Wer dem Antrag der Fraktion der CDU mit der Drucksachen-Nummer 18/118 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es geht jetzt um ein recht trauriges Thema, und zwar um das Thema Stalking. Ich möchte Ihnen zu diesem Zweck einen Fall schildern, der im April dieses Jahres auch in der Zeitung nachzulesen war, es geht um eine sechzigjährige Frau
aus Bremerhaven. 2001 hatte die Mutter von zwei Kindern eine Beziehung mit einem Alkoholiker begonnen, diese allerdings nach fünf Jahren wieder beendet. In dem Moment fing der Einundvierzigjährige an, der Frau nachzustellen.
Was passierte? Er schickte ihr Kurznachrichten, belästigte sie telefonisch, mehrfach alarmierte er die Feuerwehr oder den Notarzt mit dem Hinweis, in der Wohnung seiner Partnerin gebe es einen Brand oder einen Unfall. Er bestellte Taxen, Bestattungsunternehmen oder den Pizzaservice, gab in ihrem Namen Bestellungen bei einem Versandhandel auf. Einmal rief er an ihrem Arbeitsplatz an und sagte, es würde eine Bombe hochgehen.
Er drohte selbst der einundachtzigjährigen Mutter, ihre Tochter werde den nächsten Tag nicht überleben. Er drohte der Geschädigten, er werde sie vergewaltigen, er werde ihre Kinder umbringen, und er lauerte ihr auf dem Weg zur Arbeit auf und versuchte, sie festzuhalten. All das sind typische Erscheinungsformen von Stalking. Zweimal versuchte die Frau, ihrem Peiniger durch Umzug zu entgehen. Sie hat Ordnungsgelder erwirkt, gerichtliche Verfügungen. All das hat zu keinem Ergebnis geführt, der Täter hat das Stalken nicht unterlassen.
Erst als er nach inzwischen vier Jahren in die JVA einwanderte, da hörte das Stalking auf. Die Frau war in diesem Moment psychisch längst am Ende. Sie litt unter Angststörungen, Schlafstörungen und musste sich auch vorübergehend in psychiatrische Behandlung begeben. 2005 wurde bei ihr eine Schwerbehinderung von 50 Prozent festgestellt, und ihren Beruf konnte sie nicht mehr ausüben.
Im selben Jahr beantragte diese Frau dann – und jetzt komme ich zu unserem Antrag – eine Beschädigtenrente. Doch das Versorgungsamt, das dafür zuständig ist, hat dies mit der Begründung abgelehnt, dass kein tätlicher rechtswidriger Angriff vorlag. Es ist ja das Problem, nach dem Opferentschädigungsgesetz brauchen wir einen vorsätzlichen tätlichen Angriff. Das heißt, es muss eine Einwirkung auf den Körper stattgefunden haben. Wie das so ist bei Stalkingfällen, es ist häufig nur Psychoterror. Ich sage zwar „nur Psychoterror“, aber der Psychoterror ist häufig sehr viel schlimmer für die Opfer von Straftaten und für die Opfer von Stalking, als wenn es eine einfache Körperverletzung ist. Das ist gerade der Widerspruch. Wenn Sie einen tätlichen Angriff, eine einfache Körperverletzung haben, dann können Sie einen Anspruch nach dem Opferentschädigungsgesetz geltend machen. In dem Moment, in dem es um Psychoterror geht, da sieht es anders aus. Das kann doch wohl nicht wahr sein!
setz, Geschädigte haben die Möglichkeit, eine einstweilige Verfügung zu beantragen, die auch strafbewehrt ist. Da hat es wirklich eine ganz große Anzahl Verfahren gegeben, im Schnitt jährlich 100 Ermittlungsverfahren in Bremen wegen Verstoßes gegen das Gewaltschutzgesetz. Auch die Anzahl der familiengerichtlichen Verfahren ist sprunghaft angestiegen, nämlich auf inzwischen 742 Verfahren im Jahr 2010, nachzulesen im jüngsten Bericht zur häuslichen Beziehungsgewalt.
Seit 2007 gibt es darüber hinaus im Strafgesetzbuch den Tatbestand der Nachstellung, auch dort sind etliche Verfahren eingegangen, wir liegen jetzt bei circa 300 Verfahren jährlich. All das bietet den Frauen Schutz. Ich sage immer Frauen, da 80 Prozent der Opfer in diesem Falle Frauen sind.
Nur das Sozialrecht hinkt hinterher, und das ist ein Problem. Das, was dieser Frau aus Bremerhaven passiert ist, war für mich der Anlass. Als ich das in der Zeitung gelesen habe, habe ich gedacht: Da musst du handeln! Gerade als jemand, der nun jahrelang in dem Bereich gearbeitet hat, habe ich gesagt, das kann man nicht einfach so stehen lassen! Deswegen unser Antrag, Stalking in das Opferentschädigungsgesetz als Anspruchsgrundlage aufzunehmen und einem tätlichen Angriff gleichzustellen, damit dann die Opfer auch die Möglichkeit haben, eine Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz zu bekommen. Gerade in solchen Fällen, in denen, wie hier die Frau aus Bremerhaven, als Folge des Stalking der Beruf aufgegeben werden muss!
