Protocol of the Session on June 5, 2008

Ich eröffne die 24. Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse.

Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich zwei 9. Klassen des Schulzentrums Ellener Feld, eine 10. Hauptschulklasse der Schule In der Vahr und eine 10. Gymnasialklasse der Johann-Heinrich-Pestalozzi-Schule in Gröpelingen. – Seien Sie alle heute Vormittag ganz herzlich willkommen!

(Beifall)

Gemäß Paragraf 21 der Geschäftsordnung gebe ich Ihnen folgenden Eingang bekannt:

Die Zukunft der Grundsicherung für Arbeitssuchende – kommunale Spielräume absichern, Dringlichkeitsantrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 4. Juli 2008, Drucksache 17/442 S.

Gemäß Paragraf 21 Satz 2 unserer Geschäftsordnung muss das Plenum zunächst einen Beschluss über die Dringlichkeit des Antrags herbeiführen.

Wer einer dringlichen Behandlung zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

Ich bitte um die Gegenprobe!

Stimmenthaltungen?

Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt einer dringlichen Behandlung zu.

(Einstimmig)

Ich schlage Ihnen vor, diesen Antrag mit dem Punkt außerhalb der Tagesordnung, Zukunft der Hartz-IV Verwaltungsstruktur: Gestaltungsspielräume und Einflussmöglichkeiten für Bremen und Bremerhaven müssen erhalten bleiben!, und dem damit verbundenen Dringlichkeitsantrag mit der Drucksachen-Nummer 17/433 zu verbinden.

Ich höre keinen Widerspruch. – Dann können wir so verfahren.

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Abgeordneten Mustafa Öztürk zu seinem heutigen Geburtstag die herzlichsten Glückwünsche des Hauses aussprechen.

(Beifall)

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Hinausschieben des Eintritts in den Ruhestand des Präsidenten des Rechnungshofes der Freien Hansestadt Bremen

Antrag des Vorstands der Bremischen Bürgerschaft vom 3. Juni 2008 (Drucksache 17/435)

Die Beratung ist eröffnet. – Wortmeldungen liegen nicht vor. – Die Beratung ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Antrag des Vorstands der Bremischen Bürgerschaft mit der Drucksachen-Nummer 17/435 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen! Ich bitte um die Gegenprobe! Stimmenthaltungen? Ich stelle fest, die Bürgerschaft (Landtag) stimmt dem Antrag zu.

(Einstimmig)

Zukunft der Hartz-IV Verwaltungsstruktur: Gestaltungsspielräume und Einflussmöglichkeiten für Bremen und Bremerhaven müssen erhalten bleiben!

Antrag der Fraktion der CDU vom 27. Mai 2008 (Drucksache 17/411)

Wir verbinden hiermit:

Organisation der Arbeitsförderung: Entscheidungen vor Ort statt Bürokratie und Zentralisierung!

Antrag der Fraktion der FDP vom 3. Juni 2008 (Drucksache 17/433)

u n d

Die Zukunft der Grundsicherung für Arbeitssuchende – kommunale Spielräume absichern

Antrag der Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD vom 4. Juni 2008 (Drucksache 17/442)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Rosenkötter. Meine Damen und Herren, die gemeinsame Beratung ist eröffnet. Als erster Redner erhält das Wort der Abgeordnete Nestler.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Aus unserem Dringlichkeitsantrag sind in kürzester Zeit drei geworden. Ich denke, gerade das ist ein Hinweis auf die Wichtigkeit des Themas, über das wir heute sprechen.

Die Arbeitsmarktpolitik im Land Bremen wird derzeit weitgehend durch die beiden ARGEn, in Bremen durch die BAgIS und in Bremerhaven durch das JobCenter Bremerhaven, umgesetzt. Sie regeln die Abläufe im Leistungsbereich und im Bereich Markt und Integration. Die Vorgaben werden in der Trägerversammlung der Mitglieder, zu 50 Prozent von der Stadt und zu 50 Prozent von der Bundesanstalt für Arbeit besetzt, deren Vorsitzender immer ein Vertreter der Stadt ist, beraten und vorgegeben.

Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt festgestellt, dass diese Art von Verwaltungsstruktur nicht verfassungskonform ist und die Zuständigkeit von Bund und kommunalen Trägern deutlich voneinander zu trennen ist. Als Stichtag für diese deutliche Trennung hat das Verfassungsgericht den 30. Dezember 2010 vorgegeben.

