Protocol of the Session on January 20, 2016

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich kann, glaube ich, ziemlich nahtlos an meinen Vorredner anschließen,

(Abg. Dr. vom Bruch [CDU]: Das haben wir befürch- tet!)

die Reflexe der letzten Wochen halte ich für gefährlich. Ich finde vor allen Dingen die Schnellschüsse, die in der öffentlichen Debatte überwogen haben, und die teilweise wirklich populistischen Forderungen unerträglich, weil sie in einer sehr bigotten Art und Weise die widerlichen und schlimmen Vorfälle, denen Frauen in der Silvesternacht ausgesetzt waren, instrumentalisieren.

Als Frau finde ich es im Übrigen auch schwer erträglich – auch das muss ich hier sagen –, wenn genau diejenigen Männer, die ansonsten in unserem öffentlichen und privaten Umfeld sexualisierte Übergriffe immer verharmlosen und bagatellisieren und den Frauen die Schuld zuweisen, ihr seid falsch angezogen, ihr seid zur falschen Zeit am falschen Ort, stellt euch nicht so an, jetzt so tun, als würden sie die Rechte der Frauen verteidigen. Das, finde ich, ist schwer erträglich!

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Als Abgeordnete empfinde ich es auch als schwer erträglich, wenn Politikerinnen der Union – und auch das hat mein Vorredner bereits ausgeführt – noch 1997 im Bundestag gegen die Einführung der Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt haben, jetzt aber so tun, als seien sie die Frauenrechtlerinnen schlechthin.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Absolut unerträglich empfinde ich den Zusammenhang, der in den letzten drei Wochen diskutiert worden ist, wenn ich mir die Plakate Ihres Jugendverbandes vor Augen führe.

(Zurufe Bündnis 90/Die Grünen: Oh ja!)

Auf dem Plakat ist eine halb nackte Frau zu sehen, der Kopf ist natürlich abgeschnitten, Seitenschlitz, eine männliche Hand schiebt sich in den Slip, und überschrieben ist das Plakat mit „Wir gehen tiefer!“

(Zuruf SPD: Oh! – Zurufe Abg. Frau Ahrens [CDU])

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, genau das ist das gesellschaftliche Umfeld, in dem sexuali

sierte Gewalt, liebe Frau Ahrens, in Deutschland nie ernst genommen wurde und auch heute nicht ernsthaft und angemessen gesellschaftlich und juristisch geächtet wird.

(Beifall DIE LINKE, SPD, Bündnis 90/Die Grünen)

Alle, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten dafür einsetzen, dass sexuelle und sexualisierte Gewalt angemessen gesellschaftlich und juristisch geächtet wird, sind von den Diskussionen der letzten Woche ziemlich entsetzt. Sie ist verlogen und zielt im Kern auf etwas anderes, nämlich darauf, das ausgerufene Ziel der Integration von Flüchtlingen infrage zu stellen, was die Bundeskanzlerin im September mit dem einfachen Satz „wir schaffen das“ benannt hat.

(Beifall DIE LINKE – Abg. Röwekamp [CDU]: Völli- ger Quatsch!)

Das ist nicht völliger Quatsch!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Völliger Quatsch!)

Es wäre wesentlich angemessener gewesen, diese Debatte zu versachlichen.

(Abg. Bensch [CDU]: Das war keine Versachlichung!)

Schauen wir uns einmal die Fakten an.

(Zuruf Abg. Bensch [CDU] – Unruhe – Glocke)

Also ich habe das Plakat nicht gemacht, Herr Bensch. Tut mir leid! Aber ich muss damit dauernd und schon seit Jahren leben.

(Abg. Bensch [CDU]: Aber nützt das den Frauen von Köln? Wissen die von diesem Plakat? – Unruhe – Abg. Frau Neumeyer [CDU] meldet sich zu einer Zwischen- frage. – Glocke)

Es ist in der Silvesternacht von Köln zu massiven Übergriffen auf Frauen gekommen. Die meisten davon waren mit sexualisierter Gewalt verbunden. Die betroffenen Frauen waren weitgehend ohne Schutz. Die meisten der Täter sollen aus dem nordafrikanischen Raum kommen, Herr Hinners. Allerdings sind bei 700 angezeigten Straftaten erst verdammt wenig Tatverdächtige ermittelt. Das müssen Sie wohl auch zugeben.

Die Polizei war offensichtlich überfordert und vermutlich auch personell nicht in ausreichender Stärke vor Ort. Am nächsten Morgen sprach die Polizei auch noch von weitgehend friedlichen Silvesterfeiern. Da wird es dann wirklich richtig absurd. Diese Kurzzusammenfassung wirft allein schon genügend Fragen auf: Warum waren Frauen in der Nacht so un

geschützt? Was für ein Frauenbild haben die Täter? Waren die sexuellen Übergriffe verabredet, wie es Herr Kollege Hinners hier gesagt hat, oder sind sie aus einem teils alkoholisierten Mob heraus entstanden? Warum konnte die Polizei nicht eingreifen, und warum hat sie nicht eingegriffen? Wurden die sexuellen Übergriffe vor Ort in der Situation nicht als solche registriert, oder wurden sie nicht ernst genommen? Wie kam es zu der Einschätzung der Pressestelle am nächsten Tag, dass alles weitgehend friedlich war?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, zur Stärke und Einsatztaktik der Polizei können wir in Bremen nur Vermutungen anstellen. Konkreteres wird vermutlich der Untersuchungsausschuss in Nordrhein-Westfalen zu klären haben.

Über das Frauenbild der Täter müssen wir hier nicht spekulieren. Das liegt nämlich ziemlich auf der Hand. Es zeugt von einer fehlenden Achtung und fehlendem Respekt vor Frauen. Es zeugt auch von der Wahrnehmung, dass man sich als Mann gegenüber Frauen herausnehmen kann, sie sexuell zu belästigen und zu erniedrigen. Das steht überhaupt nicht infrage. Das ist ziemlich eindeutig.

Die Frage, ob die Straftaten geplant waren, wie Herr Hinners sagte, oder aus einer Gruppendynamik heraus begangen wurden, müssen die Ermittlungsbehörden aufklären. Es spricht einiges dafür, es spricht anderes aber auch für das Gegenteil, Herr Hinners. Ich bin hier nicht die Ermittlungsbehörde.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Es spricht etwas für das Gegenteil? Haben Sie die Videoaufnahmen gese- hen? – Abg. Röwekamp [CDU]: Macht das einen Un- terschied?)

Die Frage, ob die sexuellen Übergriffe unter anderem von der Polizei gleich als solche erkannt und ernst genommen worden sind, muss ebenfalls in dem Untersuchungsausschuss geklärt werden.

(Abg. Frau Ahrens [CDU]: Die Frauen haben sich ein- fach so ausgezogen und sind schreiend durch die Men- ge gerannt, was?)

Ja, aber warum hat die Polizei dann Menschen weggeschickt? Die Frage stellt sich doch, Frau Ahrens.

(Beifall DIE LINKE – Unruhe – Glocke)

Ich glaube, das ist eine ganz ernste Debatte und ist ein ganz ernstes Thema. So sollten wir es hier auch behandeln. Ich bitte, der Rednerin gegenüber Respekt zu zollen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Sie sollten diese Diskussion hier würdig und seriös führen.

(Beifall DIE LINKE, SPD)

Gab es verabredete Sexualstraftaten, wie zum Beispiel auf dem TahrirPlatz, oder geschah es aus einer Menge heraus, in der viel Alkohol geflossen ist? Die Frage ist durchaus wichtig, weil es für unsere Einschätzung wichtig ist. Letzteres macht es überhaupt nicht besser, Herr Röwekamp, sondern führt zu der Frage nach dem Umfeld, in dem das passiert. Großereignisse, auf denen viel Alkohol fließt, auf denen Frauen belästigt oder vergewaltigt werden und auf denen die betroffenen Frauen keinen Schutz erfahren oder sogar noch zu hören bekommen „stell dich nicht so an“, kennen wir. Das ist nichts Neues.

Was in der öffentlichen Debatte und in der Debatte darum den Unterschied macht, ist die Herkunft der Täter und die Anzahl der massiven Übergriffe in so kurzer Zeit. Über beides muss man sprechen.

(Zuruf: Wo hat es so etwas denn schon gegeben?)

Auf jedem Karneval und auf jedem Oktoberfest. – Sie brauchen überhaupt nicht zu lachen.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ich lache nicht, ich schüt- tele den Kopf! Das ist ein riesiger Unterschied!)

Sie brauchen überhaupt nicht zu lachen. Auf jedem Karneval werden Frauen sexuell belästigt und vergewaltigt. Auf dem Oktoberfest auch!

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ja, aber solch ein Ereignis hat es noch nicht gegeben, Frau Vogt!)

Ich habe auch nicht von diesem Ereignis gesprochen.

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ja, aber ich!)

Ich habe gesagt, Großereignisse, auf denen Frauen belästigt werden, sind nichts Neues. Ich habe gerade gesagt, Herr Röwekamp, da könnten Sie einmal zuhören,

(Abg. Röwekamp [CDU]: Ich höre die ganze Zeit zu! Das macht es so unerträglich! Unerträglich ist das, was Sie sagen!)

etwas Neues ist die Anzahl der Übergriffe in so kurzer Zeit.