Protocol of the Session on July 11, 2012

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 20. April 2012 (Drucksache 18/351)

Wir verbinden hiermit:

Kontrolle von Bordellen und Modelwohnungen verbessern

Antrag der Fraktion der CDU vom 5. Juni 2012 (Drucksache 18/438)

s o w i e

Rechtliche Grundlagen zur wirksamen Kontrolle von ausbeuterischen Bordellbetrieben schaffen

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 10. Juli 2012 (Drucksache 18/517)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Mäurer.

Die gemeinsame Beratung ist eröffnet.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Böschen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Prostitution hat viele Facetten, deshalb macht es auch Sinn, dass wir diese drei Anträge hier miteinander verbinden. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die selbstbewusst und selbstbestimmt diesem Gewerbe nachgehen, und auf der anderen Seite gibt es Frauen – es sind eben überwiegend Frauen –, die sich unter für uns unvorstellba

ren Bedingungen als Opfer von Menschenhandel zwangsprostituieren müssen. Daneben gibt es aber auch sehr viele Menschen, die aus ganz unterschiedlichen Gründen der Prostitution nachgehen.

Wenn wir von Prostitution reden, dann reden wir hier von einem Bereich, in dem eine hohe kriminelle Energie die Selbstbestimmung der Einzelnen mit Füßen tritt und wo die so oft so gern angenommene Freiwilligkeit eigentlich gar keine echte Freiwilligkeit ist, denn oft ist der Anlass für die Prostitution die einzige verbliebene Finanzierungsmöglichkeit einer Drogensucht oder die Abhängigkeit von einem Zuhälter oder schlicht das Fehlen von Alternativen, weil man bereits als Kind gelernt habe, dass Missbrauch zum normalen Leben gehört.

Mit der Legalisierung der Prostitution wurde der Rechtsstatus der Prostituierten verbessert und gleichzeitig der Versuch unternommen, ihre moralische Verurteilung zu beenden. Das ist bisher noch nicht zufriedenstellend gelungen, und weil es auch keine Kontrollmöglichkeiten bei der Einrichtung und dem Betrieb von Bordellen und Modelwohnungen gibt, müssen Prostituierte ihrem Gewerbe unter Bedingungen nachgehen, die sehr häufig menschenunwürdig sind. Verstöße gegen den Arbeits- und Gesundheitsschutz, aber auch ganz handfeste Gewalt und Psychoterror sind hier an der Tagesordnung. Das ist für uns nicht annehmbar, und deshalb braucht man aus meiner Sicht eine Gewerbeaufsicht für dieses älteste Gewerbe der Welt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Auch die CDU möchte die Kontrollen verbessern. Das finde ich gut und richtig, allerdings ist der Weg, den sie dabei geht, aus unserer Sicht nicht geeignet, denn sie möchte das Polizeigesetz dahin gehend ändern, dass die Örtlichkeiten an sich unter Generalverdacht gestellt werden, dass ein Zugang ermöglicht wird. Wir wissen aber doch alle, wenn dieser Zugang tatsächlich organisiert wird, dass das Strafrecht in der Regel gar nicht ausreicht, um hier einzugreifen und diese menschenunwürdigen Verhältnisse abzustellen.

Da in diesem Bereich von den Bordellbetreibern und Zuhältern richtig viel Geld verdient wird – es sind ja nicht die Frauen und Männer, die ihren Körper zur Verfügung stellen, die hier überwiegend davon profitieren –, müssen wir diese Betriebe und Profiteure in die Pflicht nehmen, dass dieses Gewerbe eben auch unter menschenwürdigen Bedingungen stattfinden kann.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Vielleicht kann man im Senat einmal überlegen, ob es sinnvoll sein könnte, eine Kennzeichnung für Bor

delle zu entwickeln, durch die sichergestellt wird, dass die dort arbeitenden Männer und Frauen dies tatsächlich selbstbestimmt und unter guten und sicheren Arbeitsbedingungen machen.

