Diese Exklusivität, dass das Wahlrecht nur bestimmten Menschen vorbehalten ist, hat also leider Geschichte, und die Geschichte wird fortgeschrieben, besonders in Deutschland. Im gesamten Bundesgebiet leben 6,7 Millionen Menschen, die nicht deutsche Staatsangehörige sind. 4,3 Millionen Menschen sind auch keine EU-Staatsbürger, sie halten sich aber durchschnittlich seit circa 18 Jahren in Deutschland auf, sie haben also seit langer Zeit ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland. In 16 EU-Staaten gibt es schon ein kommunales Wahlrecht auch für außereuropäische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.
Deutschland dagegen gehört zu den Bremsern, wie Professor Dr. Sieveking von der Universität Bremen sagt. Auf juristischer Ebene hat sich bisher wenig be
wegt, es gibt aber schon seit Längerem darüber eine Diskussion im Bundestag. Seit 1992 dürfen EU-Staatsbürger in Deutschland auch kommunal wählen, das haben meine Vorredner schon erwähnt. Wir haben also seit 20 Jahren ein Dreiklassenwahlrecht. Diese Ungleichbehandlung, dieser Ausschluss und diese Separierung lehnen wir LINKE entschieden ab und fordern ein allgemeines Wahlrecht für alle, die seit mehr als fünf Jahren in Deutschland leben.
Dafür muss das Grundgesetz an mehreren Stellen geändert werden. In seiner aktuellen Fassung wird das Volk nämlich als die Menschen mit einer deutschen Staatsangehörigkeit definiert, das hat das Bundesverfassungsgericht und auch der bremische Staatsgerichthof bestätigt. Wir sehen das, wie gesagt, nicht so, wissen aber auch, dass dank der Traditionalisten im Bundestag derzeit eine Grundgesetzänderung nicht realistisch ist. Daher sehen wir im kommunalen Wahlrecht einen ersten Schritt. Die Fraktion DIE LINKE im Bundestag hätte, wenn es so etwas gäbe, darauf das parlamentarische Urheberrecht. Wir sind ja aber gegen Urheberrechte!
Unsere Vorgängerpartei hat schon 1996 einen Gesetzentwurf vorgelegt. Es zielte darauf ab, dass Drittstaatenangehörige, die seit mehr als fünf Jahre in Deutschland leben, das gleiche Wahlrecht wie deutsche Staatsbürger erhalten. 1998 schrieb die rot-grüne Bundesregierung in ihren Koalitionsvertrag, dass sie sich für die Einführung des Kommunalwahlrechts für Drittstaatenangehörige einsetzen will. In sieben Jahren Regierung hat sie es aber verpasst, eine Gesetzesänderung einzuleiten.
Das ging dann erst wieder in der Opposition los. Mitte 2007 hat die Fraktion DIE LINKE im Bundestag einen Antrag zur Einführung des kommunalen Wahlrechts für Drittstaatenangehörige gestellt. Die Grünen legten gegen Ende 2007 einen Gesetzentwurf vor. Beide Anträge wurden aber abgelehnt, übrigens auch von der SPD. Es sind eine ganze Reihe Anträge mit dem gleichen Ergebnis gefolgt. Auch Bundesratsinitiativen der Länder Rheinland-Pfalz, Hessen vor Herrn Koch und Berlin haben nicht zum Erfolg geführt. Wir freuen uns, dass SPD und Grüne jetzt einen Ausschuss einrichten wollen, der die Möglichkeit zur Erweiterung des Wahlrechts in Bremen prüft, und wir sind gern bereit, dort konstruktiv mitzuarbeiten. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen legen uns heute einen Antrag vor, mit dem die Einsetzung eines nichtständigen Ausschusses zur Ausweitung des Wahlrechts gefordert wird. Dieser Ausschuss soll sich mit der Frage beschäftigen, wie man Zuwanderern aus Nicht-EU-Ländern das kommunale Wahlrecht ermöglichen und Ausländern aus EU-Staaten das Wahlrecht zu den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft zubilligen kann.
