Protocol of the Session on March 16, 2016

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

In dieser Frage stecken sehr viele Dinge, die teilweise in der Schulreform begonnen wurden, aber noch

keineswegs zu Ende geführt und manchmal noch gar nicht richtig umgesetzt worden sind. Zum Beispiel: Kommen wir weiter, indem wir den Schulen eine größere Eigenständigkeit zubilligen und sie mehr in die Lage versetzen, Dinge vor Ort in der Schule zu regeln, statt möglicherweise von oben durch eine Landes- oder städtische Bürokratie? Kommen wir weiter, indem wir unser Schulsystem tatsächlich am Output messen und nicht so sehr an den hehren Grundsätzen, mit denen wir in das System hineingehen? – Auch das hat mein Vorredner schon gesagt. Die Maßzahlen, an den wir uns messen lassen müssen, sind die Anzahl der Abschlüsse, die Qualität der Abschlüsse, ist die Art und Weise, wie wir es auch Kindern aus sozial schwachen Familien und aus Familien, in denen die Kinder beim Bildungsgang weniger von den Eltern unterstützt werden, ermöglichen, erfolgreich zu sein. Es geht darum, wie wir da tatsächliche Erfolge erzielen und nicht nur Absichten formulieren.

Das alles steckt in diesem Auftrag. Wenn das Gutachten vorliegt, werden wir hier mit Sicherheit sehr kontroverse und lebhafte Diskussionen über die Schlussfolgerungen haben. Dann sind natürlich auch die Parteien mit im Boot, die den letzten Schulkonsens als Parteien miteinander abgeschlossen haben. Ich hoffe sehr, dass es uns gelingt, für eine Periode von weiteren zehn Jahren den sogenannten Schulfrieden in Bremen auf einer qualitativ besseren Basis als in den letzten zehn Jahren zu erhalten. Wenn dann ein Fernsehsender kommt und wieder das Lied „Ein bisschen Frieden spielt“, finde ich, dass die Bremerinnen und Bremer dieses bisschen Frieden auch verdient haben. Kontroversen und Streit haben wir in dieser Stadt noch genug. Lassen Sie uns diesen Konsens erhalten! – Vielen Dank!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch. – Bitte, Herr Kollege, Sie haben das Wort!

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Interfraktionell wird Ihnen heute ein Antrag vorgelegt, mit dem die Evaluation des auf zehn Jahre angelegten Bildungskonsenses auf den Weg gebracht werden soll. Ich darf eingangs sagen, und da schließe ich mich meinen Vorrednern an, dass ich begrüße, dass wir damit einen Auftrag erfüllen, der sich übrigens aus dem Konsensabkommen schon selbst ergibt.

(Abg. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja!)

Ich möchte mich insbesondere für den bisherigen konstruktiven Beratungsgang bedanken! Das ist immerhin ein guter Auftakt.

(Beifall CDU, SPD)

Viele von uns leben ja schon seit langer Zeit in Bremen und sind wie ich in Bremen zur Schule gegangen. Ich erinnere mich mit gemischten Eindrücken aus meiner Jugend an bildungspolitische Debatten und Auseinandersetzungen, zum Teil mit ideologischem Hintergrund, zum Teil sehr fundamentalistisch, häufig mit dem Effekt, dass sich Bildungsreformen gegenseitig überholten und „Rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln!“ Maxime des Handelns war, wo eigentlich Kontinuität, Berechenbarkeit und Transparenz handlungsleitend sein sollten, wo der Wille der Menschen und nicht irgendwelche ideologischen Konzepte aus der Mottenkiste eine Rolle spielen sollten. Ergebnis waren insbesondere Systemdebatten und Debatten, die sich nicht selten überholten. Angeblich wurde eine Schulart durch eine neue ersetzt, nur weil sie eine vermeintlich bessere war. Es waren Systemdebatten, die nicht selten Selbstzweck waren und in denen nach meiner Einschätzung die Interessen der Schülerinnen und Schüler, der Eltern, insbesondere aber der Lehrerinnen und Lehrer, sagen wir es einmal ganz vorsichtig, nicht immer absolut im Mittelpunkt standen.

(Vizepräsidentin Dogan übernimmt den Vorsitz.)

