Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die erste Hälfte des Antrags der LINKEN, soweit er die gegenwärtige europäische Flüchtlingspolitik kritisiert, haben wir in der Sache bereits in der November-Sitzung diskutiert. Diese Diskussion haben wir mit einem Antrag von Grünen und SPD abgeschlossen. Darin, in diesem beschlossenen Antrag, heißt es unter anderem – ich darf das zu großen Teilen wörtlich zitieren –: „Oberste Priorität für die nationalen und europäischen Institutionen der Grenzsicherung muss der Schutz von Leib und Leben der Flüchtlinge haben.“ Übrigens Betonung auch auf „national“. Wir reden nicht nur, denn wir reden hier oft über Frontex, wir reden aber vor allen Dingen über die nationalen
Weiter haben wir beschlossen: „Asylsuchenden muss ein fairer und sicherer Zugang zum Asylsystem der Europäischen Union gewährt werden... Kein Flüchtlingsboot darf zur Umkehr gezwungen werden!“
„Die Verantwortung für die Gewährung von Asyl muss in Europa gemeinsam getragen werden“ – das heißt, es muss auch einen solidarischen Ausgleich geben –, das Instrument des humanitären Visums muss besser genutzt werden, insgesamt müssen die Möglichkeiten legaler Einwanderung ausgeweitet werden, und – conclusio – die Grenzsicherungsregime der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union müssen auf diese Ziele komplett neu ausgerichtet werden. Das ist der Kern der Forderung, die wir aufgestellt haben. So weit unser Beschluss! Das sind unsere Anforderungen an eine humanitäre, an eine an Menschenrechten ausgerichtete und zugleich realistische Zuwanderungspolitik.
Wir richten diese Forderungen an die Institutionen der EU wie an die Bundesregierung, und ich glaube, sie haben an Aktualität gar nichts verloren. Aber im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung habe ich sie nur eingeschränkt wiedergefunden.
Wir haben im November auch den bisherigen Auftrag und die Arbeit von Frontex kritisiert, die zu Katastrophen wie bei Lampedusa beigetragen hat, und wir haben gefordert, Frontex radikal zu verändern. Die LINKE schreibt jetzt in ihrem Antrag – ich darf es zitieren –: „Frontex ist nicht im humanitären Sinne reformierbar.“ Dazu frage ich mich: Wieso denn nicht? Frontex ist Menschenwerk, eingerichtet mit politischen Mehrheiten. Man muss für neue Mehrheiten kämpfen und Auftrag und Arbeit von Frontex ändern! So verstehen wir unseren Auftrag, und so verstehen wir als Grüne unsere Arbeit im Europäischen Parlament, meine Damen und Herren!
Wir sind gegenwärtig dabei, im Europäischen Parlament gemeinsam neue Regeln für die nationalen Küstenwachen und Frontex zu diskutieren, dass zum Beispiel die auch von Ihnen genannten PushbackAktionen ausgeschlossen sind und dass das Verbot der Zurückweisung ohne Ausnahmen eingehalten wird. Dafür gibt es zwar schon im Rahmen des Europäischen Parlaments Mehrheiten, aber noch nicht beim Europäischen Rat, weil die sagen, dass das nur im Rahmen des Möglichen so sein soll. Dies kann aber nicht unsere Haltung sein. Das ist also noch nicht zu Ende durchgesetzt, ist noch am Anfang. Aber es ist
Meine Damen und Herren, da sich die LINKE europäische Politik aber offensichtlich nicht zutraut, will sie sozusagen an der „Heimatfront“, wenn ich das einmal in Anführungsstrichen sagen darf, die Lieferung von Instrumenten unterbinden. Sie klagt Bremer Firmen und den Bremer Senat wegen Unterstützung dieser Firmen faktisch öffentlich an, für den Tod von Flüchtlingen mitverantwortlich zu sein. Es ist absolut nicht in Ordnung, was Sie da machen, meine Kolleginnen und Kollegen von der LINKEN, absolut nicht!
