Protocol of the Session on January 21, 2016

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Dogan.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Integration der Menschen wird die große Gestaltungsaufgabe der nächsten Jahre sein. Dafür hat der Senat unserer Ansicht nach mit seinem Konzept ein wichtiges Fundament gelegt.

Mit den zu uns kommenden Menschen wächst die Vielfalt von Herkunft, Sprache, Religion und kulturellem Hintergrund. Das wird unsere Städte Bremen und Bremerhaven verändern und ist gleichzeitig aber eine große Chance für unsere alternde Gesellschaft. Vorausgesetzt ist natürlich, dass uns gemeinsam die gleichberechtigte Teilhabe und Integration in unsere Gesellschaft gelingt. Das wird unsere Aufgabe sein, und ich bin sehr dankbar, dass wir so schnell handeln, anstatt die Fehler der Neunzigerjahre mit der Generation der Gastarbeiter – ich sage es immer wieder, denn damals sind sehr gravierende Fehler begangen worden – zu wiederholen.

Der Schlüssel für eine erfolgreiche Integration liegt neben der Bildung von Kindern und Jugendlichen darin, wie zügig geflüchtete Menschen aus dem Übergangswohnheim mit einer Wohnung und einem Arbeitsplatz in ein selbstbestimmtes Leben inmitten der Gesellschaft aufbrechen können.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Bremen braucht dafür eine Integrationsstrategie, die sich der Herausforderung stellt, die hohe Anzahl der geflüchteten Menschen dauerhaft und zukunftssicher in Bremen und Bremerhaven zu integrieren. Der Senat hat uns heute die Eckpunkte dieses mittelfristigen Integrationskonzepts zur Beratung zugeleitet. Trotz der Kritik von Frau Grönert und Frau Leonidakis sind wir der Auffassung, dass dieses Konzept wichtige Maßnahmen beinhaltet, um in den kommenden Jahren die Integration zu gestalten und gleichzeitig auch weiterhin den sozialen Zusammenhalt in beiden Städten des Landes zu sichern. Ich möchte auf die im Integrationskonzept beschriebenen Maßnahmen doch kurz eingehen, denn so deutlich ist das hier in dieser Debatte bisher aus meiner Sicht nicht geschehen. Im Konzept ist beschrieben, wie in der Erstaufnahme besser und frühzeitig koordiniert werden kann. Wir verfügen zurzeit über 710 Plätze in der Erstaufnahme, und um der erforderlichen Kapazität von rund 3 000 Plätzen gerecht zu werden, wird der Senat weitere Außenstellen der ZASt einrichten. In der Umsetzung befindet sich der Standort des ehemaligen Vulkan-Verwaltungsgebäudes in Bremen-Nord mit einer geplanten Größenordnung von 750 Plätzen. Der Start ist für diesen Sommer geplant. Hier sollen zukünftig die Ersterfassung, Registrierung, die erkennungsdienstliche Behandlung, die medizinische Erstuntersuchung, aber auch Informationen zu Bildungsstatus, beruflicher Qualifikation und so weiter erfolgen, um die Prozesse in der Erstaufnahme zu optimieren. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie kritisieren, dass das im letzten Jahr vielleicht nicht so gut gelaufen ist, Sie haben ja in Ihrem Antrag auch Bezug darauf genommen, dass diese Dinge geschehen, aber das ist natürlich der Notlage geschuldet, vor der wir, glaube ich, alle standen. Verbesserungen in der Ausstattung der neuen Aufnahmeeinrichtungen sollen auch dadurch erreicht werden, dass die Unterbringung zum Beispiel von alleinstehenden reisenden Frauen und ihren Kindern zum Schutz vor möglicher körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt räumlich auch getrennt erfolgt, was wir sehr begrüßen. Auch darüber haben wir im Gleichstellungsausschuss diskutiert. Das sind meines Erachtens gute Veränderungen. Gemeinschaftsräume und Flächen für die Kinderbetreuung sollen ebenfalls zur Verfügung gestellt werden.

(Vizepräsident Imhoff übernimmt den Vorsitz.)

Eine aufsuchende Unterstützung und Betreuung für schwangere Frauen und junge Mütter durch Familienhebammen sollen überdies aufgebaut werden. Aus unserer Sicht sind das alles wichtige Maßnahmen in der Erstaufnahme, die meiner Meinung nach auf jeden Fall deutliche Verbesserungen für die Flüchtlinge erzielen werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wir begrüßen auch ausdrücklich die Anzahl der Wohneinheiten und der Projekte, die als Liste in diesem Konzept enthalten sind. Der enorme Zuzug von Flüchtlingen ist nämlich auch eine Herausforderung für den Wohnungsmarkt, und um den zusätzlichen Bedarf auch zu decken, werden in einem zusätzlichen Sofortprogramm die Voraussetzungen zur Errichtung von weiteren mindestens 5 500 Wohneinheiten geschaffen.