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich hat auch das Schulsystem Einfluss auf die schulische Qualität. Die Debatten verkannten aber zum Teil, dass es mindestens ebenso wichtig ist, was im Klassenzimmer passiert. Das heißt für uns, es ist richtig, sich mit dem Zweisäulenmodell und seiner Umsetzung zu befassen, es ist aber mindestens ebenso wichtig und richtig, den Blickwinkel für die Evaluation auch ein Stück zu weiten oder den Schwerpunkt ein wenig zu verändern. Damit meine ich auch, aber nicht nur, Fragen der Beschulung von Zugewanderten, der Integration und der Sprachförderung. Ich meine hier insbesondere auch, die Lehrerausbildung auf die Tagesordnung der Evaluation zu setzen oder Fragen der Didaktik im digitalen Zeitalter zu thematisieren.

Schon deshalb halten wir den Bildungskonsens für eine grundsätzlich richtige Antwort. Es war richtig, unter diese Diskussion der Vergangenheit zumindest für einen bestimmten Zeitraum den Schlussstrich zu ziehen und das Thema zu einem bestimmten Zeitpunkt im Lichte einer gemeinsamen Bestandsaufnahme wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Das ist übrigens nicht nur hier in Bremen ziemlich durchgängige Meinung geworden, sondern hat sich auch andernorts in der Republik herumgesprochen, wo es inzwischen ähnliche Modelle der gemeinsamen überparteilichen Verantwortung gibt. Wir sind auch deshalb grundsätzlich bereit, diesen Weg weiter fortzusetzen, aber, das füge ich ausdrücklich hinzu, nicht um jeden Preis.

Die Evaluation ist – lassen Sie mich das hier festhalten – noch nicht die Fortsetzung des Konsenses, sondern eine Voraussetzung dafür. Denn Bildungskonsens

heißt nicht – Herr Dr. Güldner ist darauf eingegangen –, dass wir bildungspolitisch ab sofort durchgängig einer Meinung sind. Ohne mich in Einzelheiten verlieren zu wollen, müssen wir an dieser Stelle festhalten: Bildungspolitik ist nach wie vor nicht ausreichend erfolgreich. Die Hinweise sind schnell zusammengefasst: In überregionalen Vergleichen der schulischen Qualität haben wir regelmäßig die rote Laterne, und es zeigt sich immer wieder, dass wir nicht nur zu viele Schülerinnen und Schüler im unteren Leistungssegment haben, was in der Tat auch der soziokulturellen Struktur geschuldet ist, sondern eben auch im oberen Leistungsbereich im Vergleich zu anderen zu wenige haben. Dies ist zumindest beispielhaft ein Indiz, das den Blick auf das System lenkt. Wir werden deshalb sehr genau darauf achten, dass die Entwicklung der Qualität und die Individualisierung der Förderung und Forderung zentrale Anliegen der Evaluation des Konsenses bleiben.

(Beifall CDU)

Auch im zweiten Feld dessen, was für uns bildungspolitisch und gesellschaftspolitisch wichtig ist, sind wir einfach nicht gut. Im Gegenteil, die Indikatoren weisen aus, dass wir eher schlechter geworden sind, und insbesondere schlechter als andere. Ich spreche von dem Zusammenhang von schulischer Bildung und dem sozialen Status. Nach wie vor ist die Chancengerechtigkeit im Bildungssystem ein hehres Ziel, aber eben nicht Realität – gerade nicht hier in Bremen und erst recht nicht in Bremerhaven. Armutstendenzen insbesondere bei Kindern und verminderte Bildungschancen bilden einen Teufelskreis, den es endlich zu durchbrechen gilt. Für uns ist solide Bildung immer noch die wirkungsvollste Armutsprävention.

(Beifall CDU, FDP)

Deshalb ist auch aus dem Blickwinkel der sozialen Gerechtigkeit und der gesellschaftlichen Stabilität die Evaluation der gegenwärtigen Bildungswirklichkeit dringend geboten. Zu Selbstzufriedenheit besteht insofern kein Anlass. Es ist deshalb Teil gemeinsamer Verantwortung, den Konsens nicht als Veranstaltung des gemeinschaftlichen Verschweigens oder Schönredens der Probleme zu verstehen. Dazu gehört sicher auch, Fortschritte, Anstrengungen oder positive Weichenstellungen nicht zu übersehen. Wie ein Ergebnis auch ausfallen mag, wichtig ist in jedem Fall, bremische Kleinheit nicht mit Selbstzufriedenheit zu verwechseln.

