Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Ich glaube, ich spreche für alle hier im Raum, wenn ich sage: Wir sind erschüttert über den Anschlag am 17. Februar 2016 in Ankara.
Was derzeit in der Türkei geschieht, ist dramatisch. Die türkische Armee hat begonnen, Stellungen der YPG auf syrischem Gebiet zu beschießen. Wir stehen wirklich nur einen Fußbreit davon entfernt, dass die Türkei mit Bodentruppen in den syrischen Krieg eingreift, mit völlig unabsehbaren Folgen!
Während der Ausgangssperre im Osten der Türkei zwischen August und Dezember 2015 sind 162 Menschen getötet worden, darunter 29 Frauen, 32 Kinder, 24 Senioren. Das sind die Zahlen der Menschenrechtsstiftung der Türkei. Amnesty International schreibt: „Die Ausgangssperren setzen das Leben von Zehntausenden Menschen aufs Spiel und fangen an, kollektiver Bestrafung zu gleichen.“ Die Menschen in den kurdischen Gebieten können nicht einmal ihre Toten bergen.
Für viele in Bremen und Bremerhaven sind diese Vorgänge besonders nah. Hier leben 25 000 Menschen mit türkischer Staatsangehörigkeit. Einwohnerinnen und Einwohner mit türkischem oder kurdischem Hintergrund sind die größte Gruppe mit Migrationshintergrund. Wir sind mit der Türkei eng verbunden, über die Arbeit des Rates für Migration, über die Arbeit der muslimischen Gemeinden, über die Städtepartnerschaft. In Bremen kann man Türkisch als Leistungskurs belegen. All das zeigt: Die Türkei gehört zu Europa, und die Türkei gehört zu Bremen.
Der ehemalige türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz, der mir politisch bestimmt nicht nahesteht, hat einmal gesagt: Der Weg der Türkei nach Europa führt über Diyarbakir. Dieser Satz hat sich heute auf unheimliche Weise bestätigt.
So, wie die Situation in der Türkei heute ist, kann sich niemand vorstellen, dass die Türkei EU-Mitglied wird: Ein Land mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen, in dem die Menschenrechte vielfach missachtet werden! Während wir hier diskutieren, sitzen Menschen aus teilweise nichtigen Gründen in Gefängnissen, werden Menschen verhaftet, aus politischen Gründen entlassen, wird auf Menschen geschossen.
In der letzten Woche waren zwei Wissenschaftlerinnen aus der Türkei zu Besuch in der Bürgerschaft. Dabei wurde auch über den Aufruf türkischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vom 10. Januar 2016 gesprochen. 1 128 Erstunterzeichnerinnen und Erstunterzeichner aus 89 Hochschulen haben diesen Aufruf unterzeichnet. Darin heißt es unter anderem:
„Der türkische Staat verurteilt seine Bürger in Sur, Silvan, Nusaybin, Cizre und in vielen weiteren Orten mit wochenlangen Ausgangssperren zum Verhungern und Verdursten. Unter kriegsartigen Zuständen werden ganze Viertel... mit schweren Waffen angegriffen. Das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, auf Freiheit und Sicherheit vor Übergriffen, insbesondere das Verbot von Folter und Misshandlung, praktisch alle Freiheitsrechte... werden verletzt und außer Kraft gesetzt. Als Akademiker/ innen und Wissenschaftler/innen dieses Landes bekunden wir hiermit, dass wir nicht Teil dieser Verbrechen sein werden...“
Der türkische Präsident hat die Unterzeichner daraufhin öffentlich als Terrorunterstützer bezeichnet. Viele sind angeklagt worden, einige verhaftet, einige wurden entlassen. Ein bekannter Mafia-Boss hat den Unterzeichnern im Internet gedroht: Wir werden in eurem Blut baden! Die Vertreter der kritischen Zivilgesellschaft sollen mundtot gemacht werden. Die Türkei ist von einem demokratischen Rechtsstaat derzeit so weit entfernt wie schon lange nicht mehr.
So gibt es nach wie vor keine unabhängige Untersuchung zum Mord an Tahir Elçis, dem Vorsitzenden der Anwaltskammer von Diyarbakir. Am 28. November 2015 ist er auf offener Straße erschossen worden, durch einen gezielten Schuss in den Nacken, wie man inzwischen weiß. Die HDP und die YDP haben für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gestimmt, um den Mord aufzuklären. Das wurde abgeschmettert. Ein Minderheitenrecht auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses gibt es im türkischen Parlament leider nicht. Bei einer Zahl von 1 000 Bremerinnen und Bremer mit türkischem oder kurdischem Hintergrund ist es unvermeidlich, dass es unterschiedliche Parteinahmen in Sachen Türkei gibt, auch hier im Parlament. Aber auch für uns gilt, dass wir zu den Vorgängen nicht einfach schweigen können.
