Protocol of the Session on April 22, 2010

Ich eröffne die 66. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Medien.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich die Fachoberschulklasse 11.7 der Wilhelm-Wagenfeld-Schule, eine Frauengruppe aus Schwanewede in Begleitung der Frauenbeauftragten der Gemeinde und viele Mädchen vom Girls’ Day; unter anderem haben die Fraktionen der LINKEN, Bündnis 90/ Die Grünen und der CDU sowie die Bürgerschaftskanzlei Gäste vom Girls’ Day.

Ich möchte einem jungen Mädchen zu seinem zwölften Geburtstag gratulieren, das am Girls’ Day heute teilnimmt, nämlich Fatma Abdel Rahim. Liebe Fatma, dir herzlichen Glückwunsch zu deinem heutigen Geburtstag! Schön, dass du heute gekommen bist!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, wir treten in die Tagesordnung ein.

Kinderlärm – kein Grund zur Klage

Antrag der Fraktionen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen vom 17. März 2010 (Drucksache 17/1226)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Dr. Loske.

Die Beratung ist eröffnet.

Als erster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dennhardt.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren und, heute auch ganz besonders, liebe Kinder und Jugendliche! Ich habe als gebürtiger Kölner als Kind eine Hymne gehabt, und zwar ein Lied der Bläck Fööss mit dem Titel „Pänz, Pänz, Pänz“, zu Hochdeutsch „Kinder, Kinder, Kinder“, und dieses Lied hat beschrieben, wie Kinder immer überall beim Spielen vertrieben werden. Darin habe ich einige Situationen aus meiner Kindheit wiedererkannt, und deswegen habe ich mich mit diesem Lied stark identifizieren können, weil ich das als große Ungerechtigkeit empfunden habe.

Spielen, laufen, rennen – das gehört bei Kindern dazu, das verursacht aber auch Krach. Es ist jedoch ––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

eine typische Lebensäußerung von Kindern und ist, auch wenn es ein bisschen abgedroschen ist, aber man muss es doch sage, Zukunftsmusik.

(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/ Die Grünen und bei der LINKEN)

Wir wollen nicht mutwilligen Lärm schützen; auch Kinder müssen mit den Jahren lernen, Rücksicht zu nehmen. Es geht um den Schutz alterstypischen Verhaltens. Kinderlärm ist kein Vergleich zum Rattern von Zügen oder Maschinen, zum Jaulen von LkwReifen oder zum Dröhnen von Flugzeugtriebwerken. Davor müssen auch Kinder geschützt werden. Ich weiß nicht, wer von Ihnen die „Tagesthemen“ vom Beginn der Woche gesehen hat: Die Aschewolke hat einigen Bürgerinnen und Bürgern in der Nähe von Flughäfen ungewohnte Ruhe beschert. Eine Frau aus der Nachbarschaft des Frankfurter Flughafens hat dort berichtet, wie sehr sie sich freut, dass sie die spielenden Kindern aus der Nachbarschaft endlich wieder hören kann.

Es hat einen Bundesratsantrag aus Rheinland-Pfalz gegeben, der von Bremen, Brandenburg, Hessen und dem Saarland unterstützt wurde, der sehr konkrete Änderungen auf Bundesebene gefordert hat, Änderungen des Mietrechts, des Eigentumsrechts und der Baunutzungsverordnung. Die Mehrheit der unionsgeführten Länder hat letztlich am 5. März dieses Jahres einen Beschluss herbeigeführt, der dies lediglich zum Prüfauftrag gemacht hat. Auch in Bremen haben wir eine merkwürdige Diskussion der CDU im Beirat Schwachhausen erlebt. Im „Weser-Kurier“ vom 15. März war zu lesen, welche Schwierigkeiten es für Elternvereine gibt, Räume für Kindergruppen zu mieten.