Gerade, weil es viele Bewertungsfragen geben wird, ist eine valide Datenlage für uns wichtig. Sie sollte ganz ausdrücklich und maßgeblich den Blick von außen einbeziehen. Externer Sachverstand muss insbesondere gewährleisten, dass unsere Bildungspo

litik und am Ende unsere Standards und Abschlüsse dauerhaft und überregional konkurrenzfähig sind und bleiben. Das ist für die Menschen in einem ZweiStädte-Staat mit engen Grenzen und, ich betone, auch für einen Wirtschaftsstandort von entscheidender Bedeutung.

(Beifall CDU)

Ich glaube nicht – lassen Sie mich das ganz deutlich sagen –, dass der Weg hin zu einem neuen Konsens einfach wird. Bei dieser Einschätzung spielt nicht nur eine Rolle, dass fünf zum Teil sehr unterschiedliche Parteien am Tisch sitzen, sondern es liegt auch daran, dass sehr grundsätzliche Reformvorhaben der jüngeren Vergangenheit – ich erinnere an Oberschule, Inklusion und Ganztagsschule – zumindest in der Umsetzung mit auf den Prüfstand gestellt werden müssen. Ich hoffe nicht, dass am Ende nur über Ressourcen gestritten wird, so wichtig diese auch sind. Es geht uns beim Konsens in erster Linie um den grundsätzlichen Weg, um die Richtung, um die pragmatische Machbarkeit. Es geht bei der Evaluation um Erfahrung und ehrliche Reflexion gemeinsam mit den Beteiligten. Auch wenn man immer wieder auf die Ressourcenfrage hinweisen muss, gehört sie nach meiner Auffassung eher in die Haushaltsberatungen.

Der Prozess hin zum Bildungskonsens darf am Ende kein bildungspolitischer Allesfänger werden und sein wollen und sollte in der Erwartungshaltung nicht überfrachtet werden. Den einen großen bildungspolitischen Wurf, der am Ende alle Fragen löst, wird es auch in diesem Falle nicht geben.

(Beifall CDU)

Es geht aber noch um mehr, und die jüngere Vergangenheit bietet zwei Beispiele für das, was ich damit meine: Grundlage des Bildungskonsenses war für uns eine Orientierung an pragmatischen Lösungen, eine Orientierung am mutmaßlichen Willen und Interesse der Eltern, der Schülerinnen und Schüler und der Kollegien. Aus den bildungspolitischen Debatten sollten gerade pauschale Vorbehalte und insbesondere Ideologie zurückgedrängt werden.

Ich sage ganz deutlich: Ich hoffe, dass die Debatte um die freien Schulen in der letzten Zeit nicht eine teilweise Rückkehr von Ideologie in die Bildungspolitik bedeutet.

(Beifall CDU)

Ich erlaube mir eine zweite Bemerkung – angelehnt an die Erfahrungen der vergangenen Tage: Ihre Politik zur Entwicklung der Ganztagsschule ist mit „konzeptionslos“ noch freundlich umschrieben. Zurzeit besteht die Gefahr, dass sich Bewegungslosigkeit mit hektischem Aktionismus kurz vor knapp abwechselt. Das ist nicht nur in der Sache schädlich,

es verschreckt auch die Beteiligten und insbesondere die Schulen. Deshalb sage ich: Neben der Frage, wie, wo und wann ich Ganztagsschulen entwickle, muss auch die Frage der Entscheidungsfindung, der Steuerung und der Kommunikation durch das Ressort mit auf den Prüfstand.

(Beifall CDU)

Lassen Sie mich einige weitere Stichworte benennen, die für mich von entscheidender Bedeutung sind. Schwierigkeiten bereiten nach wie vor Übergänge zwischen einzelnen Phasen der Bildungsbiografien – von der Kita zur Schule, von der Schule insbesondere in die berufliche Ausbildung. Nicht nur die regionale Verbindung von Kita und Schule, sondern auch die Entwicklung der Kita hin zur Bildungseinrichtung muss endlich schneller in den Fokus genommen werden. Ähnliches gilt nach der Schulphase. Die Anschlussfähigkeit der Schule an die berufliche Ausbildung muss unter die Lupe genommen werden, und zwar nicht nur unter dem Stichwort „Jugendberufsagentur“, sondern auch unter dem Stichwort „Berufsorientierung in der Schule“.

(Glocke)

Ich komme zum Schluss! – Berufsorientierung heißt nicht nur, 14 Tage ein Praktikum machen, sondern beinhaltet auch die Frage: Wie können wir endlich wieder fach- und handlungsorientierten Unterricht im Sinne der Schülerinnen und Schüler entwickeln?

