Meine Damen und Herren, damit haben wir das erste Thema der Aktuellen Stunde erledigt. Wir kommen zum zweiten Thema:
Konsequenzen aus dem Fall Schlecker ziehen: Leiharbeit nicht für Lohndumping und Abbau von Stammbelegschaften missbrauchen
Bevor ich den ersten Redner aufrufe, darf ich auf der Besuchertribüne eine Gruppe von Vertrauensleuten des Gesamthafenbetriebsvereins im Lande Bremen e. V. begrüßen. Seien Sie ganz herzlich willkommen!
Für die SPD sind noch 0 Minuten, für die CDU gibt es noch 13 Minuten, für die Grünen 11 Minuten, für DIE LINKE 5 Minuten und für die FDP 10 Minuten Redezeit.
(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Gefühlt hat Herr Dr. Buhlert aber länger geredet!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte auch ganz ausdrücklich die Vertrauensleute vom Gesamthafenbetriebsverein begrüßen, die sich völlig verständlich große Sorgen um ihre Zukunft machen.
Zeitarbeit wurde ursprünglich einmal dafür geschaffen, Auftragsspitzen in Unternehmen abzufedern, um damit für Unternehmen die Flexibilität zu schaffen, die sie für genau diese Situation brauchen. Bis zur Wirtschafts- und Finanzmarktkrise war die Zeitarbeit eine stark anwachsende Branche, die zwar überwiegend dafür genutzt wurde, Auftragsspitzen abzufedern, aber auch damals schon zu einem Drittel für strategische Unternehmensentscheidungen genutzt wurde, um Stammbelegschaften abzubauen und Leiharbeitnehmer für deutlich weniger Geld und Rechte zu entleihen. Das schafft Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen erster und zweiter Klasse, das wollen Grüne nicht.
Wir hatten hier vor einem Jahr im Parlament den rot-grünen Antrag „Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen mit Stammbeschäftigten gleichbehandeln“ mit dem Ziel beschlossen, über eine Bundesratsinitiative das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz zu ändern. Das ist an den CDU-regierten Bundesländern leider gescheitert. Was jetzt im Zuge der Wirtschaftsund Finanzmarktkrise in diversen Unternehmen passiert, ist eine neue Qualität der Personalpolitik. Mittlerweile gründen Unternehmen offenbar im größeren Umfang konzerneigene Leiharbeitsfirmen, in die sie Teile ihrer Belegschaft zu deutlich schlechteren finanziellen und rechtlichen Bedingungen überführen. Für uns ist das ein eklatanter Missbrauch des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes.
Der Fall Schlecker, der seit Wochen bundesweit Schlagzeilen macht, ist sicherlich nur die Spitze eines Eisberges. Schlecker eröffnet gegenwärtig bundesweit XL-Märkte. Offenbar übt Schlecker auf seine Mitarbeiterinnen, meist sind es ja Frauen, erheblichen Druck aus, Aufhebungsverträge zu unterschreiben und anschließend bei der Leiharbeitsfirma MENIAR anzufangen. Laut ver.di sinkt das Gehalt bei diesem Transfer von 12,71 Euro auf 6,50 bis 7 Euro pro Stunde für denselben Job, das ist weniger als das, was wir an Mindestlohn gegenwärtig diskutieren.
MENIAR ist mit Schlecker eng verbandelt. Schlecker beharrt darauf, dass MENIAR formal eigenständig ist. Fakt ist aber, der MENIAR-Geschäftsführer ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.
war jahrelang Topmanager bei Schlecker und unterhält offenbar nach wie vor ein Büro in der SchleckerKonzernzentrale. Schlecker behauptet, dieses Personalgeschacher mit MENIAR wegen des öffentlichen Drucks eingestellt zu haben. Tatsächlich hat sich an dem System aber nichts geändert. Jetzt werden die XL-Läden angeblich als neue GmbH geführt. Es geht nach dem gleichen Prinzip: Angeblich wird Druck ausgeübt, Aufhebungsverträge zu unterschreiben und bei geringerem Gehalt in der neuen GmbH wieder anzufangen. Dass es anders geht, zeigt eindrucksvoll der Drogist Rossmann, da geht es auch anders. Man muss auch im Einzelhandel im Drogeriegewerbe nicht wie Schlecker handeln.
Ich finde, was dort passiert, ist systematische Tarifflucht und ist geeignet, das soziale Gefüge durcheinanderzubringen und den sozialen Frieden zu gefährden.
