Meine Damen und Herren, ich darf Sie alle sehr herzlich im Haus der Bürgerschaft begrüßen und freue mich besonders über Ihr großes Interesse, das Sie unserer Sitzung und dem besonderen Thema entgegenbringen.
Ich bin sehr froh, dass ich heute meinen Vorgänger im Amt, den ehemaligen Präsidenten der Bremischen Bürgerschaft, Herrn Reinhard Metz, begrüßen darf.
Ich heiße besonders willkommen Frau Anneliese Leinemann, die ehemalige Vizepräsidentin der Bremischen Bürgerschaft.
Ich begrüße Herrn Artur Beneken, Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung der Stadt Bremerhaven. Des Weiteren freue ich mich, dass Herr Reinhard Hardegen gekommen ist. Er ist ein ehemaliger Bremer Abgeordneter, der schon der Bürgerschaft angehörte, als diese noch im Rathaus tagte.
Herzlich begrüße ich unseren ehemaligen Präsidenten des Senats, Herrn Bürgermeister a. D. Hans Koschnick und seine Ehefrau Christine.
Ich bin sehr froh, dass Frau Ilse Kaisen unter uns ist, die Tochter des ehemaligen langjährigen Präsidenten des Senats und Bürgermeisters der Freien Hansestadt Bremen, Wilhelm Kaisen.
Ich begrüße ferner Herrn Volker Kröning, Senator a. D. und Bundestagsabgeordneter, der dankenswerter Weise Frau Kaisen hierher begleitet hat.
Schließlich heiße ich Herrn Prof. Günter Pottschmidt willkommen, den ehemaligen Präsidenten des Staatsgerichtshofs der Freien Hansestadt Bremen, und ich freue mich besonders, dass sich Herr Prof. Dr. Alfred
Rinken, der aktuelle Präsident des Staatsgerichtshofs, bereit erklärt hat, den Gastvortrag heute zu halten.
Auf der Besuchertribüne darf ich darüber hinaus ehemalige Abgeordnete, Senatoren und Staatsräte herzlich willkommen heißen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, heute vor 60 Jahren stimmte die Bremische Bürgerschaft dem vom Parlamentarischen Rat in Bonn beschlossenen Grundgesetz mehrheitlich zu. An dieses auch für Bremen wegweisende Ereignis möchten wir heute erinnern. Die bremische Einflussnahme auf die Gestaltung des Grundgesetzes ist durchaus bemerkenswert. Wir beginnen die Sitzung mit einer szenischen Lesung von Schülerinnen und Schülern der 9. und 10. Klassen der Wilhelm-Kaisen-Schule aus Plenarprotokollen vom 20. Mai 1949.
Die Jugendlichen haben sich mit den Lehrern Uwe Baron und Günther Bodermann mit den Vorgängen auseinandergesetzt und geprobt. Jetzt hat die Jugend das Wort, und zwar Sarah Lüning in der Person von Präsident August Hagedorn, Frank Petersen als Senator Adolf Ehlers, Derya Sert als Albert Bote, BDV, Anton Laubgan als Rudolf Rafoth, KPD, Ben Thitigal als Herbert Schneider, DP, Jesse Blau-Sevke als Johannes Degener, CDU, Sebastian Imberg als Richard Boljahn, SPD, und Xiaofeng Liu als Bürgermeister Wilhelm Kaisen.
Präsident: Thema der heutigen Bürgerschaftssitzung ist die Stellungnahme und Beschlußfassung zu dem Grundgesetz über die Bundesrepublik Deutschland. Berichterstatter ist Herr Senator Ehlers in seiner Eigenschaft als Abgeordneter der Freien Hansestadt Bremen beim Parlamentarischen Rat in Bonn. Bevor ich Herrn Senator Ehlers das Wort gebe, begrüße ich Herrn Bürgermeister Dr. Spitta und die übrigen Mitglieder des Senats, die durch ihre Anwesenheit zum Ausdruck bringen, welch große Bedeutung die Verabschiedung des Grundgesetzes auch für das bremische Staatswesen hat. Der Senat beantragt, diesen Gegenstand heute zu verhandeln. Ich höre keinen Widerspruch, dann ist das von der Bürgerschaft beschlossen. Ich bitte Herrn Senator Ehlers, das Wort zu nehmen.
Ministerpräsidenten das bekannte Dokument Nummer 1 der Militärgouverneure übergeben worden, das die Grundlage für die Arbeiten des Parlamentarischen Rates darstellt. Es enthält im wesentlichen die Ermächtigung für die Ministerpräsidenten, eine Verfassunggebende Versammlung für Westdeutschland einzuberufen. Sie sollte die Aufgabe erhalten, eine demokratische Verfassung für Westdeutschland auszuarbeiten. Auflagen waren: Die Verfassung muß von föderalistischem Typ sein, sie muß eine Reihe von individuellen Rechten enthalten, und sie muß eine angemessene zentrale Instanz vorsehen.
Ich darf es noch einmal deutlicher machen: Es war vorgesehen ein zeitliches Provisorium, das ja auch jetzt im Grundgesetz verwirklicht ist. Es war weiter vorgesehen ein räumliches Provisorium. Das heißt, die Gültigkeit des Grundgesetzes nur für die drei Westzonen und die Beteiligung Berlins mit beratender Stimme. Darüber hinaus wollte das Grundgesetz die Möglichkeit des Beitritts anderer Länder zu diesem Bund vorsehen, der kein echter Staat, sondern nur das Fragment eines solchen Staates ist. Schließlich sollte keine deutsche Verfassung, sondern nur ein Grundgesetz – keine Nationalversammlung, sondern nur ein Parlamentarischer Rat geschaffen werden.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir können es doch wohl zugeben, daß seit dem Jahre 1945 so etwas wie eine Entwicklung stattgefunden hat. Wenn wir uns erinnern an die erste Zeit nach der Besatzung, so ist doch das folgende geschehen: Die Alliierten setzten hier in Bremen einen Senat ein und danach auch eine Bürgerschaft. Diese erste Periode der einfachen Einsetzung von Hoheitsträgern wurde im Laufe der Zeit abgelöst durch echte demokratische Wahlen zu den Parlamenten und Wahl der Regierungen durch diese Parlamente.
Die gleiche Entwicklung vollzog sich in den Gemeinden, den Städten, den Ländern und in den Zonen. In der amerikanischen Zone hatten wir die höchste Zusammenfassung in Form des Länderrats, in der britischen Zone in der Form des Zonenbeirats. Schließlich wurde daraus die Bizone, und jetzt befinden wir uns in einer Entwicklung zu einer Zusammenfassung der drei Zonen nicht nur zu einer wirtschaftlichen, sondern auch zu einer politischen Einheit. Es liegt also auf der Hand, meine Damen und Herren, daß wir aus dem Zustand, wie er 1945 bestand, schon erheblich herausgekommen sind. Worum es sich zunächst gehandelt hat, war doch nicht, schon ein neues Haus fertig aufzubauen, sondern erst einmal das, was überhaupt noch vorhanden war, zu flicken und zu reparieren, um erst dann aus diesem Provisorium zu dauerhafteren Lösungen zu kommen.
Das ist der Anblick, der sich heute auf staatsrechtlichem Gebiet darbietet. Daß die vier Zonen noch keine wirtschaftliche und politische Einheit bilden, liegt wirklich nicht an den Deutschen, sondern an dem Gegensatz zwischen den Alliierten, zu dem ja auch noch der Streit um Berlin hinzukommt. Es wird ja immer
wieder betont, daß das Grundgesetz in Bonn, wie es heute vor uns liegt, geschaffen worden ist auf Befehl der Militärgouverneure und daß demnach die Deutschen an diesem Gesetz wenig oder gar kein Interesse zu haben brauchten. Meine Damen und Herren! Ich darf demgegenüber in aller Öffentlichkeit feststellen, daß das eine durchaus falsche Auffassung ist!
Ich habe durchaus nicht die Absicht, nach Herausstellung dieser mehr prinzipiellen Dinge in die einzelnen Artikel des Grundgesetzes einzusteigen. Ich möchte nur einige wesentliche Artikel oder eine Reihe von Artikeln herausnehmen, um die wirklich gerungen worden ist und über die echte politische Entscheidungen getroffen wurden. Da ist z. B. die Frage der Grundrechte. Die Aufnahme mindestens der klassischen Grundrechte in das Grundgesetz war eine zwingende Auflage der drei westlichen Alliierten. Wir meinten in Bonn, sie gehörten nur in eine echte Verfassung hinein. Aber da sie nun einmal in das Grundgesetz aufgenommen sind, glauben wir, daß sie in Erinnerung an die nazistische Ära für uns nicht nur von deklamatorischer Bedeutung sind, zumal sie ja selbst heute für gewisse Teile Deutschlands noch keine Geltung haben.
Der zukünftige Bundespräsident wird schwach sein. Er wird ein Schatten sein gegenüber dem verflossenen Reichspräsidenten. Er wird gewählt durch die Bundesversammlung, die aus den 400 Abgeordneten des Bundesparlaments und einer gleichen Anzahl von Abgeordneten besteht, die von den Landtagen gewählt werden. Der Bundespräsident wird kein Wehrmachtsoberbefehlshaber sein und keine selbständige Ernennung des Kanzlers vornehmen. Und es gibt auch keinen Artikel 48, der irgendwie vom Bundespräsidenten in Anwendung gebracht werden könnte. Dagegen ist die Stellung des Bundeskanzlers stark und etwa vergleichbar mit der Stellung des Premierministers in England. Dann ist hier noch eine Frage von einiger Bedeutung, die eine Neuerung und Verbesserung gegenüber der Weimarer Verfassung darstellt. Es handelt sich hier um das sogenannte konstruktive Mißtrauensvotum. Danach wird es in Zukunft nicht mehr möglich sein, daß destruktive Mehrheiten in einem Parlament eine Regierung stürzen können.
Ich komme zum Schluß, meine Damen und Herren. Ich meine, im ganzen wird das deutsche Volk sich zum Entschluß des Parlamentarischen Rates bekennen, der dieses Gemeinwesen geschaffen hat. Allerdings fühlen wir über diesen Tagen auch einen Schatten schweben: die tragische Spaltung unseres Volkes. Die ist aber nicht das Werk der westdeutschen Politiker, sie ist vorausgegangen und aus dem Konflikt zweier Weltmächte entstanden, an dem wir nicht beteiligt sind. Unsere Entscheidung bedeutet wahrhaftig nicht Gleichgültigkeit gegenüber dem Schicksal des Ostens. Gewiß müssen wir uns damit abfinden, daß wir zunächst auf absehbare Zeit auf die volle Souveränität verzichten müssen. Aber auf das Recht auf Einheit können und wollen wir nicht verzichten. Das neue
Herr Bote (BDV.): Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bremische Bürgerschaft soll heute entscheiden, ob sie dem in Bonn beschlossenen Grundgesetz ihre Zustimmung geben oder versagen will. Wir alle wissen, daß das uns vorliegende Grundgesetz nur eine vorläufige Regelung der Verhältnisse – und zwar die Regelung für den westlichen Teil unseres Vaterlandes – bringt. Es ist selbstverständlicher Wunsch und die Forderung aller Deutschen, ohne Rücksicht auf ihre parteipolitische Einstellung, daß die unserem Vaterland verbleibenden Gebietsteile baldmöglichst wieder vereinigt sind. Das Grundgesetz sieht daher in seinem § 23 diesen Zusammenschluß ausdrücklich vor. Wir wissen aber auch alle, warum diese Vereinigung heute noch nicht sein kann, und wir können nur hoffen, daß die nun bald beginnenden Verhandlungen in Paris uns dem Ziel: ein geeintes Deutschland, näher bringen.
Gestatten Sie mir eine Bemerkung zum § 22, zur Frage der Bundesflagge! Ich beabsichtige weder, den leidigen Flaggenstreit aufzufrischen, noch in irgendeiner Weise wegwerfend oder abfällig über das SchwarzRot-Gold zu sprechen. Aber in Bremen wird man verstehen, daß wir für unsere Seeschiffahrt an der alten Handelsflagge Schwarz-Weiß-Rot festhalten möchten. Ich verweise auf die derzeitigen Verhandlungen in Weimar, auf die Einsprüche der Schiffahrtskreise und auf die gefundene Regelung in der Verfassung von 1919.
Unter der alten Handelsflagge ist unsere deutsche Seeschiffahrt groß geworden. In Ehren hat sie die Farben in der ganzen Welt gezeigt. Wir würden uns freuen, wenn sich für die nun hoffentlich bald neu erstehenden Handelsdampfer die Möglichkeit bieten würde, die alten Farben wieder zu führen. Hierüber sollte es keinen parteipolitischen Streit geben.
Das mögen für Sie alte Kamellen sein, für uns sind sie es nicht. Auch andere Länder – ich verweise auf England – haben ihre besondere Handelsflagge. Das aber bei uns zu regeln, kann dem kommenden Bundesparlament vorbehalten bleiben.
So lassen Sie uns denn hoffen, daß der Schritt, den wir jetzt wagen, uns unserem Ziel, ein friedliches geeintes Deutschland zu schaffen, näher bringt. In diesem Sinne stimmen wir dem Grundgesetz zu.
Herr Rafoth (KPD.): Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich frage, meine Damen und Herren, welche echten Möglichkeiten hat denn schon die arbeitende Bevölkerung, an der Gestaltung des Staats mitzuwirken. Sie ist ausgeliefert der Propaganda der öffentlichen Nachrichtenmittel, die bei weitem nicht von der Bevölkerung kontrolliert werden, sondern die in erster Linie in der Hand jener Kräfte liegt, die die materiellen Mittel und die Voraussetzungen dazu haben, sie überhaupt zu erstellen. Es hieße doch Sand in die Augen streuen, wenn man nicht wahrhaben wollte, daß beispielsweise die Inhaber einer Zeitung es jederzeit in der Hand haben, die Redakteure anzustellen und ihnen vorzuschreiben, was sie bringen sollen, nämlich das, was ihnen und ihrer wirtschaftlichen oder politischen Richtung angenehm ist. Tun sie das nicht, würden sie das Heer der Arbeitslosen vermehren. Die Drohung der Vernichtung ihrer Existenz schwebt mehr oder weniger über ihrem Haupt.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der Kommunistischen Partei hat in einer Erklärung ihre Haltung zu den wesentlichen Punkten des Grundgesetzes zusammengefaßt, und ich bitte den Herrn Präsidenten um die Erlaubnis, sie verlesen zu dürfen. Die Erklärung lautet: