Protocol of the Session on April 21, 2016

(Beifall DIE LINKE)

Ich komme auf Bremen und die Bundesrepublik zurück. Als ich haushalts- und finanzpolitischer Sprecher wurde, lernte ich ein Wort, bei dem ich mir nicht sicher war, was schlimmer war: dass es so etwas gibt oder dass es sogar ein Wort dafür gibt –: „maßvoller Steuervollzug“. Wir befinden uns auch in der Bundesrepublik Deutschland in einer Art Konkurrenz kleiner oder größerer Steueroasen. Wer sich die Anzahl denkbarer und tatsächlicher Betriebsprüfungen und die der Betriebsprüferinnen und Steuerprüfer anschaut, stellt fest: Sie sind auch in Bremen aus bestimmten Gründen immer unterhalb des Personalbedarfsplans. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn wir uns die Möglichkeit geben, wieder zu kontrollieren, treiben wir mehr Steuern ein. Wir brauchen im Übrigen eine Bundessteuerverwaltung. Ich finde es anachronistisch, dass 17 Bundesländer der Bundesrepublik eigene Steuerverwaltungen haben, eigene Steuerprüfungen.

(Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: 16! – Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Nein, das ist die Sache mit der Bundesliga!)

16, ja, Entschuldigung! Manchmal zähle ich Bremerhaven mit dazu.

(Heiterkeit und Zurufe)

Nein, das hat andere Ursachen!

Wir haben 16 Bundesländer und jedes macht es selbst. Es gibt offensichtlich in der Bundesrepublik Deutschland nicht einmal eine gemeinsame Software der Bundesländer, die einen Datenaustausch zwischen ihnen möglich macht. Ich habe gelesen, viereinhalb Millionen Euro sollen beim Versuch versenkt worden sein, eine solche Software zu schreiben, und es hat nicht geklappt. Vielleicht kann man mich berichtigen, vielleicht stimmt das gar nicht. Da wäre noch viel zu tun, auch vor unserer eigenen Haustür, hier in Bremen und in der Bundesrepublik sowie in den Bundesländern. Wir können nicht nur nach Berlin oder Brüssel schauen. Es gibt auf allen Ebenen etwas zu tun. Ich werbe sehr dafür, dass wir uns neben den Maßnahmen zur Transparenz und Offenlegung der Gewinne und Ähnlichem genau anschauen, was wir in Bremen machen können, um die Situation zu

verbessern und Steuerflucht und -vermeidung zu erschweren. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

(Beifall DIE LINKE)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Ravens.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe mich nach dem Beitrag von Herrn Prof. Hilz zu Wort gemeldet. Ich glaube, wir sind uns alle einig darüber, dass diesen kriminellen Machenschaften der Riegel vorgeschoben werden muss.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Hier wurden viele Begriffe genannt, von Panama bis Wilmington in Delaware, und Dinge vorgetragen, die ich alle unterstützen kann, die wir alle bekämpfen müssen. Nur, wir können hier noch zehn Anträge beschließen, das wird aber nicht helfen, wenn sie nicht umgesetzt werden.

Wenn ich die Presse richtig verfolgt habe, haben alle, von der „Neuen Zürcher Zeitung“ bis zu „Handelsblatt“ und „Wirtschaftswoche“, große Skepsis wegen des Zehn-Punkte-Plans des Bundesfinanzministers. Alle haben gesagt: Viel heiße Luft! Nichts wird passieren, weil alles schon einmal gesagt worden ist.

Ich wollte eigentlich noch etwas zum Dividendenstripping sagen. Da hatten wir in den letzten Jahren Ausfälle – das weiß die Finanzsenatorin sicher besser – von fast zehn Milliarden durch sogenannte CumCum-Geschäfte, bei denen Aktienpakete kurz vom Ausland hierhergeschoben werden, um die Kapitalertragsteuer zu umgehen. Nach der Zahlung werden sie wieder zurückgeschoben. Mich hat besonders geärgert, worauf der Kollege Gottschalk, glaube ich, hingewiesen hat: Die Commerzbank, die wir mit 18,2 Milliarden Euro Steuergeldern am Leben erhalten haben, spielte eine große Rolle. Da wurde nichts getan. Die „Wirtschaftswoche“ beschreibt das Nichtstun des Bundesfinanzministers mit „Dr. Schäubles gesammeltes Schweigen“ – es passiert nichts.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Aber warum bin ich nach vorn gekommen? Meine Damen und Herren, ich habe nur wenig Zeit – als einzelner Abgeordneter fünf Minuten –, aber bereits am 14. August 2015 stand in meiner Heimatzeitung, der „Nordsee-Zeitung“, ein Artikel mit der Überschrift „Fiskus verschont die Reichen“. Diesen möchte ich nicht zitieren, aber lassen Sie mir vielleicht so viel Zeit, den Kommentar zu zitieren, der mir am Herzen liegt: „Die Reichen und die Steuerbehörden“. Nicht alles muss für Bremen zutreffen, aber im Grundsatz teile ich die Meinung des Autors:

„Wer als normaler Arbeitnehmer bei der Steuererklärung schummelt, wird erwischt. Jedenfalls wenn er für den Arbeitsweg zwölf Kilometer angibt und es in Wirklichkeit nur zehn sind. Das messen die im Finanzamt nach, einfach mit Google Maps. Anders ist es, wenn man einige Millionen hat und sein Geld mit Vermietungen, Immobiliengeschäften, Aktien, Beteiligungen und anderem verdient, auf dass es noch mehr Millionen werden. Dafür gibt es kein Google. Dafür gibt es nicht einmal eine richtige Überprüfung, weil es dafür keine Finanzbeamten gibt, jedenfalls nicht genug.

Wenn die Steuererklärungen mittlerer Betriebe nur alle 15 Jahre und die von Vermögenden allenfalls alle sieben Jahre genauer unter die Lupe genommen werden, ist das ein Skandal. Und das nicht einmal wegen des entgangenen Geldes, das auch. Es ist ein Skandal, weil dahinter“

das teile ich vielleicht nicht –

„politische Absicht steckt, stecken muss. Mindestens eine absichtliche Inkaufnahme. Denn der Bundesrechnungshof hat ebenso wie jetzt die OECD die Zustände schon früher angeprangert.

Aber manche Bundesländer, in deren Hoheit der Steuervollzug liegt, sagen sich offenbar frei nach Peer Steinbrück: Besser nix von vielen Millionären, die bei uns wohnen bleiben, als X von wenigen Reichen, weil wir die anderen vergraulen. Was dabei übersehen wird: Die allgemeine Steuermoral wird bei solchen Zuständen massiv untergraben, die Akzeptanz des gesamten Systems infrage gestellt werden. Am Ende auch auf Seiten der normalen Arbeitnehmer.“

Und das teile ich. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Als Nächste hat das Wort Frau Bürgermeisterin Linnert.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich freue mich über die große Einigkeit hier im Hause, sich wieder neu zu verständigen, unterzuhaken, dass wir kompromisslos gegen Steuerhinterziehung vorgehen wollen und Defizite in der Gesetzgebung – es gibt sie – beseitigen und uns in der gesellschaftlichen Zuschreibung dessen, was da passiert, verständigen wollen und ihm wieder neu entgegentreten.

Deshalb will ich als Erstes Herrn Hilz sagen, dass ich ausdrücklich Ihre Sichtweise – ach, es ist doch alles legal, oder das, was legal ist, ist eben auch egal – nicht teile.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Wir leben nicht in einer Welt, in der am Ende Strafrechtsexperten und Gerichte eine Gesellschaft gestal

ten. Sie sind ein wichtiger Teil davon, wie die vom Gesetzgeber erlassenen Gesetze die Grundlagen des Zusammenlebens und des Umgangs des Staates mit den Menschen prägen. Aber legal und illegal ist nur eine Kategorie der Beurteilung der Taten von Menschen, und legitim oder illegitim ist auch eine, über die sich eine Gesellschaft immer wieder neu verständigen muss. Es ist vielleicht legal, aber illegitim, sich von hier zu verkrümeln, die Segnungen eines Rechtsstaates und einer sozialen Gesellschaft in Anspruch zu nehmen und ansonsten zu sagen: Mir ist völlig egal, wer das hier finanziert.

(Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen)

Insofern ist es sehr wohl eine moralische Frage der Zugehörigkeit zu einer Gesellschaft und der Tatsache, dass man so etwas einfach nicht macht. Und wenn man noch so schlaue Berater hat, noch so clevere Banken und noch so sehr den Gesetzgeber übertölpelt hat – die Gedankenkonstruktion, die Sie wählen, läuft doch, wenn man sie ein kleines bisschen zuspitzt – ich glaube, das ist Ihnen gar nicht wirklich klar –, darauf hinaus zu sagen: Hihi, wir sind viel schlauer als der Gesetzgeber, der durch internationale Verflechtungen vielleicht auch gar nicht mehr mit dem Regeln hinterherkommt und die Eingriffe, Vor- und Nachteile nicht sieht. Hihi, wir sind schlauer als der Gesetzgeber und machen uns vom Acker!