Der Senat wird den Spracherwerb zu seinem integrationspolitischen Schwerpunkt – darauf ist auch Frau Stahmann eingegangen – in diesem Jahr machen und mit der Volkshochschule, dem Paritätischen Bildungswerk sowie dem Bremer Rat für Integration einen Bremer Sprachgipfel als Bildungsoffensive für erwachsene Zugewanderte durchführen, um konkrete Bedarfe vor Ort zu erheben und zu planen.

Des Weiteren wird der Senat ein ressortübergreifendes Konzept mit Maßnahmen der Sprachkompetenzförderung erarbeiten, welche ergänzend zu dem angekündigten Gesamtprogramm des Bundes angeboten werden sollen, um Eltern einen frühen Spracherwerb zu ermöglichen oder mit berufsbezogenen Sprachkursen für den Arbeitsmarkt auch zu qualifizieren.

Der Ausbau von Kitas und Schulen sowie die Personalausstattung müssen kontinuierlich selbstverständlich an den Zuzug von Flüchtlingsfamilien mit Kindern angepasst werden. Aus dem Konzept lässt sich für das vergangene Jahr auch feststellen, dass circa 1 500 Kinder unter sechs Jahren neu in den Stadtteilen angekommen sind. Deshalb ist es gut, dass in dem Konzept dargelegt wird, dass vor allem in den sozial schwächeren Stadtteilen die Entwicklung in der Versorgung mit Kindertagesbetreuung eingeleitet wird, Familien von Anfang an mit Betreuungsangeboten begleitet werden und so an die Angebote der Kindertagesbetreuung herangeführt werden.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Das schulische Erstversorgungsangebot soll nach dem Hauslehrermodell deutlich ausgebaut werden und die Sprachförderung durch Vorkurse und parallele Integration in die Regelklassen erfolgen. Dazu werden die Anzahl der Klassenverbände und die Lehrerstellen in den Bremer Schulen erhöht werden. Das alles geht aus diesem Konzept hervor, meine Damen und Herren.

Der Senat wird aber aufgrund von Schwierigkeiten bei der Gewinnung der Lehrer – das ist nicht nur ein bremisches, sondern ein bundesweites Problem – auch die Ausbildungskapazität erhöhen und die vorhandenen Lehrkräfte durch Qualifizierungsmaßnahmen unterstützen, um mit den besonderen Anforderungen durch die verstärkte Zuwanderung umzugehen.

Im Bereich Deutsch als Zweitsprache soll zudem ein erweitertes Studienangebot unterbreitet werden, das wir Grünen sehr begrüßen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Ausgezeichnet ist aber auch das Unterstützungssystem. Ich hätte mir gewünscht, meine Damen und Herren aus der Opposition, dass Sie auf diese Dinge auch eingehen, denn es ist gut, dass Unterstützungssysteme auf die Herausforderungen mit den Schülerinnen und Schülern, die traumatisierte Erfahrungen haben, ausgerichtet werden und auch sozialpädagogische und schulpsychologische Angebote geschaffen werden sollen.

Zentraler Baustein für die Integration junger Flüchtlinge ist eine gelungene berufliche Erstausbildung. Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass das in Deutschland vorhandene System, nämlich das duale System, außerhalb Deutschlands unbekannt ist, und darauf wird in diesem Konzept auch eingegangen. Deswegen werden auch die Angebote für die von uns gegründete Jugendberufsagentur sowohl in Bremen als auch in Bremerhaven kurzfristig um die spezifischen Erfordernisse der Flüchtlinge ergänzt.

Darüber hinaus will man nach dem Konzept vor allem für akademische und nicht akademische Gesundheitsfachberufe die Verfahren für die Berufsanerkennung schneller und zügiger durchführen, was wir auch als sehr positiv ansehen.

