Protocol of the Session on December 15, 2011

Kann einer Hauptverhandlung nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens und der Einschätzung des Opfers eine besondere Genugtuungsfunktion zukommen, wird diese Option selbstverständlich immer zu nutzen sein. Auch das Ziel, eine ausnahmsweise angemessene Verfahrenseinstellung auszuschließen, wie sie in Ihrem Antrag fordern, ist nicht stets im Sinne der Opfer.

Insbesondere, so das Gutachten, können die Schadenswiedergutmachung und die Durchführung eines Täter-Opfer-Ausgleiches im Rahmen einer vorläufigen Verfahrenseinstellung im Einzelfall geeignet sein, durch ihre Ausgleichsfunktion gegenüber dem Opfer das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen.

Aus Sicht der Praxis sind Regelungen vorzugswürdig, die einerseits ermöglichen, das gesamte ausdifferenzierte Reaktionssystem der StPO zu nutzen und andererseits durch Erhöhung der Strafdrohung in den Qualifikationstatbeständen die besondere Strafwürdigkeit der in der Kriminalitätswirklichkeit häufigen Begehungsformen hervorzuheben.

Dies gilt im Übrigen auch für die Forderung einer gesetzlichen Regelung für die Altfälle der Sicherungsverwahrung. Hierzu hat doch Ihre Partei das nach Auffassung der Grünen übrigens unzureichende Therapieunterbringungsgesetz auf den Weg gebracht. Im Ergebnis ist die Bürgerschaft meiner Meinung nach für Ihren Antrag daher das falsche Forum.

Dies betrifft auch Ihre Forderung in Ihrem Antrag, nach einer Begutachtungsverpflichtung. Diese kann, wie die Behandlungsinitiative „Opferschutz e. V.“ vertritt, eine Möglichkeit der Prävention sein, aber nur, wenn dem potenziellen Täter nach seiner Begutachtung auch Therapiemaßnahmen zur Verfügung stehen. Solche Präventionsmaßnahmen werden jedoch zumeist von Ihrer Partei als die Ausweitung von Täterrechten missbilligt.

Aus diesen genannten Gründen werden wir Ihren Antrag ablehnen. – Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Piontkowski.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Dogan, wenn ich Sie hier reden höre, habe ich manchmal den Eindruck, Sie reden davon, ob wir eine Beleidigung oder eine Körperverletzung höher stufen wollen. Aber wir reden hier von sexuellem Missbrauch von Kindern. Das ist doch etwas ganz anderes als eine einfache Beleidigung, die ich eher einmal einstellen kann. Aber doch nicht solche Fälle, die ich Ihnen geschildert habe, wie der Fall von Martin N., der hinterher ein mutmaßlicher Kindermörder gewesen ist, und er hat vielleicht schon vorher Kinder auf dem Gewissen gehabt. Das muss man ja auch einmal sehen! Also es geht um wirklich schwere, schwere Straftaten.

Wenn Sie als Argument anführen, dass die Kinder möglichst nicht in einer Hauptverhandlung vernommen werden, dann bin ich ganz auf Ihrer Seite, natürlich! Aber wenn ich das, was Sie sagen, konsequent weiterdenken würde, würde das bedeuten, dass auch bei einem schweren sexuellen Missbrauch, der ja ein Verbrechen ist, Paragraf 176 a, keine Hauptverhandlungen, in denen Kinder vernommen werden müssten, durchgeführt werden dürften, weil das ja noch ungleich belastender ist, als wenn es tatsächlich zum Geschlechtsverkehr gekommen ist. Das ist ja eine viel größere Belastung für die Kinder, als wenn sie bei einem einfachen sexuellen Missbrauch aussagen müssen. Die Strafprozessordnung, gerade auch die neuen rechtlichen Regelungen, die jetzt in Angriff genommen werden, sehen ja vielfältige Möglichkeiten vor.

Gerade die Videovernehmung ist ein wunderbares Instrument, um die Konfrontation der Kinder mit

dem Täter in der Hauptverhandlung zu vermeiden. Gerade das ist ein Instrument, das durch neue gesetzliche Regelungen als Ausdruck des runden Tisches ausgebaut wurde. Das ist eine wirklich wunderbare Sache, die auf die Initiative der Bundesregierung zurückgeht.

