Denken Sie zum Beispiel einmal an jemanden, der bei Airbus arbeitet, für eine bestimmte Zeit an ein anderes Verbundunternehmen ausgeliehen wird und dort zum Teil mehr Geld verdient! Was hat der denn bitte von Ihrem Mindestlohn? Das können Sie doch nicht miteinander vergleichen.
Sie sprechen von einfachsten Beschäftigungen für gering qualifizierte Tätigkeiten und genauso von der Spitze. Ich glaube, diese ganze Debatte kann man sich sparen. Im Übrigen ist da auch schon viel Gutes von den Tarifparteien selbst unternommen worden. Da braucht es den Staat erfreulicherweise an vielen Stellen eigentlich gar nicht. Das muss man auch einmal würdigen.
Ich komme zum Schluss. Man kann nur sagen, ich würde es begrüßen, wenn sich die Koalitionäre demnächst einig werden, was sie uns vorschlagen wollen, bevor sie hierher treten und vollmundig Probleme thematisieren. Fragen möchte ich nicht beantworten.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz hat seit 1972 viele Modifikationen erfahren, aber nicht alle Maßnahmen zur Liberalisierung haben sich letztlich, wie wir heute sehen und wie es auch hier in der Debatte schon mehrfach vorgetragen wurde, als vorteilhaft erwiesen. Sicher, das Instrument der Leiharbeit hat den Unternehmen einen flexiblen Umgang mit Personal in einem bisher nicht gekannten Umfang ermöglicht.
Hören Sie mir doch nur zu! Ich wiederhole es deshalb noch einmal. Sicher, das Instrument der Leiharbeit hat den Unternehmen einen flexiblen Umgang mit Personal in einem bisher nicht gekannten Umfang ermöglicht. Deshalb ist auch eine Debatte, die so tut, als ginge es beim Thema Leiharbeit um ein Entweder-oder, eigentlich eine Geisterdebatte. Es geht nicht um die Frage, ob man Leiharbeit grundsätzlich ablehnt und beseitigen will, sondern es geht um die Frage der Ausgestaltung von Leiharbeit und um die Beseitigung der Probleme, die sich heute zeigen.
Auf der anderen Seite, neben diesem positiven Effekt, bescherte die Arbeitnehmerüberlassung den Leiharbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern nicht nur Vorteile. So ist es trotz des allgemein akzeptierten Grundsatzes des Equal-pay bei gleicher Arbeit nach wie vor an der Tagesordnung, dass Leiharbeitnehmer eine geringere Entlohnung bekommen als die Stammbelegschaften. Sie erfahren darüber hinaus Schlechterstellungen durch die Verweigerung von Erschwernis- oder Schmutzzulagen, auch wenn sie den Stammbeschäftigten gewährt werden, oder dadurch, dass ihnen im Gegensatz zu den Kolleginnen und Kollegen der Entleihfirmen keine Sondervergütungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld gezahlt werden. Unterschiedlichen Quellen zufolge bekommen Leiharbeiternehmer so nicht selten nur zwischen 50 und 60 Prozent der Lohnzahlungen, die die Stammbelegschaften der Entleiher erhalten.
Transferleistungen ergänzend in Anspruch genommen werden müssen, da das Einkommen für die Lebenshaltung einer Familie nicht ausreicht. Die Menschen müssen aber, wenn sie eine Vollzeittätigkeit ausüben, in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt eigenständig von ihrem Arbeitseinkommen zu bestreiten. Das hat auch etwas mit Menschenwürde zu tun.
Meine Damen und Herren, zusätzlich zu den negativen Auswirkungen der Leiharbeitsausgestaltung, so wie wir sie heute haben, auf die einzelnen betroffenen Menschen ist in diesem Zusammenhang ein ganz anderer Aspekt zu berücksichtigen, der heute noch nicht angesprochen wurde. Mit Erlaubnis des Präsidenten darf ich aus einem Artikel der „Süddeutschen Zeitung“ vom 14. April dieses Jahres zitieren, wo dieser Aspekt sehr deutlich angesprochen wurde. Da heißt es:
„Mit diesen Beschäftigungsverhältnissen erodieren auch Institutionen, die einst in der Erkenntnis eingeführt wurden, dass es Demokratie nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft geben muss. Wer nur für sechs oder zwölf Monate beschäftigt ist, wird auf die Gründung einer Familie vorerst verzichten. Wer auf einen Anschlussvertrag hofft, wird auf die Bezahlung von Überstunden keinesfalls bestehen. Kündigungsschutz kennt ein befristet Beschäftigter allenfalls als Vokabel. Er wird keinen Betriebsrat konsultieren, und schon gar nicht wird er oder sie auf die Idee kommen, selbst dafür zu kandidieren.“
Die Ausweitung der Leiharbeit in dem Maße, in dem wir es in der letzten Zeit erlebt haben, hat eben nicht nur negative Konsequenzen für die jeweils einzelnen Betroffenen, sondern sie hat für das gesamte System der Demokratie im Wirtschaftsleben negative Auswirkungen.
