Protocol of the Session on January 21, 2015

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Dr. Güldner.

geehrter Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, werte Gäste hier im Haus! Ich kann unmittelbar daran anschließen, was der Kollege Tschöpe gesagt hat. Ich kann das voll unterstreichen und möchte dem vielleicht einige weitere Aspekte hinzufügen.

Die ganze Welt – und das ist in unserem globa

lisierten Zeitalter so – war vor zwei Wochen quasi live über die sozialen Netzwerke und das Fernsehen Zeuge dieser Terroranschläge. Es gelingt, glaube ich, niemanden auf dieser Welt, sich von diesen Geschehnissen zu distanzieren. So gab es auch auf der ganzen Welt eine Reaktion, die sich auch heute als Überschrift über unseren Antrag findet. Der überwiegend große, wohlmeinende Teil dieser Welt hat sich hinter diesem Aufschrei versammelt: Je suis Charlie! Solidarität mit den Opfern und ein glaskla res Statement gegen diejenigen, die glauben, aus welchen Gründen auch immer, Menschen wahllos oder auch gezielt töten zu können.

In Bremen haben wir das ganz genauso erlebt:

Trauer, Wut, eine sehr vielfältige Reaktion! Ich darf

noch einmal dem Präsidenten der Bremischen Bür gerschaft danken, ich fand die Veranstaltung, die unmittelbar am Freitag hier im Haus stattgefunden hat, ein – –. Wir reden manchmal über die Zivilge sellschaft, das klingt schon fast ein bisschen wie ein akademischer Begriff, und vielleicht versteht auch jeder etwas anderes darunter, aber wer auf dieser Veranstaltung war, hat sie gesehen, es gibt sie, sie ist vielfältig, sie ist bunt, sie ist ernsthaft, und sie steht zusammen. Ich fand das, was wir auf dieser Veranstaltung unmittelbar nach den Anschlägen hier im Haus erlebt haben, ein sehr ermutigendes Zeichen, dass wir uns von diesen Tätern auf keinen Fall bezwingen und entmutigen lassen, meine Da men und Herren.

Ich habe auf dieser Veranstaltung, aber auch bei

vielen anderen Gelegenheiten oft an die Ereignisse vom 11. September 2001 gedacht, weil ich das Ge fühl hatte, dass wir alle an diesem Tag und in den Wochen danach in einem ähnlichen Gemütszustand waren, diese Mischung – Kollege Tschöpe hat es gesagt – aus Angst, Wut und Entsetzen, aber auch aus ungläubigen Staunen, zu welchen Dingen Men schen fähig sind, auch wenn wir das jeden Abend in den Nachrichten oder auch im Internet das ganze restliche Jahr sehen können. Ich habe mich gefragt: Haben wir eigentlich aus den Ereignissen vom 11. September 2001 etwas gelernt? Diese Debatte hat sich, wenn ich das richtig verfolgt habe, auch in den USA unmittelbar an die Terroranschläge von Paris angeschlossen. Ich finde, das ist auch eine richtige Frage. Wie reagieren wir eigentlich auf dieses Ver halten von Reaktion und Gegenreaktion, auf das, was immer weiter auf uns zukommt? Ich glaube, es gibt niemanden hier im Haus, der oder die glaubt, dass das der letzte Terroranschlag gewesen ist. Seit dem 11. September ist, glaube ich, zu beobachten, dass wir doch eine Spirale der Gewalt erleben, die es uns nicht gelungen ist zu durchbrechen.

Aus meiner Sicht ist es überhaupt nicht an der

Zeit, weder heute in dieser Debatte, noch sonst, mit einseitigen Schuldzuweisungen zu operieren, weil Länder, Gesellschaften, auch politisch Verant wortliche, die mit solch traumatischen Anschlägen konfrontiert sind, dann erst merken, wie schwierig es ist, in der heutigen Zeit ihre eigene Bevölkerung zu schützen. Das ist, glaube ich, etwas, was Bürge rinnen und Bürger in unseren Staaten, auch gerade in den westlichen Demokratien, was auch immer sie inzwischen vom Staat denken und halten, immer als einen Anspruch formulieren würden, dass der Staat die Aufgabe hat, ihr Leben und ihre Unversehrtheit zu schützen, insofern ist das eine ganz vordringliche Aufgabe. Wie man das tut, wie man das mit den zur Verfügung stehenden Mitteln versucht, ohne selbst wieder Teil dieser Gewaltspirale zu werden, das ist eine sehr schwierige Aufgabe.

