Protocol of the Session on February 25, 2016

(Abg. Dr. Buhlert [FDP]: Unmenschliche Zustände!)

Das sind Flüchtlingscamps – es ist angedeutet worden –, die es seit über 20 Jahren gibt. Insofern steht in Ihrem Antrag korrekterweise „unmenschliche Zustände“, das ist richtig. Deshalb werden wir uns der Stimme enthalten, da wir meinen, dass es dieser Aufforderung von Bundesregierung und UN nicht bedarf. Aber andere Punkte sind richtig, und insofern wünschen wir Ihnen viel Erfolg mit der morgigen Veranstaltung. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

Als Nächste hat das Wort Frau Staatsrätin Hiller.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Claus Leggewie bezeichnete den Westsaharakonflikt in seiner Laudatio zum Solidaritätspreis 2013 als „eines der größten Kooperationsversagen multilateraler Politik“.

Die Feststellung ist auch drei Jahre später leider immer noch aktuell. Während die Welt angesichts anderer Ereignisse, insbesondere dem Bürgerkrieg in Syrien, in Atem gehalten wird, und das daraus resultierende Leid und millionenfache Flucht die öffentliche Debatte dominieren, erhalten kleine und leider auch ältere Konflikte meist nicht die Aufmerksamkeit, die ihnen eigentlich zustünde. Deshalb begrüßt der Senat diesen koalitionsübergreifenden Antrag und die heute stattfindende Debatte sowie die Veranstaltung morgen hier im Haus der Bürgerschaft sehr.

Wir müssen immer wieder feststellen, dass Marokko für Deutschland und auch für Bremen ein wichtiger Handelspartner ist, dass aber gerade durch eine Beilegung dieses Konflikts für die Menschen in der Region auch dringend benötigte neue wirtschaftliche Chancen eröffnet würden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, meine Vorrednerinnen und Vorredner haben schon viel über die Hintergründe des Konflikts gesprochen. Für den Bremer Senat steht fest, das sahrauische Volk hat ebenso wie alle anderen Völker dieser Welt das Recht auf Selbstbestimmung.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Deshalb muss das seit Langem geforderte, eben auch schon in allen Beiträgen erwähnte UN-Referendum zur Unabhängigkeit endlich umgesetzt werden. Das Beispiel Namibia – das wird auch morgen in der Veranstaltung dargestellt – hat vorbildhaft gezeigt, wie ein solcher Prozess friedlich und geordnet ablaufen kann.

In diesem Konflikt gibt es noch zwei andere Punkte, die Sie auch schon erwähnt haben. Zum einen geht es um die Frage der europäischen Außenpolitik. Das Tauziehen um die Westsahara ist ein mahnendes Beispiel für die Notwendigkeit einer gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Es ist schwierig und kann eigentlich auch nicht sein, dass die Europäische Union

bei Angelegenheiten in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft mit mehreren Stimmen spricht. Käme es hier zu einer gemeinsamen Strategie – es wurde eben schon angesprochen –, könnte am Ende ein Angebot Europas zur Zusammenarbeit mit den MaghrebStaaten vielleicht sogar diesen festgefahrenen und unerträglichen Konflikt aufbrechen.

Die jüngste Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, im Zuge derer das Handelsabkommen zwischen Marokko und der Europäischen Union gekippt wurde, mag hier als Weckruf dienen. Es ist überdies sehr zu begrüßen, wenn die nun anstehenden Gespräche mit Marokko im Zusammenhang mit der in Aussicht gestellten Einstufung als sicheres Herkunftsland auch dazu benutzt würde, das Thema Westsahara wieder auf die Tagesordnung zu setzen und damit den Anstoß auf eine langfristige Entwicklungspartnerschaft zu geben. Ich habe dies im Gespräch im Kreis der Länder und gegenüber dem Bundeskanzleramt bereits angestoßen. Auch die Ankündigung von Bundesentwicklungsminister Müller, mehrere Millionen Euro für Ausbildungs- und Arbeitsmarktprojekte vor Ort zur Verfügung zu stellen, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung.

