Protocol of the Session on September 24, 2014

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete

Tuncel.

Sehr geehrter Herr

Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Gäste! Die Terrororganisation Islamischer Staat hat in Teilen Iraks und Syriens ein Kalifat ausgerufen und tötet alle, die sich ihrer Terrorherrschaft nicht unterwerfen. Im Juli dieses Jahres ist sie in Mossul einmarschiert und hat alle Christen und Schiiten, die sie zu fassen bekam – das muss man so deutlich sagen –, umgebracht oder zwangsislamisiert. In der Nacht vom 2. auf den 3. August 2014 ist die Terror organisation in Shingal, dem Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden, einmarschiert und hat über Nacht alle, die sich nicht wehren konnten, festgenommen und – das muss man hier in einem deutschen Parlament so deutlich sagen – vergewaltigt, umgebracht und geköpft. Alles Barbarische, was man sich an Un menschlichkeit überhaupt vorstellen kann, haben sie mit diesen Menschen gemacht.

Bitte verzeihen Sie, weil ich auch selbst ein bisschen

betroffen bin, werde ich mich zusammenreißen und versuchen, nicht zu emotional zu sein! Shingal ist wie gesagt das Hauptsiedlungsgebiet der Jesiden, das sind Anhänger einer Religion, die über 4 000 Jahre alt ist. Es gibt auf der Welt, wenn man es einmal hochrechnet, 1,2 Millionen Jesiden.

Über 600 000 Jesiden leben in Shingal oder haben

dort gelebt und sind – das muss man auch so deutlich sagen – in der Nacht, als der IS einmarschiert ist, allein gelassen worden. Sie hatten nichts, womit sie sich wehren konnten, und der Schutz, an dem sie eigentlich festhielten und auf den sie hofften, war nicht mehr da. Vier Tage lang haben wir, habe ich versucht, hier in Deutschland darauf aufmerksam zu machen. Wir haben hier in Bremen gemeinsam einige Demonstrationen organisiert, ich war bei vielen Medien und möchte mich auch wirklich persönlich dafür bedanken, dass die Bremer Medien uns dabei sehr unterstützt haben.

Leider haben wir aber trotzdem nicht sehr viele

Menschen erreicht. Erst als die Amerikaner mit den Luftangriffen begonnen hatten, wurde die Welt auf das aufmerksam, was dort gerade in Shingal passierte, nämlich ein Völkermord an den Jesiden. Ohne die Luftangriffe und ohne die Kämpfer von der YPG und der PKK wären die Leichenberge doppelt so hoch, wie sie es jetzt schon sind.

Es ist nicht einfach. Ich habe als Jesidischer Ab

geordneter – leider gibt es bundesweit nur einen Jesidischen Abgeordneten in einem Landtag – viele Telefonate geführt und versucht zu helfen, und ich möchte das hier auch so deutlich in einem Parlament sagen, ich habe mit vielen Menschen gesprochen, das habe ich auch in anderen Zusammenhängen schon erwähnt: Es ist im 21. Jahrhundert unglaublich, dass eine Mutter, die zehn Tage lang auf der Flucht war, sich dazu entscheiden musste, eines ihrer beiden

Kinder zurückzulassen, um das andere Kind zu ret ten. Es ist aber passiert, und es passiert immer noch.

Es ist unglaublich, dass im 21. Jahrhundert über

1 500 Frauen entführt und – auch wenn sich das zu hart anhört, aber es muss gesagt werden, auch für mich ist es nicht einfach zu sagen – stündlich von Mitgliedern dieser Terrororganisation vergewaltigt werden. Es ist so, dass sie alle 60 Minuten einen neuen Ehemann bekommen, weil es nach ihrer Religion so ist, dass sie keinen Geschlechtsverkehr haben sollen, wenn sie nicht verheiratet sind, und deshalb werden sie alle 60 Minuten neu verheiratet. Viele dieser Frauen, die es dann geschafft haben, doch irgendwie zu entkommen, kommen in den Flüchtlingscamps nicht mehr mit ihrem Leben zurecht oder haben Selbstmorde begangen.

