Paragraf 5 Absatz 3 Stabilitätsratsgesetz und zum Ergreifen zusätzlicher Maßnahmen gemäß Paragraf 4 Absatz 2 der Sanierungsvereinbarung aufzufordern. Der entsprechende Beschluss des Stabilitätsrats ist als Anlage beigefügt.“

Wenn man sieht, was in Paragraf 5 Absatz 3 des Stabilitätsratsgesetzes steht, so heißt es dort:

„Legt... das Land ungeeignete oder unzureichende Vorschläge für Sanierungsmaßnahmen vor oder setzt... es die vereinbarten Maßnahmen nur unzureichend um, beschließt der Stabilitätsrat eine Aufforderung zur verstärkten Haushaltssanierung.“

Meine Damen und Herren, dieser Brief sagt, dass Sie die Verantwortung dafür haben, dass Bremen ungeeignete oder unzureichende Vorschläge für Sanierungsmaßnahmen vorgelegt hat oder die vereinbarten Maßnahmen nur unzureichend umsetzt. Das ist ein blauer Brief! Das ist der letzte Warnschuss, und wer darauf nur unzureichend reagiert oder bestreitet, dass es diesen Warnschuss gibt, der hat das Vertrauen dieses Parlaments nicht weiter verdient!

(Beifall CDU, FDP, ALFA)

Nun kann man die Frage stellen: Sind Sie für all diese Fehler eigentlich verantwortlich? – Sie waren an all diesen Fehlern zumindest beteiligt. In Ihrer Eigen

Bremische Bürgerschaft (Landtag) – 19. Wahlperiode – 25. (außerordentliche) Sitzung am 24.06.16 1836

schaft als Vorsitzende des Aufsichtsrats, als Vertreterin in der Trägerversammlung sowie in Ihrer Eigenschaft als Finanzsenatorin und Mitglied des Stabilitätsrats haben Sie an diesen Fehlern sogar federführend für Bremen mitgewirkt. Es geht, Frau Senatorin, nicht um Schuld, sondern um die Frage, ob Sie die Verantwortung für diese Fehler übernehmen. Schuld ist etwas, das Sie sich persönlich vorwerfen lassen müssten. Verantwortung ist etwas, das Ihnen das Parlament mit der Wahl in den Senat geschenkt hat, und dieses Vertrauen, diese Kompetenz und diese Zuständigkeit und Verantwortung, sehr geehrte Frau Senatorin, haben Sie aus Sicht der CDU-Fraktion bitter enttäuscht.

(Beifall CDU, ALFA)

Hinzu kommt, dass Sie die Fehler, die ich eben beschrieben habe, in den Parlamentsdebatten der letzten Wochen nicht einmal eingeräumt haben. Niemand ist vor Fehlern gefeit:

(Abg. Rupp [DIE LINKE]: Sie auch nicht!)

die Grünen-Fraktion nicht, die SPD-Fraktion nicht, die CDU-Fraktion nicht, Frau Linnert nicht, Herr Tschöpe nicht, Frau Dr. Schaefer nicht, ich nicht, DIE LINKE auch nicht, obwohl Sie ja manchmal etwas anderes behaupten. Jeder macht mal einen Fehler, aber das Entscheidende ist doch, dass man den Fehler selbst erkennt, um daraus für die Zukunft zu vermeiden, ihn zu wiederholen, oder um ihn sogar idealerweise wieder auszumerzen. Aber Sie haben die Fehler nicht einmal erkannt, Frau Senatorin, und deshalb trauen wir Ihnen auch nicht zu, dass Sie für Bremen diese Fehler wieder ausbügeln können.

(Beifall CDU, ALFA)

Wenn es keine Fehler gegeben hätte, dann frage ich: Warum schickt eigentlich der Stabilitätsrat einen Brief diesen Inhalts? Wenn es keine Fehler gegeben hat, wie Sie behaupten: Warum werden wir unsere Anteile an der Bremer Landesbank, zu welchem Preis auch immer, dann abtreten müssen und unseren Einfluss auf diese Bank verlieren? – Allein die Ergebnisse dieser beiden Sachverhalte zeigen: Es muss Fehler gegeben haben, und diese Fehler stammen aus Ihrem Verantwortungsbereich, sehr geehrte Frau Senatorin.

