Nun hat insbesondere die Handwerkskammer, in letzter Zeit aber auch jemand wie Herr Professor Dr. Nida-Rümelin eine Debatte losgetreten, in der es darum geht, dass immer mehr Abiturienten und Hochschulabsolventen uns nicht weiterbrächten, wir mehr
junge Menschen in der dualen Ausbildung bräuchten, Fachkräftemangel herrsche und die Perspektiven dort sehr gut oder besser seien. Von Abiturientenschwemme, Entwertung des Abiturs oder Akademikerwahn ist da die Rede, und die CDU greift jetzt diese Debatte auf, Herr Dr. vom Bruch hat das eben auch getan.
Mir geht es so, dass ich es ziemlich merkwürdig finde, wenn gegen eine hochwertige formale Bildung polemisiert wird, und zwar erst recht von denjenigen, die selbst über eine sehr hochwertige formale Ausbildung verfügen.
Kommen wir zunächst zu den Interessen! Früher haben Kinder aus akademischen beziehungsweise sogenannten bildungsnahen Elternhäusern Abitur gemacht und studiert, und Kinder aus Arbeiterfamilien und unteren Mittelschichten haben eine duale Ausbildung gewählt. Damals war alles ganz klar separiert. Seitdem es ein höheres Bildungsinteresse in der Bevölkerung gibt und damit natürlich auch an höheren Chancen und gesellschaftlichem Aufstieg, werden höherwertige Bildungsabschlüsse auch angestrebt. Aufstieg durch Bildung ist hier das Stichwort, aber auch Durchlässigkeit. Ich bin sehr froh darüber, dass genau das in unserer Gesellschaft auch Früchte trägt.
Jugendliche, die schlau sind, wählen in Wirklichkeit ein Studium. Es gibt 74 Prozent bessere Einkommensmöglichkeiten, das Arbeitslosenrisiko liegt bei 2,5 Prozent, das ist annähernd Vollbeschäftigung. Bei denjenigen, die aus einer beruflichen Ausbildung kommen, sind es 5,3 Prozent. Die Wahrscheinlichkeit, vorzeitig wegen einer Berufsunfähigkeit aus dem Erwerbsleben zu scheiden, liegt bei dem Maschinenbauschlosser bei unter 5 Prozent, bei dem Maurer oder Fliesenleger aber bei 40 Prozent.
Die geringen Arbeitslosenzahlen bei Akademikern weisen auch darauf hin, dass wir mitnichten eine Akademikerschwemme haben, sondern alle ganz hervorragend vom Markt aufgenommen werden. Wenn ich mit der Hochschule Bremen rede, dann kann ich mir immer wieder sagen lassen, dass sehr viele von ihnen schon Vertragsoptionen haben, bevor sie überhaupt mit dem Studium fertig sind, und wir brauchen sie auch in der Fachwelt.
Mit dem Bachelor- und Masterabschluss haben sich die Hochschulen europäisch neu aufgestellt, Diversität ist positiv angenommen, Durchlässigkeit im Studium, also Studium ohne Abitur, ist institutionalisiert. Hier wurden vielen jungen Menschen gute Chancen auf Ausbildung gegeben, ich glaube aber, dass zum Beispiel die duale Ausbildung in einer Krise steckt.
Unternehmen haben jahrelang zu wenige Ausbildungsplätze bereitgestellt, und wenn, dann wollten sie Jugendliche mit einem sehr hohen Bildungsabschluss. In Bremen hat das dazu geführt, dass 60 Prozent der Arbeitslosen keinen Berufsabschluss haben und nur unter erschwerten Bedingungen für die Beseitigung eines Fachkräftemangels zur Verfügung stehen. Hier holen die Fehler der Vergangenheit die Unternehmen heute ein.
Gleichzeitig haben wir aber immer mehr Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, kein Abitur haben, sondern einen mittleren Berufsabschluss oder eine einfache oder erweiterte Berufsbildungsreife, manche – aber immer weniger – auch keinen Schulabschluss. Von ihnen gehen gegenwärtig 35 Prozent in das sogenannte Übergangssystem – Herr Dr. vom Bruch hat das gerade auch erwähnt –, und das sind im Wesentlichen junge Menschen, die eine Ausbildung machen wollen, für die die Ausbildungsplätze nicht zur Verfügung stehen. Wir kümmern uns darum, indem die Jugendberufsagentur eingerichtet werden soll und es auch eine Ausbildungsgarantie geben soll. Insofern kümmern wir uns um die Jugendlichen –
ich bin sofort fertig, Herr Präsident –, weil wir nämlich der Auffassung sind, dass wir da über die Perspektiven reden müssen.
Ich würde mir sehr wünschen, dass sich die Unternehmen genau diesen Jugendlichen mehr annehmen, als sie es in der Vergangenheit getan haben. Wir erwarten von der Schule, dass sie Jugendliche so annimmt, wie sie sind, wie sie in die Schule kommen, mit der Diversität umgehen können und so weiter. Wir erwarten das auch von den Hochschulen. Ich finde, wir müssen das auch von den Unternehmen erwarten, auch von ihnen ist Diversität und Inklusion gefordert. Diese jungen Menschen können einen hervorragenden Beitrag zur Beseitigung des Fachkräftemangels leisten. Diesen Anspruch habe ich an Unternehmen, dass diese Jugendlichen in die Betriebe integriert werden. – Herzlichen Dank!
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN – Abg. K a s t e n - d i e k [CDU]: Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben seit einiger Zeit eine zweigleisig verlaufende Diskussion. Auf der einen
Seite ist Deutschland mit dem Vorwurf konfrontiert, zu wenige Abiturientinnen zu generieren. Gott sei Dank haben wir in den letzten Jahren diesbezüglich deutlich zugelegt, in Bremen können wir auch wirklich froh sein, dass es gelungen ist, deutlich mehr junge Menschen zum Abitur zu bringen. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Diskussion um die sogenannte Akademikerschwemme, die die CDU mit ihrer Großen Anfrage hier aufgegriffen hat.
Nun gibt es allerdings den OECD-Bericht, der im Januar herausgekommen ist und ein ganz anderes Bild aufzeigt. Der Anteil der 25- bis 34-Jährigen in Deutschland mit einem akademischen oder vergleichbaren beruflichen Abschluss beträgt gerade einmal 27 Prozent. Das sind 2 Prozent mehr als der Anteil in der Generation der 55- bis 64-Jährigen. Das heißt, es lässt sich überhaupt nicht belegen, dass es hier einen gewaltigen Zuwachs gegeben hat.
Der Anteil der beruflich Gebildeten bleibt mit 60 Prozent seit zwei Generationen auf demselben Niveau, die Rede vom Akademikerwahn entbehrt somit jeder Grundlage. Darüber hinaus ist sie aus meiner Sicht auch kontraproduktiv, denn wir alle reden auch von der sogenannten Wissensgesellschaft, in der wir uns befinden. Die Ansprüche an Beschäftigte sind heute deutlich höher als vor 30 Jahren. Die Ansprüche an Auszubildende sind auch deutlich höher.
Wenn ich mir anschaue, dass früher zirka 70 Prozent der Auszubildenden Hauptschülerinnen und -schüler waren, muss ich feststellen, dass es heute gerade noch 30 Prozent sind, die mit einem derartigen Bildungsabschluss überhaupt Zugang in eine duale Ausbildung bekommen.
Das Ganze hat natürlich etwas mit den Veränderungen und mit den Neuordnungen, die in den einzelnen Berufsfeldern gegriffen haben, es hat aber auch etwas damit zu tun – wir brauchen das hier nicht auszuklammern –, dass die Betriebe auswählen konnten. Sie hatten über viele Jahre ein Überangebot junger Menschen, die eine Ausbildung suchten, und dann – das ist vielleicht auch nachvollziehbar – wählten sie sich natürlich die aus ihrer Sicht qualitativ Hochwertigsten und diejenigen aus, für die man nicht so viel in die Ausbildung investieren muss, denn Ausbildung ist kein Selbstgänger, das sage ich einmal ganz deutlich. Auch von den Betrieben wird erwartet, dass sie hier ein Stück weit Ausbildung leisten und nicht nur einfach das staatliche Schulsystem nutzen, um das zu organisieren, was eigentlich Inhalt der Ausbildung sein sollte.
Seit vielen Jahren erleben wir doch die Darstellung von Statistiken, Frau Schön ist darauf eingegangen, die ganz deutlich nachweisen, dass der wirtschaftli
che Erfolg und die Arbeitsplatzsicherung in hohem Maße mit hohen Bildungsabschlüssen korrespondieren. In Deutschland ist das Abitur der Königsweg, die Krönung der Schullaufbahn, das ist doch klar. Ich sage aber ganz deutlich, es ist auch der einfachste Weg, nach der Sek I einen weiterführenden Bildungsgang anzustreben, denn wenn ich in die Sek II gehe, dann muss ich heute häufig noch nicht einmal die Schule wechseln. Wenn ich allerdings in eine duale Ausbildung gehe, dann muss ich mir ganz schön viel zumuten: Ich muss Bewerbungen schreiben und Auswahlgespräche über mich ergehen lassen, das heißt, die duale Berufsausbildung stellt aus meiner Sicht deutlich höhere Ansprüche an diejenigen, die diesen Weg gehen wollen.
Nein, das ist nicht schrecklich, aber man muss schon zur Kenntnis nehmen, Herr Kastendiek, dass wir interessanterweise einen einfacheren Weg haben, an das Abitur zu kommen als an eine duale Ausbildung.
Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen ist es kein Wunder, dass Eltern ihren Kindern, denen sie natürlich eine gute Beratung und Lebensperspektive vermitteln wollen, raten, das Abitur zu machen. Das tun wir, das tun Sie, das ist auch schon gesagt worden, und selbstverständlich übernehmen Jugendliche genau dieselbe Einschätzung.
Wenn man aber auf das Abitur zusteuert und wenn man den allgemeinbildenden Weg einmal eingeschlagen hat, ist es, das muss man ehrlicherweise zur Kenntnis nehmen, deutlich einfacher, an Informationen zu gelangen, da dieser Weg deutlich bekannter ist. Über die beruflichen Zugänge zu einem Studium oder zum Abitur zu gelangen – es gibt ja in Deutschland durchaus nicht nur das Abitur als Zugangsweg zu einem Studium –, ist relativ schwierig. Das heißt – ich gebe allen, die hier gesprochen haben, recht –, die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung ist noch längst nicht in den Köpfen aller vorhanden, und wir wären gut beraten, wenn wir hier daran mitwirken könnten, das zu verändern.
Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass die duale Ausbildung in Deutschland das Herzstück der wirtschaftlichen Entwicklung und auch der Garant für eine geringe Jugendarbeitslosigkeit ist. Das ist gut und richtig, andere Staaten schauen durchaus neidisch auf dieses System und versuchen auch, es zu übertragen.
Das weiß ich nicht, es sollte uns aber, auch wenn wir dieser Meinung sind, nicht davon abhalten, diesem System ein Stück weit kritisch zu begegnen, denn obwohl wir hier häufig das Gefühl haben, dass die duale Ausbildung eigentlich das Normale ist, müssen wir doch zur Kenntnis nehmen, dass gerade einmal 30 Prozent aller Jugendlichen nach der Sek I in diesem System unterkommen.
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe eben aufmerksam zugehört und war etwas erstaunt, als der Kollege Dr. vom Bruch einen Zusammenhang zwischen der fehlenden Qualität der berufsschulischen Bildung und der fehlenden Begeisterung für die duale Ausbildung herstellte.
Das ist nämlich auch das Interessante. Es ist interessant, was in Ihrer Großen Anfrage fehlt, und bei der CDU wundert mich manchmal, wie wenig sie von den Regeln des Marktes hält, wenn es ihr gerade einmal gelegen kommt. Nur so lässt es sich eigentlich erklären, dass in Ihrer Anfrage zwei der wichtigsten Faktoren bei der Ausbildungsentscheidung von Jugendlichen überhaupt nicht vorkommen, nämlich die Ausbildungsvergütung und die spätere Bezahlung im Ausbildungsberuf. Wer heute als Single Hartz IV bezieht, bekommt mit dem Regelsatz und den Kosten der Unterkunft knapp 800 Euro im Monat. Dieser Satz wird von der Hälfte der Ausbildungsvergütungen nicht erreicht, schon gar nicht im ersten oder zweiten Lehrjahr, einige liegen ganz weit darunter.
