Protocol of the Session on June 17, 2010

Ist es angemessen, wollen wir wissen, alle Eltern, die ein Kind verloren haben, zum Wohl der Strafverfolgung oder der medizinischen Forschung unter einen Generalverdacht zu stellen? Ich glaube nicht! Diese Frage sollten Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch stellen. Uns hat eine eindrucksvolle Stellungnahme des Vereins Verwaiste Eltern erreicht. Darin kommen die Betroffenen zu einem eindeutigen Schluss: „Aus einer jahrelangen Erfahrung können wir mit Sicherheit sagen, dass die geplanten Änderungen zu einer erheblichen Belastung der Familien führen.“

Der Verlust eines eigenen Kindes ist für Eltern der größtmögliche Schock. Herr Staatsrat, inwiefern dient es denn dem Kindeswohl, diesen Eltern die Trauerarbeit in dieser Weise zu erschweren? Diese Frage haben wir uns jedenfalls sehr intensiv gestellt, denn die körperliche Integrität des Leichnams ist uns nicht unwichtig. Nicht umsonst hat das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass die Menschenwürde auch über den Tod hinausgeht. Auch unter diesem Gesichtspunkt muss die Suche nach angemessenen Maßnahmen unternommen werden. Die Senatorin hat sich nach unserer Überzeugung zu sehr auf dieses Instrument der Obduktion eingeschossen, anscheinend um Handlungswillen zu beweisen.

Zur Profilierung einer Senatorin oder eines Ressorts ist diese Maßnahme vielleicht erforderlich, ganz gewiss ist sie dafür aber nicht angemessen.

(Beifall bei der FDP)

Deshalb fordern wir Liberale, der Prävention in diesem Zusammenhang stärkeres Gewicht zu verleihen. Wir fordern präventive Angebote, die überforderten Eltern unterstützen, damit es erst gar nicht so weit kommt. Für uns gilt: Prävention statt Obduktion!

(Beifall bei der FDP)

Wir streben darüber hinaus eine Verbesserung der Leichenschau und eine bessere Verzahnung mit der Arbeit der Staatsanwaltschaft an. Damit ist in den wenigen Fällen, die im Graubereich bleiben, ein abgestimmtes Verfahren gefunden, um den Eltern gegenüber auch zu vermitteln, dass wir Respekt insgesamt auch vor ihrer Trauersituation haben und dass wir ihnen ausschließlich ein Mindestmaß von Belastungen zumuten wollen. Deshalb wird die FDP-Fraktion diesen Gesetzentwurf in der ersten Lesung ablehnen.

Wir stehen einer Beratung im Rechtsausschuss natürlich grundsätzlich offen gegenüber, wir werden das im Verfahren auch weiter begleiten. Wir glauben allerdings, dass es andere Instrumente gibt, die geeigneter sind, um der Zielsetzung, die uns hier in der Begründung vorgeschlagen wird, zu genügen und dem auch erfolgreich zu begegnen. Wir hoffen auf eine konstruktive weitere Beratung im weiteren Gang und dass sich noch mehr Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus wirklich im Detail mit allen Folgewirkungen dieses Gesetzesvorschlags auseinandersetzen. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der FDP)

Das Wort hat Herr Staatsrat Dr. Schulte-Sasse.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Troedel hat für mich in ihrem Beitrag in überzeugender Weise dargelegt, dass es sich bei diesem Thema um ein ausgesprochen schwieriges Thema handelt und es eine Reihe von Argumenten gibt, die für solch eine gesetzliche Regelung sprechen, aber auch eine Reihe von Argumenten, die gegen eine solche gesetzliche Regelung sprechen. Ich kann für meinen Teil sagen, zu Beginn der Diskussion in unserem Haus war für mich überhaupt nicht entschieden, ob wir diesen Weg weiter beschreiten sollten oder nicht.

Wir haben uns die Entscheidung bei uns im Haus nicht leicht gemacht und erst nach einer langen und intensiven Diskussion entschieden, diesen Weg zu

beschreiten, weil wir glauben, dass er ein richtiger Weg ist, und zwar nicht, weil wir der alternativen Option entsprechen wollten, die Herr Möllenstädt gerade formuliert hat. Er hatte formuliert Prävention statt Obduktion – das ist natürlich eine unsinnige Gegenüberstellung –,

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der CDU)

aber für uns ist diese Obduktion, um die es heute geht, Teil der Prävention und nicht ein Gegensatz zur Prävention.

(Beifall bei der SPD, bei der CDU und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Mich macht etwas persönlich betroffen, da es sich hier um ein tatsächlich sehr schwieriges Thema handelt, ein Thema, das gerade bei den betroffenen Eltern in seinen Wirkungen nicht unproblematisch ist. In diesem Zusammenhang davon zu sprechen, dass das Motiv für diese Gesetzesvorlage eine Profilierung der Senatorin sei, das empört mich ziemlich.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass die Senatorin oder sonst irgendjemand aus unserem Haus für diesen Gesetzentwurf den Fall Kevin zur Begründung herangezogen hat. Im Gegenteil! Ich habe in meinen öffentlichen Äußerungen regelmäßig darauf hingewiesen, dass der Fall Kevin zwar zu einer starken Sensibilisierung des Themas Kindeswohl in Bremen beigetragen hat – und diese Debatte natürlich insoweit eine Folge der Sensibilisierung des Falles Kevin ist –, aber der Fall Kevin ist so grundsätzlich anders gelagert gewesen, sodass ein solches Gesetz, um das es heute geht, keine Schutzwirkung im Fall Kevin hätte auslösen können.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Auch deshalb ist der Hinweis, der gerade in der Sache gegeben wurde, falsch.

Ich habe ein Gespräch mit Herrn Melching vom Verein Verwaiste Eltern geführt, weil dieser Verein sich in besonders deutlicher Weise kritisch mit diesem vorliegenden Gesetzentwurf auseinandergesetzt hat. Mich hat interessiert: Was sind die Gründe, warum diese massive Kritik? Herr Melching hat für mich in durchaus überzeugender Weise dargelegt, dass es neben einer nach wie vor vom Verein Verwaiste Eltern vorgetragenen auch grundsätzlichen juristischen Problematisierung dieses Gesetzes vor allem aber um etwas ganz anderes geht, nämlich um die Kommunikationsprobleme zwischen denjenigen,

die mit den Eltern nach dem plötzlichen Tod ihres Kindes zu tun haben, nämlich Ärzten, Obduzenten, Polizei, Staatsanwälten et cetera, und er hat aus seinen Erfahrungen berichtet, was in dieser Kommunikation alles falsch läuft.

Was er mir vorgetragen hat, scheint mir sehr plausibel zu sein. Dem Problem, das er vorgetragen hat, muss man adäquat begegnen. Dem kann man aber nicht begegnen, indem man dieses Gesetz nicht beschließt, sondern dem muss man so begegnen, dass man als zusätzliche Antwort auf eine solche gesetzliche Regelung einen unmissverständlichen und klaren Leitfaden für die Kommunikation erarbeitet, der für alle an diesem Verfahren Beteiligten definitive Standards setzt. Das ist mit Herrn Melching so besprochen, das habe ich ihm zugesagt. Wir werden ihn nach der Vorlage eines solchen Leitfadens auch einbeziehen in die Bewertung dieses Leitfadens, gegebenenfalls auch in die Verbesserung dieses Leitfadens.

Wir werden dafür Sorge tragen müssen, dass diejenigen, die mit den Eltern kommunizieren, die Qualität ihrer Kommunikation verbessern. Auch dort gibt es eine klare Zusage meinerseits an Herrn Melching vom Verein Verwaister Eltern. Wir werden die Betroffenen entsprechend mit Schulungsmaßnahmen in ihrer Professionalität der Kommunikation fördern. Damit sind die wesentlichen, so habe ich ihn verstanden, Bedenken, die der Verein Verwaiste Eltern hier vorgetragen hat, adäquat beantwortet und, ich hoffe, auch mit einer vernünftigen Wirkung dann versehen, sodass die Probleme der Vergangenheit in der Zukunft nicht weitergelebt werden können.

Ich stelle in jedem Fall fest, dass ein großer Teil derjenigen, die sich mit Kindern und Eltern professionell befassen, diese Gesetzesinitiative begrüßt. Es wurde ja einmal der Vorwurf geäußert, die Ärzte, die die Obduktion durchführten, würden es begrüßen, und darüber sollte man sich nicht wundern. An diesem Vorwurf ist etwas daran, deshalb ist mir diese Begrüßung oder diese Unterstützung auch nicht die wichtige. Wenn aber nahezu geschlossen alle Kinderärzte, Chefärzte und deren Berufsverbände hinter diesem Gesetzentwurf stehen – also Ärzte, die regelmäßig jeden Tag mit Kindern und ihren Eltern zu tun haben –, dann sollte man schon in sich gehen und sich die Frage stellen, ob der Vorwurf von Eiseskälte gegenüber den Eltern, der in dieser Debatte ja einmal erhoben wurde, ein fairer und vernünftiger Vorwurf ist. Ich auf jeden Fall halte diesen Vorwurf nicht nur für schäbig – er richtete sich nämlich auch gegen die Senatorin –, sondern ich halte ihn in der Sache für völlig falsch. – Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Wer das Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Leichenwesen, Drucksache 17/1250, in erster Lesung beschließen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür SPD, CDU, Bündnis 90/Die Grünen, DIE LINKE, Abg. T i m k e [BIW] und Abg. T i t t m a n n [parteilos])

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen FDP)

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) beschließt das Gesetz in erster Lesung.

Meine Damen und Herren, es ist Einigung darüber erzielt worden, nach der ersten Lesung den Gesetzesantrag zur Beratung und Berichterstattung an den Rechtsausschuss zu überweisen.

Wer dieser Überweisung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) überweist entsprechend.

(Einstimmig)

Jungen und Mädchen sind unterschiedlich: geschlechtsspezifische Pädagogik weiterentwickeln!

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 20. April 2010 (Drucksache 17/1267)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Staatsrat Othmer.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Öztürk.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen! Unser Antrag mit dem Titel „Jungen und Mädchen sind unterschiedlich: geschlechtsspezifische Pädagogik weiterentwickeln!“ mag vielleicht den einen oder anderen am Anfang irritieren oder aber auch provozieren.

Der Bildungsverlauf von Kindern und Jugendlichen ist seit längerer Zeit dadurch gekennzeichnet, dass

Jungen im Durchschnitt deutlich größere Schwierigkeiten in einigen Bereichen der Schule haben als Mädchen. Dies betrifft tendenziell sowohl die Schulleistungen und -abschlüsse als auch den Bereich des Sozialverhaltens. Als Hintergrund für diese Unterschiede werden in den Fachdiskussionen gerade in erster Linie die geschlechtsspezifischen Sozialisationsbedingungen und Rollenerwartungen von Jungen und Mädchen und die fehlenden positiven Rollenvorbilder für Jungen angeführt. Auch die konzeptionelle Ausrichtung des Unterrichts wird als ein Grund dafür genannt, dass es zu solchen geschlechtsspezifischen Unterschieden kommt.

Im dritten Fortschrittsbericht zur Umsetzung von Gender-Mainstreaming in der bremischen Verwaltung vom Februar dieses Jahres wurde darauf hingewiesen, wie wichtig es ist, dass sich Schulen und Kindertagesstätten auch mit der Weiterentwicklung von differenzierten Konzepten für Mädchen und Jungen beschäftigen. Hierfür wurde bereits im Bildungsressort eigens eine Steuergruppe „Gendergerechte Schule“ eingerichtet. Das begrüßen wir sehr.