Ich will noch einen Versuch machen, Ihnen das zu erklären. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger überwacht die deutschen Seegewässer – ich betone das Wort „überwacht“; das ist ihr Auftrag –, um retten zu können. SAR: „Search and Rescue“ heißt das international. Ohne Suchen und ohne Finden keine Rettung! Aber keine Suche und kein Finden heutzutage ohne GPS, ohne satellitengestützte Aufklärung, ohne Radar, ohne Echolot, ohne diese Instrumente. Das ist auf der Nordsee nicht anders als auf dem Mittelmeer. Und je besser diese Technologien sind, umso zuverlässiger und leichter das Suchen und das Finden als Voraussetzung für die Rettung! Wenn aber, wie es geschehen ist, nach der Überwachung und nach dem Suchen und Auffinden keine Rettung folgt, sondern ein Verdrängen und ImStich-Lassen, wie es ja oft war, dann ist das nicht Folge der einen oder anderen Technik, die verhindert werden müsste, sondern das ist die Folge politischer Entscheidungen
und manchmal auch von menschlichen Fehlern, aber vor allen Dingen von politischen Entscheidungen! Und diese politischen Umstände, Entscheidungen müssen wir ändern, meine sehr verehrten Damen und Herren. Ich sage es noch einmal: Die müssen wir radikal ändern!
Ich gestehe Ihnen gerne zu, dass Zuspitzung zur Politik gehört. Aber ich wiederhole: Ihre Suggestion auf den Plakaten, Bremer Firmen und Bremer Politik seien direkt verantwortlich für die Tätigkeit von Frontex – also für die Tätigkeit, nicht für das eine oder andere, womit sie das machen, sondern für die Tätigkeit, das, was sie tun, und in der Folge damit für den Tod von Menschen –, geht weit über eine solche zulässige Zuspitzung hinaus. Ich finde, das ist ein
infamer Vorwurf und Versuch der Rufschädigung. Wir werden uns jedenfalls in gar keiner Weise daran beteiligen und Ihren Antrag ablehnen! – Danke schön!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Vier Anmerkungen zu diesem Antrag, die ein bisschen an das anknüpfen, was Hermann Kuhn eben ausgeführt hat und was auch ich teile!
Der Antrag der LINKEN verknüpft die Kritik an der europäischen Flüchtlingspolitik mit Fragen der maritimen Sicherheit und Fragen der gemeinsamen EUAußengrenzen, und er verkürzt in der Tat zu der Unterstellung, OHB, Astrium, Signalis, RDE, Bremer Unternehmen und natürlich die Wirtschaftsförderung Bremen und der Bremer Senat stehen in einer Linie der Verantwortung für die Toten von Lampedusa und auch anderswo, denn Lampedusa ist ja im Mittelmeer an vielen andern Orten. Wer sich auf den griechischen Inseln vor der türkischen Küste umgesehen hat, weiß, welche umfangreichen Branchen dort mittlerweile in Form von Schlepperbanden und Ähnlichem existieren und welche großen Geschäfte dort abgewickelt werden. Also: Lampedusa ist an vielen Orten, und das wird hier miteinander verknüpft.
Wir halten das nicht für zulässig, weder von der dahinterstehenden Diktion noch von dem Vorwurf an die Unternehmen und die Wirtschaftsförderungspolitik, aber vor allem auch nicht, weil darin ja enthalten ist, die Menschen, die dort arbeiten, die Beschäftigten bei Astrium, bei OHB, bei RDE sind sozusagen per se diejenigen, die schuldig daran sind, dass im Mittelmeer diese Verhältnisse herrschen. Das finde ich nicht richtig, und das können wir nicht akzeptieren!
Hermann Kuhn hat eben zu Recht an unsere Debatte über Flüchtlingspolitik angeknüpft, in der wir uns, so glaube ich, sehr weit angenähert hatten und in der wir auch Beschlüsse gefasst und eine Linie aufgezeigt haben. Der tragische Tod der Flüchtlinge vor Lampedusa war in der Tat das sichtbarste Zeichen dafür, dass wir Änderungen in der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik brauchen und dass die bisherigen Reformen völlig unzureichend sind. Europa ist keine Insel, die wir von Armut und Verfolgung abschotten können. Natürlich machen wir uns in Europa mitschuldig, wenn wir nicht dafür sorgen, dass bessere Verhältnisse im Bereich der Integration von Flüchtlingen, dass bessere Verhältnisse im Bereich der Zuwanderung erreicht werden. Natürlich gibt es europäische Verantwortung – das ist zu Recht immer wieder gesagt worden – für die Verhältnisse, die gegenwärtig dort herrschen. Das muss verändert
werden. Aber das ist keine Frage von Technik, sondern das ist eine Frage von politischem Willen, von politischen Entscheidungen und von Dimensionen, die man auf europäischer Ebene gemeinsam miteinander erreichen muss und nicht gegeneinander. Davon bin ich fest überzeugt!