Nach den Anschlägen von Paris – ich meine, das

gehört auch in eine solche Debatte – ging es mir

so, dass ich fand, dass die Verantwortlichen für die Außen- und Sicherheitspolitik in der Bundesrepublik Deutschland besonnen, auch klar in den Aussagen, aber eben auch angemessen reagiert haben, und da schließe ich an dieser Stelle den Bundesinnenmi nister ausdrücklich mit ein, weil das eine Funktion ist, die bei ähnlichen Gelegenheiten auch schon einmal anders interpretiert worden ist, wenn ich das einmal so sagen darf. Meines Erachtens sollten wir das auch würdigen, wenn wir hier zu diesem Thema zusammenkommen.

Genauso ist es in Bremen. Ich finde, dass auch Bre

men mit der Reaktion sowohl hier im Haus als auch im Rathaus, und mit dem, was wir alle gemeinsam am nächsten Montag auf den Marktplatz bringen werden, in der Mischung aus Klarheit, Entschlossen heit, aber eben auch mit der nötigen Zurückhaltung eine angemessene Reaktion zeigt. Ich bin sehr froh, dass ich Teil und Mitglied eines Parlaments bin, das heute hier mit allen vier Fraktionen einen Satz ver abschiedet, der da im Originaltext lautet, ich zitiere: „Noch sind wir geschockt, aber wir werden unsere Werte nicht aufgeben. Unsere Antwort lautet mehr Demokratie, mehr Offenheit, mehr Menschlichkeit.“

Das ist ein ganz und gar programmatischer Satz,

und dass sich das ganze Haus diesem Satz anschließt, ihn bewusst heute hier in den Mittelpunkt eines An trags stellt, das ist ein außerordentlich wichtiges und gutes Zeichen. Man könnte auch anders als mit diesen Worten des damaligen norwegischen Ministerpräsi denten reagieren. Ich finde, unter der Überschrift, was wir selbst tun, um nicht zur Eskalation beizutragen, aber gleichwohl allen Feinden dieser Demokratie zu signalisieren, dass wir entschlossen sind, diese auch zu verteidigen, ist ein hervorragender Satz für einen solchen Antrag.

Wer nun glaubt, dass die Terroranschläge von

Paris überall auf der Welt und auch bei uns Auftrieb für die ewig Gestrigen oder die ewig Gestrigen im neuen Gewand geben würde, hat sich, glaube ich, total getäuscht. Das Gegenteil ist eingetreten, und die Demonstrationen gegen Pegida, Fremdenhass und Rassismus bringen ein Vielfaches von dem auf die Straße, was diese Menschen in der Lage sind zu mobilisieren, sie bringen die Mehrheitsgesellschaft in diesem Land auf die Straße: Alt und Jung, un terschiedliche politische Meinungen, unterschied liche soziale Herkunft, unterschiedliche Herkunft im vielfältigsten Sinn unserer Bürgergesellschaft, Migrantinnen und Migranten, Einheimische, Flücht linge! Gemeinsam stehen alle zusammen, um diesem zynischen Versuch eine Absage zu erteilen.

Wer sich einen patriotischen Europäer nennt und

eine Gefahr der Islamisierung des Abendlandes beschwört, der entlarvt sich eigentlich auch schon durch den Namen, den er sich gibt. Ich finde, diesen Namen muss man sich ab und zu einmal auf der Zunge zergehen lassen. Wenn man das macht, dann stellt man fest, dass sich diese Menschen im Grunde

genommen am Ende des Tages auch völlig klar gegen die Verfassung stellen, auf der dieses Land, diese Demokratie fußt, denn wer behauptet, dass wir uns in einem Kampf gegen die Islamisierung unseres sogenannten Abendlandes befänden, der gibt auf alle Fragen, die es heutzutage gibt, die schwierig genug zu beantworten sind und die sich auch in die sem Parlament und in anderen Parlamenten stellen, immer die falsche Antwort. Dass wir uns in dieser Angelegenheit hier einig sind, finde ich, hat einen sehr hohen Wert, den man nicht geringschätzen kann.

