Protocol of the Session on November 14, 2013

Vor dem Hintergrund kommt es einem in der Tat ein bisschen komisch vor. Sie haben den Text am Anfang gehört. Man kann sich jetzt überlegen, ob Herr Bruch oder wer das geschrieben hat, das auch gelesen hat. Ich will ja nicht sagen, dass Sie abgeschrieben haben, aber es sind doch sehr viele Parallelen zu erkennen. Wir sagen in aller Deutlichkeit: Es fällt uns ausgesprochen schwer, jetzt von einem solchen CDU-Plan zu hören, in dem Dinge, die wir schon immer gefordert haben, die jedoch immer wieder abgelehnt wurden, in diesem Haus jetzt von der CDU vorgetragen werden und in dem dafür geworben wird. Wir sollten das doch alle gemeinsam machen.

Ich finde, das ist schon ein starkes Stück. Ich will auch sagen: Armutsbekämpfung ist für DIE LINKE selbstverständlich eines der zentralen Themen unserer Politik. Wir haben an jeder Stelle immer wieder darauf hingewiesen, wir haben immer wieder versucht, Elemente eines Masterplans Armutsbekämpfung einzubringen.

Wir haben sogar, wie Sie gehört haben, gesagt, dass auch eine Enquetekommission dazu dienlich wäre. Im Unterschied zum jetzt vorliegenden Antrag haben wir eine Enquetekommission immer nur als eine begleitende Möglichkeit angesehen haben, weil wir gesagt haben, dass die Lehre, die man aus den WiNGebieten und den WiN-Prozessen ziehen kann, lautet, dass man die Menschen vor Ort mit einbeziehen muss.

Das haben wir gelernt, und von daher war unser Vorschlag eines Masterplans zur Armutsbekämpfung, wie Sie gehört haben, auch ganz eng mit partizipativen Elementen verbunden, dass man die Stadtteile mit einbeziehen muss, dass man Stadtteilkonferenzen machen muss, dass man auch die gesamte Wissenschaft in Bremen, die dazu gearbeitet hat, hinzuziehen muss, dass man aber natürlich auch eine große Bürgerbeteiligung organisieren muss, um dieses zentrale Thema in Angriff zu nehmen. Das ist für uns als LINKE selbstverständlich. Es tut in einfach weh, wenn die Partei, die auf Bundesebene maßgeblich dafür verantwortlich ist, hier so auftritt. Die SPD und die Grünen haben zwar mit Hartz IV angefangen – darauf weisen wir immer wieder hin –, aber die CDU hat dann mit der FDP gemeinsam nichts getan, um auch nur irgendetwas von diesen Grausamkeiten von Rot-Grün wieder zurückzunehmen. Sie hätten ja die Möglichkeit gehabt, und jetzt treten Sie hier so auf, Herr Dr. Bruch.

(Abg. D r. v o m B r u c h [CDU]: Wenn schon, „vom Bruch“! So viel Zeit muss sein!)

Ich sage „Herr Dr. Bruch“, weil ich glaube, dass von ihm der Text stammt. Entschuldigung, Herr Röwekamp.

(Zuruf von der CDU)

Das glaube ich Ihnen nicht! Wenn Dr. vom Bruch das geschrieben hat, dann sage ich: Okay, hier mutiert irgendwie der Saulus zum Paulus, oder vielleicht ist er auch nie ein Saulus gewesen. Aber dann ist er in der falschen Partei. Ich weiß nicht so genau. Es tut wirklich ein bisschen weh!

Auf der anderen Seite will ich sagen, dass so etwas aus unserer Sicht viel breiter angelegt sein muss, weil die Schwierigkeiten viel größer sind.

Natürlich werden wir über Geld reden. Natürlich tut es mir genauso weh – das wissen Sie –, immer wieder zu erleben, wie sich die Sozialdemokraten und die Grünen fanatisch in ihre Schuldenbremse verbissen haben und auch für Armutsbekämpfung kein Geld ausgeben wollen. Auch das ist etwas, was wir in diesem Parlament fast jeden Tag diskutieren, und das tut mir in der Seele weh!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: 1 Milliarde bei 690 000 Einwoh- nern!)

Aber man muss das in einem größeren Rahmen sehen, und wenn jetzt immerhin eine durchaus große Partei, eine der großen Volksparteien, wie das Herr Tschöpe gestern so schön formuliert hat – auch wenn die CDU in Bremen nur eine kleine Volkspartei ist –, eine solche Kehrtwende macht, werden wir dem zustimmen. Wenn Sie in Bremen etwas gegen Armut

machen wollen und sich dazu bekennen, dass etwas nicht funktioniert hat und dass man es jetzt endlich besser machen muss, und wenn Armut das zentrale Thema sein wird, dann werden wir als LINKE unsere Mithilfe nicht verweigern. – Danke erst einmal!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Wendland, Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen.

(Abg. D r. v o m B r u c h [CDU]: Ret- ten Sie das Niveau!)

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit der Rede des CDU-Chefs, Herrn Röwekamp, und dem vorliegenden Antrag der CDU stellen wir fest: Die CDU-Fraktion hat das Thema Armut neu entdeckt – nur, neu ist das Thema nun wirklich nicht.

Der rot-grüne Senat hat in der letzten Legislaturperiode einen ersten Armuts- und Reichtumsbericht vorgelegt. Dieser enthält nicht nur eine umfassende Analyse der Armutslagen in Bremen, sondern auch umfassende Maßnahmen. Einer sozialen Spaltung unserer beiden Städte entgegenzutreten, ist handlungsleitend für die rot-grüne Koalition. Armut hat dabei viele Facetten, Armut wirkt sich nicht nur durch geringe finanzielle Mittel aus, Armut erschwert die soziale Teilhabe, nicht nur wegen fehlenden Geldes, sondern auch wegen eines mangelnden Zugehörigkeitsgefühls.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Häufig geht materielle Armut auch mit Bildungsarmut einher, und nicht zuletzt macht Armut krank, insbesondere psychisch.

Ganz selbstkritisch müssen wir aber feststellen, dass es uns trotz der bisher ergriffenen Maßnahmen noch nicht gelungen ist, die Schere zwischen Arm und Reich in unseren beiden Städten zu schließen. Auch die aktuelle konjunkturelle Entwicklung und die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt konnten daran kaum etwas ändern. Wir müssen deshalb unsere Anstrengungen verstärken, und wir müssen dabei auch genau hinschauen, welche Maßnahmen sich bisher bewährt haben und welche gerade nicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in Ihrem Antrag bemängeln Sie, dass im Alltagsgeschäft der Politik die Debatten häufig stark verkürzt und häufig ideologisch geführt würden.

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Heute ist das beste Beispiel dafür!)

Vielleicht ist aber nicht nur eine ideologische Sichtweise bei Einzelfragen das Problem, sondern ein unterschiedlicher Blick auf Armut und ihre Ursachen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Lassen Sie uns einen Blick in den Armutsbericht der schwarz-gelben Bundesregierung werfen! Ich möchte an dieser Stelle nicht über das Ignorieren von Problemlagen via Streichungen von Fakten aus dem Bericht reden. Das haben wir hier hinlänglich diskutiert. Es geht mir um etwas ganz anderes: Armut erscheint in dem Bericht der schwarz-gelben Regierung vor allem als ein individuelles Schicksal, welches je nach Lebensphase variiert. Damit wird ein zentraler Teil der Debatte, der über die strukturellen Ursachen von Armut, einfach ausgeblendet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist für mich eine ideologische Verengung.

Das Armutsrisiko ist mitnichten gleich verteilt. Bevölkerungsgruppen wie Migranten, Langzeitarbeitslose, Alleinerziehende, Kinder, Jugendliche, Rentner, Menschen mit Behinderung haben ein deutlich erhöhtes Risiko, von Armut betroffen zu sein. Es gibt also ein strukturelles Problem. Im Bericht der Bundesregierung spielt das kaum eine Rolle, für uns in Bremen ist diese Tatsache aber von entscheidender Bedeutung.

Die erste Aufgabe, die wir haben, besteht darin, ein gemeinsames Verständnis der Ursachen von Armut zu finden. Vorher ist es müßig, über Prävention von Armut und Armutsbekämpfung zu streiten. Die Frage nach den Ursachen von Armut blenden Sie in Ihrem Antrag leider völlig aus.

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Die kennen wir!)

Aber ich finde es gut, Herr Röwekamp, dass Sie anerkennen, dass die Sanktionspraxis der ARGE-Jobcenter problematisch ist. Fast 500 000 Menschen haben Sanktionen erfahren. Ich finde es gut, dass Sie das anerkennen, und hoffe, dass diese Sanktionspraxis auf Bundesebene gelockert wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

In Bremen verfügen wir über eine ausgeprägte Expertise über die Armut in unseren Städten. Neben dem Armuts- und Reichtumsbericht des Senats gibt es zivilgesellschaftliche Akteure, denen wir es zu verdanken haben, dass es einen guten Kenntnisstand über die soziale Lage in Bremen und Bremerhaven

gibt. Ich will hierbei insbesondere die Berichte der Arbeitnehmerkammer hervorheben, die die sozialen Probleme der Städte aufarbeiten und den Finger in die Wunde legen.

Im Herbst nächsten Jahres wird der zweite Armutsund Reichtumsbericht des Senats vorliegen. Lassen Sie uns dann hier im Parlament über diese Fragen diskutieren, eng an den Fakten und ohne unnötige Verengung des Fokus! Niemand braucht dann auf Ideologie auszuweichen.

Zu einer ehrlichen Analyse gehört aber auch die Frage, welchen Einfluss Landespolitik und die Politik in den beiden Kommunen tatsächlich auf Armutsrisiken haben und haben können. Eine gut bezahlte Arbeit ist der beste Schutz gegen Armut.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wenn sich aber die Bundesagentur für Arbeit nur auf arbeitsmarktnahe Klientel konzentriert, weil die schwarz-gelbe Regierung die Eingliederungstitel erheblich gekürzt hat, dann zeigt sich daran, dass die CDU keinen politischen Willen hat, Armut wirklich zu bekämpfen,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

und wenn sich die schwarz-gelbe Mehrheit einem gesetzlichen Mindestlohn und einer Bekämpfung von Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen verweigert –

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Die schwarz- gelbe Regierung? Jetzt nach der Bundestags- wahl?)

es gibt ja noch keine neue Regierung! –, dann fehlt eine wichtige Unterstützung im Kampf gegen Armut!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Zuruf von der CDU)

Ist noch nicht konstituiert!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir lassen das aber nicht als Entschuldigung gelten, um nicht alles zu tun, was in unserer Macht steht. Hierzu einige Beispiele:

In der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik haben wir mit einem Landesmindestlohngesetz dafür gesorgt, dass überall dort, wo Bremen als Arbeitgeber oder Auftraggeber auftritt, keine Löhne mehr unter 8,50 Euro bezahlt werden. Bei der Wirtschaftsförderung haben wir soziale Kriterien eingeführt und sorgen so für bessere Arbeitsbedingungen

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ein Unternehmen, das in Bremen Unterstützung von der Wirtschaftsförderung erhält, darf ebenfalls keine Löhne unter 8,50 Euro zahlen, und Arbeitsplätze, die nur mit Leiharbeitern besetzt werden, werden im Landesinvestitionsprogramm nicht mehr berücksichtigt.

Es verbleiben aber auch noch Bereiche, in denen wir besser werden müssen. Noch immer haben viele Jugendliche in Bremerhaven und in Bremen Schwierigkeiten, eine Lehrstelle zu finden und damit ein Fundament für ihr Berufsleben zu erhalten. Hier müssen wir stärker hinschauen!