Es gibt auch noch vielfältige weitere Maßnahmen, um belastende Vernehmungssituationen zu vermeiden, etwa die Entfernung des Täters aus dem Gerichtssaal während der Vernehmung eines Kindes oder auch eines sonstigen Opfers. Es gibt auch vielfältige Möglichkeiten, sich über den Verfahrensablauf zu verständigen. Das kann ja durchaus auch günstig für den Täter sein. Es gibt also nach geltender Rechtslage schon etliche Möglichkeiten.

Zu Herrn Tuncel wollte ich sagen, Sie haben, glaube ich, missverstanden, worum es uns geht. Es geht nicht um eine Änderung des Bundeskinderschutzgesetzes, sondern um eine Änderung des Strafgesetzbuches, also um eine Erhöhung von Strafrahmen. Das ist ein Unterschied! Insofern sagen wir nicht, dass die Bundesregierung hier mit dem Bundeskinderschutzgesetz nichts richtig gemacht hat, ganz im Gegenteil, das ist eine wunderbare Sache.

Zu der Frage der Begutachtung! Sie haben Zweifel geäußert, ob das so sinnvoll sei. Ich sage Ihnen nur, in circa 12 Prozent der Fälle erfolgt in Strafverfahren in der Hauptverhandlung eine Begutachtung von Gewalt- und Sexualtätern. Das ist im Verhältnis relativ wenig. In der Schweiz gibt es eine Regelung, dass eine solche Begutachtung in der Regel mit dem Ziel einer Therapie von Tätern erfolgt. Ich wäre die Allerletzte, die sagen würde, dass Therapie unsinnig ist, ganz im Gegenteil. Wenn Sie die neuen rechtlichen Regelungen ansehen, die in einem Entwurf der Bundesjustizministerin für die Regelung der Sicherungsverwahrung schon vorliegen, sehen Sie: Da ist auch einiges schon aufgenommen worden, und darin steht ganz umfangreich etwas darüber, was an Therapiemaßnahmen schon zu machen ist.

Die Notwendigkeit, dass Therapie schon während der Strafzeit erfolgen muss, wird von der Bundesregierung sehr wohl gesehen, sonst würde Herr Professor Stauch auch keine Sozialtherapie in Bremen aufbauen. Daran erkennt man ja schon, wie wichtig das ist. Das durchzieht im Prinzip die ganzen Gesetze. Der Sinn der Sache ist gerade, dass man rechtzeitig die Leute begutachtet. Ich habe beileibe Erfahrung mit solchen Sachen, und ich habe mir oft gewünscht, in dem Fall hätte man noch ein Gutachten einholen können. Das wäre eine sinnvolle Sache gewesen, um die Leute gleich auf den richtigen Weg zu bringen. Es geht keinesfalls darum, nur die Leute ins Gefängnis zu stecken, und dann kommen sie irgendwann nach fünf oder zehn Jahren völlig untherapiert wieder heraus. Das ist nicht Sinn der Sache. Sinn der Sache ist die Resozialisierung. Das ist das Ziel von Strafe, und das wollen wir damit errei

chen. Das geht aber nur, wenn man dafür auch entsprechende Regelungen schafft.

Wenn Sie sagen, dass das mit der Kontaktverhinderung überhaupt nicht geht: Das jetzige Gesetz habe ich doch eben zitiert, es sieht ja gerade die Möglichkeit einer Kontaktverhinderung durch erweiterte Führungszeugnisse vor. Es ist ja der Sinn, dass gerade keine pädophilen Sexualtäter mehr in Einrichtungen der Kinder- und Jugendbetreuung arbeiten. Es sind umfangreiche Maßnahmen enthalten, und ich meine, das zeigt ja, dass das geht.

Es gibt ja auch, das haben wir auch im Rechtsausschuss diskutiert, die Möglichkeit einer Fußfessel, wenn Leute im Rahmen der Führungsaufsicht entlassen wurden. Wenn man es denn wollte, könnte man Bereiche, wie zum Beispiel Kinderspielplätze, festlegen, die bestimmte entlassene Sexualstraftäter zu meiden haben. Auch das sind Möglichkeiten, um Kontaktaufnahmen zu verhindern. Das nur dazu!