Wir waren zwischenzeitlich ja schon nahe dran. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Deshalb wäre ich heute froh, wenn Sie einen Punkt oder mehrere Punkte unseres Antrags unterstützen könnten. Die Menschen in der Türkei, die sich für Demokratie und Menschenrechte einsetzen, brauchen unsere Unterstützung!
diesem Parlament. Um diese Unterstützung bitte ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen! – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Die aktuelle Lage in der Türkei, das muss man vor allem in diesen Tagen schon sagen, treibt einem tiefe Sorgenfalten auf die Stirn. Einige, viele der Gründe aus dem Inneren der Türkei hat der Kollege gerade eindrücklich, wie ich finde, beschrieben. Ich glaube, wir sind uns alle einig – das hat sich jedenfalls gerade so angehört –, dass wir in der Tat gemeinsam dazu stehen, die demokratischen Kräfte in der Türkei in ihren Bemühungen zu unterstützen, wieder zu Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren.
Ein Blick ins Innere der Türkei offenbart in der Tat seit vielen Monaten eine sich immer weiter und schneller drehende Spirale der Gewalt. Das beginnt bei furchtbaren Attentaten, zuletzt in Ankara, und reicht über bürgerkriegsähnliche Zustände in vielen Städten und Dörfern bis hin zu verhängten Ausnahmezuständen, ungeklärten Todesfällen, unterdrückter Pressefreiheit und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hinter Gittern. Auch der zuletzt veröffentlichte EU-Fortschrittsbericht kritisiert deutlich die Rückschritte bei der Durchsetzung von demokratischen Grund- und Menschenrechten in der Türkei.
Erlauben Sie mir aber, wenn wir in diesen Tagen eine Debatte über die Türkei führen, dass ich den Blick ein bisschen weiter, über die inneren Zustände der Türkei hinaus, richte! Werfen wir den Blick auf die Türkei und die Region, stellen wir fest, dass sich viel mehr als innere Konflikte und auch hier sehr gewaltvolle und massive Konflikte zeigen. Die letzten Anschläge auf den Militärkonvoi in Ankara, die zu Gegenschlägen auf die PKK-Stellungen im Nordirak führten, die, wie wir jetzt leider wieder beobachten müssen, zur bitteren Realität werdenden militärischen Auseinandersetzungen zwischen PKK und Türkei, zusätzlich die Nachbarschaft zum größten Konfliktherd in der Region, 900 Kilometer Landgrenze zu Syrien! Ich glaube nicht, dass wir uns hier vorstellen können, unter welchem Druck und in welcher Gefahr man sich dort aufhält. Es steht auch eine Zuspitzung der Interessenskonflikte zwischen der Türkei einerseits und Russland andererseits in Syrien an. All dies ist eine unüberschaubare Gemengelage, in der sich die Türkei derzeit befindet. Darum beneidet die türkische Regierung niemand.
Wir hier auf dem europäischen Festland erwarten bei all dem, dass die Türkei bitte stellvertretend für uns die Fluchtfrage löst! Obwohl der vorliegende Antrag vor allem die inneren Entdemokratisierungsprozesse zum Thema hat, finde ich, gehört zur Debatte, wenn wir sie hier heute führen, auch, uns selbst deutlich bewusst zu machen und auch in der Öffentlichkeit darauf hinzuweisen, dass die Türkei vom Krieg in Syrien am intensivsten betroffen ist. Die Türkei nimmt seit Jahren Flüchtlinge auf, derzeit geschätzt mehr als drei Millionen Menschen. Wir haben uns bis zum letzten Sommer eigentlich nicht viel darum gekümmert.
Seit September 2015 ist die Türkei allerdings wieder nach vielen Jahren der Ignoranz vom europäischen Festland aus zu einem ganz wichtigen strategischen Partner geworden. Die derzeitige Situation verleitet womöglich manche dazu, um sich bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise die Unterstützung der Türkei zu sichern, ein wenig ungenauer auf die Menschenrechtslage zu schauen. Davor kann man nur warnen. Davor warnen auch wir.
Wir sagen deshalb ganz deutlich: Es darf vonseiten der Europäischen Union und auch vonseiten Deutschlands keinen Nachlass und keinen Rabatt bei demokratischen Werten geben. Deswegen unterstützen wir den vierten Beschlusspunkt des Antrags der Fraktion der LINKEN.