Wenn hier die Schlauen legal keine Steuern zahlen, ist das eben auch legitim – wenn Sie das so sehen, dann sind Sie daran beteiligt, ein Klima zu schaffen, das Menschen begünstigt, die meinen, sie hätten das Recht, nach Panama zu gehen, und nur die dummen Friseurinnen, Aldi-Verkäuferinnen und wer auch immer wären dafür da, hier den Staat zu finanzieren.

(Lebhafter Beifall SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grü- nen, DIE LINKE)

Wenn man schon zu dem Ergebnis kommt, dass es auch hier in Bremen Waren und Dienstleistungen anbietende Firmen wie Amazon, Ikea und Starbucks gibt, dann sage ich auch: Es ist in der Tat richtig, dass wir als Gesetzgeber Schwierigkeiten haben, dem hinterherzulaufen, aber man kann theoretisch auch zur Überzeugung kommen, dass man seinen Kaffee bei einer Firma kauft, die hier Steuern zahlt – nur mal rein theoretisch!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Ich wünsche mir einen politischen Diskurs, der jetzt die Journalistinnen und Journalisten – bei aller Anerkennung ihrer Arbeit – bittet, dem Staat die Unterlagen auszuhändigen. Das Bundesamt für Steuern braucht die Daten, damit wir Menschen verfolgen und die Daten an die Finanzämter der Bundesländer weitergeleitet werden können. Ich verstehe, dass Journalisten das

lieber scheibchenweise herauslassen, um den einen oder anderen Effekt zu erzielen – das ist übrigens auch legitim, aber vielleicht nicht immer richtig –, aber ich will auf den Mechanismus hinweisen: Je länger Unterlagen unter dem Deckel gehalten werden, desto länger läuft die Frist für die strafbefreiende Selbstanzeige. Erst wenn den Finanzbehörden ein Name bekannt ist beziehungsweise in der Öffentlichkeit steht, läuft sie ab. Wer dem Bundesamt für Steuern die Unterlagen nicht gibt, sorgt dafür, dass die Fristen, in denen Leute sich überlegen können, ob sie sich nicht doch noch verkrümeln, länger und länger werden. Das möchte ich nicht so gern. Zu Recht wurde gesagt, dass man sich dem Agieren einiger Banken widmen muss. Das ist keine Frage des Strafrechtes, denn diese Regelung gibt es schon. Ich möchte es gern erleben, dass Bankenmitarbeiter, Vorstände und Verantwortliche wegen Beihilfe zur Verantwortung gezogen werden, vor allem, wenn sie so systematisch erfolgt, wie in den Panama-Papers dargelegt.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Bevor das jetzt einen falschen Zungenschlag bekommt – „wir und die anderen“; auf unsere Möglichkeiten als Konsumentinnen und Konsumenten habe ich hingewiesen –, möchte ich daran erinnern, dass das Bundesverfassungsgericht 2004 den vielen Briefkastenfirmen in Norderfriedrichskoog, später auch in Freudenberg, einen Riegelvorgesetzt hat. Dort wollte man als Gemeinde und als Anleger mit Gewerbesteuer Null besonders clever sein und stand, nachdem die Gemeinden Kindergärten finanzieren mussten, staunend davor und fragte sich, was da eigentlich passiert war. Der Gesetzgeber machte dem ein Ende und setzte einen Mindeststeuerhebesatz der Gewerbesteuer von 200 Prozent fest, wogegen sich Freudenberg auch noch ordentlich gewehrt hat. Steueroasen sind also nicht immer ganz weit weg, auch hier gibt es sie, was viel mit dem gesellschaftlichen Klima zu tun hatte. Ich glaube, heutzutage wäre das so nicht mehr möglich, insofern gibt es einen Fortschritt. Aber auch hier gab es Gemeinden, Politiker und Anleger, die geglaubt haben, dass man sich legal und clever so vor gesellschaftlichen Verpflichtungen drücken kann. Oder Großbritannien mit seinen Jungferninseln – ein Mitglied der EU, ich behalte es für mich, was ich darüber denke; aber so geht das bestimmt auf Dauer nicht weiter. Wenn wir ein Klima wollen, wo es moralisch durchgängig und konsequent geächtet wird, wenn man den Staat um das, was ihm zusteht, betrügt, müssen wir uns auch im Kleinen fragen, wie mit Schwarzarbeit, dem zwinkernden „Brauchen Sie wirklich einen Bon?“ umgegangen wird. Was ist mit der Mehrwertsteuer? Jede und jeder hier im Haus hat Situationen erlebt, in denen man sich fragen muss: Hat man sich richtig

verhalten? Haben wir uns konsequent darum gekümmert, dass es kein Kavaliersdelikt ist, auch bei einem selbst nicht, wenn man den Staat betrügt?