Zum Schluss, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist es mir wichtig, Folgendes deutlich zu machen. Herr Eckhoff, es wäre schön, wenn Sie Ihre Position doch noch einmal überdenken –

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Haben wir schon!)

ich weiß! –, vielleicht weiter überdenken. Sie wissen auch, Herr Hinners weiß das, dass es gerade in Fragen von Menschenrechten, von Selbstbestimmung immer gut ist, wenn dieses Haus mit einer Stimme spricht! Es ist wichtig, immer wieder das Schweigen zu durchbrechen und durch Initiativen und Debatten wie heute das Schicksal dieses Volkes vor dem Vergessen zu bewahren. Ich will an dieser Stelle sagen, dass ich hier eine hohe Dankbarkeit gegenüber dem im Jahr 2012 in Bremen gegründeten Verein „Freiheit für die Westsahara“ aussprechen will. Einige der Vereinsmitglieder sind hier oben auf der Tribüne. Es ist die Hartnäckigkeit und dieses permanente, manchmal auch anstrengende Bohren auch bei meiner Person: „Hast du schon?“, und auf europäischer und auf Bundesebene, die dazu geführt haben, dass wir dort immer wieder hingeschaut haben. Gunther Hilliges sitzt da oben. Ich bedanke mich dafür. Ich glaube, das ist anstrengend.

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP)

Trotzdem ist es dringend notwendig, diese Themen immer wieder anzusprechen. Dafür die Anerkennung des Senats! Vielleicht gelingt es doch noch, den Antrag gemeinsam zu unterstützen. Aber das ist die Aufgabe der Fraktionen. Ich bedanke mich für den An

trag, für die Debatte und für die Veranstaltung morgen. – Danke!

(Beifall SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktionen der SPD, Bündnis 90/ Die Grünen, DIE LINKE und der FDP mit der Drucksachen-Nummer 19/243 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, FDP, ALFA, Abg. Timke [BIW])

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

(CDU)

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

Intensivpädagogische Betreuung von straffälligen Jugendlichen Antrag der Fraktion der CDU vom 1. Februar 2016 (Drucksache 19/256) Wir verbinden hiermit: Intensivpädagogische Betreuungsangebote für Minderjährige unverzüglich ausweiten! Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 17. Februar 2016 (Drucksache 19/288) sowie Verurteilungen nach dem Jugendstrafrecht beschleunigen – Intensivpädagogische Maßnahmen installieren Antrag der Fraktion der FDP vom 18. Februar 2016 (Drucksache 19/293) und Ursachen angehen statt Symptome bekämpfen. Jugendhilfe bedarfsgerecht aufstellen – intensiv- und traumapädagogische Angebote ausweiten Antrag der Fraktion DIE LINKE vom 23. Februar 2016 (Drucksache 19/297)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Stahmann.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit einigen Monaten beschäftigt die Strafverfolgungsbehörden eine kleine Gruppe der zahlreich im letzten und vorletzten Jahr zu uns gekommenen unbegleiteten minderjährigen Ausländer. Nach einem Bericht für den Rechtsausschuss in der kommenden Woche sind von den circa 50 bis 100 identifizierten Intensivtätern 25 bis 35 priorisiert worden. Die Straftaten dieser Priorisierten sind in Zahlen ausgedrückt erschreckend. Auf das Konto dieser 25 bis 35 unbegleiteten minderjährigen Ausländer gehen allein im Jahr 2015 rund 370 Straftaten, die in 200 entsprechenden Anklageschriften durch die Staatsanwaltschaft erhoben wurden. Von diesen 25 bis 35 unbegleiteten minderjährigen Ausländern sitzen zurzeit dreizehn in Untersuchungs- und fünf in Strafhaft.

Wir haben es mit einem Kriminalitätsphänomen zu tun, wie es seinesgleichen in der Geschichte der Bremer Polizei sucht. Nicht einmal die vom Innensenator ja so nachdrücklich bekämpfte Rockerkriminalität kann, zumindest was die Anzahl der Straftaten betrifft, mit dieser Gruppe mithalten. Meine sehr verehren Damen und Herren, nach Auffassung der CDUFraktion hat deswegen die Bevölkerung in Bremen einen Anspruch darauf, vor weiteren Straftaten dieser Minderheit in Bremen geschützt zu werden.

(Beifall CDU, ALFA)

Das Problem ist nicht neu. Es ist auch in der politischen Debatte nicht neu. Der frühere Bürgermeister Jens Böhrnsen hat bereits im Februar 2015 eine Lösung für diese kleine Gruppe von straffällig auffällig gewordenen minderjährigen Ausländern angekündigt. Der Senator für Justiz hat sogar ein Gebäude mit einem sechsstelligen Betrag saniert, um es für eine, wie der Bürgermeister sagte, robuste Einrichtung zur Verfügung zu stellen.

Ich will an dieser Stelle sagen, dass kurzfristig der einzige wirksame Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten dieser Personengruppe darin besteht, eine geschlossene Unterbringungseinrichtung zu schaffen, und das so schnell wie möglich.