Ja, wir sind überzeugt: Wir müssen dringend wieder zu ernsthaften Dialogen und zu ernsthaften Verhandlungen mit der Türkei über einen Beitritt zur EU zurückkehren. Die Öffnung der Beitrittskapitel 23 und 24 zu Justiz, Grundrechten und Freiheit bietet die Chance, in der Türkei eine neue Dynamik in Gang zu setzen, sich mit den Problemen und erheblichen Defiziten bei Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten auseinanderzusetzen. Dafür muss die Türkei dringend die erforderlichen Reformen umsetzen. Außerdem muss die türkische Regierung noch dringender den Friedensprozess mit den Kurden wieder aufnehmen. Eine militärische Lösung kann und darf es hier nicht geben. Davon ist meine Fraktion überzeugt.
Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Eine Lösung dieses Konflikts wie aller anderen Konflikte eigentlich – das beobachten wir ja nun seit vielen Jahren – kann es mit militärischen Mitteln auf Dauer nicht geben. Wir erwarten daher von der Bundesregierung und von Vertretern und Vertreterinnen der Europä
ischen Union eine deutliche Positionierung für die demokratischen Aktivistinnen und Aktivisten in der Türkei, für die bedrohten Journalistinnen, Journalisten und Wissenschaftler in der Türkei und für den Schutz der Minderheiten.
Die Beschlusspunkte eins bis drei allerdings lehnen wir ab, und zwar aus folgender Überlegung: Bei aller berechtigten Kritik, die wir wirklich teilen, an der Politik Erdogans gegenüber Oppositionellen, an den inneren Zuständen der Türkei bleibt es für uns allerdings unverzichtbar, mit der türkischen Regierung im Gespräch zu bleiben und weiterhin darüber zu verhandeln, wie wir die aktuellen Herausforderungen gemeinsam bewältigen. Sie gehen eben weit über die Fluchtfrage hinaus.
Das kann aber nur funktionieren, wenn wir zumindest versuchen, mit der türkischen Regierung auf Augenhöhe zu verhandeln. Wenn wir weiter, wie seit 2007 und in den letzten Jahren der Türkei mit der Haltung „Wir wissen besser, wie es bei euch zu funktionieren hat“ gegenübertreten, vertreiben wir sie noch mehr. Dann treiben wir sie noch weiter von Europa weg. Das haben wir in den letzten Jahren beobachten können. Damit leben wir jetzt. Das macht den Dialog natürlich immer schwieriger.
Wir haben der Türkei eben jahrelang vermittelt, dass sie eigentlich nicht zu uns gehört, dass sie per se unsere Werte nicht teilt. Dieser Umgang mit der Türkei in den letzten Jahren war aus unserer Sicht grundfalsch.
Letzter Satz! Wir setzen daher auf Verhandlungen auf Augenhöhe. Das schließt zum Beispiel die Entsendung von internationalen Beobachtern, wie in Punkt eins gefordert, aus, und setzt gleichfalls ein Mindestmaß an Vertrauen oder Zutrauen in die türkische Rechtsstaatlichkeit voraus. Hätten wir dieses Mindestmaß an Zutrauen nicht, erübrigten sich die weiteren in Beschlusspunkt vier geforderten Beitrittsverhandlungen. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die aktuellen Entwicklungen in der Türkei und zwischen der Türkei und Syrien, zwischen der Türkei und den Minderheiten von Kurden, Aleviten, Christen, Jesiden dort im Land, aber auch in den Nachbarländern, erfüllen uns alle und uns Freie Demokraten mit Sorge. Fast wöchentlich erreichen uns Nachrichten von verhafteten Menschen, von Journalisten, die verfolgt werden, von Morden und Gewalt, die eben nicht nur dem Krieg und dem Bürgerkrieg geschuldet sind, sondern eben auch andere Gründe haben.
Wir wissen doch alle: Menschenrechte sind universell. Sie sind unteilbar. Trotzdem wird die Würde des Menschen so oft angetastet.
Da muss man auch sagen, was wir denken. Da muss man sich auch mit der Türkei auseinandersetzen, natürlich auf Augenhöhe. Sie sie ist ein wichtiger strategischer Partner, aber auch unter Partnern muss man sich sagen, was man voneinander hält, was man von dem hält, was der andere tut, und darf eben nicht die Augen davor verschließen. Ich war eben nicht mehr ganz sicher, ob die Grünen noch an ihre Tradition anknüpfen und sagen wollen, was Sache oder nicht akzeptabel ist. Vieles von dem, was die Türkei im Moment tut, ist nicht akzeptabel.