Uns ist klar, dass die Entscheidungen für die künftige Umsetzung zügig getroffen werden müssen, damit alle notwendigen Vorarbeiten zum Wohle der Kunden, aber auch zum Wohle der Mitarbeiter, rechtzeitig erledigt werden können. Ich spreche aber, meine Damen und Herren, von zügiger Abarbeitung und nicht von übereilter Hast.

Bereits im Januar wurde bekannt, dass der Bundesminister für Arbeit einen Vorschlag erarbeitet hat namens kooperatives Job-Center. Im April haben die Sprecher der CDU für den Bereich Arbeit an einem Termin der Bundesanstalt für Arbeit unter Anwesenheit eines Vertreters der Bundesregierung in Berlin teilgenommen. Thema war hier der Vorschlag der BA, das kooperative Job-Center zügig – am besten umgehend – umzusetzen. Mit wenigen Worten: Die Leistungen werden künftig durch die Kommunen getragen, um die Arbeitsmarktpolitik und das Arbeitslosengeld II kümmert sich nur noch die BA.

Es wurde uns dann sehr schnell verdeutlicht, dass es eigentlich nur die Umsetzung des Vorschlags des Bundesministers für Arbeit gibt, und zwar müsste alles schnellstens beschlossen werden, wenn möglich noch vor der Sommerpause. Auf die Einwendung, warum denn eine solche Eile geboten sei, bekam man nur die Antwort, dass es eben lange Vorlaufzeiten gebe. Wenn lange Vorlaufzeiten die Begründung für einen solchen Schnellschuss sind, dann fragt man sich schon, was die BA denn früher gemacht hat zu der Zeit, als es noch Arbeitslosenhilfe gab. Unserer Ansicht nach Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt und Leistungserbringung! Genau darum geht es aber auch heute.

Die BA will jedoch etwas anderes. Sie will den gesamten Bereich der Arbeitsvermittlung in den Ländern und Kommunen unter ihr Zepter bekommen, und zwar so schnell wie möglich und am besten ohne Diskussionen. Sie verspricht zwar am Rande Zusammenarbeit und Einbindung der Kommunen, eigentlich ein seltsames Angebot, denn genau hiergegen richtet sich das Urteil des Verfassungsgerichts. Somit wäre die BA im Ergebnis immer die Alleinentscheidende.

Es beginnt schon damit, dass die BA entscheiden wird, ob ein Kunde arbeitsfähig ist oder nicht. Das bedeutet, wenn die BA zur Ansicht kommt, eine Person kann weniger als drei Stunden arbeiten, kommt diese Person als Grundsicherungsfall zurück zur Kommune. Das heißt, kein Arbeitslosengeld II über den Bund, sondern Grundsicherung aus dem kommunalen Haushalt. Die BA als neue Zuweiserin unserer Sozialämter!

Wo bleibt die kommunale Arbeitsmarktpolitik? Meine Damen und Herren von der SPD, unterrichten Sie vorsichtshalber die Träger, Verbände und Vereine rechtzeitig davon, dass die Städte für ihre Belange alsbald nicht mehr zuständig sein werden! Da gibt es die Personalfrage! Natürlich müssen die Beschäftigten möglichst bald wissen, wohin der Weg geht. Die Bundesagentur sagt sogar eine Personalübernahme bei Wahrung aller Rechte zu, aber – und das ist das Ausschlaggebende – auf freiwilliger Basis!

Der größte Teil der Beschäftigten, um die es hier geht, sind Angestellte, Beamtinnen und Beamte der Stadt. Sie werden der BA – entschuldigen Sie den Ausdruck! – etwas husten. Sie kommen zurück in ihre Stellung bei der Stadt, zurück in ihre Verträge, die nicht kündbar sind. Sie sind dann wieder Mitarbeiter der Kommune und stehen wieder bei uns auf der Besoldungsliste. Zum großen Teil werden wir größte Mühe haben, für sie dann auch wieder vernünftige Arbeitsplätze und Unterbringungsmöglichkeiten zu finden. Dem Bund ist das egal! Der stellt neues Personal ein oder übernimmt Überhänge aus anderen Bereichen. Die Kosten ändern sich bei ihm nicht.

Meine Damen und Herren, sogar der von der Stadt eingesetzte Direktor der ARGE möchte von der BA übernommen werden. Ein einfacher Grund: Er ist dann weisungsberechtigt und hat weiß Gott keinen Einfluss mehr seitens der Kommune dort zu vertreten.