Die Legalisierung der Prostitution hat allerdings zu mehr Menschenhandel und Zwangsprostitution geführt, und das soll auch nicht verschwiegen werden. Fallstudien belegen, dass es in Ländern mit liberalen Prostitutionsgesetzen generell mehr Menschenhandel gibt. Deutschland ist eines der Hauptziel- und -durchgangsländer für diesen internationalen Handel mit Frauen und hat rund 62-mal so viele Opfer wie Schweden, obwohl die Bevölkerungszahl in Deutschland gerade einmal 10-mal so hoch ist.

In Bremen gibt es mittlerweile eine Reihe von staatlichen und nicht staatlichen Organisationen, die die Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution unterstützen. Die Zahl der Ermittlungsverfahren in diesem Bereich hat sich glücklicherweise vervielfacht. Allerdings kommt es nur in Ausnahmefällen zu Verurteilungen, und wenn, dann interessanterweise nur mit Bewährungsstrafen. Alle, die in diesem Bereich tätig sind, sind sich einig, dass Verbesserungen im Bereich der Strafverfolgung und beim Opferschutz nur durch vernetztes Handeln erreicht werden können und dass die koordinierte Zusammenarbeit der staatlichen und nicht staatlichen Institutionen auch über die Landesgrenzen hinaus noch weiter verbessert werden muss.

Darüber hinaus sind aber auch weitere Maßnahmen zum verbesserten Opferschutz zu entwickeln. Da es sich bei den Opfern ganz häufig um Ausländerinnen, in der Regel um Nicht-EU-Ausländerinnen handelt, müssen sowohl die finanzielle Versorgung als auch die Unterbringungssituation, die Betreuung und Unterstützung so geregelt werden, dass diese Zeuginnen überhaupt bis zum Ende des Prozesses in Bremen bleiben können. Wie wir alle wissen, dauern diese Verfahren in der Regel sehr lange. Der Druck, unter dem diese Frauen stehen, ist immens. Deshalb ist es notwendig, dass auch Frauen aus den Nicht-EU-Ländern einen Zugang zu Sprachkursen, zu Qualifikationen und zum Arbeitsmarkt, aber natürlich auch zu medizinischer Versorgung erhalten, die über die Akutversorgung hinausgeht.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Nur dann besteht überhaupt die Chance, dass die Frauen diese Verfahren überhaupt durchhalten und dass es zu einer Verurteilung der Täter kommt.

Nur eine konsequente Strafverfolgung, meine Damen und Herren, ist hier geeignet, zur Bekämpfung dieser schweren Menschenrechtsverletzungen beizutragen. – Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Hoch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ein realistischer Umgang mit dem Themenkomplex Prostitution setzt die Erkenntnis und auch die Einsicht voraus, dass es Prostitution in jeder Gesellschaft, zu jeder Zeit und in den unterschiedlichsten Formen gegeben hat und auch weiter geben wird. Aber unabhängig von dieser Tatsache sind alle Formen der zwangsweisen beziehungsweise unfreiwilligen Prostitution inakzeptabel, denn hier geht es um eine Menschenrechtsverletzung.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Hier dürfen wir nicht nachlassen, diese Art der Menschenrechtsverletzung mit allen uns möglichen Mitteln zu bekämpfen. Deshalb ist es auch richtig und wichtig, dass wir heute diese Debatte führen. Wenn ich mich richtig erinnere, haben wir zuletzt im Jahr 2010 darüber diskutiert. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen und fragen, ob die Maßnahmen, die wir hier beschlossen haben, greifen. Was müssen wir verändern? Wie stellt sich die aktuelle Situation dar? Dort dürfen wir natürlich Prostitution und Zwangsprostitution nicht vermischen, obwohl es manchmal einen fließenden Übergang gibt.

Bremen hat mit seiner ressortübergreifenden Arbeitsgruppe einen guten Weg gewählt, um dieses Thema zu bearbeiten, Bremerhaven mit dem runden Tisch „Frauenhandel und Zwangsprostitution“ ebenfalls. Diese Berichte sind wichtig für politisches Handeln. Sie geben uns auch Handlungsempfehlungen, das ist auch ein Hintergrund für die Debatte heute, denn viele Punkte, die wir in dem Antrag aufgegriffen haben, den wir umsetzen möchten, greifen auf diese Empfehlungen zurück.