Wir finden es auch sehr gut, dass der Senat gemeinsam mit der Handelskammer eine Fortsetzung und Erweiterung des Qualifizierungsangebots für junge Flüchtlinge auf 100 Plätze vornehmen wird, die im Rahmen der Ausbildungsplanung 2016 zusätzlich berücksichtigt werden sollen. Für das enorme Engagement vieler Beschäftigter im Öffentlichen Dienst sowie der zahlreichen ehrenamtlich tätigen Bremerinnen und Bremer möchten wir uns hier als Fraktion herzlich bedanken!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Dank des Einsatzes von Sportvereinen, Verbänden, Kulturinstitutionen, Kirchengemeinden und vielen mehr ist die erste Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge gemeistert worden. Um dieses Potenzial weiter einsetzen zu können, werden wir die hauptamtliche Unterstützung für die Koordination der vielfältigen ehrenamtlichen Aktivitäten absichern und verstärken. Das Konzept enthält auch zu diesem Bereich Ausführungen.

Zum Schluss möchte ich mich an die Kritiker wenden! Natürlich kann man sagen, dass sehr viele Absichts-erklärungen im Konzept stehen. Ich finde es sehr gut, dass uns sehr frühzeitig ein mittelfristiges Konzept vorgelegt worden ist. Das hat es in der Vergangenheit, meine Damen und Herren, überhaupt nicht ge-geben. Ich bin froh, dass der Senat schnell reagiert hat. Ich glaube, dass die Regierungsfraktionen nicht davon überzeugt sind, dass es sich um ein alles umfassendes Integrationskonzept handelt.

Ich glaube fest daran, dass dieses Konzept nicht in Stein gemeißelt worden ist und an der einen oder anderen Stelle weiterentwickelt werden muss.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Sie wissen alle, dass wir uns gerade im Haushaltsaufstellungsverfahren für die Haushaltsjahre 2016 und 2017 befinden, sodass es im Augenblick nicht möglich ist, Finanzmittel zuzusagen. Wir befinden uns in einem Abwägungsprozess, an dessen Ende eine Zuordnung der zur Verfügung stehenden Finanzmittel und ihre beabsichtigte Wirkung steht.

Zum Schluss möchte ich deutlich sagen, dass wir im Land Bremen trotz der Haushaltsnotlage im Jahr 2015 circa 200 Millionen Euro aufgebracht haben. Aus dem Bundeshaushalt – meine Damen und Herren, die CDU kritisiert immer, dass wir ausschließlich mit dem Zeigefinger in Richtung Bund zeigen und sagen, er solle zahlen – sind bisher für Bremen 20 Millionen Euro als Unterstützung geleistet worden. Diesen Betrag sehen wir nicht als ausreichend an.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, FDP)

Ich meine, dass eine Aufstockung der Bundesmittel unerlässlich ist. Mit dieser Forderung stehen meine Fraktion und ich – neben der SPD und anderen – bundesweit sicherlich nicht allein da. Der Bund muss die Kluft zwischen den Verpflichtungen und den finanziellen Möglichkeiten der Kommunen schließen. Wir fordern daher einen nationalen Integrationspakt des Bundes für Länder und Kommunen, damit die Integration tatsächlich gelingen kann und sich die Fehler aus der Vergangenheit nicht wiederholen.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Nachdem der Senat das Konzept veröffentlicht hatte, konnten Sie den Medien entnehmen, dass unterschiedliche Akteure in der Stadt, wie zum Beispiel der Zentralelternbeirat und der Flüchtlingsrat, Kritik an dem Konzept geübt haben, und zwar jeweils aus der eigenen Perspektive. Ich denke, dass wir uns als Regierung daran messen lassen müssen, welche Dinge wir tatsächlich umsetzen. Ich glaube, die Absicht, das Konzept umzusetzen, ist ein erster guter Schritt, um die zu uns Geflüchteten so schnell wie nur irgend möglich in unsere Gesellschaft zu integrieren.

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn man sich bundesweit umschaut und CDU-regierte Länder betrachtet, dann stellt man fest, dass sich die Handlungsoptionen dieser Länder von denen in Bremen nicht besonders unterscheiden. Ich habe mehrere Konzepte betrachtet und habe keine bahnbrechenden Ideen gefunden. Im Gegenteil, in

unserem Konzept sind viele Ideen und Ansätze formuliert, die in anderen Länderkonzepten nicht zu finden sind.