Der Lärm, die Föderalismusreform II hat das beschert, ist in der Kompetenz zwischen Ländern und dem Bund aufgeteilt, es ist noch nicht ganz klar wie, aber in jedem Fall ist der Lärm auch Länderkompetenz. Deshalb kann auch Bremen selbst zur rechtlichen Klarstellung beitragen und mit einer solchen rechtlichen Klarstellung in Bremen der Diskussion auf der Bundesebene gegenüber der Bundesregierung Nachdruck verleihen. Es gibt das Beispiel Berlin: Auch Berlin hat auf Landesebene gehandelt und das Landesemissionsschutzgesetz im Februar 2010 dort geändert. Kindergärten, Tagesstätten und Spieleinrichtungen dürfen nicht an den Rand unserer Städte gedrängt werden. Wir müssen auch vorbeugend handeln und zum Beispiel Spielflächen planen, sie in der allgemeinen städtebaulichen Planung also stärker berücksichtigen.

Die SPD-Fraktion möchte, dass Kinder und ihre Eltern, aber auch Mieter und Vermieter, Träger von Einrichtungen für Kinder und damit auch unsere beiden Stadtgemeinden eine bessere Rechtsposition erhalten, vor allen Dingen eine größere Rechts

sicherheit. Kinderlärm darf im Regelfall kein Grund zur Klage sein.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Bitte unterstützen Sie unseren Antrag! Wir wollen, dass unser Land wieder ein Stück kinderfreundlicher wird. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Mohr-Lüllmann.

Sehr verehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Immer wieder, das haben wir gerade schon gehört, beschäftigen sich bundesweit Gerichte mit Klagen von Anwohnern und Nachbarn über Kinderlärm in ihrem Wohn- und Arbeitsumfeld. Die Häufung dieser Fälle führt schließlich dazu, dass Politik sich mit diesem Thema auseinandersetzt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag eine eindeutige Position hierzu bezogen, und ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag: „Kinderlärm darf keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben. Wir werden die Gesetzeslage entsprechend ändern. “

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich freue mich sehr, dass die rot-grüne Koalition hier in Bremen diesen Weg offensichtlich mitgehen will.

Wenn vor Gericht über Kinderlärm gestritten wird, handelt es sich meistens um Lärm, der von institutionellen Einrichtungen ausgeht, wie zum Beispiel von Schulen, Kitas, Sportplätzen und so weiter. Allerdings bin ich der Meinung, dass schon der Begriff „Kinderlärm“ unglücklich ist, denn die Geräusche, die von spielenden und tobenden Kindern ausgehen, sind kein Lärm.

(Beifall bei der CDU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Kinder spielen, tun sie das natürlich mit lautstarker Begleitung, freuen, lachen, fröhlich sein, weinen und so weiter. Dass diese vitalen Lebensäußerungen von Kindern als Lärm empfunden werden und dass der Geräuschpegel – das finde ich besonders bemerkenswert – nach Emissionsschutzgesetz bemessen wird, sagt übrigens viel über unsere Gesellschaft aus. Man kann und sollte Kinderlärm nicht mit einem schädlichen Umwelteinfluss gleichsetzen.

(Beifall bei der CDU) ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft. Ich bin mir allerdings auch im Klaren darüber, dass das, was als Lärm empfunden wird, eher subjektiv ist. Deshalb muss man berücksichtigen, dass sich Anwohner und Nachbarn durch eine Geräuschkulisse von Schulen und ähnlichen Einrichtungen in irgendeiner Weise gestört fühlen. Dieses subjektive Empfinden erkennen wir an, jedoch sagen wir als CDUBürgerschaftsfraktion auch, dass Kitas, Schulen und Sportplätze in die Mitte unserer Gesellschaft gehören. Sie sind ein Teil unseres städtischen Lebens, und für uns ist es auch eine Frage der Familien- und Kinderfreundlichkeit, dass Kitas und Schulen nicht aus Wohnvierteln verdrängt werden. (Beifall bei der CDU)

So stehen wir also alle vor der Herausforderung, rechtlich Klarheit zu schaffen, abzuwägen und zu differenzieren, rechtliche Klarheit in dem Sinne zu schaffen, dass Kinderlärm keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben darf. Das hört sich übrigens erst einmal ganz leicht an, aber bei genauerer Betrachtung ist es dann gar nicht so einfach, denn Kitabau, Kitabetrieb und so weiter unterliegen unterschiedlichen Gesetzen. Es handelt sich um eine sehr komplexe Gesetzeslage, wenn man einmal genauer hinschaut. Der Bau einer Kita richtet sich nach baurechtlichen Vorschriften, der Betrieb nach Baurecht und Bundes-Immissionsschutzgesetz. Außerdem gibt es da noch das BGB und das Wohnungseigentumsgesetz, welche ebenfalls Grundlage für gerichtliche Entscheidungen bieten können.