Ich habe mich über das einstimmige Votum der Finanzminister gefreut. Daran haben wir mitgewirkt. Natürlich ist Papier geduldig, aber ich glaube schon, dass die Bereitschaft derjenigen, die ehrlich sind und einen funktionierenden Staat wollen, sinkt, sich von Leuten, die sich für besonders schlau halten, auf der Nase herumtanzen zu lassen. Das Strafrecht ist mehrfach verschärft worden. Ich finde die Verjährungsregelung richtig. Wir haben jetzt als Staat Möglichkeiten, uns gewaltig zu wehren. Panama ist unter Druck geraten, das Transparentabkommen wird jetzt endlich unterschrieben. Wir wollen sehen, wie es weitergeht.

Die nächste Herausforderung ist eher, dass die durch die Transparentabkommen eintrudelnden Daten von uns so verarbeitet werden, dass wir sie sinnvoll auswerten können. Im Grunde führt jetzt die Vernetzung dazu, dass jeder und jede, der oder die versucht, sein Geld in Sicherheit zu bringen – allein das Wort Sicherheit ist in diesem Zusammenhang sonderbar, aber so heißt das nun mal –, wissen muss, dass wir die Voraussetzungen haben, die Daten zu bekommen. Jetzt geht es darum, dass das in Deutschland ordentlich ausgewertet wird. Ihre Einschätzung, dass das von einer großen zentralen Steuerbehörde im Bund besser zu machen wäre, teile ich ausdrücklich nicht. Auch die Erfahrungen im Ausland stützen diese Vermutung nicht. Schnell kann man sich aber darüber verständigen, dass wir ein einheitliches ITSystem brauchen. Da ist Bremen bestimmt nicht im Bremserhäuschen gewesen.

Es gibt noch viel zu tun. Ich werde Sie weiter informieren, was wir auf Bundesebene machen. Morgen ist der niedersächsische und bremische Antrag Thema im Bundesrat. Ich werde für Bremen sprechen und freue mich darauf. Dass es in solchen Fragen gelingt, einstimmige Finanzministerbeschlüsse herbeizuführen, ist etwas Besonderes. Damit kann man zufrieden sein. Ich verspreche Ihnen, ich werde nicht nachlassen. Ich bin zuallererst diejenige, die vielen Menschen legitime und nachvollziehbare Wünsche abschlagen muss, weil kein Geld dafür da ist. Das kann ich vor mir selbst nur vertreten, indem ich alles tue, was in meiner Macht steht, um sicherzustellen, dass der Staat Geld einnimmt, das ihm zusteht.

Früher hieß es bei den Grünen: Es gibt kein sicheres Hinterland. Die große Lehre aus den Panama-Papers ist: Es wird kein sicheres Land auf der Welt mehr geben, wo man sein Geld so verstecken kann, dass wir nicht früher oder später darauf kommen. Das sagen wir in der Öffentlichkeit: Es kommt der Tag, da erwischen wir ihn oder sie, der oder die so etwas tut. Die Strafbewehrung ist mittlerweile nicht mehr witzig, sondern die Summen und Strafen sind hoch. Jeder muss wissen, was er da tut. – Vielen Dank!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Moment, Herr Gottschalk hat eine Kurzintervention angemeldet! – Bitte sehr!

Der Kollege Fecker hat schon gesagt, dass wir als Koalition den Antrag der CDU mittragen werden. Er geht uns nicht weit genug, aber er geht in die richtige Richtung.

Den Antrag der Linken werden wir ablehnen, nicht weil wir alles, was darin aufgelistet ist, für falsch halten, sondern weil wir der Meinung sind, dass wir Dinge wie den Umgang mit Abgeltungsteuer oder Quellenbesteuerung, die darin vorgetragen werden, in diesem Hause eingehender diskutieren müssen als sie mal eben so in einem Antrag durchzustellen. – Danke!

Hervorragend! Jetzt ist die Beratung aber geschlossen.