Ich könnte noch viele Dinge aufzählen, die aus unserer Sicht gegen eine Übernahme der kommunalen Arbeitsmarktpolitik durch die BA sprechen. Wir denken, dass für die Suche nach einer Lösung für die Aufhebung der Verfassungswidrigkeit schnellstens ein Weg beschritten werden muss. Die Erfahrungen von Bund, Land und Kommune sollten zusammengeführt werden. Wir wollen, dass insbesondere die Kommunen an den Entscheidungen zur Umsetzung kommunaler Arbeitsmarktpolitik ausschlaggebend beteiligt werden. Wir sagen, dass die jetzt vorgeschlagene Lösung den Wünschen der Länder und der Städte nicht gerecht wird.

Die Sonderkonferenz der Arbeits- und Sozialminister hat bereits am 9. Mai in Berlin folgende Variante zur Prüfung vorgeschlagen, ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten, „eine am bisherigen Modell der ARGEn orientierte Lösung, die durch eine Grundgesetzänderung verfassungsrechtlich abzusichern wä

re“. Genau da liegt auch unser Ansatz. „In Ergänzung zu der Verfassungsänderung werden gesetzliche Anpassungen im SGB II auszuarbeiten sein, um unter anderen einen einheitlichen Personalkörper in der Nachfolgeorganisation der ARGEn zu ermöglichen, eine verbindliche Kooperation zwischen Bundesagentur für Arbeit und den Kommunen bei der Erarbeitung der arbeitsmarktpolitischen Programme zu gewährleisten und die Länder und Städte in die Einarbeitung der konzeptionellen Ausgestaltung der regionalen Arbeitsmarktpolitik einzubeziehen.“

Dies zu versuchen, meine Damen und Herren, ist doch das Mindeste, was wir machen sollten! Wir stehen ja nicht allein. Die Ministerkonferenz tagt in den nächsten Tagen, und der Deutsche Städtetag spricht die Notwendigkeit einer kommunalen Einflussnahme deutlich an.

Zu unserem Dringlichkeitsantrag, das habe ich im Vorfeld schon gesagt, sind noch zwei andere gekommen, einer von der FDP und einer von Bündnis 90/ Die Grünen und der SPD. Wenn es nicht erforderlich ist, werde ich mich gleich nicht mehr zu Wort melden. Darum gestatten Sie mir, Ihnen bereits jetzt unser Abstimmungsverhalten mitzuteilen. Es wird Sie nicht verwundern, dass wir unseren Antrag für den richtigen halten. Der Antrag der FDP zeigt große Übereinstimmung, deshalb werden wir ihn nicht ablehnen, sondern uns enthalten. Den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD werden wir ablehnen.

Ich gebe zu, dieser Antrag hat mich sehr überrascht. Wer Zeuge der letzten Deputationssitzung war, konnte dort erfahren, dass die SPD auf eine schnelle Umsetzung eines Beschlusses zur Umstellung auf das kooperative Job-Center war, und zwar, wenn möglich, noch vor der Sommerpause. Wenn ich jetzt zum Beispiel den zweiten Beschlusspunkt des Antrags der SPD und Bündnis 90/Die Grünen nehme, stelle ich mit Erstaunen fest, dass – wenn ich diesen Punkt richtig lese – die Koalition auch einer genauen Prüfung und wenn möglich einer entsprechenden Verfassungsänderung den Vorzug gibt. Wir sind davon überzeugt, dass das nicht die Handschrift der SPD ist und können denjenigen, die für diesen Sinneswandel gesorgt haben, nur gratulieren.

Als letzten Satz gestatten Sie mir, noch etwas zu sagen, von dem ich denke, dass es viele in diesem Haus teilen: Wir wollen mitsprechen und mitbestimmen, wenn es um unser Land, in unseren beiden Städten um Arbeitsmarktpolitik geht. Wir wollen mitsprechen und mitbestimmen zum Wohle der beiden Städte, aber in erster Linie wollen wir mitsprechen und mitbestimmen zum Wohle der Menschen in unserem Land, für die vielfach das, was wir hier beraten und beschließen, ein Stück weit letzte Hoffnung ist. Wir, meine Damen und Herren, wollen und sollten das tun und nicht im Alleingang diese Angelegenheiten

der Bundesanstalt für Arbeit überlassen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Dr. Möllenstädt.