Dieser Antrag, meine Damen und Herren, ist nichts weiter als alter Wein in neuen Schläuchen, denn die Diskussion um ein kommunales Ausländerwahlrecht wird bundesweit bereits seit über 20 Jahren geführt und von Experten im Ergebnis immer wieder als nicht durchführbar bewertet. Ich lehne diesen Antrag deshalb heute ab und möchte meine Ablehnung sowohl verfassungsrechtlich als auch integrationspolitisch begründen.
Nach Artikel 20 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volk aus, wobei zu definieren ist, was unter Volk im Sinne des Grundgesetzes zu verstehen ist. Wie SPD und Grüne in dem uns vorliegenden Antrag selbst ausgeführt haben, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1990 festgestellt, dass mit dem Begriff Volk nur deutsche Staatsangehörige gemeint sind und nicht die Bevölkerung, zu der zweifelsohne auch die hier lebenden Migrantinnen und Migranten zählen. Aufgrund dieser eindeutigen Trennung lehnten die Verfassungsrichter in ihrer damaligen Entscheidung das kommunale Ausländerwahlrecht ab, weil es mit dem Grundgesetz unvereinbar ist.
Jetzt könnte man natürlich argumentieren – und das wird ja auch hier immer von rot-grüner Seite getan –, dass man das Grundgesetz auch ändern könnte. Das ist auch so, allerdings nicht Artikel 20 Grundgesetz, der kann nicht modifiziert werden, denn dieser Artikel unterliegt der Ewigkeitsgarantie nach Artikel 79 Absatz 3 Grundgesetz, er ist also unveränderbar. Da nach Artikel 31 Grundgesetz der Grundsatz Bundesrecht bricht Landesrecht gilt, wäre eine von Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz abweichende Regelung in der Landesverfassung der Freien Hansestadt Bremen – und darauf sollte es ja hinauszielen – rechtswidrig und damit auch nichtig.
Die Forderung von SPD und Bündnis 90/Die Grünen, einen Ausschuss einzurichten, um zu eruieren, wie man das Wahlrecht für die hier lebenden Ausländer einführen beziehungsweise erweitern kann, ist also von vornherein zum Scheitern verurteilt, da dieses Ansinnen schlichtweg verfassungswidrig wäre. Deshalb ist dieser Antrag auch unverantwortlich, denn er weckt bei den Ausländern in Bremen und Bremerhaven falsche Hoffnungen.
Meine Damen und Herren, es mag ja sein, dass die Mehrzahl der EU-Mitgliedstaaten mittlerweile das kommunale Wahlrecht für Ausländer in den jeweiligen Gesetzen verankert hat; das ist ja auch in dem Antrag so ausgeführt worden. In Deutschland liegt aber nun einmal ein anderer Rechtsrahmen vor, und das sollten wir nicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch akzeptieren. Übrigens hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags bereits vor vier Jahren in einer Untersuchung festgestellt, dass in den Staaten, in denen es ein kommunales Ausländerwahlrecht gibt, keine Integrationsverbesserung feststellbar war. Wer also meint, dass die Einführung eines entsprechenden Wahlrechts dazu führt, dass die Integration der hier lebenden Ausländer verbessert wird, der irrt.
Eine erfolgreiche Integration der hier lebenden Migranten kann nur funktionieren, wenn wir die vorhandenen Probleme im Bereich der Sprache, der Bildung, im Sozialenbereich, bei der Religion oder im Berufsleben beseitigen. Das sind die Probleme, mit denen Ausländer in unserem Bundesland konfrontiert werden, und nicht die Frage nach einer Teilnahme an Kommunalwahlen. Das Wahlrecht ist außerdem ein staatsbürgerliches Recht, das man nicht einmal so eben verteilt. Die Möglichkeit, sich im kommunalen Bereich aktiv und passiv an Wahlen zu beteiligen, muss deshalb auch weiterhin am Ende einer erfolgreichen Integration stehen.