Wir haben zahlreiche Punkte in dem Antrag zusammengefasst, der für uns von großer Bedeutung ist. Es ist der Anfang des Weges, den wir hier beschreiten, und es ist nicht das Ende. Aber ich denke, es ist ein guter Auftakt, und ich hoffe, dass am Ende eine Verlängerung des Konsenses steht, auch wenn das mit der Evaluation noch nicht präjudiziert ist. Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, dass wir dafür heute den Startschuss setzen können! – Herzlichen Dank!

(Beifall CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat die Abgeordnete Vogt das Wort.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, lieber Herr Dr. vom Bruch! Ich bin froh, dass sie zum Schluss noch einmal auf die Evaluation zurückgekommen sind, denn ich hatte eben schon fast den Eindruck, Sie wollten ein bisschen die Ergebnisse vorwegnehmen und hier diskutieren. So weit sind wir aber noch nicht.

Kommen wir zur Ausgangslage zurück! Ja, wir stehen hier mit fünf Fraktionen und geben dem Senat einen Auftrag, nämlich die damals übrigens gesetzlich verankerte Evaluation der Schulreform extern

vornehmen zu lassen. Anders als es heute teilweise in der führenden Tageszeitung zu lesen war – Herr Dr. Güldner hat eben auch schon angesprochen, dass es gestern in „buten und binnen“ war –, ist das kein verabredeter Konsens für die Jahre 2020 bis 2029, sondern wir wollen das Bestehende evaluieren. Da sind wir uns einig, und das wollen wir zusammen und auch konstruktiv machen. Wir sind uns auch einig, dass nicht der Senat selbst evaluieren soll, weil dann doch der Verdacht naheliegt, dass das Ressort seine eigene Schulreform eher – ich sage einmal – euphemistisch darstellen und sagen wird: Das ist bis auf ein paar Details alles erreicht, was wir damit erreichen wollten.

(Abg. Güngör [SPD]: Das ist ja unsere Schulreform und nicht die Schulreform des Senats! Wir haben das Gesetz gemacht!)

Wir wollen vielmehr den objektiven Blick von außen. Deswegen haben wir gesagt, dass wir das machen müssen.

Wir haben uns auch auf die Aufträge geeinigt, die dieser Evaluation zugrunde liegen sollen. Deswegen vorweg: Da es ein breiter Strauß ist, weil die Fraktionen unterschiedliche Wünsche angemeldet haben, bin ich auf das Ergebnis umso gespannter.

DIE LINKE hat dem Schulkonsens – um das hier auch zu sagen, weil die drei Fraktionen gesprochen haben, die ihm zugestimmt haben – vor acht Jahren nicht zugestimmt. Dennoch – das werde ich begründen – stehen wir absolut dahinter, die Evaluation der Schulreform und der Inklusion gemeinsam mit den anderen Fraktionen in die Gänge zu bringen und vor allem die Ergebnisse gemeinsam zu betrachten und Schlüsse daraus zu ziehen.

Eines muss man hier auch einmal öffentlich festhalten: Es war 2008 nicht nur DIE LINKE, die sich für ein längeres gemeinsames Lernen starkgemacht hat, sondern es waren auch die damalige bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Anja Stahmann, und die damalige Bildungssenatorin Frau JürgensPieper. Die Auseinandersetzung für eine Gemeinschaftsschule – sei es bis zum Jahrgang 8, oder sei es bis zum Jahrgang 10; da bin ich, ehrlich gesagt, relativ leidenschaftslos – wurde damals nicht nur im Parlament verloren, sondern auch durch den offenen Widerstand von einigen Eltern und natürlich auch aufgrund der damals lancierten Gymnasien-SchutzKampagne, die mit Sicherheit auch ihre Ursachen hatte.

(Abg. Güngör [SPD]: Frau Vogt, wir haben bis 2012/13 ein längeres gemeinsames Lernen!)

Es geht auch das. Ich wollte nur sagen: Ich bin da jetzt erst einmal ideologiefrei hinsichtlich der Frage, wie lange. Es geht nur um das Ziel.

(Abg. Dr. vom Bruch (CDU): Oh ja!)

Die Gymnasien-Schutz-Kampagne war das Ideologischste, was ich in den letzten 15 Jahren erlebt habe, Herr Dr. vom Bruch.

(Beifall DIE LINKE, SPD)