Mit dem Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes 2002 herrschte über alle Parteien hinweg Einigkeit darüber, dass die rechtliche und soziale Situation der Betroffenen dringend verbessert werden muss. Ein zentrales Anliegen war die Verbesserung der sozial- und zivilrechtlichen Verhältnisse der Betroffenen – für Frauen und natürlich auch für die wenigen Männer, die es in diesem Bereich gibt –, und zwar für diejenigen, die freiwillig ihren Lebensunterhalt durch Prostitution bestreiten wollten.

Inzwischen gibt es eine Evaluation zu diesem Gesetz, und wir wissen, dass nicht alle Erwartungen erfüllt wurden. Auch die Abhängigkeit von Zuhältern und anderen Personen zu reduzieren ist dadurch nicht ganz gelungen. Es waren mit dem Gesetz die Erwartungen verknüpft, kriminelle Begleiterscheinungen der Prostitution zurückzudrängen, auch das hat nicht ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

den Erfolg gebracht, den wir uns vorgestellt haben. Wichtig war es aber, Ausstiegsmöglichkeiten zu initiieren, und da sind wir auch in Bremen mit unseren Beratungsstellen, denke ich, gut aufgestellt.

Seit Jahren gibt es eine Veränderung der Prostitution, über die wir beim letzten Mal auch schon gesprochen haben: Die Debatte über die Modelwohnungen und die Koberwohnungen in Bremerhaven mit diesen speziellen Fenstern, in denen die Frauen sitzen, hatten wir hier im Jahr 2010 geführt und gehofft, dass es für eine Regulierung und Begehung dieser Wohnungen bundesweite Regelungen gibt. Das sah zunächst einmal auch ganz gut aus. Die Frauenministerkonferenz hat sich auch dafür ausgesprochen, dass es Regelungen für Kontrollen geben sollte, und auch einige Innenminister haben sich dafür ausgesprochen. Auf dieser Seite sah es also eigentlich gut aus. Doch was ist passiert? Es hat leider keine Regelungen gegeben. Wir möchten auf Landesebene nicht länger warten und fordern deshalb ein Landesgesetz, um diese Regelungen dafür treffen zu können.

Auch die CDU will die Kontrolle, das hat Frau Böschen schon gesagt, deshalb gehe ich darauf nicht weiter ein. In der Zielsetzung sind wir uns, glaube ich, bei dem Thema einig, über die Wege nicht ganz. Ich denke, es lässt sich aber eine Einigung in den Ausschüssen auch bei dieser Diskussion erzielen. Wie ich gehört habe, stimmt die CDU diesem Antrag zu, das finde ich gut.

Zum Schluss möchte ich noch einmal zur Zwangsprostitution zurückkommen, und zwar zu unserem Antrag mit der Überschrift zum Thema „Zusammenarbeit bei der Bekämpfung von Menschenhandel verbessern“. Ich finde es richtig und gut, dass wir das Aufenthaltsrecht auch für Nicht-EU-Bürgerinnen verbessern wollen, dass Bildung und Ausbildung und der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht werden sollen und ebenfalls die Fortbildungen geregelt werden sollen, und wichtig ist auch die Kooperation der Beteiligten. Zum Teil, wie ich vorhin schon gesagt habe, sind das Forderungen vom runden Tisch.

Eine Sache möchte ich noch ansprechen, die mir sehr wichtig ist, nämlich die Prävention. In dem Bereich ist die Prävention nicht ganz so einfach, aber ich denke, in Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen und den Organisationen in den Heimatländern kann man dort eine Menge Aufklärungsarbeit leisten, was die Frauen hier erwartet, nämlich nicht das, was ihnen vorgetäuscht wird, sondern oft etwas ganz anderes.