Es ist auch in den Flüchtlingscamps zurzeit nicht

auszuhalten. Viele Menschen, die zum Teil über 60 Familienmitglieder verloren haben und nur das Nötigste, was sie hatten, gerettet haben, haben zwar ihr Leben retten können, aber Leben kann man das nicht wirklich nennen. Die Situation ist bedrückend, das ist eine Riesentragödie, was mit den Minder heiten passiert, nicht nur mit den Jesiden, sondern auch mit den Christen oder den Schiiten. Es ist wie gesagt so – und es ist mir sehr wichtig, dass ich dar auf auch intensiv eingehe –, dass wir Jesiden in der Minderheit sind.

Heute Morgen haben wir auch darüber gesprochen,

und mein Kollege Herr Dr. Güldner hat auch noch einmal erwähnt, wie die Situation dort ist, es ist so, dass viele Flüchtlinge in den Nachbarländern Iraks und Syriens sind, aber es muss auch hier in einem deutschen Parlament gesagt werden: Vor zwei Tagen, als der IS in Rojava in Syrien eingefallen ist, hatten die Flüchtlinge nur eine Möglichkeit zu versuchen, in die Türkei zu fliehen. Der NATO-Partner Türkei hat Flüchtlinge, die nur einen Fluchtweg hatten, nämlich den in die Türkei, mit Tränengas und Was serwerfern davon abgehalten, über die Grenze zu gelangen. Das darf und das kann nicht sein, dass ein NATO-Partner sich so verhält.

(Beifall)

Das ist ein Gegner, dem man nicht mit Diplomatie

entgegentreten kann, mit dem man sich nicht an ei nen Tisch setzen kann. Die Türkei bildet dabei eine Ausnahme, sie hat gerade ihre 49 Geiseln befreit. Ich bin froh, dass sie befreit worden sind. Die Türkei hat es geschafft. Die Türkei kann das, aber andere Länder können das nicht. Mit den IS-Terroristen kann man nicht verhandeln, und obwohl wir den Punkt 4 aus unserem Antrag herausgenommen haben, bin ich der Meinung, dass man diese Terrororganisation bekämpfen und aufhalten muss, denn es geht, wie es auch Herr Dr. Güldner schon gesagt hat, um den Weltfrieden. Der Weltfrieden wird gerade von kur dischen Kämpfern verteidigt. Es sind Kämpfer der

PKK und der YPG, die die unsere freie demokratische Welt verteidigen. Das muss man hier ganz deutlich erwähnen.

Ich möchte meine ersten fünf Minuten Redezeit

damit beenden und werde in der nächsten Runde noch einmal darauf hinweisen, was vielleicht noch möglich ist und was wir von Bremen aus für die Menschen im Irak und in Syrien tun können. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat

das Wort die Abgeordnete Frau Mahnke.

Sehr geehrter Herr

Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach dem Wortbeitrag fällt es mir gerade nicht so leicht, wieder einzusteigen, weil unser Kollege Tuncel auch selbst betroffen ist. Das macht es dann, glaube ich, ungleich schwerer für ihn und vielleicht auch ein Stück für uns.

Seit Monaten beherrscht das Thema des Terrors

der Terrormiliz IS in den Staaten Syrien und Irak und der damit einhergehenden Flüchtlingsströme die Nachrichten. Wir haben heute Morgen schon lange darüber gesprochen. Wir sehen täglich die Bilder der Menschen auf der Flucht, die meist ihr ganzes Hab und Gut und oftmals auch ihre Angehörigen verloren haben. Vor allem haben Sie ihre Heimat verloren. Sie alle fliehen vor dem Terror der IS-Gruppe.

Diese gehört zu den radikalsten islamischen Grup

pen im Nahen Osten. Sie kämpft für einen sunniti schen Gottesstaat im arabischen Raum. Der IS ging aus dem irakischen Widerstand der im Jahr 2003 gegründeten Gruppe Tauhid und Dschihad hervor. Sie griff anfangs hauptsächlich US-Soldaten im Irak an, verübte Selbstmordanschläge auf Jesiden, Schi iten und Christen im Land. Durch die Einmischung in den syrischen Bürgerkrieg gewann die IS weiter an Macht. Sie vertreibt Angehörige religiöser Min derheiten und tötet die Zivilbevölkerung. Allein in Syrien soll diese Miliz bereits mehr als 50 000 Mann stark sein.