(Beifall CDU, ALFA)

Diese Fehler haben für Bremen auch einen großen Schaden angerichtet: Wir verlieren unsere Beteiligungen an der Bremer Landesbank. Was an diesen Beteiligungen noch zu retten ist, wird den Verhandlungen der nächsten Wochen und Monate geschuldet sein. Die Beteiligungen an der GEWOBA, der BLG

und der Brebau sind zumindest gefährdet; es besteht abstrakt die Gefahr, dass sie auch an die NORD/LB fallen, es sei denn, wir kaufen sie, zu welchem Preis auch immer, zurück, um unseren Einfluss auf diese für Bremen wichtigen Gesellschaften zu behalten. Wir haben eine schlechte Verhandlungsposition mit Niedersachsen, insbesondere auch deshalb, weil man als Minderheitsgesellschafter einer Bank – und schon gar nicht dem Mehrheitsgesellschafter – nicht öffentlich Maßnahmen wie Erpressung vorwirft. Wer die Stimmung vergiftet, darf sich hinterher über schlechtes Klima nicht beklagen, Frau Senatorin.

(Beifall CDU)

Wir wissen bis heute nicht, wie das Parlament an den weiteren Verhandlungen und Beratungen beteiligt werden soll. Sie wollen doch nicht allen Ernstes im Dezember ins Parlament kommen und sagen: Ich habe eine Lösung verhandelt. Entweder ihr akzeptiert die oder die Bank steht alternativ unter staatlicher Aufsicht. – Nein, wir wollen als Parlament aus dem Fehler lernen, dass Sie uns nicht beteiligt haben. Wir wollen mitreden, wenn es um diese Beteiligungen geht. Dazu haben Sie bis heute noch keinen geeigneten Vorschlag gemacht. Wir als Bremer CDU haben ein Interesse an dieser Bank. Wir wollen, dass diese Bank mit ihren Arbeitsplätzen und Kompetenzen am Standort Bremen bestehen bleibt und auch die Mitarbeiter weiter ihre Arbeit in Bremen haben. Daran werden wir als CDU-Fraktion mitwirken. Dieses Angebot machen wir der Finanzsenatorin, und wir hoffen, dass es dieses Mal auch angenommen wird.

(Beifall CDU)

Die Frage ist also: Haben Sie für das, was vor uns liegt, noch das ausreichende Vertrauen? Es geht also nicht darum, ob wir Ihnen die Schuld für die Fehler der letzten Wochen und Monate geben, sondern die Frage ist einfach: Trauen wir als Parlament Ihnen zu, den Karren wieder aus dem Dreck zu fahren? Trauen wir Ihnen zu, gegenüber dem Stabilitätsrat das Vertrauen zurückzugewinnen, den Schaden, den Bremens Ansehen durch diese unprofessionellen Verhandlungen genommen hat, wieder auszumerzen? Trauen wir Ihnen zu, die Bremer Landesbank im Interesse unseres Wirtschaftsstandorts für Bremen zu retten? – Darauf ist die Antwort der CDU-Fraktion klar: Nein, Frau Senatorin, wir trauen Ihnen diese vor Ihnen liegende Verantwortung wegen der Fehler der Vergangenheit nicht mehr zu.

(Beifall CDU)

Nun ist der Vorwurf erhoben worden, die CDU würde Parteipolitik betreiben.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Zu Recht!)

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Ja, Frau Schaefer, es geht uns auch um eine andere Politik für Bremen. Diese Fehler haben gezeigt, dass Bremen zurzeit nicht gut regiert wird. Was in den letzten Wochen und Monaten passiert ist, darf sich nicht wiederholen. Wir brauchen eine andere Politik für Bremen, so wie sie unser neugewählter Bürgermeister Dr. Carsten Sieling den Menschen am Wahlabend und am Abend seiner Wahl versprochen hat. Er hat gesagt: Wir wollen eine Aufbruchsstimmung erzeugen, wir wollen wachsende Stadt werden. – Was ist aus diesen Versprechen eigentlich geworden? Das Einzige, das im letzten Jahr gewachsen ist, sind Schulden, Armut, Kinderarmut und Kriminalität, aber gewachsen sind weder das Ansehen unserer Stadt noch die Wirtschaft noch die Zahl der Arbeitsplätze!

(Beifall CDU – Widerspruch SPD, Bündnis 90/ Die Grünen)

Worum kümmern sich eigentlich der Koalitionspartner Bündnis 90/Die Grünen in dieser existenziellen Frage? – Er kümmert sich um Cannabis-Freigabe, Freiluftpartys und die Urne auf dem Kaminsims, meine Damen und Herren! Das sind doch nicht die wirklichen Bremer Probleme!

(Anhaltender Beifall CDU – Widerspruch SPD, Bünd- nis 90/Die Grünen)

Was wir jetzt brauchen, ist ein Pakt für Bremen, ein Alle-Mann-Manöver, bei wir parteiübergreifend und mit den gesellschaftlich relevanten Gruppen einen Plan entwickeln, wie Bremen das Vertrauen des Bundes und der anderen Länder bei der eigenen Anstrengung zur Sanierung wiederherstellen kann.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Par- teiübergreifend! Das merke ich gerade!)