(Beifall CDU, FDP, ALFA)

Ich habe kein Verständnis dafür, dass die Sozialsenatorin so zögerlich reagiert hat, wie sie reagiert hat. Nach über einem Jahr nach der Ankündigung des Bürgermeisters sind wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, noch nicht einen einzigen Millimeter weitergekommen. Wie viele Straftaten hätten sich eigentlich im vergangenen Jahr zulasten der Bremerinnen und Bremer, die um diese Umstände besorgt sind, verhindern lassen, wenn Sie, Frau Senatorin, nicht gewartet, sondern gehandelt hätten? Ich habe dafür kein Verständnis.

(Beifall CDU)

Ihre formal gegebene Begründung, man habe keinen Träger, der bereit wäre, in der vorgesehenen Immobilie eine solche Einrichtung zu betreiben, halte ich für vorgeschoben und fadenscheinig. Dahinter steckt, wie wir aus der politischen Debatte wissen, ein tiefgreifender Meinungsunterschied, auch innerhalb der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Sagen Sie es einfach so, wie es ist: Ein Teil Ihrer Anhänger und bisher auch ein Teil Ihrer Fraktion möchte diese Maßnahme nicht. Es gehört zur Ehrlichkeit, die Menschen nicht zu vertrösten, sondern ihnen diese Wahrheit mitzuteilen, sehr geehrte Frau Senatorin.

(Beifall CDU, FDP, ALFA)

Nun soll es ein weiteres Jahr dauern, bis diese Einrichtung kommt, und die Menschen sollen damit vertröstet werden, dass man bis dahin die ambulante intensivpädagogische Betreuung ausbauen wolle. Erstens ist es ein Armutszeugnis für das, was bisher von der ambulanten Betreuung geleistet wurde, dass man erst jetzt auf die Idee kommt, die ambulante sozialpädagogische Betreuung auszubauen. Warum haben Sie das eigentlich nicht schon getan, als das Problem zum ersten Mal auf dem Tisch lag? Warum soll darin jetzt das Heil für die Lösung der derzeitigen Probleme gesucht werden? Nein, meine sehr geehrten Damen und Herren, den Grünen geht es nicht um die Lösung dieses Problems. Es geht ihnen ausschließlich und allein um eine Vertagung des Problems, und das halte ich für unverantwortlich.

(Beifall CDU, FDP, ALFA)

Das kommt auch in der persönlichen Erklärung der Abgeordneten Frau Wendland zum Ausdruck, die gesagt hat, dieser Antrag entspreche schon immer ihrer Auffassung, denn sie hoffe immer noch, dass diese Einrichtung durch die weiteren intensivpädagogischen Maßnahmen überflüssig wird. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen voraus: Aufgrund der Entwicklung der Straftaten, der erhobenen Anklagen und der identifizierten Täter – überwiegend junge männliche Täter – halte ich es für ausgeschlossen, dass diese Maßnahme durch eine Arbeit in der ambulanten stationären Jugendhilfe wirksam bekämpft werden soll. Es ist eine Illusion, der Sie sich hingeben. Wir brauchen so schnell wie möglich eine robuste Unterbringung für diese eklatant rechtswidrigen Straftäter in Bremen und Bremerhaven.

(Beifall CDU, FDP, ALFA)

Lassen Sie mich abschließend noch auf eine andere Argumentation in diesem Zusammenhang eingehen. Herr Kollege Dr. Güldner sagte in einem Zeitungsinterview sinngemäß, wir hätten ja das Strafrecht. Ich

halte den Verweis auf strafrechtliche Sanktionen und Maßnahmen für verantwortungslos.

(Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: Bei In- tensivtätern!)

Warum? Weil zwischen der Tat und der strafrechtlichen Sanktion einer Untersuchungshaft und/oder einer Strafhaft erstens eine viel zu lange Zeit liegt und zweitens die Sanktion erst einsetzt, wenn die Straftaten, die von diesen Menschen begangen werden, in erheblicher Anzahl über einen fortlaufenden Zeitraum immer wieder, wieder, wiederholt werden. Ich denke, dass das strafrechtliche Sanktionssystem keine Antwort auf Verfehlungen von Jugendlichen ist, um schnell und sofort zu reagieren und weitere Straftaten zu verhindern. Das strafrechtliche Sanktionssystem setzt am Ende irgendwann ein, aber erst dann, wenn das Jugendhilfesystem versagt hat. Deshalb muss an dem Jugendhilfesystem gearbeitet werden, und es darf nicht allein auf das strafrechtliche Sanktionssystem verwiesen werden.

(Beifall CDU – Abg. Dr. Güldner [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist neu von der CDU!)