Das ist natürlich bei den Jugendlichen nicht beliebt, und deswegen bietet es auch keinen Anreiz, wenn man in der Ausbildung deutlich weniger Geld hat. Wenn Sie möchten, dass sich mehr Jugendliche auf bestimmte Ausbildungsberufe bewerben, dann sollten Sie sich zuallererst unserer Forderung nach einer Mindestausbildungsvergütung anschließen!
Ich kann das auch aus eigener Erfahrung sagen, ich war eine Zeit lang Mitglied im Berufsbildungsausschuss der Rechtsanwaltskammer. Wir haben vor
etlichen Jahren die Ausbildungsvergütung von 1991 aufgehoben, das war im Jahr 2002 oder 2003, und meine Nachfolger haben das, ich glaube, vor ein oder zwei Jahren gemacht. Damals war die Ausbildungsvergütungsempfehlung noch in D-Mark angegeben.
Etwas anders liegt der Fall bei den Ausbildungsgängen, die ziemlich hohe Anforderungen an die Qualifikation der Jugendlichen stellen. Richtig ist, es ist ein Trend auch nicht wegzudiskutieren, Herr Dr. vom Bruch, dass es steigende intellektuelle Anforderungen in den Ausbildungsberufen gibt. Teilweise wird dort viel verlangt, und deshalb wird auch bevorzugt auf Bewerberinnen und Bewerber mit Abitur zurückgegriffen.
Dann stellt sich natürlich die Frage, was für jemanden, der diese Voraussetzungen mitbringt, denn eigentlich der Mehrwert ist, wenn man sich für eine Ausbildung statt für ein Studium entscheidet, denn eingruppiert und bezahlt wird man später fast immer so, dass sich der Hochschulabschluss auf dem Gehaltszettel auszahlt. Ich finde das nicht richtig, aber es ist nun einmal einfach Fakt. Es stimmt dann oft die Relation nicht mehr zwischen den hohen Anforderungen, denen Auszubildende ausgesetzt sind, und der häufig unzureichenden Bezahlung derjenigen, die kein Studium absolvieren. Das sind Fragen, die Jugendliche sich stellen, und das kann man nicht mit einer Werbekampagne lösen, sondern das sind entscheidende Faktoren für den Bildungsgang Abitur, für das Studium und gegen die duale Ausbildung. Wenn man das ändern will, dann muss man eben auch das tarifliche Gefüge so ändern, dass es den gestiegenen Anforderungen an Ausbildungsberufe wieder entspricht.
Die Grundidee der Anfrage, es würden heutzutage zu viele Jugendliche Abitur machen, ist gänzlich abwegig, dazu haben meine beiden Vorrednerinnen aber auch schon einiges gesagt. Es gibt einen großen Trend der Verwissenschaftlichung der Produktion, der dazu führt, dass Beschäftigte besser ausgebildet sein und höhere Bildungsabschlüsse aufweisen müssen, bevor sie die duale Berufsausbildung beginnen. Sich hier international abzukoppeln – das ist ja keine Entwicklung, die nur Deutschland vorweist – und die Abiturquoten zu senken, während sie weltweit steigen, wäre aus meiner Sicht, volkswirtschaftlich betrachtet, Harakiri.
Dafür spricht auch, dass die Arbeitslosenquoten von Akademikern nach wie vor erheblich niedriger liegen als die von Menschen ohne Abitur und Studium. Das sind auch Tatsachen, an denen man nicht vorbeikommt. Das heißt, Ihre hier dargestellte Behauptung, Jugendliche würden sich in Bremen wegen der schlechten Qualität der berufsschulischen Bildung gegen eine duale Ausbildung entscheiden, finde ich völlig abwegig, und ich weiß nicht, woher Sie diese Behauptung nehmen.