Wir brauchen einen Sanierungsplan für Bremen statt dauernd blauer Briefe und Warnungen aus dem Stabilitätsrat! Wir müssen den Mut haben, zu sagen, dass wir unser Land auch aus eigener Kraft mit retten wollen und unser Schicksal nicht nur in die Hand anderer legen!

(Beifall CDU)

Wir brauchen Wachstum an Einwohnern. Wir brauchen Wachstum an Beschäftigung, und wir brauchen notwendige Flächen, um als Stadt wachsen zu können, und dabei brauchen wir keine Grünen, die auf die Bremse treten.

(Beifall CDU)

Wir brauchen die Integration der Geflüchteten, und dazu ist es in Anbetracht der Ressourcen zwingend

erforderlich, dass wir uns auf diejenigen konzentrieren, die eine Bleibeperspektive haben. Deshalb muss auch Bremen, das bisher als einziges Bundesland keine Rückführung von Asylbewerbern und Flüchtlingen vornimmt, seinen Kurs ändern. Wir müssen uns auf die konzentrieren, die hierbleiben. Wir brauchen auch in der Ausländerpolitik einen Kurswechsel für Bremen.

(Beifall CDU)

Frau Dr. Schaefer hat in der Parlamentsdebatte über den Haushalt und die Bremer Landesbank gesagt, es gelte das Motto: Erst die Menschen, dann die Partei!

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja! Erst die Menschen, dann das Land, dann die Partei!)

Ich füge hinzu, liebe Frau Dr. Schaefer, der Satz geht noch weiter. Er lautet: Erst die Menschen, dann die Partei und ganz am Schluss die Person!

(Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist nicht richtig zitiert!)

Sehr geehrte Frau Senatorin Linnert, Sie hätten den Menschen in diesem Land, der Koalition und Ihrer eigenen Partei einen großen Gefallen getan, wenn Sie die Verantwortung für die Fehler dieser letzten Wochen und Monate übernommen hätten. Das wäre kein Urteil über Ihre politische Leistung gewesen. Es wäre auch nicht um Schuld gegangen; aber es wäre das Eingeständnis gewesen, dass Sie im Moment in Anbetracht der Herausforderungen und der Geschehnisse der letzten Wochen und Monate nicht die Idealbesetzung als Bremer Finanzsenatorin sind. Es ist schade, dass Sie diese Chance verpasst haben. Frau Linnert, Sie sind Ihrer Verantwortung gegenüber dem Land damit nicht gerecht geworden. Sie haben der Koalition nicht geholfen. Es wäre viel einfacher gewesen, eine Nachfolge zu wählen, die einen Aufbruch in diesen beiden für Bremen entscheidenden existenziellen Feldern hätte vornehmen können. Sie haben Ihrer eigenen Partei keinen Gefallen getan, der das Führungspersonal auch in Bremen offensichtlich serienweise davonläuft.

(Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/Die Grünen]: „Serienweise davonläuft“? Das ist der größte Quatsch aller Zeiten, Herr Röwekamp!)

Die Grünen sind in einem desolaten Zustand, und dadurch, dass Sie jetzt die Senatorin in ihrem Amt bestätigen wollen, wird es auch für die Grünen nicht leichter. Warum tun Sie das alles? Sie tun es nicht aus Interesse für die Menschen in diesem Land. Sie tun es nicht im Interesse der Regierungsfähigkeit unseres Landes, und Sie tun es nicht für Ihre eigene Partei. Sie tun es nur im Interesse von Frau Linnert, und

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das, meine Damen und Herren, dürfen wir nicht zulassen!

(Beifall CDU – Abg. Frau Dr. Schaefer [Bündnis 90/ Die Grünen]: Sie sprechen heute aus Interesse für Ihr Amt, oder was?)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie gleich an die Wahlurnen gehen, dann stimmen Sie noch nicht über Neuwahlen ab. Sie stimmen nicht über eine neue Koalition ab. Sie treffen allein für sich die Entscheidung, ob Sie der Senatorin Linnert zutrauen, unser Land in zwei thematisch existenziellen Feldern sicher durch stürmische See zu leiten. Sie werden persönlich entscheiden, ob es so weitergehen soll wie in den letzten Wochen und Monaten und seit Beginn dieser Legislaturperiode. Oder Sie entscheiden, ob es zu dem kommt, was die Menschen erwarten und der Bürgermeister Ihnen versprochen hat: zu Aufbruch, zu Wachstum, zu einer Absage an das „Weiter-so“.

Für die weiteren Verhandlungen brauchen Sie, Frau Senatorin, das Vertrauen dieses Parlaments. Um nicht mehr, aber auch nicht weniger geht es gleich bei der Abstimmung. Die CDU-Fraktion wird Ihnen dieses Vertrauen nicht aussprechen, und ich habe die Hoffnung und Erwartung, dass mit der Abstimmung der Neustart für Bremen wirklich möglich ist. – Vielen Dank!