Wir müssen uns also als Gesetzgeber gründlich mit der Materie auseinandersetzen. Dies sollte uns allerdings nicht daran hindern, klare Regelungen zu schaffen, jedoch müssen sie dementsprechend auch klar durchdacht werden, denn die Geburtenzahlen gehen zurück, die Menschen werden älter, viele leben mittlerweile ohne Kinder, ohne Enkelkinder. Das heißt, viele Menschen kennen das Zusammenleben mit Kindern überhaupt nicht mehr. Das ist bedauerlich, jedoch befürchte ich, dass sich der Trend in diese Richtung aller Wahrscheinlichkeit nach fortsetzen wird, sodass es in der Tat notwendig ist, die Gesetzgebung zu überarbeiten.

Wir werden also dem Antrag von Rot-Grün heute zustimmen. Auch begrüßen wir den Beschluss des Bundesrats zu diesem Thema. Insbesondere die Begründung und Erläuterung des Bundesrates zeugen doch davon, dass man sich im Bundesrat sehr eingehend mit den unterschiedlichen Aspekten der Thematik befasst hat und der Beschluss auch eine gute Grundlage bietet. Natürlich müssen wir auch prüfen, ob und inwieweit eine rechtliche Klarstellung für Bremen erfolgen kann und muss. Dies kann jetzt erfolgen oder, wie Sie es vorschlagen, auch dann, wenn die Änderungen auf Bundesebene vorgenommen worden sind, mit dem Blick auf Bremen gerichtet. Aber, wie gesagt, wir stimmen dem heute zu.

Für die CDU-Bürgerschaftsfraktion bleibt es aber wichtig, das möchte ich auch noch einmal betonen, in einem föderalen System keinen Flickenteppich zu produzieren. Wir favorisieren hier eine bundeseinheitliche Regelung und sind der Auffassung, dass es nicht allzu viele Einzelregelungen in den Ländern geben muss, die es ohnehin am Rande auch geben wird. Insgesamt favorisieren wir natürlich erst einmal eine konkrete bundeseinheitliche Regelung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluss noch Folgendes sagen: Rechtliche Regelungen sind das eine, allerdings wird das Grundproblem dadurch natürlich nicht gelöst. Wir müssen einen Weg finden, damit unsere Gesellschaft wieder kinderfreundlich wird, Kinder wirklich überall willkommen sind, sich frei entfalten können und Entwicklungschancen bekommen. Dazu gehört eben auch, dass wir ihnen Räume geben, in denen sie Kind sein können und dürfen.

Es muss uns gelingen, die berechtigten Bedürfnisse von Anwohnern und die Bedürfnisse der Kinder in Einklang zu bringen. Ich will auch erwähnen, gegenseitige Rücksichtnahme ist das Gebot allen gesellschaftlichen Miteinanders. Für Kinderlose, Familien, Jung, Alt, alle Institutionen wie Kitas, Schulen, Spielplätze muss eben ein Zusammenleben möglich sein, und nicht nur ein erträgliches, sondern ein selbstverständliches. Das heißt aber natürlich auch, dass wir eine gesetzliche Klarstellung brauchen, aber eben auch der Umkehrschluss nicht sein darf, dass wir einen Anspruch auf Rücksichtslosigkeit bekommen.

Im Übrigen, das muss ich am Ende noch sagen, gebe ich mich keiner Illusion hin, dass wir nun keine gerichtlichen Auseinandersetzungen mehr haben werden, wenn wir hier ein Gesetz verabschieden. Es wird wahrscheinlich immer noch so sein, dass wir Klagen vor Gericht haben, die sich mit Kinderlärm beschäftigen, aber wir können hier zumindest einmal einen sehr wichtigen Beitrag dazu leisten, dass diese Verfahren deutlich weniger werden. – Danke schön!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Öztürk.

Sehr geehrter Herr Präsident, verehrte Damen und Herren, liebe Kinder! Spielen und toben ist wichtig für Kinder. Dass es dabei auch schon einmal laut werden kann, sollte in einer kinderfreundlichen Gesellschaft kein Problem sein. Wir brauchen hier eindeutige Regelungen, damit Kinderlärm zukünftig eben nicht mehr mit Auto- oder Industrielärm gleichgesetzt werden kann. Ich begrüße auch, dass es hier im Haus zu dem Punkt eine breite Zustimmung gibt.

Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hatte sich ausführlich mit dem Thema beschäf

tigt und einvernehmlich einen klaren Regelungsbedarf von Kinderlärm in Abgrenzung zu anderen Lärmarten festgestellt. Folgerichtig hat auch der Bundesrat einen Beschluss zur rechtlichen Klarstellung von Kinderlärm gefasst, aus grüner Sicht ein sehr weitsichtiger Beschluss, weil wir auf dieser Basis auch entsprechend unseren Antrag hier einbringen, damit es geprüft wird.

Immer wieder, das wurde auch von meiner Vorrednerin erwähnt, kommt es zu Nachbarschaftsklagen gegen Kindertageseinrichtungen und Spielplätze, und oft bleibt es nicht dabei, es weitet sich aus auf Sportplätze, auf Kinder und Jugendliche, die vielleicht an irgendeiner Ecke, an einem Platz, der nicht gerade stark bewohnt ist, Lärm verursachen oder Geräusche verursachen, die wir subjektiv als Lärm empfinden, die nervend sind.

Ich persönlich wohne in der Nähe einer Kita und einer Schule. Ich weiß, wie laut es werden kann. Mit der Zeit lernt man, das zu ertragen, weil man immer im Hinterkopf hat, dass man selbst als Kind nicht immer zu den Ruhigsten gezählt hat.

(Abg. Frau B u s c h [SPD]: Aha!)

Es ist wichtig, dass, wenn es – jetzt habe ich mich verraten – zu Nachbarschaftsklagen gegen Kitas, Spielplätze, Sportplätze kommt, der Verweis auf die geltende Rechtslage nicht zum gewünschten Erfolg führt, denn immer wieder führen Gerichtsentscheidungen zu Schließungen von Einrichtungen, von Plätzen, wo gerade Kinder sich aufhalten. Hier gilt es, eine Rechtssicherheit zu schaffen. Frau Kollegin Dr. Mohr-Lüllmann hat es eben erwähnt, natürlich wird es Klagen geben, aber natürlich werden die auf einem anderen Rechtsprüfstand sein, wenn man hier eine eindeutige gesetzliche Regelung erreicht.

Ich möchte gern Bundespräsident Horst Köhler aus seiner Antrittsrede vom 1. Juli 2004 zitieren: „Deutschland muss zu einem Land werden, in dem wir es nicht zulassen, dass Kinder verwahrlosen können, in dem es kein Schild mit der Aufschrift ‚Spielen verboten!’ mehr gibt und in dem Kinderlärm kein Grund für Gerichtsurteile ist.“ Auch das zeigt einmal mehr, auf welchen politischen Ebenen dieses Thema behandelt wird.

Für uns Grüne heißt das, Kinderlärm als Schließungsgrund ist untragbar, wir fordern Lösungsansätze, die der Erhöhung der Rechtssicherheit von Kindertagesstätten, Kinderspielplätzen, Sportplätzen und ähnlichen Einrichtungen dienen. In mehreren Bundesländern gibt es Bestrebungen, Kinderlärm als Gesetz im Landesrecht umzusetzen. Einige haben es getan, dass es aufgrund der Förderalismusverteilung entsprechend zu einem Flickenteppich kommen kann, ist nicht auszuschließen. Da natürlich einige Länder das Bundes-Immissionsschutzgesetz und das LandesImmissionsschutzgesetz unterschiedlich auslegen

werden, ist am Ende des Tages immer eine politische Entscheidung notwendig. Wir können von hier aus immer nur dafür werben, dass es in anderen Bundesländern entsprechend umgesetzt wird.

Ich freue mich sehr, dass dieser Antrag auf große Zustimmung stoßen wird. Sicher wird es den einen oder anderen Bereich geben, der immer kritisch diskutiert wird. Das wird es am Ende mit sich bringen, das ist nicht auszuschließen.