Protocol of the Session on February 27, 2014

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Dr. Güldner, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Man meint ja fast, dass die Frage der Einsetzung einer Enquetekommission nun tatsächlich zentral über das Wohl und Wehe der Menschen in Bremen und Bremerhaven entscheidet. Jedenfalls kann ich, ehrlich gesagt, das nicht nachvollziehen. Ich werde noch einige Punkte ansprechen – vor allen Dingen auch den Vergleich mit dem Bundestag, den Sie gebracht haben, Herr Röwekamp –, warum das bei uns in der Fraktion – ich werde auch nicht verschweigen, wie die Fraktion intern zu diesem Antrag abgestimmt hat – diskutiert worden ist.

Eine Enquetekommission ist kein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss. So wichtig ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ist, wenn offensichtlich ein Fehlverhalten einer Regierung vorliegt oder zumindest von der Opposition vermutet wird und dann die Opposition selbstverständlich das Recht haben muss, einen solchen Ausschuss einzusetzen, der das sozusagen bis ins Letzte durchleuchtet und dann die Wahrheit ans Licht bringt, was absolut selbstverständlich ist, ist eine Enquetekommission ein Ausschuss mit einem völlig anderen Charakter.

Sie haben hier leider nur Enquetekommissionen aufgezählt und genannt, aber Sie haben vollkommen verschwiegen, was dieses Parlament in vielen Wahlperioden geleistet hat, was in die gleiche Richtung geht, nämlich nicht ständige Ausschüsse. Davon haben wir sehr, sehr viele eingesetzt. In diesen nicht ständigen Ausschüssen, aber im Übrigen, Herr Kollege Röwekamp, auch in den ständigen Ausschüssen und auch in den Deputationen haben wir unzählige Sachverständigenanhörungen, Expertenanhörungen durchgeführt, alles das, was am Ende des Tages eine Enquetekommission auch machen würde. Dass Sie das sozusagen zu einer demokratietheoretischen Grundsatzfrage erklären, während das, was in einer Enquetekommission auch gemacht werden kann, hier in ständigen und nicht ständigen Ausschüssen, Deputationen, in Expertenanhörungen immer wieder statt

findet, ist schon wieder dieses Stück, dass Sie einfach die Hälfte der Wahrheit weglassen, damit am Ende ein Argument daraus wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir machen das ständig. Ich kann Ihnen auch sagen, dass Ihr jüngster Vorstoß

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Das machen übrigens alle Landtage! Der Bund macht es auch!)

selbstverständlich, das ist ja auch gut so –, sich auch in nicht ständigen Ausschüssen um besondere Probleme zu kümmern, wie zum Beispiel um das Armutsproblem, wie ich finde – so hat das auch meine Fraktion diskutiert –, ein bedenkenswerter Vorschlag ist. Ich hoffe, dass wir da interfraktionell zusammenkommen können. Es bedarf also nicht unbedingt immer einer Enquetekommission, um genau die Dinge zu tun, die Sie fordern.

Was wird im Bundestag gemacht? Im Bundestag wird nichts anderes gemacht, als das Wahlergebnis, das eine noch kleinere Opposition als üblicherweise hervorgebracht hat, nachzuvollziehen, indem man einfach nur das Quorum etwas absenkt, damit die tatsächliche Opposition das, was die Opposition dort auch schon vorher konnte, jetzt auch in dieser besonderen Konstellation, wo Grüne und LINKE so wenige Abgeordnete in Berlin haben, nachvollziehen kann.

Das ist alles, was dort jetzt gemacht wird. Es ist vollkommen klar, dass Grüne dort diese Position vertreten. Das ist vollkommen richtig und im Übrigen auch kein Widerspruch dazu, dass ich mir und meine ganze Fraktion sich vorstellen kann, das Recht auf Einsetzung einer Enquetekommission in Bremen als ein Minderheitenrecht einzurichten. Das war einstimmig in unserer Fraktion und ist so gesehen überhaupt gar kein Problem. Aber die Dramatik und dieses Demokratietheoretische – wenn wir das jetzt nicht machen, dann geht hier die Welt unter – konnte bei uns, bei den Grünen, kein Mensch nachvollziehen, sehr geehrter Herr Röwekamp!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Sie haben ein Angebot gemacht, ich mache auch eines. Es ist sowieso komisch, zu diesem Zeitpunkt, ein Jahr vor der Wahl, darüber zu befinden. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass wir uns, was wir immer nach einer Bürgerschaftswahl machen, nach der Wahl zusammensetzen – da setzen sich ja nicht nur Koalitionäre zusammen und verhandeln einen Koalitionsvertrag, sondern alle Fraktionen setzen sich zusammen und reden über die Verfahrensweise hier in der Bürgerschaft sowie darüber, was man ändern kann, was man verbessern kann, wo es vorangehen kann,

und das interfraktionell zwischen allen Fraktionen, die dann in die Bürgerschaft gewählt werden –, und wenn es dann genug Stimmen gibt, die dieses Enquetekommissionsrecht als Minderheitenrecht ausgestalten wollen, dann – so habe ich das in meiner Fraktion verstanden – würde die grüne Fraktion dem in keiner Weise entgegenstehen, und zwar unabhängig davon, ob wir in der Opposition oder aber in der Regierung sind.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