Es ist natürlich skandalös, dass man Lampedusa – als ein Beispiel – mit 6 000 Einwohnern und 10 000 Flüchtlingen mit der Bewältigung der Probleme ziemlich allein lässt, mal ganz abgesehen davon, was dann, wenn wir dieses Zahlenverhältnis von Flüchtlingen zu Stammeinwohnern auf die deutschen Diskussionen übertragen würden, hier los wäre! Die Bulgarenund Rumänendebatte, die wir aus dem Süden des Landes bekommen haben, würde ins Unendliche potenziert werden. Ich finde, das, was dort an Verantwortung für Europa solidarisch getragen wird, ist enorm und muss auch hervorgehoben werden.
Dritte Bemerkung: Die Wirtschaftsförderpolitik, die Hochschulen und die Universitäten für das Elend der Flüchtlingspolitik verantwortlich zu machen, ist ebenfalls falsch und nicht zulässig. Das Kompetenzcluster MARISSA ist für uns – das will ich deutlich sagen – ein wichtiger Rahmen, in dem Wissenschaft und Wirtschaft zum Thema zivile maritime Sicherheit in Bremen zusammenarbeiten. Das war auch so gewollt. Deswegen haben wir das in der Wirtschaftspolitik unterstützt. Dass wir dafür das Deutsche Luftund Raumfahrtinstitut in Bremen gewinnen konnten, ist richtig und wichtig und gerade wichtig für unsere Wirtschafts- und Technologiepolitik im Lande Bremen. Ich zitiere einmal daraus, welche Themenbereiche MARISSA zugeordnet sind: die Verbesserung der Erstellung maritimer Lagebilder, zum Beispiel illegale Ölverklappung/Tankspülung, die Erhöhung der Sicherheit im Schiffsverkehr auf dicht befahrenen Strecken der Nord- und Ostsee und sonst wo, die Gewährleistung der Hafen- und OffshoreSicherheit, die Gewährleistung der Sicherheitsinteressen des Bundes im Rahmen der Export- und Kriegswaffenkontrolle sowie die Unterstützung von Küstenund Meeresschutz. – Das sind Themen, mit denen sich MARISSA beschäftigen soll und wird, und das sind Themen, an denen eben auch Technologieentwicklung stattfindet. Die ist immer dann positiv, wenn es im Rahmen dieser zivilen Einsatzgebiete genutzt wird. Dazu stehen wir, und daran lassen wir auch nicht herumdeuteln, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass wir dabei an die klassischen Probleme von Dual-Use stoßen, ist nichts Neues. Aber dann müssen Sie auch deutlich sagen: Wir wollen überhaupt keine Weltraumforschung mehr! – Wenn Sie den Satelliten TerraSAR-X oder welchen auch immer zitieren, dann kann ich nur sagen: Natürlich ist es ein tolles Ergebnis, dass man auf einen Meter genau die Erde abbilden kann. Das kann man für Dutzende unterschiedliche Projekte und Ziele einsetzen! Das kann man für militärische Zwecke einsetzen – das wissen wir –, das kann man aber auch für sehr viele zivile Umweltprojekte einsetzen. Der Thematik, dass wir oft nicht wissen, was alles mit dem gemacht werden kann, was wir entwickeln, kann man sich nicht entziehen, der muss man sich stellen, und dafür muss man verbindliche politische Rahmen setzen. Das haben wir, wie ich glaube, bei MARISSA richtig gemacht.
Letzte Bemerkung! Was ich nicht verstehe, ist Ihre Formulierung mit der Ablehnung jeder Beteiligung an Frontex und Eurosur. Frontex ist die gemeinsame Sicherung der EU-Außengrenzen. Dass sie in einer Form stattfindet, die wir nicht akzeptieren, hat Hermann Kuhn gesagt. Da besteht Reformbedarf. Heißt das denn aber, dass es überhaupt keine gemeinsame Sicherung von Außengrenzen mehr geben soll, und was ist denn dann die Alternative?
Wir wollen den freien Personen- und Warenverkehr. Wir wollen keine Binnenkontrollen in Europa. Wenn man sagt, wir wollen keine Außenkontrollen, aber auch keine Binnenkontrollen, dann wollen wir gar keine Kontrollen mehr. Oder wollen Sie, dass wir die Binnenkontrollen wieder einführen, wie einige europäische Länder das schon diskutiert haben, dass wir an unseren Außengrenzen die Mauer wieder hochziehen und sagen, das, was Frontex jetzt an den Außengrenzen macht, machen wir künftig wieder im eigenen Land? Ich glaube, das funktioniert nicht mehr in einem entwickelten Europa. Über dieses Stadium waren wir eigentlich hinaus. Keine Frage, das muss rechtsstaatlich geregelt werden. Aber darauf zu verzichten und es durch neue nationale Kontrollen zu ersetzen, kann doch auch kein Weg sein!
