Protocol of the Session on June 20, 2013

Als nächster Redner hat das Wort Herr Senator Mäurer.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich erlaube mir einige kurze Anmerkungen. Herr Hinners, Ihre Zahl 600 Fahrten ist beeindruckend, aber Sie haben ja unsere Aktion vom 7. Juni etwas relativiert, dort ist dieses Ergebnis übertroffen worden. 700 Fahrzeuge sind kontrolliert wor

den, und in zehn Fällen waren Alkohol und Drogen mit im Spiel. Das zeigt, dass es notwendig ist, sich an diesen Maßnahmen zu beteiligen. Diese Aktionen sind europaweit gelaufen, sie sind aber keine Alternative zu Kontrollen im normalen Alltagsgeschäft.

Unabhängig davon, wie die Kontrolldichte ist, glaube ich, dass uns die Zahlen bei den Verkehrsunfällen ein deutliches Signal über die reale Entwicklung geben. Die Zahlen, da gibt es nichts zu beschönigen, steigen an, von 279 Fällen im Jahr 2010 auf 331 Fälle im Jahr 2012 in Bremen, in Bremerhaven im gleichen Zeitraum von 62 Fällen auf 86 Fälle. Das ist in der Tat markant, und ich glaube, die Sache wird noch etwas schwieriger, wenn man noch einmal schaut, wie viele Verkehrsunfälle mit Radfahrern darunter sind. Wir haben im Jahr 2012 100 Verkehrsunfälle mit Radfahrern nach Alkohol- und Drogenkonsum gezählt, Tendenz steigend. Ich glaube, dass man auch noch einmal sehr deutlich machen muss, Radfahren ist keine Alternative. Es ist gut, dass man das Auto in der Garage lässt, wenn man trinkt, aber gegenüber der Meinung, dass das Problem mit dem Umsteigen auf das Fahrrad gelöst ist und man mit dem Fahrrad leichter nach Hause kommt, belegen diese Zahlen das exakte Gegenteil, denn die Gefahr, dass man dann in einen Unfall verwickelt wird, ist für den Fahrer extrem hoch.

Vor diesem Hintergrund wurden auch solche Debatten in der Innenministerkonferenz oder jetzt auch auf Bundesebene geführt, wie wir es mit den Promillegrenzen halten. Ich bin sehr deutlich dafür, dass man sie absenkt, ich bin aber auch davon überzeugt, dass das allein nicht ausreicht. Ich glaube, da muss man sehr viel im Bereich von Prävention und Aufklärung unternehmen, das haben Sie auch schon erwähnt, das kann man allein mit solchen Maßnahmen nicht machen. Ich glaube aber, man kann ein Zeichen setzen, dass man dieses Problem ernst nimmt, und man muss natürlich auch deutlich machen, welche Folgen es hat. Ich glaube, die Mehrzahl unserer Bürger denkt, wenn man mit dem Fahrrad angehalten wird, gilt anderes Recht. Das ist natürlich nicht so gefährlich wie mit dem Pkw, aber die Sanktionen sind dieselben, und wenn ich mit dem Rad fahre und angetroffen werde, wenn ich mit 2 Promille unterwegs bin, ist mein Führerschein auch weg.

Ich glaube, dass darüber auch diskutiert werden muss und wir eigentlich mit dem, was die Polizei in Bremen und Bremerhaven macht, schon eine Menge leisten. Es gibt zahlreiche Kontrollen, nicht nur schwerpunktmäßig, das habe ich dargestellt, und wir lassen nicht nach. Das ist aber ein Thema, das ich nicht neu erfinden musste, denn Aufklärungsarbeit und Kontrollen werden hier in Bremen seit vielen Jahren sehr intensiv betrieben, unabhängig davon, wer die Verantwortung dafür trägt. Ich glaube, dazu gibt es keine Alternative. Wir müssen unsere Anstrengungen intensivieren, wir müssen noch mehr kontrollieren, und am Ende hoffe ich, dass wir vielleicht auch

unsere Bürgerinnen und Bürger davon überzeugen, dass sie, wenn sie feiern, sich ein Taxi nehmen oder auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen. Sie gefährden sich, sie gefährden andere, und das muss nicht sein. – Danke sehr!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Aussprache ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache18/944, auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU Kenntnis.

Zusammenhang zwischen Schulversäumnis und Kriminalität

Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 16. April 2013 (Drucksache 18/856)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 4. Juni 2013

(Drucksache 18/931)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Kück.

Gemäß Paragraf 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.

Ich gehe davon aus, Herr Staatsrat, dass Sie die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion der CDU nicht mündlich wiederholen möchten. – Ich sehe, das ist der Fall.

Auf die Antwort des Senats auf Große Anfragen folgt eine Aussprache, wenn dies Mitglieder der Bürgerschaft in Fraktionsstärke verlangen. Ich gehe davon aus, dass dies gewünscht ist.

Die Aussprache ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Hinners.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz bestehender Schulpflicht geht ein Teil der Bremer Schülerinnen und Schüler nicht regelmäßig zur Schule. Das ist nichts Neues, gleichwohl sollten wir uns natürlich Gedanken darüber machen, warum es so ist und welche Folgen dies haben könnte.

Der Senat teilt in der Antwort auf unsere Große Anfrage dazu mit, dass es in der Zeit zwischen dem ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

1. August 2012 und dem 31. Januar 2013, also in einem Schulhalbjahr, in Bremen insgesamt 319 Schulvermeidungsmeldungen – da gibt es auch eine Differenzierung, es waren 167 Jungen und 155 Mädchen, es war relativ gleichauf, kann man sagen –, und in Bremerhaven 149 Schulvermeidungsmeldungen gegeben hat, dort gibt es keine Differenzierung. Das bedeutet, dass im Land Bremen in einem Schulhalbjahr fast 500 Schülerinnen und Schüler über mehrere Tage oder sogar dauerhaft der Schule ferngeblieben sind.

Mit unserer Anfrage wollten wir vom Senat wissen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Schulvermeidung einerseits und aktuellem oder zukünftigem kriminellen Handeln andererseits gibt. Sollte es ihn nämlich nachweisbar geben, glauben wir, wären Maßnahmen dringend geboten, möglichst früh kriminelle Karrieren zu unterbinden.

Trotz des im Jahr 2008 vorhandenen Konzepts „Stopp der Jugendgewalt“, das immerhin gemeinsam mit den Ressorts Bildung, Soziales, Inneres und Justiz erarbeitet wurde, kann der Senat leider zumindest zu einem Teil unserer Fragen keine aus unserer Sicht ausreichenden Antworten liefern. Dabei hat schon die Universität Hamburg im Jahr 2010 eine Untersuchung zu diesem Thema veröffentlicht. Darauf weist der Senat in seiner Antwort zu Frage 4 auch hin.

Danach gaben 28 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die mehr als fünf Tage im Schulhalbjahr gefehlt haben, bei einer Selbstauskunft an, gelegentlich Gewalttaten begangen zu haben. Weitere 28,7 Prozent bezeichneten sich sogar als Mehrfach- und Intensivtäter. Das bedeutet, dass fast 60 Prozent der in Hamburg befragten Schülerinnen und Schüler nach eigenen Angaben in qualitativer oder quantitativer Hinsicht kriminell gewesen sind. Wie gesagt, nach eigenen Angaben! Der Senat in Bremen hat offensichtlich in seinem Konzept „Stopp der Jugendgewalt“ diesen Zusammenhang weder erkannt noch entsprechend konzeptionell aufgegriffen.

Natürlich ist völlig klar, dass Schulvermeidung allein kein Symptom für eine kriminelle Karriere ist, sondern dazu gehören weitere Belastungsfaktoren wie Gewalterfahrung in der Familie, geringe Erziehungskompetenz der Eltern, kriminelle Karrieren von Familienangehörigen und so weiter. In der Kriminalistik ist aber unbestritten, dass wiederkehrende Schulvermeidung häufig der erste konkrete Anhaltspunkt dafür ist, dass die Entwicklung des Kindes gefährdet sein könnte, und die Hamburger Untersuchung hat dies auch wieder einmal bestätigt. Ganz wichtig ist, dass diese Verhaltensweise im Gegensatz zu anderen Belastungsfaktoren auch offiziell, nämlich hier bei der Bildungsbehörde, also in den Schulen, bekannt wird. Viele andere Belastungsfaktoren, beispielsweise Gewalt in der Familie, werden häufig gar nicht bekannt, denn wo kein Kläger ist, da ist auch kein Richter.

Diese Belastungsfaktoren, die hier in der Bildungsbehörde bekannt werden, sollten nach Ansicht der CDU-Fraktion deutlich mehr als bisher Einlass in das Konzept „Stopp der Jugendgewalt“ finden. Es ist schon unsere erste Erkenntnis aus der Antwort des Senats, dass dieses Konzept diesbezüglich deutlich aufgebessert werden muss. In diesem Zusammenhang fordern wir den Senat auf, entgegen der Antwort zu Frage 8 – dort wird nämlich nur von einer Prüfung gesprochen – eine flächendeckende einheitliche Erfassung von Schulversäumnissen zu organisieren, in das Thema „Stopp der Jugendgewalt“ zu überführen und auch mit entsprechenden Maßnahmen zu belegen, denn es macht keinen Sinn, wenn wir diese Korrelation, also diesen Zusammenhang, nicht deutlicher erfassen. Nur mit diesen Daten können präventive Maßnahmen nach unserer Meinung frühzeitig genug im Rahmen des Konzepts „Stopp der Jugendgewalt“ greifen, und der Beginn einer möglicherweise kriminellen Karriere kann damit verhindert werden. Aus unserer Sicht mangelt es jedoch an Informationen – das ergibt sich aus der Antwort zu Frage 2 –, da wird nämlich immer wieder auf den Datenschutz hingewiesen. Es darf also aus unserer Sicht nicht dazu führen, dass Präventionskonzepte nicht das erforderliche Ausmaß erreichen oder die erforderliche Wertigkeit bekommen, denn optimale Präventionskonzepte sind in diesem Zusammenhang nicht nur von gesellschaftlichem Interesse, sondern sie sind auch im Interesse der betroffenen Schülerinnen und Schüler ganz entscheidend. – Vielen herzlichen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Schmidtke.

Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer die Ursachen, Verkettungen und Auswirkungen von Kriminalität von Jugendlichen und Heranwachsenden erklären will, muss viele Facetten berücksichtigen. Dabei ist es falsch, kriminelle Karrieren auf Schulversäumnisse schieben zu wollen, denn anders ist es richtig:

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Hat keiner ge- macht!)

Wer kriminell ist, nutzt Schulversäumnisse, um seinen kriminellen Neigungen nachzugehen. Die Annahme, dass das Schulschwänzen zwingend zur Delinquenz führt, ist nach aktuellen Untersuchungen nicht zutreffend. Während des Schulschwänzens bleibt fast die Hälfte der Schülerinnen und Schüler, nämlich 40 Prozent, zu Hause. 9,3 Prozent mussten auf die Geschwister aufpassen oder im Haushalt helfen. Dahinter stecken Schicksale, die ich so eigentlich nur ganz schwierig ertragen kann. Nur 5,5 Prozent tun etwas Verbotenes, sie stehlen.

(Glocke)

Frau Schmidtke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hinners?

Bitte schön, Herr Hinners!

Haben Sie zur Kenntnis genommen, was die Universität Hamburg zu dieser Thematik, nämlich Schulversäumnisse und Delinquenz, untersucht und bei den Untersuchungen festgestellt hat?

Ich habe es zur Kenntnis genommen und beziehe mich in meiner Rede auf Zahlen aus Bremen. Darf ich?

(Abg. H i n n e r s [CDU]: Ja, bitte!)

Es gibt keine einfache Erklärung der Lösung bei der Auseinandersetzung mit dem Thema Schulabsentismus gleich Schulverweigerung, denn häufig ist das Fernbleiben von der Schule nur ein Symptom einer viel tiefer liegenden komplexen Problematik.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir nehmen das Problem der Schulverweigerung sehr ernst. In Bremen und Bremerhaven gibt es neben schulischen Maßnahmen auch eine Reihe von Betreuungssystemen und außerschulischen Projekten, die sogenannten Schulvermeiderprojekte, wie beispielsweise den Fahrradpark Tenever, den Verein Brigg, Strickleiter Süd und andere, um Schulverweigerung frühzeitig entgegenzuwirken. Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen Lehrern, der Schulleitung, dem Amt für Soziale Dienste, der Polizei – zum Beispiel den Kontaktpolizisten –, den Schulärzten, der Schulbehörde und selbstverständlich den Eltern ganz wichtig.

Zu unterscheiden ist zwischen Schulschwänzern und Schulverweigerern. Gelegentliches Schulschwänzen ist häufig ein vorübergehend auftretendes Phänomen, häufig etwa ab der achten Klasse, wobei auch hier ein dynamischer Entwicklungszusammenhang bestehen kann. Das heißt, dass Schüler, die zunächst im ersten Schulhalbjahr nur vereinzelt einmal geschwänzt haben, im zweiten Schulhalbjahr durchaus zu chronischen Schwänzern werden können.

Im Gegensatz dazu bleiben Schulverweigerer umfassend und länger der Schule fern, und ihr Fehlen hat häufig psychosomatische Ursachen. Häufig wird aber als Ursache von den Schülerinnen und Schülern selbst angegeben, dass sie in der Schule von Schulund Klassenkameraden gemobbt werden. Ich erinnere in dem Zusammenhang auch an das Cybermobbing.

Diese Schülerinnen und Schüler geben auch an, dass sie tatsächlich oder nur gefühlt eine gestörte Beziehung zur Lehrerin oder zum Lehrer haben. Auch das sind Gründe für Schülerinnen und Schüler, dem Unterricht fernzubleiben, und auch das müssen wir ernst nehmen. Wie reagiert nun die Schule auf eine Schülerin oder einen Schüler, die oder der mehr als drei unentschuldigte Fehltage innerhalb eines Monats hat? In Bremen gilt das System der pädagogischen Betreuung, das im Jahr 2009 mit der Schulreform eingeführt wurde. Es reagiert in mehreren Phasen auf Schulschwänzer und ist in einem Handlungsleitfaden für Lehrer festgehalten. Zudem gibt es ein umfassendes Handbuch, herausgegeben von der bremischen Bildungsbehörde, zum Umgang mit notorischen Schulschwänzern. Während der ersten Phase sucht die Lehrkraft zunächst das Gespräch mit der betroffenen Schülerin oder dem betroffenen Schüler selbst. Sollte dies nichts nützen, wird die Schulleitung eingeschaltet.

(Abg. Frau N e u m e y e r [CDU]: Wenn das einmal einer lesen würde!)

In der dritten Phase wird das Zentrum für unterstützende Pädagogik, das sogenannte ZuP, einbezogen. Das gibt es an jeder Schule in Form eines Sozialpädagogen. Kann auch dieser nicht weiterhelfen, wird eines von vier regionalen Beratungs- und Unterstützungszentren, der sogenannten ReBUZ, eingeschaltet. Das Zentrum ist regional in vier Teams, nach Nord, Ost, Süd und West, organisiert und multiprofessionell besetzt. Neben Pädagogen und Psychologen arbeiten dort Sozialwissenschaftler und Erziehungswissenschaftler, die vornehmlich das Gespräch mit den Erziehungsberechtigten suchen und versuchen herauszufinden, warum es zur Schulverweigerung kommt, sodass die Sicht aus unterschiedlichen Perspektiven auf das Problem möglich ist. Als Ultima Ratio gilt das Ordnungswidrigkeitsverfahren, eingeleitet von der Senatorin für Bildung, aber auch nur dann, wenn mit den Eltern kaum eine Zusammenarbeit möglich ist oder alle Unterstützungsprojekte abgelehnt werden. Dort kann dann ein Bußgeld gegen die Erziehungsberechtigten festgesetzt werden. Im Gegensatz zu Niedersachsen und Hamburg, Herr Hinners, sieht Bremen aber von der Verhängung einer Erzwingungshaft ab, und das ist auch gut so. Zusammenfassend lässt sich also sagen, wir nehmen das Problem der Schulvermeidung sehr ernst. Es ist äußerst wichtig, präventiv tätig zu werden, wachsam zu sein, Probleme frühzeitig zu erkennen und dynamische Entwicklungszusammenhänge zu unterbinden. Es wäre unseres Erachtens sinnvoll, bereits die einzelnen Fehltage, auch die, die unterhalb der Schwelle der Meldung bei den ReBUZ liegen, zu erfassen, (Glocke)

um noch rechtzeitiger auf Fehlverhalten einwirken zu können und problematische Entwicklungen zu verhindern. Selbstverständlich müssen die oben genannten Schulvermeiderprojekte und auch die Schulsozialarbeiter weiterhin finanziell abgesichert werden. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!