So ungefähr, Herr Kollege Röwekamp, stellt sich die Situation für uns dar. Von etwas anderem und dem, was Sie hier mit dem üblichen Röwekamp-Gimmick – jetzt machen wir eine namentliche Abstimmung, da soll irgendjemand ans Brett genagelt und vorgeführt werden, und alle sollen einmal sehen, wie schlimm es ist und so weiter – vorgetragen haben, ist überhaupt gar keine Spur! Wenn Sie vernünftig nach der Wahl bei den neuen Verfahrensregeln über eine solche Frage reden wollen: Die Grünen haben Sie da an Ihrer Seite, überhaupt kein Thema. Aber mit diesem Antrag jetzt Leute vorführen zu wollen, das können Sie, glaube ich, getrost vergessen. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort Herr Kollege Röwekamp, CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Das, Herr Dr. Güldner, war ja bemerkenswert! In der Sache sind Sie dafür, aber wegen Röwekamp sind Sie dagegen.

(Zuruf von der CDU: Genau!)

Das, finde ich, ist ein Ausdruck von Politikverständnis!

(Beifall bei der CDU)

Wenn es daran scheitern würde, Herr Dr. Güldner, würde ich sagen: Lassen Sie es uns anders machen. Ich bin dagegen, dann können Sie dafür sein! Was halten Sie von der Idee?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU)

Wie absurd kann man in diesem Parlament eigentlich noch argumentieren?

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: So wichtig sind Sie nicht!)

Dass das für Sie schwer ist, kann ich ja verstehen. Ich habe noch einmal nachgelesen, was im Deutschen

Bundestag debattiert worden ist. Da sagt Dr. Konstantin von Notz vom Bündnis 90/Die Grünen – ich zitiere: „Wissenschaft und Rechtsprechung erkennen die besondere Bedeutung der Ausübung parlamentarischer Opposition an.“

(Zuruf: Ja!)

„Die qualifizierte Große Koalition“ – damit meint er die Koalition in Berlin, die groß ist; Sie haben ja eigentlich auch eine Große Koalition, weil die beiden stärksten Fraktionen miteinander koalieren und sogar eine verfassungsändernde Mehrheit haben; noch ist das eine Große Koalition, so würde ich einmal sagen; nach den Umfragen ist sie es bald nicht mehr, aber zurzeit ist sie es noch – „aber ist als Fallkonstellation mit Blick auf die Funktionsfähigkeit des Parlaments im Grundgesetz nicht berücksichtigt. Gerade in dieser Fallkonstellation besteht aber ein besonderer Bedarf an oppositioneller Kontrolle.“

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Vollkommen recht hat er!)

Ich sage: Ja! Er hat völlig recht. Machen Sie doch das, was Sie in Berlin einfordern, schon einmal hier in Bremen, Herr Dr. Güldner,

(Beifall bei der CDU)

und zwar unabhängig davon, wer das fordert! Die Frage, ob etwas richtig oder falsch ist, kann doch nicht davon abhängen, von wem es kommt.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Das hat auch keiner gesagt!)

Wenn Sie der Auffassung sind und sogar einstimmig beschlossen haben, dass das ein Minderheitenrecht sein soll, dann sollten Sie, finde ich, den Mut haben und das hier beschließen! Das hat mit Tricks und Finten nichts zu tun, und namentliche Abstimmungen sind auch kein Missbrauch dieses Parlaments. Sie sind in unserer Geschäftsordnung ausdrücklich vorgesehen, damit sich Abgeordnete hier eben auch individuell zu Sachverhalten äußern müssen.

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. G ü l d - n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie verdre- hen wieder alles!)

Ich verdrehe gar nichts! Sie versuchen, hier eine verdrehte Position zu rechtfertigen. Sie können doch nicht mir vorwerfen, Herr Dr. Güldner, dass Sie dafür sind, aber dagegen stimmen. Das ist Ihr Problem, aber nicht das Problem des gesamten Parlaments, um es so deutlich zu sagen!

(Beifall bei der CDU)

Herr Tschöpe, ich widerspreche Ihnen mit Ihrem umfangreichen historischen Wissen ungern, aber ich empfehle Ihnen, wenn Sie sich über die Frage schlaumachen, was eine Enquetekommission eigentlich ist, Folgendes: Es gibt die Bundeszentrale für politische Bildung – das werden Sie sich auch angeschaut haben –, und es gibt mehrere Dissertationen zu dem Thema Enquetekommission. Ich will zitieren von der Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung. Dort steht – ich zitiere –: „Die Tätigkeit von Enquetekommissionen ist damit auf die Unterstützung der allgemeinen Parlamentsfunktionen bezogen. Enquetekommissionen sollen die Legislative durch die Einbeziehung externen, vor allem wissenschaftlichen Sachverstands im Rahmen der Gesetzgebungsfunktion stärken, indem sie die Abhängigkeit des Parlaments von den Informationen und den Gesetzesvorlagen der Ministerialbürokratie verringern.“ Nichts anderes habe ich gesagt.