Ich meine, unser Antrag ist eine sinnvolle Sache in Richtung mehr Kinderschutz. Ich kann nur an Sie appellieren, ihm zuzustimmen. – Danke!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Tuncel.

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Europarat hat im Oktober 2007 ein Übereinkommen zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung, sexuellem Missbrauch verabschiedet. Das Übereinkommen zielt darauf ab, die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu schützen. Es beinhaltet Programme zur Unterstützung von Opfern, ermutigt Menschen, vermutete sexuelle Ausbeutung und vermuteten sexuellen Missbrauch zu melden, und fordert die Vertragsunterzeichner auf, Beratungsmöglichkeiten für Kinder einzurichten.

Es stellt darüber hinaus sicher, dass bestimmte Verhaltensweisen als Straftaten klassifiziert werden müssen, zum Beispiel sexuelle Handlungen mit einem minderjährigen Kind, Kinderprostitution und Kinderpornografie. Das Übereinkommen stellt auch die Nutzung neuer Technologien unter Strafe, wenn durch deren Nutzung Kinder geschädigt oder missbraucht werden, zum Beispiel, wie Sie auch erwähnt haben, durch das sogenannte Grooming.

Mit dem Ziel, Kindersextourismus zu bekämpfen, schafft das Übereinkommen die Möglichkeit, Täter auch für im Ausland begangene Straftaten zu verfolgen. Der entsprechende Schutz von Opfern bei Prozessen muss durch die Mitgliedsstaaten sichergestellt werden. Sie sehen, einige der CDU-Forderungen sind auch hier aufgeführt. ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

(Unruhe – Glocke)

Bitte, meine Damen und Herren!

Vielen Dank, Herr Präsident! Das Übereinkommen sollte bis zum 1. Juli 2010 in den Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Viele Staaten haben das schon gemacht, Deutschland aber nicht. Wir schlagen der Bremer CDU vor, sich doch bei der Bundesregierung dafür einzusetzen, dieses Übereinkommen endlich in nationales Recht umzusetzen. Meine Damen und Herren, das wollte ich noch einmal gesagt haben. Frau Piontkowski, ich habe mich schon damit auseinandergesetzt und habe in meiner ersten Rede auch das Strafrecht erwähnt. – Vielen Dank!

(Beifall bei der LINKEN)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Peters-Rehwinkel.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte nur auf einen Punkt noch einmal eingehen, und zwar auf die Begutachtung. Wir lehnen diesen Antrag ab, und ich möchte nicht, dass hier irgendwie im Raum steht, dass wir Anträge ablehnten und nichts tun wollten, weil man bestimmte Maßnahmen ergreifen könnte, um gewisse Sachen zu verhindern, nämlich Menschen begutachten, therapieren, und dann machen sie das nie wieder; jeder, der therapiert wird, ist dann sozusagen nicht mehr in diesem Deliktsfeld. So ist es nicht! Das ist ein Gesellschaftsproblem, und es geht auch um ganz gesunde Menschen. Ich möchte, dass das hier klar ist. Sie sind hier nicht die Heiler der Nation mit diesem Antrag. So ist es leider nicht. Deswegen möchte ich nicht, dass solche populistischen Dinge hier im Raum stehen bleiben, wenn man das machen würde, dann wäre alles gut. Dem ist nicht so. – Danke!

(Beifall bei der SPD)

Als nächster Redner hat das Wort Herr Staatsrat Professor Stauch.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe mich jetzt ein bisschen gefragt, wo ich eigentlich bin.

(Heiterkeit – Abg. T s c h ö p e [SPD]: Es ist 17.45 Uhr!)

Das muss ich ehrlich sagen. Die Forderungen richten sich an den Bundestag, das muss man deutlich ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

sagen, und an die Bundesregierung. Ich kann nur kurz berichten, wie der Stand der Beratung auf Bundesebene ist, um hier einmal ein realistisches Bild zu bringen.