Wir haben mit Interesse die Debatte in Ihrer Partei über Europa vor einigen Wochen verfolgt. Gysi hat an einigen Stellen eine andere Position auch zur Einschätzung der europäischen Institutionen vorgetragen. Wir beobachten das mit großem Interesse. Wir glauben auch, dass es bei Ihnen ein paar Debattenbeiträge gibt, die zeigen, dass wir auf einem gemeinsamen richtigen Weg theoretisch sein könnten, nämlich auf einem Weg, der Europa so demokratisiert und so strukturiert, dass wir die Verantwortung für demokratische und soziale Verhältnisse sowohl im Land als auch an den Außengrenzen gemeinsam tragen können. – Herzlichen Dank!
Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, möchte ich auf der Besuchertribüne eine Gruppe Studierender der Hochschule für Öffentliche Verwaltung ganz herzlich begrüßen.
Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Mal wieder ein Antrag der LINKEN gegen Bremer Unternehmen, die für den Wirtschafts- und Technologiestandort Bremen von großer Bedeutung sind! Diesmal geht es aber nicht um die Zivilklausel und um vermeintliche oder tatsächliche Forschung mit militärischem Hintergrund, sondern diesmal befassen wir uns mit dem Thema Frontex, der europäischen Grenzschutzagentur. Vorweg: Ich halte das für gefährlich! Das Leid anderer Menschen eignet sich in meinen Augen nicht, um hier im Parlament linke Ideologien zu befördern.
An der Arbeit der europäischen Grenzschutzagentur scheiden sich die Geister, und zwar über alle Fraktionen hinweg. Frontex ist eine Konsequenz aus dem Schengen-Abkommen, das 1995 in Kraft trat. Damit wurden die innereuropäischen Grenzen aufgehoben, und der Auftrag von Frontex besteht darin, die EUMitgliedstaaten darin zu unterstützen, die Außengrenzen vor illegalen Aktivitäten wie Schlepperei, Drogenhandel und illegaler Migration zu schützen. Ich vermute, nein, ich hoffe, dass wir uns zumindest bei den beiden erstgenannten Punkten dahin gehend einigen können, dass diese zu bekämpfen sind. Strittig wird es vermutlich in puncto illegaler Migration, denn allein schon die Frage, ob es die überhaupt gibt und, wenn ja, wie diese definiert wird, dürfte uns hier länger beschäftigen. Leider ist es oft schwer, dazu eine sachliche Debatte zu führen, wie das Beispiel der Armutsmigration zeigt, welches deutschlandweit, wenn man sich die Fakten ansieht, kein so großes Problem ist; in Bremen vielleicht anders, aber das werden wir noch diskutieren.
Aber widmen wir uns wieder Frontex, denn auch da gehen die Meinungen insgesamt weit auseinander und reichen von totaler Abschaffung bis hin zur Stärkung von Frontex! Ich will hier gar nichts schönreden: Die EU muss sich der Frage stellen, wie sie ein erneutes Lampedusa verhindern kann. Wie, darauf geben die LINKEN leider keine wirkliche Antwort, denn, meine Damen und Herren, wäre es nicht so ein ernstes Thema, würde ich Ihren Antrag allenfalls als
schlechten Witz ansehen, Bremer Firmen und die Wirtschaftsförderung für das Elend dort verantwortlich zu machen. Bremen in Form der Politik, aber auch privater Unternehmen – Sie nennen quasi die üblichen Verdächtigen – sollen sich nicht mehr an Frontex beteiligen. Fehlt noch, dass die LINKEN den Austritt Bremens aus der EU fordern!
Dass die LINKE mit der Europäischen Union überhaupt ein Problem hat, ist ja kein Geheimnis. Das hatten wir heute Morgen schon. Wenn man sich den Entwurf des Wahlprogramms zur kommenden Europawahl anguckt – und auch das konnten wir in den Medien entnehmen –: Die EU sei eine – ich zitiere – „neoliberalistische, militärische und weithin undemokratische Macht“. Herr Gysi bemüht sich zwar nach Kräften, jetzt gegenzusteuern. Aber gegen eine Frau Wagenknecht, die Deutschland auch nicht gern in der NATO sieht, kommt man eben nicht so leicht an. Sie selber sprechen in Ihrem Antrag vom „Krieg gegen die Flüchtlinge“.
Meine Damen, meine Herren, Sie werden nicht überrascht sein, dass wir den Antrag ablehnen. Daher nur einige wenige Sätze!
Europa ist vermutlich das erfolgreichste Friedensprojekt der Geschichte, und wir können froh sein, hier zu leben. (Beifall bei der CDU)