Protocol of the Session on September 28, 2011

Diese Anfrage wird von Frau Senatorin Jürgens-Pieper beantwortet.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Für den Senat beantworte ich die Anfrage wie folgt:

Zu Frage 1: Der Senat sieht in der Studie des Deutschen Jugendinstituts eine gute Grundlage für den Umgang mit Fällen sexueller Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen. Im Rahmen der Studie wurden bundesweit insgesamt etwa 1 200 Schulleitungen befragt. Über Ergebnisse in den einzelnen Bundesländern beziehungsweise Städten werden keine Angaben gemacht. Eine wesentliche Schlussfolgerung aus der genannten Studie ist die verstärkte Qualifizierung von Lehr- und Fachkräften an den Schulen, damit diese professionell und kompetent mit

den Verdachtsfällen umgehen, gezielt Präventionsmaßnahmen einsetzen können und sich eine Kultur des Hinsehens und Hinhörens weiterentwickelt. Zu Frage 2: Die Einschätzungen des Senats hinsichtlich sexueller Übergriffe gegen Schülerinnen und Schüler decken sich mit den Angaben in der Studie des Deutschen Jugendinstituts: Am häufigsten entsteht Handlungsbedarf durch Verdachtsfälle auf sexuelle Gewalt, die sich außerhalb der Schule ereignen und in der Schule bekannt werden, weil sich Schülerinnen und Schüler einer Fachkraft anvertrauen. Verdachtsfälle auf sexuelle Gewalt werden in den Schulen statistisch nicht erfasst, sodass keine differenzierten Angaben über deren Anzahl und die Herkunft der Täter gemacht werden können. Zu Frage 3: Die Schulen in Bremen und Bremerhaven arbeiten präventiv und bei Verdachtsfällen gezielt mit Einrichtungen und Beratungsstellen wie Schattenriss e. V. oder in Bremen dem Bremer Jungenbüro und der Fachstelle Gewaltprävention zusammen. Für schulisches Personal stehen diverse Informationsmaterialien zur Verfügung, zum Beispiel die Broschüre „Und wenn es ein Kollege ist?“. Verdachtsfälle werden in Bremen sowohl über die Regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren, ReBUZ, als auch direkt dem Amt für Soziale Dienste gemeldet. Aktuell wurde im Jahr 2011 durch die Senatorin für Bildung, Wissenschaft und Gesundheit in Zusammenarbeit mit Schattenriss e. V., dem Bremer Jungenbüro und der Fachstelle für Gewaltprävention für alle Schulleitungen der Bremer Schulen eine verbindliche Fortbildungsveranstaltung zu sexueller Diskriminierung und sexueller Gewalt in der Schule durchgeführt, um eine stärkere Sensibilisierung für dieses Thema zu erreichen und Handlungssicherheit im Umgang mit Verdachtsfällen zu vermitteln. In konkreter Vorbereitung sind verschiedene Veranstaltungsformate zur Fortbildung des pädagogischen Personals in Schulen zum Erkennen von Anzeichen bei innerfamiliärer sexueller Gewalt und dem entsprechenden Umgang damit. – Soweit die Antwort des Senats!

Frau Abgeordnete Ryglewski, haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Kann der Senat Angaben darüber machen, in welchem Umfang sexuelle Gewalt an Schulen von Lehr- und Fachkräften ausgeht?

Bitte, Frau Senatorin!

Nein! Ich habe eben schon ausgeführt, dass wir darüber keine Statistik haben. Es sind, denke ich, sicherlich, wenn überhaupt, Einzelfälle, wobei natürlich auch eine Dunkelziffer vorhanden ist.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Nachdem Sie meine erste Zusatzfrage mit einem Nein beantwortet haben, können Sie sicherlich auch keine Angaben darüber machen, in welchem Umfang sexualisierte Gewalt von Mitschülern ausgeht. Trotzdem habe ich eine Nachfrage: Wie wird für dieses Thema in der Schüler- und Lehrerschaft sensibilisiert? Gibt es im Unterricht bestimmte Module, in denen das thematisiert wird?

Bitte, Frau Senatorin!

Ja, es gibt einen Auftrag aus den Lehrplänen, das Thema im Unterricht zu behandeln, im Sexualkundeunterricht genauso wie in anderen Fächern, ob jetzt Literatur oder Biologie. Das ist eine Aufgabe, die in mehreren Fächern und natürlich altersangemessen erledigt werden muss für Schule.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

In Niedersachsen wird zurzeit die Einrichtung der Funktion eines Ombudsmanns/einer Ombudsfrau an Schulen diskutiert, mit dem beispielsweise sichergestellt werden soll, dass Opfer auch nach Ende ihrer Schulzeit einen Ansprechpartner haben. Wie bewertet der Senat diese Maßnahmen, und wird auch in Bremen über die Einrichtung einer solchen Ombudsstelle nachgedacht?

Bitte, Frau Senatorin!

Nein, zurzeit nicht! Die Studie ist auszuwerten. Ich denke, die ersten Erkenntnisse sind eher, dass die Schwelle nicht zu hoch liegen sollte, sondern dass sich Schülerinnen und Schüler zum Beispiel ihrem Klassenlehrer oder ihren Mitschülerinnen und Mitschülern anvertrauen, das sind meistens die ersten Hinweise, die man bekommt, und weniger zu jemandem zu gehen. Wir sind hier aber noch am Anfang der Auswertung und der Umsetzung der entsprechenden KMK-Empfehlungen.

Frau Senatorin, eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hinners!

Frau Senatorin, gibt es einen Leitfaden für Lehrer, wie sie mit diesen Fällen umgehen sollen?

Bitte, Frau Senatorin!

Es gibt mehrere Broschüren dazu, an wen man sich wenden soll. Ob das jetzt ein spezieller Leitfaden ist, weiß ich nicht genau, ich werde es aber gern noch einmal in Erfahrung bringen, um es in der Deputation vorzustellen. Wir haben, Sie wissen das, Leitfäden, wie bei bestimmten

Unfällen zu verfahren ist, aber ob das jetzt für diese Fälle auch so ist, kann ich nicht genau sagen.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Nur zur Ergänzung dessen, was wir eben schon gesagt haben, weil es ja ausgesprochen schwierig ist, das, glaube ich, sehen Sie auch so, zu entscheiden, in welchem Fall welche Institution beziehungsweise die Staatsanwaltschaft oder die Polizei benachrichtigt werden sollte! Oder sehen Sie es anders?

Bitte, Frau Senatorin!

Nein, das ist genau das Thema! Wenn wir Kenntnis haben, dann wird zunächst einmal an Schattenriss, an das Bremer Jungenbüro und an die Fachstelle Gewaltprävention weitervermittelt. Wenn allerdings Unsicherheiten da sind, wenn auch polizeiliche Fragen zu klären sind, dann übernehmen die neu eingerichteten regionalen Beratungsunterstützungszentren diese Aufgabe in Kooperation mit dem Amt für Soziale Dienste, weil ja dann noch mehr aufgeklärt werden muss. Es ist in der Tat so, dass wir hier noch Bedarf haben. Wir haben auch Bedarf bei der Frage, wie effektiv eigentlich Prävention in diesen Fällen ist. Das wissen wir auch nicht genau, also, welche Maßnahmen eigentlich hilfreich sind, um solche Dinge zu verhindern. Auch da gibt es keine Wirksamkeitsforschung. Beides ist in Arbeit, weil wir uns auch in der KMK intensiv nach den ganzen Missbrauchstatbeständen, die es auch außerhalb der Schulen gegeben hat, dieser Aufgabe als Einrichtungen widmen wollen.

Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Ahrens!

Frau Senatorin, Sie haben eben gesagt, dass alle Fälle inzwischen dem Amt für Soziale Dienste gemeldet werden, zumindest habe ich Ihre Antwort so verstanden. Das wäre ja eine Verbesserung gegenüber früher – als wir das Thema debattiert haben –, als nicht alle Fälle automatisch weitergegeben wurden, sondern die Schule versucht hat, mit Bordmitteln das Ganze zu lösen. Habe ich Sie da richtig verstanden?

Bitte, Frau Senatorin!

Nein, da haben Sie mich falsch verstanden! Bestimmte Fälle werden in Kooperation mit dem Amt für Soziale Dienste bearbeitet. Wir schalten also nicht grundsätzlich Ämter ein. Es kommt darauf an, wie problematisch der Fall der Kinder, meistens sind es ja Mädchen, erscheint, wie viel Aufklärungsbedarf noch besteht, ob es gleich eine

amtliche Verfolgung geben soll oder ob versucht werden soll, den Fall eine Stufe darunter mit den entsprechenden Stellen, die ich eben genannt habe, zu lösen. Das muss sensibel gehandhabt werden, denn man macht sonst leicht jemanden zu einem Fall, der unter Umständen kein Fall ist. Amtliche Feststellungen sind an dieser Stelle ja nicht so ganz ohne, sowohl für die Beschuldigten als auch für die Opfer.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Sie sprechen die Sensibilität an, die ich ebenso sehe. Gibt es in diesen Broschüren, die Sie angesprochen haben, so eine Art Katalog, der es den Lehrern ermöglicht, die Tiefe besser einzuschätzen, damit sie dann auch entsprechend fachlich weitervermitteln können, oder sind die Lehrer an der Stelle völlig auf ihre Intuition angewiesen und können nur dementsprechend entscheiden?

Bitte, Frau Senatorin!

Nein, wir haben ganz bewusst gerade bei der letzten Broschüre, die ich eben genannt habe – was ist zu tun, wenn ein Kollege in Verdacht gerät? –, sehr genau durchgespielt, was man dann in diesem Fall machen kann, denn da sind Beschuldigungen, gerade auch von pubertierenden Jugendlichen, auch nicht ganz selten, insofern muss in solchen Fällen eine große Sensibilität Platz greifen. Andererseits dürfen wir es auch nicht verniedlichen, es muss dem auch konsequent nachgegangen werden.

Ich habe deshalb auch veranlasst, dass es in diesen Fällen bei uns eine Meldekette gibt. Sie geht bis zu mir, jeder Verdachtsfall, der da ist, wird mit einem Meldebogen gemeldet. Von daher versuchen wir auch schon, das zu verfolgen, was daraus erfolgt ist, aber eine gewisse Systematik muss sein, kann aber nicht immer nur hilfreich sein. Die Kinder, die betroffen sind, sind häufig auch in Lagen, in denen sie schon nach zwei Tagen entweder etwas völlig anderes sagen oder nicht mehr aussagen wollen. Das ganze Feld ist also schwer aufzuhellen.

Frau Abgeordnete, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Ich muss leider noch einmal nachfragen, weil Sie soeben den Meldebogen angesprochen haben! Sie sagten zu Frau Ryglewski, dass Sie keine statistischen Erhebungen haben. Wenn jeder Fall mit einem Meldebogen erfasst wird, müssen diese Meldebögen ja irgendwo liegen, also wäre eine statistische Erhebung, wie sie die Kollegin gefordert hat, möglich?

Bitte, Frau Senatorin!

Wir haben Anmeldebögen über besondere Vorkommnisse, das sind auch andere Dinge als sexuelle Übergriffe oder mögliche Verdachtsfälle, das ist auch der Tatbestand der Gewalt in der Schule oder andere Dinge, die vorkommen. Man könnte manuell vermutlich die letzten Jahre, seitdem ich in der Behörde bin, auswerten. Das ist nur bisher nicht gemacht worden, wir haben dafür keine Software. Wir können einmal versuchen, einen Überblick dieser Art zu bekommen. Ich werde das auf Ihre Anregung hin prüfen lassen.

(Abg. Frau A h r e n s [CDU]: Ich glaube, das würde uns weiterhelfen! Danke!)

Eine weitere Zusatzfrage von der Abgeordneten Frau Peters-Rehwinkel! – Bitte sehr!

Frau Senatorin, ich habe eine kurze Verständnisfrage: Ist es so, dass die Personen, die sich an Sie wenden, damit rechnen können, dass der Vertrauensschutz gewahrt ist, dass also schon sehr vertraulich mit diesen Informationen umgegangen und nicht sofort ein Strafverfahren eingeleitet wird, sofern es die Person, die es meldet, nicht unbedingt selbst möchte, dass die Vertraulichkeit gewahrt ist?

Bitte, Frau Senatorin!

In diesen Fällen ist das Allerwichtigste, dass Vertrauensschutz gegeben ist und keine Atmosphäre entsteht, in der dann eher die Ängste größer sind als die Möglichkeit, sich offenbaren zu wollen. Das Komplizierte an diesem Verfahren ist, dass man einerseits aufklären muss und dem auch nachgehen will, dass aber andererseits eine Vertrauensatmosphäre weiter erhalten bleiben muss. Das ist die Balance an dieser Stelle, und wir können nur sicherstellen, dass in der Behörde natürlich Vertrauensschutz gegeben ist.

Frau Senatorin, die Abgeordnete Frau Schmidtke hat eine weitere Zusatzfrage. – Bitte sehr!

Frau Senatorin, ich verstehe diese Diskussion jetzt ein bisschen so, auf der einen Seite muss ein möglicher Täter – ein möglicher Täter! – geschützt werden, auf der anderen Seite aber muss einem möglichen Opfer Mut gemacht werden, anzuzeigen oder in der Schule zu melden. Ich verstehe beide Richtungen sehr wohl, weil der Volksmund sagt, bei einem Lehrer, einer Lehrerin, die mit einem solchen Vorwurf konfrontiert werden, bleibt immer irgendetwas hängen, daher ist die große Sensibilität mit Sicherheit richtig.

Ich weiß aber auch, dass es zu viele betroffene Jugendliche gibt, die nicht reden mögen. Ich möchte

Sie fragen: Stimmen Sie mit mir überein, dass vorrangig den jungen Menschen Mut gemacht werden soll zu reden, und an der Stelle, an der mit Vertrauenslehrern oder irgendeiner anderen Person geredet wird, sollte dann eingebaut sein zu schauen, wie realistisch der Vorwurf ist, aber den jungen Menschen möchten wir Mut machen?

Bitte, Frau Senatorin!

Da stimme ich völlig mit Ihnen überein! Es ist das Allerwichtigste, dass man die Persönlichkeiten so stärkt und selbstbewusst macht, dass sie sich zum einen in solchen Situationen ablehnend, abwehrend verhalten, das ist ja auch etwas ganz Wichtiges, wenn jemand in die Situation kommt, und zum anderen, dass es eine solche Vertrauensbasis gibt, sich auch tatsächlich dazu zu äußern und keine Angst zu haben. Wir müssen es leisten, ein Klima zu schaffen, in dem keine Atmosphäre der Angst und des Verschweigens entsteht, sondern eher wirklich hinsehen und helfen! Häufig sind Freundinnen und Freunde die Ersten, die etwas erfahren, und sie müssen auch ermutigt werden, an der Stelle dann etwas zu sagen, aber einfach – das wissen wir alle – ist das nicht.

Frau Abgeordnete, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!