Ich möchte Sie auf eine Ausstellung in unserem Auswandererhaus aufmerksam machen: „Menschenhandel 1860 bis 1930“. Dort hängt ein Plakat vom Jahr 1910: „Dringende Warnung an auswandernde Mädchen: Nimm im Auslande keine Stellung an ohne vorherige sichere Erkundung! Wende Dich in Not und Gefahr an das Nachweisungsbüro für Auswanderer am Bahnhof oder an die Bahnhofsmissionarin oder auch

an den Wirt! Deutsches Nationalkomitee zur internationalen Bekämpfung des Mädchenhandels.“ Zehntausende Mädchen und junge Frauen fuhren damals zwischen den Jahren 1860 und 1930 via Bremerhaven, Hamburg, Triest oder Konstantinopel in die neue Welt, um dort in Bordellen, Tanzcafés oder anderen Vergnügungstempeln für die Bedürfnisse männlicher Auswanderer da zu sein. Sie wurden mit Gewalt verschleppt, mit märchenhaften Versprechen verführt oder sind aus freien Stücken gegangen. Die Diskussion darüber wurde schon damals vehement geführt. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Knäpper.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Vieles von dem, was hier gesagt worden ist, teilen wir auch. Wie schon gesagt werden wir auch Ihre beiden Anträge unterstützen, allerdings haben wir bei der Bekämpfung andere Vorstellungen, und ich werde das gleich noch einmal kurz darlegen.

Viele Frauen in Bremen und Bremerhaven verdienen ihr Geld als Prostituierte. Viele Frauen machen dies aber nicht freiwillig, sondern sie werden dazu gezwungen, sie werden von Menschenhändlern verschleppt. Der Frauenhandel ist ein brutales, menschenverachtendes Spiel ohne Grenzen.

(Beifall)

Frauen wird in diesem Spiel ihre Würde genommen. Die Menschenhändler, Bordellbetreiber und Zuhälter machen dies über die finanzielle Ausbeutung der Frauen, die Freier über die sexuelle. Frauenhandel und Zwangsprostitution sind kein Bremer Problem, sondern eine gesamteuropäische und globale Herausforderung. Dieser Herausforderung müssen wir uns in der EU, in Deutschland, aber auch hier im Land Bremen gemeinsam stellen. Die billige Triebbefriedigung hat einen hohen Preis. Sie fördert ein kriminelles Netzwerk von verbrecherischen Menschenhändlern, kaltblütigen Zuhältern und ignoranten Freiern, das ahnungslose Frauen aus Ost- und Südeuropa zur billigen Ware und zu wehrlosen Sexsklaven herabstuft und ihnen jegliche Würde und Lebensperspektive nimmt.

Die Zahl der Opfer im Menschenhandel im Bereich der sexuellen Ausbeutung steigt jährlich. Vorwiegend sind Frauen und Mädchen betroffen, die dieses Schicksal erleiden müssen. Verlässliche Zahlen über das Ausmaß des modernen Menschenhandels gibt es leider nicht. Angeblich – so eine internationale Studie – sollen jährlich 2,4 Millionen Menschen über Grenzen hinweg verkauft, gekauft und gegen ihren Willen in ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

sklavenähnlichen Verhältnissen gehalten werden. Der Jahresumsatz des weltweiten Menschenhandels wird auf 30 Milliarden Dollar geschätzt. Das Bundeskriminalamt hat im Jahr 2010 nur 610 Menschen in Deutschland als Opfer von Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung identifizieren können, es wurden allerdings nur 470 Ermittlungsverfahren abgeschlossen.

Trotzdem ist jedes einzelne dieser Schicksale eines zu viel. Ich sage hier, es geht um Menschen, die durch Verführung, Betrug, Täuschung oder Zwang in Abhängigkeitsverhältnisse gebracht werden und brutaler Gewalt ausgesetzt sind. Sie werden eingesperrt, eingeschüchtert und ausgebeutet. Ihre Rechte auf persönliche Freiheit, körperliche Unversehrtheit, auf ein Leben frei von Sklaverei, Zwangsarbeit, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung werden in höchstem Maße verletzt. Wir müssen diesen menschenverachtenden Sumpf trockenlegen, helfen Sie mit! Hier müssen wir alle an einem Strang ziehen, parteipolitische Spielchen haben hier keinen Platz.

(Beifall bei der CDU, bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)