Meine Damen und Herren, immer wieder wird von den Befürwortern in der Diskussion über das kommunale Ausländerwahlrecht das Argument in die Waagschale geworfen, wer in Deutschland Steuern zahlt, muss auch wählen können. Herr Tuncel hatte das gesagt und Herr Dr. Kuhn auch.
Tatsache, meine Damen und Herren – ja, hören Sie zu! –, ist aber, dass weder rechtlich noch tatsächlich ein Zusammenhang zwischen der Staatsbürgerschaft, dem Wahlrecht und der Pflicht, Steuern zu zahlen, besteht, denn mit Steuern werden in Deutschland Straßen, Krankenhäuser und Schulen gebaut, also in Infrastruktur investiert, und von dieser Infrastruktur profitieren nicht nur Deutsche oder Menschen, die in Deutschland wählen dürfen, sondern es profitieren alle Menschen, ganz gleich, welcher Nationalität sie angehören und ob sie wählen können oder nicht. Deshalb ist das Argument auch nicht stichhaltig, um das kommunale Ausländerwahlrecht hier zu begründen.
zielführend. Welchen Sinn macht es, einen nichtständigen Ausschuss einzurichten, der sich Gedanken darüber macht, wie man die grundgesetzlichen Vorgaben umgeht? Das bleibt das Geheimnis von SPD und Bündnis 90/Die Grünen. Ich werde diesem Antrag jedenfalls nicht zustimmen.
Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Frau Kollegin Häsler, Wahlen sind das Herzstück einer Demokratie, das haben Sie richtigerweise gesagt, aber meiner Meinung nach fehlt ein Satz: Wer heute die politische Teilhabe und Aktivität der Bürgerinnen und Bürger verbessern will, der muss auch das Wahlrecht ändern!
Im Land Bremen leben rund 80 000 Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, das wurde jetzt schon mehrmals gesagt, aber was noch nicht erwähnt worden ist, ist die Tatsache, dass bei den Landtagswahlen 2011 mehr als zehn Prozent der Bremerinnen und Bremer von der Demokratie, von den Wahlen ausgeschlossen worden sind.
Rund 22 000 dieser Menschen stammen aus anderen EU-Mitgliedsstaaten, sodass sie ab dem 16. Lebensjahr zumindest an den kommunalen Wahlen teilnehmen dürfen. Aber diejenigen, die aus Nicht-EULändern kommen, sind vom Wahlrecht insgesamt ausgeschlossen, obwohl sie in der großen Mehrzahl weit länger als fünf Jahre bei uns leben und arbeiten. Ich frage Sie: Ist das Ihr Verständnis von Demokratie?
Wir klagen in Deutschland über Politikverdrossenheit insgesamt, über mangelnde Integration von Menschen, die nach Deutschland zugewandert sind, und wir verwehren ihnen gleichzeitig den Zugang zu unserem demokratischsten Grundrecht, weil wir sie nicht dem deutschen Volk zurechnen. Ich frage Sie: Ist das Ihr Verständnis von Demokratie?
(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN – Zurufe von der CDU) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Wie wollen wir Kindern von Migrantinnen und Migranten ein Gefühl von Verantwortung und Teilhabe an unserer Gesellschaft vermitteln, ein positives Gefühl von Demokratie für dieses Land, wenn ihre Eltern nicht als ein Teil dieser Gesellschaft gesehen und somit von den Wahlen ausgeschlossen werden, nur weil sie den falschen Pass haben, diese Menschen, die viele Jahre in unserem Land leben, fleißig arbeiten gehen, pflichtbewusst ihre Steuern bezahlen, Herr Timke, und sich in diesem Gemeinwesen engagieren und somit ein Teil unserer Gesellschaft sind? Ich frage Sie: Ist das Ihr Verständnis von Demokratie? (Beifall bei der SPD, Bündnis 90/Die Grü- nen und bei der LINKEN – Zuruf des Abg. T i m k e [BIW])
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von vor 22 Jahren, Herr Timke, spricht von einem Volk, und es spricht nur diesem Volk das Wahlrecht zu. Ist diese Definition in einem grenzenlosen Europa, in vielen Ländern, die uns weit voraus sind in dieser Frage, bei einer vielfältigen Gesellschaft noch die richtige Definition? Meine sehr geehrten Damen und Herren, für die Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist diese Definition vom Volk eine andere.
Wir sind der Meinung, dass derjenige, der in Deutschland für längere Zeit lebt, auch die Chance zur Übernahme von politischer Verantwortung haben muss.
Wer in Deutschland für längere Zeit lebt, ist Teil dieser Gesellschaft, und da ist die Frage der richtigen Volkszugehörigkeit völlig fehl am Platze und unserer Auffassung nach nicht mehr zeitgemäß.
Menschen mit Zuwanderungsgeschichte, die in Bremen längere Zeit leben, sollen auch politische Verantwortung übernehmen, mitbestimmen können und auch das demokratischste aller Grundrechte bekommen. Dann kann Integration auch gelingen. Wie heißt es so schön? Integration ist keine Einbahnstraße! Das, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist unser Verständnis von Demokratie. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ich kann mir in Anlehnung an die Ereignisse von 1990 etwas sehr Schönes vorstellen – Herr Tschöpe hat uns ein bisschen in das Jahr 1990 zurückgeführt –, nämlich eine Demonstration von Migrantinnen und Migranten in Bremen mit dem Spruch „Wir sind das Volk“, und sie hätten vollkommen recht, meine Damen und Herren: Sie sind das Volk!
Darum geht es! Da sie das Volk sind, ist es eine Selbstverständlichkeit, dass sie auch an Wahlen beteiligt werden müssen.
Frau Häsler und Herr Timke: Man flüchtet sich, glaube ich – es sei denn, Sie kommen noch einmal nach vorn und sagen, dass ich Sie missverstanden habe –, in juristische Auseinandersetzungen, wenn man nicht in der Lage oder politisch nicht gewillt ist, klar zu sagen, was man will, und das haben Sie nicht getan.
Sie haben nicht gesagt, was man will und was nicht, denn dass diese Klausel im Grundgesetz veränderbar ist, sehr geehrte Frau Kollegin Häsler – Sie haben selbst darüber gesprochen –, hat doch der Maastricht-Vertrag gezeigt. Der Maastricht-Vertrag hat diese eherne Klausel aufgebrochen, und nun sind plötzlich die Menschen aus Frankreich, Polen, Litauen oder Kroatien wahlberechtigt. In den nächsten Jahren kommen noch ein paar hinzu, die wahlberechtigt werden. Man hat schon längst von der Definition Abstand genommen, dass nur diejenigen, die dem deutschen Volk in dieser früheren Definition angehören, wählen dürfen, weil sonst der MaastrichtVertrag verfassungswidrig gewesen wäre.
Diese Anpassung ist aber schon längst gemacht worden. Wir knüpfen an diese Anpassung an, vielleicht sollten wir uns darüber einmal insgesamt mit Ihnen unterhalten: Sie haben ausschließlich argumentiert, dass das Bundesverfassungsgericht die politische Wirklichkeit prägt. Das ist in vielen Fällen auch so, aber wenn Sie die Urteile des Bundesverfassungsgerichts über fünf Jahrzehnte hinweg anschauen, prägt auch die politische Wirklichkeit die Urteile des Bundesverfassungsgerichts.
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN) ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. Es hat sich unheimlich viel geändert in diesen 22 Jahren. Wir stellen doch nur die Frage, ob der Staatsgerichtshof in Bremen und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe nicht heute möglicherweise zu einer anderen Einschätzung kommen würden. Dort beginnt die interessante Frage, bei Herrn Timke vermute ich, dass mein Rätsel schon gelöst ist, aber bei Ihnen würde es mich tatsächlich interessieren: Wenn diese Öffnung auch verfassungsrechtlich möglich wäre, wären Sie dann dafür oder dagegen? Das wäre, fände ich, eine sehr spannende Frage. Wir sind dafür! – Vielen Dank! (Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen, bei der SPD und bei der LINKEN)