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren von der CDU, mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass sich Ihre Partei nicht nur plötzlich bei Themen wie dem Atomausstieg und dem Mindestlohn neu positioniert, sondern sich auch des Themas Opferschutz annimmt. Dies begrüßen wir grundsätzlich sehr!
Uns überrascht allerdings, dass dieses Thema, anders als der Mindestlohn, nicht auf der Bundesebene Ihrer Partei aufgegriffen worden ist. Ihr letzter Parteitag hätte dazu meiner Meinung nach eine gute Gelegenheit gegeben, denn schließlich sprechen wir hier, Frau Piontkowski, über ein Bundesgesetz, dessen Änderung durch einen Regierungsentwurf auf Bundesebene seitens Ihrer Partei sicherlich effektiver vorangetrieben werden könnte. ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
Wir Grünen haben uns auf Bundesebene seit Jahren für eine Reform des Opferentschädigungsgesetzes ausgesprochen. Nachdem dennoch jahrelang kein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht werden konnte, haben wir Grünen am 28. März 2006 einen Gesetzentwurf zur Reform des Opferentschädigungsgesetzes in den Bundestag eingebracht. Dieser Gesetzentwurf lag sodann bei der Großen Koalition brach, und zwar nicht zuletzt aufgrund der ablehnenden Haltung Ihrer Partei, den Kreis der Berechtigten auf Ausländer und eingetragene Lebenspartner auszudehnen. Im Ergebnis mündeten sämtliche Reformbemühungen in einem Reförmchen.
Nun finden Sie als Anlass für Ihren Antrag ein Gerichtsurteil, das in einem bestürzenden Fall dem Opfer eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz versagt hat, da es nach Auffassung des Gerichts, wie Sie auch richtigerweise ausgeführt haben, an einer Tätlichkeit fehlte. Dies ist eine Regelungslücke, die geschlossen werden muss, da stimme ich Ihnen, Frau Piontkowski, auch zu. Allerdings ist dies nicht die einzige Regelungslücke, wie Gerichtsentscheidungen der Sozialgerichte anderer Länder auch aufzeigen. Insofern ist unserer Auffassung nach Ihr Antrag nicht weitgehend genug, und deswegen müssen wir leider Ihren Antrag ablehnen.
Ich möchte daneben auch noch einmal darauf verweisen, dass Bremen gerade im Hinblick auf den Tatbestand Stalking ein bundesweit beachtetes Konzept im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleiches durch das Programm Stalking-KIT anbietet. Dieses Programm bietet den Betroffenen ein über die Leistungen des Opferentschädigungsgesetztes hinausgehendes Hilfekonzept an, das hier in Bremen auch sehr gut angenommen wird.
Dies ändert selbstverständlich nichts an den tatsächlich existierenden Schwächen des Gesetzestextes, denn nicht nur das von Ihnen zitierte Urteil zeigt die Schwächen bei der Umsetzung des Gesetzes auf, sondern, dies in einem viel maßgeblicheren Umfang, auch der Abschlussbericht des runden Tisches zum Thema sexueller Kindesmissbrauch. Dort wurde eine sehr umfassende Evaluierung des Opferentschädigungsgesetzes vorgenommen, die ganz konkrete Probleme und Fehlentwicklungen aufzeigt. Dies gilt es doch insbesondere auch auf der Landesebene anzugehen.
Deswegen fordern wir mit unserem Antrag, nicht nur die Regelungslücke bei Stalking – Nachstellung heißt der Tatbestand auf Bundesebene – zu schließen, sondern dann eben bitte auch die Regelungslücke bei Freiheitsberaubung ebenso zu schließen, damit die Opfer dieser Straftaten auch Ansprüche auf staatliche Entschädigung haben können. Auch bei einer Freiheitsberaubung – Sie haben richtigerweise ausgeführt, welche Probleme bei den Frauen bei Stalking entstehen können – kann es, je nach Dauer und Umständen, zu so schwerwiegenden körperlichen und psychischen Schäden führen wie bei einer
Körperverletzung. Dennoch sind die Gerichte leider immer noch zögerlich, bei der Anwendung des Opferentschädigungsgesetzes diese Ansprüche zu bejahen.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt das Opferforum des Weißen Rings, welches Verbesserungen im Opferentschädigungsrecht, insbesondere im Hinblick auf die Wartezeit für die Leistungsgewährung sowie auf eine auf die Bedürfnisse der Opfer abgestellte Verwaltung, als erforderlich ansieht. Gerade bei der Verwaltung ist es wichtig, dass die Betroffenen auf kompetente Bedienstete und ein Verfahren treffen, das ihnen wirklich hilft. Gerade hier ist es wichtig, dass das Verfahren keine sekundäre Viktimisierung oder weitere Traumatisierung von Staats wegen dadurch auslöst, dass von den Betroffenen im Antragsverfahren eine detaillierte Schilderung ihrer traumatischen Erlebnisse verlangt wird, denn ein solches meiner Meinung nach nicht opferschonendes Verfahren schreckt die Betroffenen ebenso von einer Antragstellung ab, wie sie der zu eng, weil auf tätliche Angriffe beschränkte Gesetzeswortlaut von der Antragstellung ausschließt.
Dies wollen wir auch auf Landesebene verändern und bitten in unserem Antrag den Senat deshalb, die Vorgaben des runden Tisches zu prüfen, damit die Opferrechte auf Entschädigung besser umgesetzt werden. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind der Ansicht, dass der Antrag der CDU ein guter Ansatz ist. Gerade das Stalking, die Nachstellung, sollte Bestandteil des Opferentschädigungsgesetzes werden, damit sich daraus Entschädigungsansprüche für Opfer einer solchen Straftat ableiten lassen. Auf Bundesebene müsste auch, was die Freiheitsberaubung anbelangt, dringend eine opferschonende Reformierung des Opferentschädigungsgesetzes in Angriff genommen werden; das hatte meine Vorrednerin ja eben auch angesprochen.
Das sind Dinge, die wir unterstreichen können. Gleichwohl wollen wir Ihren Antrag mit Blick auf unseren, den wir hier als Dringlichkeitsantrag vorgelegt haben, ablehnen, weil er über das Stalking hinausgeht. Darauf beziehen Sie sich in Ihrem Antrag absolut zu Recht, denn beim Stalking handelt es sich um Psychoterror, der weit über psychische Belastung hinausgehen kann. Es wäre nicht das erste Mal, dass Stalking-Opfer auch Opfer massiver Gewalteinwir
kung werden. Insofern muss auch auf diesen Straftatbestand geschaut werden. Völlig richtig! Zum Glück haben wir hier, und das wurde eben auch schon gesagt, das Stalking-KIT. Dort arbeitet der Täter-Opfer-Ausgleich in enger Zusammenarbeit mit der Polizei und der Staatsanwaltschaft. Seit 2007 ist dies, wie gesagt, ein eigener Straftatbestand. Trotzdem gibt es weitere Opfer von Straftaten und insbesondere auch Opfer sexuellen Missbrauchs. Das ist ein Ansatz, den wir nicht erst seit dieser Legislaturperiode verfolgen, sondern schon länger. Wir haben vor Kurzem auch eine gute Anhörung zum Thema Opferschutz und Opferhilfe gehabt, was die Einrichtungen hier in Bremen anbelangt. Es ist also wichtig, dass wir zu einem umfassenden Opferschutz und umfassenden Opferhilfen kommen, die natürlich auch die Entschädigung beinhaltet. Bei der Entschädigung ist es normalerweise so, dass der Täter derjenige wäre, der die Entschädigung zu leisten hätte. Das scheitert allerdings oft an Beweisproblemen. Manchmal ist der Täter bereits verstorben, man denke zum Beispiel an die Heimfälle in den Fünfziger- und Sechzigerjahren. Das sind Probleme, mit denen anders umgegangen werden muss.
Mit Blick auf das Opferentschädigungsgesetz kann man bundesweit leider nur eine negative Bilanz ziehen, weil vielfach die Versorgungsämter die Entschädigungsansprüche ablehnen. Es muss also sichergestellt werden, und das wollen wir mit unserem Antrag, dass die Entscheidung, die auf Grundlage des Opferentschädigungsgesetzes fällt – und es stehen ja Menschen dahinter, die sich mit der Frage befassen, ob das Opfer entschädigungsbedürftig ist –, von Menschen gefällt wird, die sich mit den Opfern richtig auseinandersetzen, sodass es unter dem Strich zu einer anderen Beurteilung kommt. Gegebenenfalls sollte es vorläufige Entschädigungsbewilligungen geben, die unabhängig von der Anzeige sein sollten, damit es nicht unbedingt notwendig ist, dass Opfer erst im Strafverfahren „gelandet“ sein müssen, sondern dass sie sich auch vertrauensvoll an Einrichtungen wenden können, ohne einen Entschädigungsanspruch zu verlieren.
Ich möchte also noch einmal betonen, dass wir Ihren Antrag eigentlich nicht schlecht finden, weil er auch das beinhaltet, was wir hier noch etwas umfassender gemacht haben. Ich möchte jedoch um Zustimmung für unseren Antrag werben. – Vielen Dank!