Die Bundesregierung hat bei der Frage des Kinderschutzes wenig mitgetragen. Bremen hat mit anderen Ländern zusammen einen Antrag zur Aufnahme des Kinderschutzes in das Grundgesetz eingebracht, dieser wurde abgelehnt. Wir haben uns intensiv darum bemüht, die Verlängerung der Verjährungsfristen auf den Weg zu bringen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung hat allein eine Verlängerung der zivilrechtlichen Verjährungsfristen vorgesehen, da war nichts enthalten zur Verlängerung der strafrechtlichen Verjährungsfristen.

Ich kann Ihnen sagen, Bremen hat einen Antrag bei der Justizministerkonferenz eingebracht, um die Verlängerung strafrechtlicher Verjährungsfristen zu erreichen. Das war ganz schwierig. Ich musste kämpfen, zum Schluss haben wir eine Mehrheit mit einem Minimalansatz zustande bekommen, der jetzt dazu führt, dass der Beginn der Verjährung vom 18. Lebensjahr auf das 21. Lebensjahr verschoben wird. Wir wollten mehr erreichen, das war sozusagen ein Minimum. Dafür hat es eine Ländermehrheit gegeben. Ich hoffe sehr, dass die Bundesregierung das jetzt noch in das Bundesgesetzgebungsverfahren einbringt, sodass mindestens die Verjährungsfristen um diese drei Jahre verlängert werden. Das war ganz schwierig durchzusetzen, das kann ich Ihnen sagen. Darum habe ich gekämpft.

Dann wird in Ihrem Antrag die Sicherungsverwahrung angesprochen. Ich bin erbost darüber, dass Sie das ansprechen. Das will ich Ihnen einmal ganz deutlich sagen, und ich habe das im Rechtsausschuss auch schon vorgetragen. Bei der Frage der Sicherungsverwahrung wollten wir für die ganz besonders gefährlichen Täter, deren Gefährlichkeit auch eine psychische Störung darstellt, dass die Regelung des Therapieunterbringungsgesetzes in die Neuregelungen aufgenommen wird. Das hat die Bundesregierung abgelehnt.

In der letzten Justizministerkonferenz, es gab eine Sonderjustizministerkonferenz, gab es eine große Mehrheit der A-Länder, die Bundesregierung lehnte das ab. Ich kann Ihnen sagen, die B-Länder und auch Bayern und Niedersachen haben sich gewunden, obwohl sie eigentlich dieser Änderung zustimmen wollten, dafür hat es keine Mehrheit gegeben. Bei den Kernpunkten, in denen es wirklich um den Kinderschutz geht, gibt es überhaupt kein Handeln der Bundesregierung. Sie müssten Bundestagsabgeordnete sein und auf die Bundesregierung einwirken, dass der Kinderschutz effektiv vorangebracht wird. Es fehlt in der ganz konkreten Umsetzung. Das geht kein Stück voran.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen – Abg. Frau P i o n t k o w s k i [CDU]: Dann fangen Sie noch heute damit an! – Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/ Die Grünen]: War das ein Antrag?)

Ich könnte zu jedem Ihrer Punkte etwas sagen, aber das schenke ich mir, weil die Zeit bereits soweit vorangeschritten ist. Aber Sie müssen sich einmal mit den Ergebnissen des runden Tisches auseinandersetzen. Der runde Tisch hat 20 Monate getagt, und die materiellen Änderungen, die Sie hier vorschlagen, halten die für überflüssig. Sie sagen, das materielle Strafrecht reiche aus, kein Ansatz davon. Man muss sich inhaltlich damit auseinandersetzen.

Wir könnten jeden einzelnen Punkt hier diskutieren. Etliches von dem, was sie ansprechen, ist überhaupt schon im Gesetz geregelt. Zu Kontaktverboten kann ich nur sagen, im Rahmen der Führungsaufsichtsauflagen ist das alles möglich, das haben wir auch schon praktiziert, auch in Fällen, die wir hier in Bremen haben. Ich könnte zu jedem einzelnen Punkt etwas sagen, aber ich denke, das wäre überzogen. Der entscheidende Punkt ist, dass die Bundesregierung nicht handlungsfähig ist. Dieser Bundestag bringt die wirklichen Kinderschutzregelungen nicht voran, und das liegt an dieser Bundesregierung. Wir treten dafür ein, und das ist schwer.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/121 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür CDU)

Ich bitte um Gegenprobe!