(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN – Abg. B e n s c h [CDU] meldet sich zu einer Zwi- schenfrage. – Glocke)
Herr Staatsrat, ist Ihnen eine zentrale Aussage bekannt aus dem Forschungsbericht zum Thema Arbeitnehmerüberlassung vom Mai 2009 aus dem Institut für Arbeits- und Berufsforschung, bei der Bundesagentur für Arbeit angesie
delt? Diese zentrale Aussage des Forschungsberichtes lautet: Es gibt keine Anhaltspunkte für eine systematische Verdrängung von Stammbelegschaften durch Zeitarbeitnehmer.
Das ist zumindest nach meiner Kenntnis eine Aussage, die nicht unwidersprochen steht. Ich kenne gegenteilige Aussagen, und zwar eine ganze Reihe.
(Beifall bei der SPD, beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der LINKEN – Abg. Frau B ö s c h e n [SPD]: So ist das, Herr Bensch! – Abg. B e n s c h (CDU): Sie wissen, dass zu dem Zeitpunkt noch der SPD-Bundesarbeitsminister Olaf Scholz die Verantwortung für diese Studie hatte?)
(Abg. K a s t e n d i e k [CDU]: Darüber müssen Sie einmal einen Moment nachden- ken! Vielleicht fällt Ihnen das ein!)
Ganz abgesehen davon belasten Niedriglöhne die öffentlichen Haushalte und die Kassen der Sozialversicherungssysteme nicht unerheblich. Staatliche Zuschüsse einerseits, ausbleibende Steuereinnahmen und Beiträge andererseits führen in ein unüberschaubares finanzielles Dilemma. Ich persönlich kann mich da eher mit der Idee anfreunden, Leiharbeitnehmern sogar einen höheren Lohn als den Stammbelegschaften zu zahlen.
Einerseits würde damit der Verlockung, Stammbelegschaften zu reduzieren und durch Leiharbeitnehmer zu ersetzen, der Reiz genommen. Andererseits würde dem Umstand Rechnung getragen, dass es die Leiharbeitnehmer sind, die aufgrund hoher Flexibilitätsanforderungen höheren Belastungen ausgesetzt sind und das Risiko der beschäftigungsfreien Zeit tragen.
ursprüngliche Idee und gute Absicht verwässert oder gar umgekehrt wird, ist ganz klar gesetzgeberisches Handeln gefragt!
Darauf ist heute auch schon mehrfach hingewiesen worden. Sie wissen, dass der Bremer Senat Vorschläge zur Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes entwickelt und im letzten Jahr schon im Bundesrat eingebracht hat. Neben der Orientierung an den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen im Entleihbetrieb muss vor allen Dingen dafür Sorge getragen werden, dass Zeitarbeit mittel- bis langfristig an die Stelle von Beschäftigungen im Entleihbetrieb führt.
Meine Damen und Herren, im Februar dieses Jahres hat Bremen gemeinsam mit Rheinland-Pfalz einen Entschließungsantrag gegen die Verdrängung oder Ersetzung von Stammbelegschaften – das ist das Thema, Herr Bensch – durch die Beschäftigung von Leiharbeitnehmern und Leiharbeitnehmerinnen in den Bundesrat eingebracht. Dieser Antrag ist politisch abgelehnt worden. Er ist nicht abgelehnt worden mit der Argumentation, die Sie hier gerade vorgetragen haben. Wäre es so, wie Sie es dargestellt haben, wäre es doch für die Regierungsmehrheit ein Leichtes gewesen, die Argumentation aufzugreifen und zu sagen, dieser Antrag ist völlig überflüssig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es gibt inzwischen einen erheblichen Druck aus der Öffentlichkeit auf die Politik zur Re-Regulierung der Zeitarbeit. Es ist vor allem Aufgabe der Bundespolitik, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Zeitarbeit Zukunft hat, dass sie nicht gleichbedeutend ist mit Niedriglöhnen und ergänzender Sozialhilfe und dass ihre Lasten gerechter verteilt werden. Das Risiko oft befristeter Beschäftigung, das die Leiharbeitnehmer tragen, muss einen gerechten Preis bekommen, und der ist nicht von ihnen selbst zu bezahlen. – Ich danke Ihnen sehr!
Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 17/1252, auf die Große Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Kenntnis.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir nähern uns 18 Uhr. Ich schlage vor, dass wir für heute die Tagesordnung beenden.