Protocol of the Session on November 14, 2013

Es verbleiben aber auch noch Bereiche, in denen wir besser werden müssen. Noch immer haben viele Jugendliche in Bremerhaven und in Bremen Schwierigkeiten, eine Lehrstelle zu finden und damit ein Fundament für ihr Berufsleben zu erhalten. Hier müssen wir stärker hinschauen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bildung nimmt bei der Bekämpfung von Armut und deren Verfestigung eine Schlüsselrolle ein. Die verschiedenen Studien zu den Leistungen von Schülerinnen und Schülern, wie beispielsweise die PISAStudie, führen uns immer wieder vor Augen, wie sehr der Bildungserfolg vom sozialen Status des Elternhauses abhängt. Diesen Zusammenhang aufzulösen oder zumindest abzumildern, ist ein Schlüssel zu mehr Chancengerechtigkeit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Nur so können wir künftig verhindern, dass Armut – was leider immer noch der Fall ist – vererbt wird.

Veränderungen durch Bildung brauchen aber ihre Zeit, und Effekte können wir erst mittel- bis langfristig erwarten. Wir haben begonnen, die notwendigen Weichen zu stellen. Mit der Schulreform und der Einführung der Sekundarschulen fördern wir das längere gemeinsame Lernen. Wir haben nicht nur neue Ganztagsschulen eingeführt, sondern vor allem gebundene Ganztagsangebote gefördert. Es reicht nicht aus, Kinder und Jugendliche ganztägig zu betreuen, denn nur mit einem ganzheitlichen pädagogischen Konzept und der notwendigen Verbindlichkeit können die Ganztagsschulen ihre positive Wirkung entfalten.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bei freiwilligen Angeboten und weniger Verbindlichkeit entfaltet sich diese positive Wirkung nicht, weil dann die Trennung zwischen Unterricht am Morgen und Betreuung am Nachmittag beibehalten wird, und in dieser offenen Form ist es nicht möglich, eine Pädagogik zu entwickeln, die gerade den Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen Familien helfen soll.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Den Flüchtlingen, die zu uns kommen, wird der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt. Solange ihnen verboten ist, einer Erwerbsarbeit nachzugehen und ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, sind sie zwangsläufig von Transferleistungen abhängig. Ihre Armut ist damit strukturell festgelegt. Wir brauchen unbedingt eine Aufhebung des Arbeitsverbots.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bremen macht sich deswegen auf den Weg, auch junge Flüchtlinge auszubilden. Ziel ist es, mindestens 20 jungen Menschen, die aus dem Kontingent der an Bremen zugewiesenen Flüchtlinge kommen, eine Ausbildung etwa im kaufmännischen Bereich oder im Bereich der Medien und Informationsdienste zu ermöglichen. Entsprechend des Vorschlags des Senats werden 20 Plätze zusätzlich zum regulären Bedarf bereitgestellt. Darüber hinaus hat der Innensenator bereits einen Erlass herausgegeben, der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen auch über die Volljährigkeit hinaus erlaubt, die Ausbildung abzuschließen. Das ist ebenfalls ein wichtiger Schritt, um eine unsinnige Regelung abzuschaffen.

Frauen sind auf dem Arbeitsmarkt nach wie vor benachteiligt. Obwohl junge Frauen mit durchschnittlich höheren und besseren Schulabschlüssen zu Beginn des Berufslebens die besseren Startchancen haben, bleiben sie im weiteren Verlauf insbesondere in gut bezahlten Zukunftsbranchen und zukunftsträchtigen Berufsfeldern wie etwa der Umwelt-, Windenergie- und IT-Branche oder der Logistikwirtschaft ebenso wie in Führungspositionen noch immer deutlich unterrepräsentiert. Im Rahmen der Arbeitsmarktförderung haben wir Programme aufgelegt, die sich speziell an Frauen richten. Es gibt Programme für Alleinerziehende, für Berufsrückkehrerinnen und für Frauen ohne Schulabschluss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Auch die Förderung niedrigschwelliger Angebote wie die Alleinerziehendenprojekte der Mütterzentren in Osterholz-Tenever und in der Vahr leisten hier einen wichtigen Beitrag. Es gibt auch ein Chancengleichheitsprogramm, das die Perspektiven von Frauen in zukunftsorientierten Branchen verbessern soll. Wir wollen Frauen ermuntern, bei der Berufswahl verstärkt auch diese Branchen in den Fokus zu nehmen. Eine besonders von Armut bedrohte Gruppe sind Alleinerziehende. Damit diese Frauen eine Erwerbsarbeit aufnehmen können, müssen sie ihre Kinder in guten Händen wissen. Mit dem Ausbau der Betreuung für Kinder unter drei Jahren, flexiblen und längeren Öffnungszeiten in der Kindertagesstätte und dem Ausbau der Ganztagsschulen schaffen wir damit die Voraussetzungen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Bezahlbarer Wohnraum ist eine aktuelle und viel diskutierte soziale Frage. Voraussetzung dafür, dass es zu keiner Verstärkung der sozialen Segregation kommt, ist, dass auch Menschen mit geringen Einkommen oder mit Sozialleistungsbezug ihren Wohnort frei wählen können. Das setzt bezahlbaren Wohnraum auch in den zentralen und beliebten Quartieren voraus.

Die Mieten sind bei den meisten Menschen der größte Ausgabeposten. Je höher die Mieten sind, desto weniger Geld bleibt zum Leben. Die rot-grüne Koalition hat deshalb den Wiedereinstieg in den sozialen Wohnungsbau beschlossen, und der Senat nutzt auch gesetzliche Möglichkeiten, um einen Anstieg der Mieten zu bremsen. Deshalb wird der Senat die Kappungsgrenzenverordnung auf den Weg bringen, welche bedeutet, dass aufgrund des angespannten Wohnungsmarktes die Möglichkeit besteht, die Mieterhöhungen einzuschränken.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielfach bleibt uns aber auch nichts anderes übrig, als mit den Folgen von Armutslagen umzugehen. Wir versuchen, Quartiere zu stabilisieren, wir leisten Hilfestellung bei der Bewältigung des Alltags. Letztendlich wollen wir, dass die Menschen nicht nur überleben, sondern auch richtig leben können. Hierzu einige Beispiele: Das erste Beispiel ist die Steigerung der Mobilität von armen Menschen. Die rot-grüne Koalition hat in der letzten Legislaturperiode das Stadtticket eingeführt, das den Empfängerinnen und Empfängern von Transferleistungen eine vergünstigte Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs ermöglicht. Über 16 000 Menschen nutzen das Ticket jetzt schon, und wir werden das auch zukünftig fortführen, weil das Stadtticket ein Erfolg ist.

Mein zweites Beispiel in Bezug auf die Folgenbekämpfung sind die Hilfen für wohnungslose Menschen. Wir wollen, dass die Menschen schneller wieder in eine eigene Wohnung können. Sofern sie Hilfen benötigen, sollen sie diese ambulant in einer eigenen Wohnung erhalten. Übergangswohnheime mit einem stationären Wohntraining sind längst nicht mehr zeitgemäß, und wir werden deshalb die Übergangswohnheime schließen und den Ansatz „Housing First“ voranbringen.

Das alles sind große Herausforderungen. Wir können beständig besser werden und müssen uns beständig hinterfragen, die Zielgenauigkeit der Maßnahmen verbessern, Erfolgloses durch Erfolgversprechendes ersetzen und auch von guten Beispielen anderer lernen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Sicherlich – da gebe ich Ihnen recht, Herr Röwekamp –, gibt es noch viel Potenzial bei der Verknüpfung von Maßnahmen. Dennoch, für all dies brauchen wir zurzeit keine Enquetekommission, es ist für uns selbstverständlich. Der Senat wird deshalb im kommenden Armuts- und Reichtumsbericht die aktuellen Maßnahmen auf ihre Wirkungen hin auswerten und die gemachten Erfahrungen bei den neuen Vorschlägen berücksichtigen. Mit dem Armuts- und Reichtumsbericht und dem damit verbundenen Verfahren zur Beteiligung der Fachöffentlichkeit und der politischen Gremien sowie der Beiräte ist genug Raum vorhanden, um die notwendigen Debatten über Ursachen, Bekämpfung und Prävention von Armutslagen zu führen und entsprechend zu handeln. Eine Enquetekommission ist deshalb zum jetzigen Zeitpunkt nicht erforderlich.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Die Bekämpfung von Armut kann nicht allein vom Sozialressort geleistet werden, und bei der Entwicklung und Umsetzung von ressortübergreifenden Strategien können wir noch viel besser werden. In jedem Ressort gibt es gute Maßnahmen, aber der notwendige nächste Schritt ist, diese in einem ressortübergreifenden, umfassenden Armutsprogramm für das Land Bremen zusammenzuführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns bei dem bisherigen eingeschlagenen Verfahren bleiben. Wir warten den Armuts- und Reichtumsbericht des Senats ab und setzen dann diese Debatte fort. – Vielen Dank!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Röwekamp, CDU-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Möhle hat der CDU-Fraktion vorgeworfen, mit dem vorliegenden Antrag scheinheilig zu sein. Es gebe ja auch da eine Wirksamkeitskontrolle. Indem man die Kommission einsetzt, könnten Sie uns ja nicht nur an dem messen, was in dem Antrag steht, sondern an dem messen, was wir in dieser Kommission einzusetzen bereit sind. Aber offensichtlich haben Sie nicht die Courage dazu, sondern Angst davor, sich mit Experten vielleicht noch einmal kritisch die Erfolghaftigkeit der eigenen Politik anzusehen. Wir haben keine Angst vor solchen Debatten.

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

Im Übrigen, Kollege Möhle, war das ein bemerkenswerter Auftritt von Ihnen hier. Umgekehrt würde ich sagen: Ich fand das nicht scheinheilig, was Sie hier gesagt haben, sondern ich glaube Ihnen das, was Sie sagen. Das ist Ihre tiefste innere Überzeugung: An der Armut in den beiden Städten unseres Landes ist Ihrer Auffassung nach ausschließlich die Bundesregierung schuld, und zwar egal, welche. Schuld ist auf jeden Fall irgendeine Bundesregierung, auf jeden Fall also, Herr Möhle, aus Ihrer Sicht irgendjemand anders. Wer so an das Thema herangeht, der hat es schon nicht verstanden!

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

Die zweite Botschaft war: Wir hier in Bremen machen alles richtig. Herr Möhle, wer sich die Zahlen anschaut und sagt: „Wir machen alles richtig!“, der muss für sich doch zu dem Ergebnis kommen: Ja, es ist richtig, dass ich eine Milliarde Euro im Jahr für Transferleistungen ausgeben muss; ja, es ist richtig, dass jedes dritte Kind in Bedarfsgemeinschaft leben muss; ja, es ist richtig, dass neun Prozent der Schüler ohne Abschluss die Schule verlassen; ja, es ist richtig, dass die soziale Lage insbesondere von Alleinerziehenden besonders dramatisch ist. – Wenn Sie das alles richtig finden, dann brauchen wir diese Kommission nicht, Herr Möhle. Ich finde das nicht richtig, um das deutlich zu sagen!

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

Lassen Sie mich auch noch zwei Sätze zu dem sagen, was aus meiner Sicht ein reines Ablenkungsmanöver ist! Ich habe nicht nur gesagt: „Ich bin bereit, darüber zu reden, was wir im Land besser machen können.“, sondern ich habe auch gesagt: „Wir als CDU-Fraktion sind auch bereit, über das zu reden, was auf Bundesebene nicht richtig gemacht wird.“ Übrigens haben wir das in der Vergangenheit auch schon gezeigt. Ich möchte nur an die Debatten hier im Parlament zum Thema Bildungskompetenz Bund, Aufhebung Kooperationsverbot, Energiewende erinnern. Wir als Bremer CDU haben an vielen Stellen gezeigt, dass wir nicht bedingungslos dem folgen, was aus Berlin vorgegeben wird. Das betrifft auch die Frage der Armutsbekämpfung. Weil sie nirgendwo in Deutschland so dramatisch ist wie in Bremen, müssen wir in Bremen vielleicht eine andere Antwort finden, als die CDU-geführte Bundesregierung sie findet, Herr Kollege Möhle. Das ist unser Selbstverständnis, und so treten wir hier an.

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

Wenn Kollege Möhle recht hat, ist der Bund schuld. Dagegen sprechen allerdings, Kollege Möhle, die Zahlen. Zum Armutsrisiko habe ich vorhin schon gesagt: 21,3 Prozent der Bremer sind armutsgefährdet. Im Bund sind dies 15,2. Überschuldung: 13,85 Pro

zent der Bremer Haushalte sind überschuldet, das ist der letzte Platz von 402 Landkreisen und Städten. Der letzte Platz! Arbeitslosigkeit: In Bremen 10,7 Prozent, im Bund 6,5 Prozent. Schulabbrecherquote in Bremen: 7,8 Prozent,

(Zuruf des Abg. G ü n g ö r [SPD])

2009 waren es 9. Sie hätten bis zum Ende zuhören müssen, Herr Güngor. Die neue Zahl ist 7,8, gerundet 8.

(Zuruf der Abg. Frau D r. S c h a e f e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Ja, ein Prozent weniger! Bei dem Ziel, viereinhalb Prozent weniger zu haben – so kann man sagen –, ist ein Prozent schon eine Zielerreichung. Ja, es ist ein kleiner Fortschritt, aber es bekämpft doch die Lebenslagen der davon betroffenen Menschen in Bremen und Bremerhaven nicht, Frau Schaefer!

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

In Bremerhaven, um das Beispiel zu nennen, leben 37,8 Prozent aller Kinder im Alter unter 15 Jahren in SGB-II-Bedarfsgemeinschaft. Der Bundesdurchschnitt liegt bei 18,2. Der Anteil ist in Bremerhaven doppelt so hoch wie im Bund, und Sie, Kollege Möhle, haben die Traute, sich hier hinzustellen und zu sagen, die Bundesregierung sei daran schuld! Nein! Wenn es in Bremen dramatisch schlechter ist als überall anders in Deutschland, dann sollte es doch zum Selbstverständnis auch eines ehemaligen GrünenPolitikers gehören, sich einmal an die eigene Nase zu fassen und zu fragen: Haben wir vielleicht was falsch gemacht?

(Beifall bei der CDU)

Vielleicht haben Sie Ihr soziales Gewissen beim Parteiwechsel zurückgelassen. Ich finde es unverantwortlich, wie Sie diese Debatte hier im Parlament führen,

(Beifall bei der CDU und bei der BIW)

und ich finde es im Übrigen auch peinlich für die Sozialdemokratie, dass so etwas hier im Parlament unwidersprochen bleiben kann.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit unserer Kritik daran, dass seit der Erstellung des Armutsund Reichtumsberichts im Jahr 2009 nicht viel passiert ist, sind wir ja nicht alleine. Ich möchte aus der Einladung zitieren, die ergangen ist und die auch viele hier im Raum zur Armutskonferenz des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes erhalten haben. Da heißt es, ich