Ich bin dem Senat für das vorgestellte Konzept daher dankbar. Wir befinden uns auf einem guten Weg. Ich wünsche mir, dass die Opposition den von uns eingeschlagenen Weg kritisch begleitet, aber dass sie sich auch dafür einsetzt, dass wir gemeinsam den Weg, der für uns alle wichtig ist, gehen. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall Bündnis 90/Die Grünen, SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Zahl der Flüchtlinge, die zu uns kommen, erfordert einen Kraftakt, einen Kraftakt, der alle in unserer Gesellschaft, alle öffentlich Bedienstete fordert und der viel ehrenamtliches Engagement hervorgebracht hat. Wir können für all das dankbar sein, denn die Situation wäre ansonsten nicht zu bewältigen gewesen, denn der Staat und die Städte könnten es allein nicht. Anknüpfend an das, was Frau Dogan ausgeführt hat, kann ich nur sagen, ja, der Bund ist hier finanziell gefordert, und er muss weit mehr tun, als er bisher getan hat.

(Beifall FDP, Bündnis 90/Die Grünen)

Der Bund ist es nämlich, der die Fluchtursachen bekämpfen kann. Er kann Entwicklungshilfe leisten, er kann vor Ort dafür sorgen, dass UNHCR und andere entsprechend ausgestattet sind, damit in den Flüchtlingslagern eine Versorgung sichergestellt wird, die dafür sorgt, dass es sich für die Menschen attraktiv anfühlt, in der Hoffnung in der Region zu bleiben, dass sie nach dem Krieg und der Gewalt wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Wenn Deutschland und andere ihre Mittel beim UNHCR zurückziehen, dann ist es kein Wunder, dass die Menschen die Flüchtlingslager verlassen.

(Beifall FDP, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Der Bund darf dieses Problem nicht auf dem Rücken der Länder, der Städte und der Gemeinden austragen. Wir nehmen den Bund in die Pflicht, denn das Verhalten des Bundes ist nicht zu akzeptieren. Senatorin Stahmann hat gesagt, das Ganze sei kein Zuckerschle-cken. Ich kann sagen, es war noch nie so wenig Zucker vorhanden.

Der andere Punkt ist, dass Europa hier auch gefordert ist. Wie es um Europa bestellt ist, das wird sich zeigen. Europa steht am Scheideweg. Ist Europa eine Beutegemeinschaft, und es will nur das sein, oder ist Europa das, was wir Deutsche von Europa erwartet

haben, nämlich eine Solidargemeinschaft, in der man Probleme gemeinsam löst, weil man gemeinsame Werte hat, die man gemeinsam als Demokraten vertritt?

(Beifall FDP)

Die Bundesregierung ist hier ebenfalls gefordert, ihren Einfluss geltend zu machen, um mit dazu beizutragen, dass Europa wieder zu dem wird, was es sein muss: eine Solidargemeinschaft, eine Wertegemeinschaft, die gemeinsam mit ihren Werten dafür steht, die Probleme in der Welt zu lösen, die zur Flucht und Vertreibung führen. Dies vorausgeschickt!

Ich möchte jetzt zu dem Konzept kommen, das hier vorgelegt worden ist. Es ist eine Auflistung dessen, was getan werden muss und wo sich Bremen bemühen muss. Der „Weser-Kurier“ hat geschrieben, es sei kein großer Wurf, es sei kein kleiner Wurf, es sei nicht einmal ein Wurf. Es ist auch kein Meilenstein, wie es hier dargestellt worden ist, sondern es ist eher ein Meilenstein am Beginn eines Weges, aber nicht auf einem Weg.

Ein Konzept ist wichtig, das will ich gar nicht bestreiten, und das, was in dem Konzept steht, ist nicht einmal falsch. Es sind die wichtigen Probleme angesprochen worden, und an vielen Stellen ist das Richtige festgehalten worden, das umzusetzen ist. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass das Dargestellte nicht in Stein gemeißelt ist, weil die Entwicklung nicht absehbar ist. An dieser Stelle ist es das Wesen eines Konzepts, dass es geändert wird. Wichtig ist aber – und daran werden wir Sie als Regierung am Ende messen, und Sie werden sich auch daran messen lassen müssen –, welche Maßnahmen Sie durchgeführt und wie Sie sie konkret ausgestaltet haben.

Die Erstversorgung stand und steht im Fokus, und viele Bedienstete sind hier gefordert. An die Führungsebene – und das ist nun einmal der Senat und jeder Senator in seinem Verantwortungsbereich – ist die Forderung zu stellen, dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Bediensteten vom Alltagsgeschäft befreit sind, um konzeptionell die strategischen Fragen bearbeiten zu können und damit letztlich dafür zu sorgen, dass die Probleme danach geklärt werden. Das kann nur gelingen, wenn den Bediensteten entsprechend Zeit eingeräumt wird. Das ist Führung, die wir von Ihnen hier verlangen.