Zudem – und auch das ist erschreckend – ist diese

Gruppe mit ungeheuren finanziellen Mitteln ausge stattet, die sie aus den Verkäufen von Rohöl erhält und aus den Einnahmen von sogenannten Steuern und Schutzgeldern. Die IS verfügt im Gegensatz zu anderen Terrorgruppen über einen riesigen Herr schaftsbereich, ein Drittel der Fläche Syriens und ein Drittel der Fläche des Iraks mit einigen Millionen Einwohnern, die Schutzgeld und Steuern zu zahlen haben. Allein in Mossul, der zweitgrößten irakischen Stadt, die die Terroristen Mitte Juni erobert haben, beliefen sich die sogenannten Steuern auf 8 Millionen Dollar pro Monat. Weitere Einnahmequellen sind Entführungen und der Verkauf von archäologischen

Objekten auf dem Schwarzmarkt. Auch hierbei kommen nach Schätzungen weitere Dollarbeträge in zweistelliger Millionenhöhe in die Kassen des IS. Man kann annehmen, dass die Jahreseinnahme bei 1,5 Milliarden Dollar liegt. Das zeigt uns, dass sie sehr gut ausgestattet sind.

Herr Tuncel hat uns eben auch sehr deutlich ge

macht, dass sie alles töten, was sich nicht ihrer Herr schaft unterwirft. Allein in den letzten Tagen sind über 130 000 Menschen aus Syrien in die Türkei geflohen. Die Lage der Menschen ist einfach erschreckend. Nachdem sie dem Terror entkommen sind, leiden sie unter Hunger, Durst und Erschöpfung. Von den psychischen Strapazen, die damit einhergehen – auch darüber haben wir heute Morgen schon länger gesprochen –, möchte ich hier gar nicht mehr reden.

Wir wissen wir alle, dass diese Menschen versorgt

werden müssen. Daher ist es unabdingbar, umgehend humanitäre Hilfe in jeder möglichen Form auch von deutscher Seite zu leisten, denn die Türkei – man hat ja gesehen, wie sie reagiert hat – ist gar nicht in der Lage, alle zu versorgen. Hier muss einfach möglichst schnell Hilfe geleistet werden, um die Versorgung mit dem Nötigsten zunächst einmal sicherzustellen. Es muss aber auch eine unbürokratische Aufnah me von Flüchtlingen damit einhergehen, denn alle Menschen, die vor diesem Terrorregime flüchten, verdienen unsere Hilfe und Unterstützung.

(Beifall)

Wir sehen hier in Bremen, dass viele Menschen –

das kam auch heute Morgen schon zum Ausdruck – eine großartige Hilfsbereitschaft an den Tag legen. Dafür kann man ihnen wirklich auch nur noch einmal Respekt zollen und Dank sagen. Daher werden wir dem Antrag auch zustimmen. Wir haben vereinbart, den ersten drei Punkten zuzustimmen und damit unseren Senat aufzufordern, sich für humanitäre Hilfeleistungen, aber auch für weitere und leichtere Aufnahmen einzusetzen. Vergessen Sie dabei aber bitte nicht – und das haben wir auch heute Mor gen schon gesagt –, dass der Bund die Kommunen mit den Problemen, gerade auch hinsichtlich der finanziellen Ressourcen, nicht allein lassen darf. – Herzlichen Dank!

(Beifall)

Als nächste Rednerin hat

das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohammadzadeh.

Abg. Frau Dr. Mohammadzadeh (Bündnis 90/

Die Grünen): Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächst für diesen Antrag, für diese Initiative bedanken, denn damit bekommen wir hier die Gelegenheit, über dieses Thema zu sprechen.

Dieser Antrag ist sechs Wochen alt, aber trotzdem