Protocol of the Session on July 1, 2015

Meine Damen und Herren, die erste Sitzung der Bürgerschaft (Landtag) der 19. Wahlperiode ist eröffnet.

Meine Damen und Herren, als Alterspräsident begrüße ich Sie recht herzlich und beglückwünsche Sie, dass Sie durch den Wählerauftrag ein Mandat in diesem Hause erhalten haben. Vor vier Jahren konnten wir 32 neue Kolleginnen und Kollegen in unserem Parlament begrüßen, dieses Mal sind es nur insgesamt 30 neue Kolleginnen und Kollegen, die als Abgeordnete berufen worden sind; darunter sind zwei, die nur in der Stadtbürgerschaft vertreten sind, es sind die Abgeordneten Detlef Scharf und Kabire Yildiz. Es liegt an den Unionsbürgerstimmen, die zu dieser Abweichung bei der Zusammensetzung der Stadtbürgerschaft führen. Es gibt auch drei – ich weiß nicht, ob man das sagen darf – Wiederholungstäter, nämlich die Abgeordneten Dr. Magnus Buhlert, Jens Crueger und Jens Eckhoff, die zurückgekehrt sind. – Herzlich willkommen!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, mein Gruß gilt ebenfalls den Damen und Herren der Medien, denen die Aufgabe zukommt, uns in den nächsten Jahren zu begleiten und der Bevölkerung das in diesem Hohen Hause Diskutierte und Beschlossene zu vermitteln. Wir alle hoffen auf eine faire und gute Zusammenarbeit mit Ihnen.

Meine Damen und Herren, auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzliche eine Politikklasse, BP 1401, der Allgemeinen Berufsschule Steffensweg, Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bremen und die Familie Tassis und Freunde. – Herzlich willkommen im Hause!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, Sie als Abgeordnete haben von den Wählerinnen und Wählern ein Mandat erhalten, das Volk, die Bürgerinnen und Bürger, für vier Jahre hier im Hause zu vertreten und seine Interessen wahrzunehmen. Worum geht es?

Es geht um das Wohl der Menschen und um Rahmenbedingungen, die das Gelingen des Lebens erleichtern. Das ist eine anspruchs-, vertrauens- und verantwortungsvolle Aufgabe. Dafür wünsche ich Ihnen einen klaren Verstand, eine glückliche Hand und viel Erfolg!

(Beifall)

Erlauben Sie mir, der als Parlamentarier immerhin seit 40 Jahren tätig ist, einige Aspekte der vor uns

liegenden Arbeit zu beleuchten! Das zentrale Anliegen wird und muss sein, die Zukunft unseres Bundeslandes, also unserer beiden Städte Bremen und Bremerhaven zu sichern. Die Bürgerinnen und Bürger verlangen von uns nicht, dem jeweiligen Zeitgeist hinterherzulaufen, sondern erwarten Lösungen, die über den Tag hinaus Bestand haben werden. In unserer Gestaltungs- und Überzeugungskraft liegt meiner Meinung nach auch der Schlüssel, der die Tür für eine höhere Wahlbeteiligung wieder öffnet.

Natürlich gehört zur Demokratie der kultivierte Streit um den besten Weg für unseren Zwei-Städte-Staat. Dabei liegt in der Fähigkeit zum Kompromiss für mich ein wichtiger Bestandteil unserer politischen Kultur, und zwar nicht als Selbstzweck, sondern auf die Bewältigung der Probleme ausgerichtet: etwa in der Bildung oder in der Bekämpfung der Armut, besonders auch der Altersarmut.

Meine Damen und Herren, als Kind hatte ich große Angst vor Tollwut, aber je älter ich als Politiker werde, desto größer wird meine Angst vor einer anderen Seuche, nämlich der typisch deutschen Regelungswut. Man kann, wenn man will, fast alles regulieren. Parlament und Verwaltung können sich unzählige Gesetze, Gesetzesänderungen und Verordnungen ausdenken und sie beschließen. Sie sind damit ja auch gut beschäftigt.

Es kann auch kein Zweifel darüber bestehen, dass es Regelungen geben muss, aber es darf doch die Frage erlaubt sein, wer es regeln soll und wer die Regelungshoheit hat. Gemeinhin gilt, dass ein Problem sinnvoller und auch eher im Sinne des Allgemeinwohls gelöst werden kann, wenn der Staat sich einmischt und das Zepter in der Hand behält, Privatleuten, also den Bürgerinnen und Bürgern, traut man ein regulierendes Handeln im Sinne des Gemeinwesens eher nicht zu. Vielleicht müssen wir umdenken und die Begriffe mündige Bürgerinnen und mündige Bürger neu definieren.

In der Demokratie spielen Mehrheiten und Minderheiten eine große Rolle. Minderheiten müssen geschützt werden, aber die Politik sollte schon darauf achten, dass sich auf Dauer die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in den staatlichen Entscheidungen auch wiederfindet. In Deutschland gibt es, so meine ich, keine Krise des politischen Systems, aber es gibt einen Mangel an politischer Glaubwürdigkeit. Das ist nach meiner Überzeugung eine Folge von oftmals demoskopisch geprägter Beliebigkeit bei gleichzeitig fehlender Grundüberzeugung, Helmut Schmidt nannte dies einmal einen „Siegeszug der Oberflächlichkeit“.

Ich warne auch davor, den Eindruck zu erwecken, die Politikerinnen und Politiker hätten einen unerschöpflichen Vorrat an richtigen Antworten und Wahrheiten. Wer ständig so tut, als besäße er eine allumfassende Lösungskompetenz für alle, auch für sehr komplexe Fälle, betreibt Selbstüberhöhung, und das

kann auf Dauer selbst mit dem besten Politikentertainment nicht überdeckt werden. Diese Strategien entlarven sich selbst.

Wir alle, die Bürgerinnen und Bürger in Bremen und Bremerhaven, gehören – jedenfalls im größeren Maßstab betrachtet – zu den Privilegierten dieser Erde. Wir setzen uns dafür ein, dass es überall besser, friedlicher und demokratischer wird. Wir wollen helfen, und wir helfen tatsächlich. Während wir regelmäßig mit guten Absichten für eine gerechtere Welt beschäftigt sind, drohen uns manchmal die Dinge in unmittelbarer Nachbarschaft und in unserem Einflussbereich ein wenig aus dem Blickwinkel zu geraten. So wird das Verhalten von Staatsorganen im weitesten Sinne für immer mehr Menschen unverständlicher, wird das Klagen über die Zustände öffentlicher Finanzen immer lauter und die Kritik am Zustand von Straßen, Krankenhäusern, Schulen und anderen Gebäuden immer vernehmlicher. Gott und die Welt helfen uns nur bedingt: Wir in Bremerhaven und Bremen sind in einer Situation, in der wir mehr denn je die eigenen Aufgaben bewältigen müssen und weniger denn je auf andere verweisen sollten.

Wahlen wie die am 10. Mai bringen immer auch Veränderungen mit sich. Veränderungen wecken Hoffnungen, aber auch Unsicherheiten. So dürfte der öffentliche Spardruck weiter zunehmen. Gleichzeitig ist unser Gemeinwesen auf wirtschaftliches Wachstum und Wohlergehen angewiesen, weil sie zwingende Voraussetzungen für die Daseinsvorsorge und die Sozialstaatlichkeit sind.

Bei alledem bleibt die mittlerweile für mich bange Frage, was unsere Gesellschaft, was die Menschen in unseren beiden Städten Bremen und Bremerhaven zusammenhält. Wenn wir Patentrezepte hätten, dann bräuchten wir darüber nicht mehr zu reden, aber wir haben sie nicht. Ich glaube, dass uns in dieser Hinsicht eine Politik der kleinen Schritte weiter bringt als eine Politik der großen Würfe. Vor allem möchte ich für eine offensive Wertediskussion und für ethische Maßstäbe plädieren, für mich sind Tugenden sind nicht altmodisch, meine Damen und Herren. Mehr denn je brauchen wir Mitmenschlichkeit, den Respekt vor Fremden und Vielfalt, vor Ärmeren, vor Älteren und vor Minderheiten.

(Beifall)

Man muss Helmut Schmidt sicherlich nicht immer recht geben, aber folgenden Satz von ihm finde ich sehr bedenkenswert: „Eine Politik ohne Grundwerte ist zwangsläufig gewissenlos, sie ist eine Politik der moralischen Beliebigkeit und tendiert zum Verbrechen.“

Meine Damen und Herren, wir sollten uns auf das besinnen, was die Bürgerinnen und Bürger von ihrem Parlament, ihrer Regierung und ihrer Verwaltung erwarten, nämlich auf eine Politik, die sich weniger

auf Parteiprogramme und ideologische Glaubenssätze, sondern auf nachvollziehbares, transparentes Tun und breite Beteiligungsangebote beruft.

Gestatten Sie mir, mit einem Zitat von Willy Brandt aus dem Jahr 1992 zu schließen: „Nichts kommt von selbst, und wenig ist von Dauer. Besinnt euch auf eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll!“ – Ich danke für Ihr geduldiges Zuhören; und jetzt sollten wir uns an die Arbeit machen!

(Anhaltender Beifall)

Ich schlage Ihnen vor, die Geschäftsordnung der 18. Wahlperiode zunächst zur gemeinsamen Verfahrensgrundlage bis zur Feststellung der Geschäftsordnung zu erklären.

Ich höre keinen Widerspruch. Dann werden wir so verfahren.

Um die Abwicklung der Sitzung bis einschließlich der Wahl des Vorstands ordnungsgemäß durchführen zu können, sind folgende fünf vorläufige Schriftführer benannt worden: von der SPD-Fraktion die Abgeordnete Antje Grotheer, von der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen die Abgeordnete Susanne Wendland, von der CDU-Fraktion der Abgeordnete Dr. Oguhzan Yazici, von der Fraktion DIE LINKE der Abgeordnete Klaus-Rainer Rupp und von der FDP-Fraktion der Abgeordnete Rainer Buchholz.

Ich gehe davon aus, dass das Haus mit diesem Verfahren sowie der Benennung einverstanden ist.

Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.

Ich bitte die Abgeordnete Frau Grotheer, jetzt zu meiner Linken Platz zu nehmen.

Zur Abwicklung der Tagesordnung wurden interfraktionelle Absprachen getroffen, die Sie dem Umdruck der Tagesordnung mit Stand von heute, 9.00 Uhr, entnehmen können.

Diesem Umdruck können Sie auch die Eingänge gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung entnehmen, bei denen interfraktionell vereinbart wurde, diese nachträglich auf die Tagesordnung zu setzen. Es handelt sich insoweit um die Tagesordnungspunkte 15, Ungesetzliche Sonntagsarbeit bei der Deutschen Post AG unterbinden, Dringlichkeitsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 19/6, und 16, Ja zu Demokratie – Referendum in Griechenland abwarten, keine Fakten schaffen!, Entschließungsantrag der Fraktion DIE LINKE, Drucksache 19/10.

Dieser Antrag wurde ausgesetzt.

Die übrigen Eingänge bitte ich dem heute verteilten Umdruck zu entnehmen.

I. Eingänge gemäß § 21 Satz 1 der Geschäftsordnung

1. Anpassung der Entschädigungsleistungen Mitteilung des Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft vom 29. Juni 2015 (Drucksache 19/7)

2. Opfer von Stalking wirkungsvoll schützen Antrag der Fraktion der CDU vom 30. Juni 2015 (Drucksache 19/8)

Diese Angelegenheiten kommen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung.

II. Sonstiger Eingang

Mitteilung des Senats über die vom Senat beschlossene Mitantragsstellung zur Bundesratsinitiative „Entschließung des Bundesrates ,Ehe für alle – Entschließung für eine vollständige Gleichbehandlung von gleichgeschlechtlichen Paaren‘“, Antrag der Länder Niedersachsen, Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen Mitteilung des Senats vom 9. Juni 2015 (Drucksache 19/3)

Wird das Wort hierzu gewünscht? – Das ist nicht der Fall.

Wer mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden ist, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) ist mit den interfraktionellen Absprachen einverstanden.

(Einstimmig)

Ich möchte Ihnen noch davon Kenntnis geben, dass die Fraktion der SPD den Abgeordneten Björn Tschöpe zum Vorsitzenden und die Abgeordneten Sybille Böschen und Antje Grotheer zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt hat.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat zu ihrer Vorsitzenden die Abgeordnete Dr. Maike Schaefer und zu ihrem stellvertretenden Vorsitzenden die Abgeordneten Björn Fecker und Dr. Kirsten KappertGonther gewählt.

Bei der Fraktion der CDU wurde der Abgeordnete Thomas Röwekamp zum Fraktionsvorsitzenden und die Abgeordneten Paul Bödeker und Dr. Thomas vom Bruch zu stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt.