Protocol of the Session on October 17, 2007

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Das haben Sie nie verstanden!)

Die FDP hat auch vier Jahre gemeinsam regiert, aber die Erfahrung, die wir haben, ist etwas breiter, sie ist etwas tiefer, und sie ist sozusagen von einem gesunden Misstrauen gegenüber sozialdemokratischer Formulierungskunst geprägt. Ich will aber gleichzeitig einräumen, das Misstrauen besteht vielleicht auch wechselseitig. Ich will an dieser Stelle ausdrücklich sagen, was uns misstrauisch gemacht hat: Uns hat misstrauisch gemacht, dass im ersten Antragsentwurf dieser Koalition das Wort Gymnasium an keiner Stelle vorkam. Ich finde es gut, dass Sie sich in der Beratung mit uns dann darauf eingelassen haben, auch das Stichwort Gymnasium aufzunehmen.

(Abg. D r. B u h l e r t [FDP]: Stimmen Sie jetzt auch dem Antrag zu?)

Das ist ein Stück Bewegung, das will ich ausdrücklich sagen. Ich finde aber, dass es noch nicht Bewegung genug ist, und ich habe weder dem Wortbeitrag von Frau Stahmann noch dem Wortbeitrag von Herrn Güngör entnehmen können, dass für Sie aus ideologischen Gründen nicht an dem durchgängigen Gymnasium gerüttelt werden soll.

Sie sagen, sie wollen das nicht heute entscheiden, aber ich sage, ich will es gar nicht entscheiden! Das durchgängige Gymnasium gehört genauso zu unserer Bildungsinfrastruktur wie der Ansatz, dass wir möglichst lange gemeinsam lernen. Wir sind bereit, uns unter Aufgabe vieler Positionen der letzten 30 Jahre für die Diskussion zu öffnen, zu sagen, jawohl, wir erkennen, dass es richtig ist, Kinder unterschiedlicher Begabungen und Neigungen in einer Säule des Schulsystems möglichst lange gemeinsam zu unterrichten. Wir sagen aber genauso, dass es auf der anderen Seite Kinder gibt, bei denen bereits nach der 4. Klasse feststeht, dass sie einen anderen Weg gehen als andere Kinder.

Es stimmt, es gibt viele Kinder, bei denen ergeben sich bestimmte Begabungen und Neigungen erst spä

ter, und deswegen sage ich ja auch, es muss in beiden Systemen möglich sein, am Ende den höchsten Bildungsabschluss zu erzielen.

(Beifall bei der CDU)

Auch die Gesamtschule muss mit dem Abitur enden können, meine Damen und Herren! Deswegen wollen wir niemanden ausgrenzen, aber es ist richtig, wenn Richard von Weizsäcker zum Beispiel sagt, möglichst viele sollen möglichst viel wissen. Die sozialdemokratische Überzeugung ist doch aber, dass alle alles wissen sollen, und das gibt es nicht im deutschen Schulsystem. Das gibt es auch nicht in Skandinavien oder von wo Sie Ihre Experten auch immer holen. Wir müssen nicht ein System aus anderen Ländern kopieren, sondern wir müssen einen eigenen Weg für die Kinder in Bremen und Bremerhaven finden, das ist unser Ansatz.

(Beifall bei der CDU)

Ich sage einen letzten Satz dazu: Wird es wieder bildungspolitische Schlachten geben? Ich hoffe, nicht, aber ich sehe Anzeichen dafür! Sie haben gesagt, Röwekamps Rede war am Anfang ausgewogen und am Ende unversöhnlich, das könnte wieder ein Rückfall in alte Debatten sein. Ich sage nur ganz bewusst: Wenn die Bildungssenatorin zum Beispiel von Anfang an, am Beginn dieses Prozesses, den sie leiten soll, für den sie in Absprache mit dem Fachausschuss Gutachter bestellt, sich bereits festlegt, dass es auf keinen Fall am Ende eines solchen Prozesses die Zweigliedrigkeit geben kann, dann sage ich, das ist eine ideologische Voreingenommenheit, die dieser Beratung im Fachausschuss nicht dienlich sein wird.

(Beifall bei der CDU)

Das Zweite, was mich stutzig macht, ist die Debatte der Aktuellen Stunde von gestern. Das mag Ihnen vielleicht durchgerutscht sein, oder es haben nicht alle gehört, aber dass unsere Bildungssenatorin in der Debatte um eine illegale Schule in Bremen sagt, sie wäre dafür, dass man grundsätzlich darüber nachdenkt, dass es Grundschulen nur noch in staatlicher Trägerschaft und nicht mehr auch in freier Trägerschaft geben kann, ist ein mit uns nicht gangbarer Weg, das will ich an dieser Stelle sagen.

(Beifall bei der CDU)

Wir legen Wert darauf, dass es staatlich anerkannte, aber vom Staat unabhängige Schulen auch in Bremen und Bremerhaven gibt.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Hat sie nicht gesagt! Das ist nicht wahr!)

Ich will eines hinzufügen: Meine eigenen Kinder gehen in eine konfessionell gebundene Grundschule, und ich sage aus der Erfahrung, die ich auch von Eltern an anderen Schulen habe: Nirgendwo wird über die Grundwerte von Christentum, von Gleichheit von Menschen, von Chancengerechtigkeit, von sozialem Engagement, von unterschiedlichen Begabungen und Leistungen, von individueller Förderung, von unterschiedlicher ethischer Grundlage auf dem Fundament einer festen christlichen Überzeugung so viel Soziales getan wie in einer konfessionell gebundenen Schule.

(Beifall bei der CDU)

Das ist meine Erfahrung, die ich gemacht habe, und ich möchte nicht, dass Bremen darauf verzichtet. Deswegen sage ich: Das, was im Koalitionsvertrag steht, eine Schule für alle, ist nicht die bildungspolitische Antwort auf die Anforderungen, die die Kinder und ihre Eltern heutzutage an die Schule stellen.

Wir haben es eben nicht geschafft, indem wir Hauptund Realschule zur Sekundarschule miteinander verbunden haben, dass es eine attraktivere, eine leistungsfähigere Schule geworden ist. Wir müssen doch heute bilanzieren, dass diese Schule die an sie gestellten Erwartungen eben gerade nicht erfüllt. Deswegen reicht es nicht, an die Sekundarschule, die jetzt noch bis Klasse 10 geht, einfach das Gymnasium daran zu hängen und zu sagen, das ist unsere Schule für alle. Nur dadurch, dass Sie unterschiedliche Schulzweige miteinander verbinden, gibt es am Ende noch keine Schule, die die individuellen Begabungen und Leistungen des Einzelnen am besten fördert und sie auch fordert.

Das sind diese Zwischentöne, meine Damen und Herren, die uns an der einen oder anderen Stelle stutzig machen, ob Sie nicht doch aus ideologischen Gründen in diesem Fachausschuss versuchen, eine Grundlage zu finden, um ein Bildungssystem zu rechtfertigen, das Sie in Bremen eigentlich seit 30, 45 Jahren einführen wollen. Deswegen sage ich Ihnen am Schluss für die CDU-Fraktion zu, dass wir selbstverständlich – auch wenn wir gegen den Antrag stimmen, weil die Voraussetzungen und die Zielsetzungen nicht unsere hundertprozentige Übereinstimmung finden, sondern in diesem einen wichtigen Punkt, der Bestandsgarantie für durchgängige Gymnasien im bestehenden Schulsystem, unsere Erwartungen nicht erfüllen – konstruktiv in diesem Fachausschuss, ich gehe davon aus, er wird eine Mehrheit finden, mitarbeiten werden.

Wir werden Ihnen auf die Finger schauen, wir werden für unsere bildungspolitischen Vorstellungen ideologiefrei, aber mit festem Willen und einer, das sage ich an dieser Stelle auch, verlässlichen Wertegrundlage kämpfen. Ich hoffe, wir schaffen es am Ende doch zu einem gemeinsamen Weg. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält der Abgeordnete Rupp.

Frau Präsidentin, verehrte Damen und Herren! Ich glaube, ergebnisoffene oder offene Prozesse, wie sie jetzt angestrebt werden bei der Frage des Schulentwicklungsplans, kann man gar nicht ideologiefrei denken und produzieren. Wir sind aufgewachsen, wir haben bestimmte Ideen, wir sind bestimmten gesellschaftlichen Entwicklungen ausgesetzt gewesen, und wir gehen natürlich mit einer bestimmten Vorstellung in einen solchen Prozess. Deswegen ist die Forderung nach Ideologiefreiheit so etwas, was sich, glaube ich, als Gespenst im Nebel entpuppen wird. Was ich schwieriger finde, ist, dass man jetzt schon sagen muss, was man haben will und was nicht, dass man sozusagen jetzt schon Leitplanken schafft und sagt, wir brauchen unbedingt ein Bekenntnis zum Gymnasium oder etwas Ähnliches. Dadurch blockiert man offene Prozesse und macht sie möglicherweise schwierig und lenkt sozusagen schon Dinge in Bahnen, wo sie möglicherweise nicht hingehören.

(Beifall bei der Linken)

Es gibt eine Äußerung, da habe ich vorhin vergleichsweise viel nachgefragt, ob es sinnvoll ist, die Kinderfreibeträge für ALG II zu erhöhen oder nicht. Ich finde es nachgerade ein Gebot der Menschlichkeit, dass wir Menschen, die arm sind, auch mit Geld ausstatten, wissend, dass sie das hin und wieder für Dinge verwenden, für die sie es nicht verwenden sollten. Es kann doch nicht sein, dass man ihnen deswegen das Geld wegnimmt!

(Beifall bei der Linken)

Es ist übrigens so, und das empfinde ich auch, dass diese Form von ALG II und das, was wir möglicherweise darüber hinaus wollen, eine Investition in die soziale Stabilität unserer Gesellschaft ist. Machen wir das nicht, das sage ich einmal auch ökonomisch, haben wir eine ganz andere Form von Kosten, ganz davon abgesehen, dass es ein zutiefst christliches Gebot ist, Menschen, die in Armut leben, zu helfen. Davon sollte sich auch die CDU wirklich nicht verabschieden!

(Zurufe von der CDU)

Ja, da sind wir eben unterschiedlicher Meinung, was man hinbekommt und was nicht! Ich kann Ihnen sagen, dass in unserer Partei eine ganze Menge ernst zu nehmender Christinnen und Christen sind, die genau das an Ihrer Partei kritisieren und genau deswegen nicht in Ihrer Partei sind, sondern sich unserer Partei angeschlossen haben.

(Beifall bei der Linken – Zuruf des Abg. R ö w e k a m p [CDU]) –––––––– *) Vom Redner nicht überprüft. (A) (C)

Ich möchte zwei, drei Dinge sagen! Wir reden ja jetzt über den Schulentwicklungsplan und die Vorlagen für eine Enquetekommission und einen Fachausschuss. Bislang haben wir meines Erachtens vergleichsweise innen diskutiert und das sozusagen nur von der konkreten Situation in Bremen, der Dreigliedrigkeit her diskutiert. Ich bin sicher, dieser Fachausschuss, wie auch immer er zustande kommen muss, wird sich auch mit den äußeren Einflüssen beschäftigen. Ich fange einmal mit dem Kostendruck an, der auf dieser Form von Bildungssystem liegt! Die Forderungen nach Effizienzsteigerung, nach Kostenminimierung sind da. Sie haben unmittelbar Einfluss auf die Struktur und Lernbedingungen in den Schulen, und es gibt eine ziemlich große Tendenz dahin, dass man sozusagen Drittmittelfinanzierung betreibt, angefangen bei Sponsoring bis hin zu Werbung an den Schulen. Damit wird sich der Ausschuss auseinandersetzen müssen. Es wird also darum gehen, die Frage zu stellen, inwieweit kann man in Bildung marktförmige Strukturen einziehen. Unserer Meinung nach ist das schwierig. Es werden sozusagen Wettbewerbsfragen ausgeschrieben, dass die Schulen untereinander konkurrieren, man redet auch von selbstständigen Schulen. Ich glaube, dass Wettbewerb in der Frage von Kreativität und Bildungserfolg durchaus da ist, aber Wettbewerb im Sinne von gegenseitigem Konkurrieren und gegenseitigem Kaputtkonkurrieren darf nicht sein. Natürlich ist Bildung auch einem ganz hohen Privatisierungsdruck ausgesetzt. Wir wissen, dass es ganz große Bestrebungen gibt, große Teile von Bildung auf allen Ebenen zu privatisieren, um dort eine Form von Markt aufzumachen, mit dem man Geld machen kann. Das ist auch eine Frage, das wird auch zu Selektion führen. Da kann man hier lange über Bildungsstrukturen reden, wenn wir da Privatisierungsstrukturen einfädeln, werden wir auch Selektion haben. Alle diese Bedingungen werden Teil der Arbeit dieses Ausschusses sein. Herr Abgeordneter Dr. Güldner, haben Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Die Schule von gestern wäre auch eine private!)

Das stimmt, Entschuldigung, es geht nicht um Privatschulen, sondern um Privatisierung!

(Glocke)

Herr Abgeordneter, ich bitte, wenn Sie eine Zwischenfrage haben, dass sich der Abgeordnete entsprechend ans Mikrofon begibt, sonst ist das ein nicht nachvollziehbarer Dialog!

(Abg. R ö w e k a m p [CDU]: Vor allem darf er kein Wort erteilen!)

Ich habe auch gefragt, ob er eine Zwischenfrage hat. Ich habe ihm das Wort nicht erteilt! Gut, wir werden Sie darauf aufmerksam machen: Wir werden also in diesem Ausschuss über mehr reden müssen als über pure Gliedrigkeit und Einführung hier in Bremen. Wir werden viele Dinge von außen haben.

Abschließend will ich sagen: Ich finde es gut, wenn die CDU sagt, es muss besser werden für Schülerinnen und Schüler, für Eltern. Ich sage, es muss auch besser werden für Lehrerinnen und Lehrer. Ich glaube, eine der wichtigsten Aufgaben, die dieser Ausschuss hat, ist, dafür zu sorgen, dass Lehrerinnen und Lehrer, Schülerinnen und Schüler wieder Freude haben, an der Schule zu sein. Ich habe viele Debatten in dieser Frage mitgemacht und weiß, dass es nicht so ist.

Im Übrigen glaube ich, dass selbst, wenn man Bildung als Investition begreift, es noch etwas Wichtigeres gibt. Der leider viel zu früh verstorbene Kollege von mir, Jan Bücking – einige von Ihnen werden ihn kennen – aus der GEW, hat einmal auf die Frage, wozu brauchen wir eigentlich Bildung, gesagt: Das ist ganz einfach! Bildung ist die Voraussetzung für eine demokratische, nach humanistischen Gesichtspunkten organisierte Gesellschaft. – Vielen Dank!

(Beifall bei der Linken)

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Buhlert.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Auf eine Frage des Herrn Röwekamp wollte ich doch noch eingehen, nämlich auf die Frage: Warum macht ihr jetzt sozusagen den Prozess mit dem Ausschuss und nicht mit der Enquetekommission? Das eine ist die Frage, wo die Ressourcen vorhanden sind und wie sie auch am schnellsten für den Prozess aktiviert werden können. Das andere ist die Geschwindigkeit, wie wir zu Ergebnissen kommen müssen.

(Abg. D r. S i e l i n g [SPD]: Richtig!)

Das dürfen wir nämlich einmal hier nicht vergessen! Die Schüler haben keine Zeit. Sie gehen im Zweifel nur 10 Klassen lang in die Schule und danach in die Berufsschule, und sie haben ein Recht, dass wir die Antworten möglichst schnell finden, und das ist unsere Verantwortung!

(Beifall bei der FDP, bei der SPD und bei der Linken)

Dieser Verantwortung müssen wir gerecht werden, um Leistung in allen Schularten anzuerkennen, um individuell auf die Schüler einzugehen, um die Rolle der Privatschulen, die sie einnehmen sollen, zu definieren. Wir müssen schauen, wie wir das austarie

ren können, wie wir auch sehen können, dass es besser wird in den staatlichen Grundschulen. Meine Kinder gehen in eine staatliche Grundschule, sie gehen gern dorthin, haben Spaß daran. Obwohl sie keinen so guten Sozialindikator hat, haben wir uns dafür bewusst entschieden, weil meine Kinder damit im Wohnumfeld zur Schule gehen, es uns ein Anliegen war und sie dort ihre Freunde finden. Auch da muss man genau hinschauen, was man machen kann, wie man diese Prozesse unterstützen kann und wie man dafür sorgt, dass alle Arten von Schule besser werden.

Dazu gehört dann auch am Ende die Diskussion über die Ganztagsschule. Wir werden gleich noch in einer weiteren Debatte dazu kommen, nämlich bei der Frage: Wie verzahnen wir das mit außerschulischem Lernen? Es gibt Bereiche, in denen Hochbegabte eben in der Schule nicht mehr gefördert werden können. Wie organisieren wir es, dass diese eben auch die entsprechende Förderung bekommen? Im Sport werden in einigen Teilbereichen Trainingseinheiten nicht in der Schule abgedeckt, im Musikbereich und in anderen Bereichen ist das so, auch dort müssen wir etwas machen.