Die „Wirtschaftswoche“ – sicherlich nicht das Zentralorgan zur Wahrung von Arbeitnehmerinteressen – hat in den letzten Wochen diese Entwicklung wiederholt sehr kritisch bewertet. Genannt werden diverse Branchen und Unternehmen, die systematisch ihre Stammbelegschaft zu Leiharbeitern machen und zu deutlich schlechteren Bedingungen. Es kommt im Einzelhandel, Verkehr, Chemie, Pflege, Medien und so weiter vor. Darunter finden sich offenbar Unternehmen wie die Deutsche Bahn, genauso wie Gruner + Jahr, BASF, Pflegeeinrichtungen und viele mehr, alle mit konzerneigenen Leiharbeitsfirmen. Sie sind das Instrument, um Tariflöhne und Kündigungsschutz zu umgehen und auch langjährig erworbene Rechte durch die Betriebszugehörigkeit zu unterlaufen.
Dumpinglöhnen sind Tür und Tor geöffnet bis dahin, dass ehemals existenzsichernde Löhne nicht mehr existenzsichernd sind. Auf diesem Weg werden Lohnkosten zu Gemeinkosten, weil diese Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ergänzendes Arbeitslosengeld II bekommen müssen. Da sind wir genau der gegenteiligen Auffassung zu dem, was Herr Dr. Buhlert in der letzten Debatte gesagt hat. Für uns sind die Unternehmen für Löhne verantwortlich und nicht die Allgemeinheit über die Steuern, und Steuern sind ja auch Arbeitnehmereinkommen.
Wir halten das für Missbrauch des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes. Mehr noch als vor einem Jahr ist
es dringend notwendig, dieses Gesetz zu ändern und die EU-Leiharbeitnehmer-Richtlinien in deutsches Recht umzusetzen.
Das heißt, Leiharbeitnehmer und Leiharbeitnehmerinnen müssen mit Stammbeschäftigten gleichgestellt werden, also gleich bezahlt werden und gleiche Rechte haben. Dann würde sich dieses System von Leiharbeitsfirmen nicht mehr lohnen, und das wäre auch gut so.
Wir brauchen dringend eine Deregulierung auf den Arbeitsmärkten, dazu gehört im Übrigen auch der Mindestlohn. Wir Grünen finden das ein wichtiges Thema, und wir werden da weitere Initiativen starten. Wir wollen kein Wildwest, wir wollen Zukunftschancen und weitgehende Sicherheit für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. – Herzlichen Dank!
Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Zu Recht hat der Fall Schlecker hohe Wogen geschlagen. In der Öffentlichkeit praktiziert der Konzern doch ungeniert und offen das, was in den letzten Jahren zunehmend, wenn auch nicht so offensichtlich, in den Betrieben passiert: die Verdrängung regulärer, tariflich bezahlter abgesicherter Arbeit durch schlecht bezahlte und sozial ungesicherte Leiharbeit. Der Zweck der Übung ist ebenfalls offensichtlich: die finanzielle Entlastung und damit Sanierung des Konzerns auf Kosten der Arbeiternehmerinnen und des Steuerzahlers, denn die Niedriglöhne in der Leiharbeitsbranche und in vielen anderen Niedriglohnbranchen müssen ja in der Regel durch ALG II aufgestockt werden, und damit zahlen wir das! So viel, Herr Dr. Buhlert, zu Ihrem famosen Kombilohnmodell, mit dem Sie die Arbeitslosigkeit bekämpfen wollen!
Auch wenn der Konzern jetzt durch das öffentliche Echo aufgeschreckt gesagt hat, er würde den Vertrag mit der dubiosen Leiharbeitsfirma lösen: Dass solche Praktiken in diesem Land überhaupt möglich und offensichtlich auch legal sind, ist doch unerträglich, und deswegen muss hier der Gesetzgeber unbedingt eingreifen.