Ich möchte Ihnen zum Schluss sagen, dass wir uns

auch immer wieder Vorbilder aus unserer eigenen Gesellschaft nehmen können, die man verbreiten kann. Ich möchte Ihnen etwas zeigen – wir hatten es, glaube ich, alle im Fach –: „Heimatlos“, Stadtteilzei tung des Gymnasiums Links der Weser, das ist eine Zeitung, die nicht von Politprofis oder erfahrenen Journalisten gemacht wurde, die schon immer reagie ren, sondern sie wurde von sehr jungen Menschen, von Schülerinnen und Schülern des Gymnasiums Links der Weser, gemeinsam mit Flüchtlingen ge macht. Es ist eine Zeitung, die aufklärt, ohne aber selbst Hass zu schüren, die vielfältig und bunt in den Meinungen ist und ein ganz klares Zeichen setzt. Diese Generation hat auch verstanden, worüber wir hier sprechen. Diese Generation, diese Schülerinnen und Schüler sind Vorbilder für uns, und ich finde, mit unserem Antrag und unserem Verhalten heute tun wir es ihnen gleich, und gemeinsam werden wir es schaffen. – Vielen Dank!

(Beifall)

Als nächster Redner hat das

Wort der Abgeordnete Dr. vom Bruch.

Sehr geehrter Herr

Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei den allermeisten Debatten hier im Haus ist es wenig beliebt und attraktiv, Ähnliches wie andere zum Ausdruck zu bringen. Dies ist heute anders. Es ist geradezu der Zweck unserer Aussprache, dass jeder für sich, wir am Ende aber gemeinsam sagen, wir trauern um die Toten der Anschläge von Paris, die Opfer hinterhältiger und menschenverachtender terroristischer Anschläge wurden. Wir beziehen in dieses Innehalten auch andere Opfer des Terrorismus ein, wenn wir zum Beispiel aktuell nach Pakistan oder nach Nigeria schauen. Wir sagen aber auch, wir bleiben bei dieser Trauer nicht stehen. Wir setzen dem ein ausdrückliches Bekenntnis gegen Terroris mus und Gewalt entgegen wie viele um uns herum in Deutschland und in der Welt.

Diese beeindruckende Reaktion macht uns be

wusst, welche Kraft die Grundwerte der Würde, der Freiheit und der unveräußerlichen Rechte der Menschen haben und welche Bedeutung für uns ganz konkret die Pressefreiheit hat. Wir sind nicht

etwa sprachlos, wie es die Täter wollen, sondern wir sind uns in unseren grundlegenden Überzeugungen umso einiger und werden diese Werte gegen jeden Angriff verteidigen. Das sind für mich die wichtigen Botschaften des heutigen Tages und des gemeinsa men Antrags.

Wir haben in diesem Haus bereits im letzten Jahr

eine Debatte auf der Grundlage eines gemeinsamen Antrags geführt, mit der wir uns entschieden gegen Antisemitismus, Fanatismus und Hass gewandt ha ben. Vieles von dem – zugegeben vor einem ande ren Hintergrund gesagt – wäre hier wiederholbar. Deshalb setzen wir auch an dieser Stelle fanatisierter Gewalt und religiös motivierter Intoleranz offensiv unsere Werte und unsere Kultur einer offenen, de mokratischen, rechtsstaatlichen und solidarischen Gesellschaft entgegen. Die Täter haben damit schon jetzt das Gegenteil von dem erreicht, was sie beab sichtigen.

Was meine ich etwas konkreter gesagt mit diesem

Gegenteil? Ich bin beeindruckt von den Bildern aus Paris, auf denen Staats- und Regierungschefs sehr unterschiedlicher Länder in Trauer und Protest ver eint zu sehen waren. Ich bin beeindruckt von den Bildern in Berlin, auf denen zum Ausdruck kommt, dass alle Religionsgemeinschaften, einschließlich der der Muslime, die Abscheu vor diesen Verbrechen uneingeschränkt teilen. Sie zeigen, dass das Wort und das Bild von der Wertegemeinschaft in Europa eben keine leere, überkommene oder abstrakte Worthülse ist, sondern im Gegenteil sehr vital, gegenwärtig und vor allem kraftvoll.

Es gibt aber auch Bilder, die mir und nach meiner

Wahrnehmung vielen Menschen Sorge bereiten. Je den Tag müssen wir diese Bilder aus dem arabischen, asiatischen oder afrikanischen Raum sehen, die un sägliche Verbrechen zeigen. Es sind Verbrechen, die die Täter angeblich im Namen des Islam begehen und die für viele ein Bild eines fanatisierenden, ei nes Gewalttätigkeit ausstrahlenden Islam zeichnen.