(Beifall bei der CDU)

Es geht um das Selbstbewusstsein dieses Parlaments, Herr Tschöpe. Wenn Sie sich einmal anschauen, wie viele Gesetzgebungsinitiativen in den letzten Jahren, ja, Jahrzehnten, eigentlich vom Parlament gekommen sind und wie viele vom Senat gekommen sind, dann stellen Sie fest, dass 90 Prozent unserer Gesetzgebungsinitiativen auf Beschlusslagen des Senats zurückzuführen sind. Von den 10 Prozent, die wir selber gemacht haben, haben wir uns in Zeiten der Großen Koalition, aber auch jetzt, einige von den Ressorts schreiben lassen, nur um das Gesetzgebungsverfahren zu beschleunigen. Ich finde, dass das kein Reichtum von Parlamentarismus und Demokratie in Bremen und Bremerhaven ist, sehr geehrter Herr Tschöpe!

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Wissenschaft und Literatur sind sich völlig einig: Enquetekommissionen sind wie Untersuchungsausschüsse ein Kernbestandteil von parlamentarischer Demokratie! Untersuchungsausschüsse dienen dazu, Missstände aufzuklären und – das gebe ich auch zu, zu Recht; so haben wir es auch gehandhabt – auch notwendige Schlussfolgerungen zu empfehlen und zu ziehen. Das machen wir in Untersuchungsausschüssen; dort ist Anlass aber immer ein individuelles Fehlverhalten des Staates oder von Teilen des Staates. Es gibt Untersuchungsausschüsse immer dann, wenn etwas schiefgelaufen ist.

Bei den Enquetekommissionen geht es darum, dass man, bevor etwas schiefgeht, zu grundlegenden gesellschaftspolitischen Fragen, die über den politischen Alltag und die allgemeinen Beratungen in unseren parlamentarischen Gremien hinausgehen, etwas erreichen kann. Ich finde, das Thema Armut ist ein gutes Beispiel dafür, wie es eigentlich nicht laufen sollte.

Da beantragen wir die Einsetzung einer Enquetekommission, Sie lehnen das ab mit dem Hinweis auf den Armuts- und Reichtumsbericht des Senats, der Ende dieses Jahres erfolgen soll. Kurz danach stellt sich der Bürgermeister als Präsident des Senats in seiner Neujahrsansprache hin und sagt: „Ich will jetzt das Thema Armut zur Chefsache machen und will nicht auf den Armuts- und Reichtumsbericht des Senats warten (weil ich sowieso weiß, dass darin nur das steht, was die Behörden seit Jahren zuliefern).“

(Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bünd- nis 90/Die Grünen])

Mir hat er das gesagt! – „Ich will, dass wir das Thema jetzt schnell angehen, pragmatisch angehen und konkrete Handlungsvorschläge machen.“ Deswegen lädt der Bürgermeister plötzlich zu einer Armutskonferenz und zum Thema Armut bilateral und multilateral alle gesellschaftlichen Gruppierungen dieses Landes ein! Ja, warum hat er den Mut dazu und wir als Parlament nicht? Ich finde, es geht um einen Ausdruck von Selbstbewusstsein; in diesem Parlament gibt es eine Mehrheit dafür, die Geschäftsordnung zu ändern, so habe ich Sie verstanden. Wenn Sie noch Zeit brauchen, das mit Ihrem Koalitionspartner zu besprechen, finde ich das Angebot der LINKEN gut – ich finde es gut, Frau Vogt! –, dann beantragen wir die Überweisung dieser Initiative an den Verfassungsund Geschäftsordnungsausschuss, dann können wir es da in Ruhe beraten. Wenn Sie aber auch das ablehnen, dann, finde ich, ist der Zeitpunkt gekommen, dass wir hier im Parlament darüber abstimmen, und zwar dann auch durch namentliche Abstimmung, die ich hiermit beantrage. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als Nächste hat das Wort Frau Kollegin Vogt, Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe in meinem ersten Beitrag darauf hingewiesen – der Kollege Röwekamp hat das ja auch noch einmal getan –, wo der Unterschied zwischen Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen und einer Enquetekommission liegt. Gerade wenn wir sagen, dass wir hier lösungsorientiert arbeiten, finde ich es durchaus überlegenswert, dass die Einsetzung einer Enquetekommission auch ein Minderheitenrecht ist, aber dann auch – deswegen habe ich den Vorschlag gemacht, das zu überweisen – dergestalt, dass die Enquetekommission selber mit Minderheitenrechten ausgestattet ist.