Wir haben, Frau Schön hat darauf hingewiesen, als rot-grüne Bürgerschaftsfraktionen schon einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht. Gern will ich aber
einmal darauf hinweisen, dass die Praktiken von Schlecker überhaupt nicht neu sind. Seit Jahren wird schon von den Gewerkschaften angeprangert, dass es viele größere und kleinere Schleckers in dieser Republik gibt und im Übrigen auch in Bremen, und zwar auch durchaus bekannte Firmen in der Gebäudereinigerbranche, bei den Wohlfahrtsverbänden – darüber haben wir in der Bürgerschaft schon debattiert –, aber es gibt zum Beispiel auch ein sonst sehr renommiertes Autohaus hier in Bremen oder ein größeres Tageszeitungsunternehmen, die sich solcher Praktiken bedienen. Das war letzten Endes auch der Grund, weswegen wir gesagt haben, hier muss eingegriffen werden. Übrigens haben Sie von der CDU und von der FDP diese Initiative abgelehnt. Wir können nur sagen: Die Gleichstellung von Leiharbeitnehmern mit den Stammbelegschaften – und das war der Kern unserer Initiative – ist die Voraussetzung dafür, dass diese Missbräuche abgestellt werden, und dies muss jetzt endlich geschehen.
Allerdings muss ich sagen, nachdem die CDU-regierten Länder unsere Initiative im Bundesrat zu Fall gebracht haben, finde ich es wenig glaubwürdig oder bin ich auf jeden Fall skeptisch, wenn die neue Arbeitsministerin Frau von der Leyen, aufgeschreckt durch die öffentliche Reaktion auf den Fall Schlecker, sofort gekommen ist und verkündet hat, da müsste man nun etwas tun. Nein, Frau von der Leyen, da hätte man schon längst etwas tun können, und man hätte da schon längst etwas tun müssen!
Am Rande möchte ich nur bemerken, dass es auch die CDU gewesen ist, die in der Großen Koalition den Versuch von Bundesarbeitsminister Scholz, den übrigens auch von den Arbeitgebern der Branche geforderten Mindestlohn für Leiharbeiter durchzusetzen, zu Fall gebracht hat; interessanterweise übrigens mit der Rücksichtnahme auf einen Ableger des sogenannten Christlichen Gewerkschaftsbundes, die christliche Tarifgemeinschaft in der Zeitarbeitsbranche, einem Verband, dem ja nun schon in zweiter Instanz mangels Mitgliedern die Tariffähigkeit vom Arbeitsgericht aberkannt worden ist
Nichtsdestotrotz, das Problem ist dringend, und schon im Hinblick auf die kommende europäische Arbeitnehmerfreizügigkeit ist die Bundesregierung gefordert, hier nun endlich die notwendigen Regulierungen vorzunehmen. Wir werden Frau von der Leyen beim Wort nehmen, denn sonst, liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, werden ganze Branchen, in denen jetzt noch einigermaßen auskömmlich verdient wird, in den Niedriglohnbereich absinken, und was das bedeutet, kann sich jeder ausrechnen.
Machen wir uns doch nichts vor, die schlimmsten Auswirkungen der Weltwirtschaftkrise auf die Arbeitsplätze stehen uns noch bevor. Gerade hier, denke ich, steht Politik in der Verantwortung, dafür zu sorgen – und wir sehen uns in Bremen in dieser Verantwortung –, gemeinsam mit Gewerkschaften und Betriebsräten, dass nicht nur Arbeitsplätze erhalten bleiben, sondern auch dafür, dass es in der Krise nicht zu einer dauerhaften Absenkung sozialer Standards und der Entlohnung von Arbeit kommt.
Das gilt ganz besonders für solche Bereiche, in denen wir, glaube ich, auch eine besondere Verantwortung haben und auch Einfluss nehmen können, nämlich dort, wo auch Betriebe im bremischen Besitz tätig sind.
Damit komme ich zu den Häfen und begrüße hier an dieser Stelle auch sehr herzlich die Kollegen vom GHBV.
Wir wissen, dass unsere Häfen, das Herzstück unserer Wirtschaft, im Augenblick von der Krise besonders betroffen sind, und wir verfolgen schon seit dem Sommer die Bemühungen von Gewerkschaften, von Betriebsräten und von Unternehmen, hier einigermaßen diese Krise zu meistern. Wir wissen, dass gerade der GHBV, der hier besonders im Fokus steht, mit dem Abbau von über 1 000 Arbeitsplätzen und mit dem Absenken von Löhnen teilweise in fast unerträglicher Weise schon ein großes Opfer gebracht hat. Trotzdem sieht es im Augenblick so aus, als ob der GHBV weiter in seinem Bestand gefährdet ist. Deswegen appellieren wir an die Hafenwirtschaft und besonders an die BLG, Bremen Logistics Group, als einer Gesellschaft, die auch im bremischen Besitz ist,