Es sind machtvolle Bilder, die schnell generali

siert sind, die zwar unvermeidliche Informationen transportieren, die aber auch eine Maßvorlage für die Populisten sind. Es sind Bilder, die die einen verängstigen, auf andere aber auch eine grausame Faszination und Anziehungskraft zu haben scheinen und wiederum andere zu politischen Trugschlüssen führen. Es sind Bilder, die deshalb erklärt und kom mentiert werden müssen, damit wir ihnen nicht auf die eine oder andere Weise erliegen, Bilder, über die wir die Deutungshoheit eben nicht der Pegida oder Islamisten überlassen dürfen. Denen geht es in Wahrheit nur um eine Instrumentalisierung für ihre dumpfen und Zwietracht säenden politischen oder religiösen Ziele, und das nicht etwa irgendwo, sondern direkt hier vor unserer Haustür. Das sind aber gerade nicht unsere Ziele oder Vorstellungen einer offenen Gesellschaft, und auch das ist für mich eine wichtige Botschaft des heutigen Tages.

Es ist vielmehr eine Aufgaben der Medien, aber

insbesondere der Politik, diese Bilder zu erklären. Es ist eine politische Aufgabe, sich nicht nur selbst offensiv zu erklären, sondern dazu die unzwei deutige Abgrenzung von allen politischen, gesell schaftlichen und religiösen Kräften einzufordern. Es ist eine politische Aufgabe, deutlich zu machen, dass diese Ereignisse nicht nur Regierungen und Parlamente betreffen, sondern Angelegenheit der ganzen Gesellschaft sind, insbesondere aber ganz klar auszusprechen, dass die ganz überwiegende Mehrheit der Menschen muslimischen Glaubens nichts gemein hat mit denjenigen, die in Wahrheit ihre Religion in den Schmutz ziehen. Alles das zu erklären ist angesichts der vielen und täglichen Bil der nicht einfach, weil es zu differenzieren gilt, wo einige gern ihre schwarz-weißen Vereinfachungen und Vorurteile bedient sehen wollen. Aber gerade, weil es nicht trivial ist, weil es auch gilt, Menschen zu überzeugen und wieder zurückzugewinnen, ist es umso mehr unsere gemeinsame Verantwortung.

Angesichts der Ereignisse neige ich eigentlich

nicht so sehr dazu, vorschnell nach Erklärungen oder gar nach reflexhaften Konsequenzen zu suchen, dennoch gibt es auch eine Erwartungshaltung der Menschen an die Politik. Sie erwarten eine Politik, die angesichts der Dramatik der Ereignisse entschie den, wahrhaftig und pragmatisch unsere Werte und unsere Lebensweise gegen erklärte Feinde verteidigt und behauptet. Sie haben dabei nichts gegen eine Politik, die angesichts von Aktualität dazulernt, im Gegenteil! Gerade deshalb sind die Einlassungen des vormaligen Bremer Innenstaatsrates und jetzigen amtierenden Präsidenten des Bundeskriminalamtes zur Vorratsdatenspeicherung ebenso richtig wie eine Anmerkung wert, widersprechen sie doch schon der Auffassung, die ich von der Spitze des hiesigen Innenressorts fast zeitgleich wahrgenommen habe, während man übrigens auf Bundesebene inzwischen auch andere Töne hört. Unsere Bürger erwarten aber in fundamentalen Fragen der Sicherheit Klarheit. Gefragt sind Glaubwürdigkeit und Pragmatismus.

Positiv gewendet heißt das, auch hier sollte die

Welt nicht schwarz-weiß gezeichnet werden. Ein Nachdenken und Überprüfen eigener Positionen angesichts von Aktualität ist eben auch ein Gebot der Stunde. Die Ereignisse haben eine europäische und eine internationale Dimension, deshalb gehört auch die Frage nach den Konsequenzen, wie zum Beispiel nach der Vorratsdatenspeicherung, ganz nach oben auf die europäische Agenda, mit dem Ziel, schneller als bisher erkennbar die Voraussetzungen für eine noch effektivere und eine solidarische Zusammen arbeit zu schaffen, meine Damen und Herren.

Sicherheit kann aber nicht nur eine Angelegenheit

der Sicherheitsorgane sein. Gerade die derzeitigen Ereignisse zeigen uns, dass sie gerade dort labil ist, wo Integration auf der Grundlage einer klaren Werteordnung nicht oder nicht ausreichend gelingt,