Protocol of the Session on January 23, 2008

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Eine letzte Frage kann ich Ihnen und uns nicht ersparen: War es unter diesen Bedingungen eine kluge Entscheidung, dass Bremen diesem Gesetz im Bundesrat zugestimmt hat?

Bitte sehr, Frau Senatorin!

Ich glaube, es ist in der Gesamtheit eine richtige Entscheidung gewesen. Wir haben jetzt hier in diesen Details Probleme.

Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.

Aufgrund der vorangeschrittenen Zeit sind wir hiermit am Ende der Fragestunde angekommen.

Aktuelle Stunde

Für die Aktuelle Stunde ist von den Abgeordneten Frau Winther, Röwekamp und Fraktion der CDU folgendes Thema beantragt worden:

Justizpanne führt zu Messerstecherei auf der Discomeile – wie sicher ist Bremen?

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Nagel.

Als erste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Winther.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die letzte Silvesternacht verlief nicht so harmlos, wie die Berichterstattung uns dies glauben machen wollte. In dieser Nacht kam es zu einer Messerstecherei vor der Discothek „New York, New York“. Beteiligt waren die uns allen bekannten Clanmitglieder Mohammed M. und Ali M. Gegen Mohammed M. läuft ein Verfahren wegen der Schießerei auf der Discomeile im Januar 2006, und Ali M. hat bereits wegen der Beteiligung an dieser Tat 2006 eine Jugendstrafe abgesessen. Sie alle konnten der heftigen Diskussion in der Presse entnehmen, dass die gegen Mohammed M. verhängte U-Haft gegen Auflagen außer Kraft gesetzt worden ist. Diese Auflage hatte zum Inhalt, dass er die Discomeile nicht besuchen durfte und er keine Discos besuchen durfte, die Türsteher haben. Ausgerechnet diese Auflage wurde zu Silvester 2007/2008 zurückgenommen. Dass diese Lockerung der Auflagen, um es ganz vorsichtig zu sagen, ein falsches Vertrauen in einen Gewalttäter war, zeigen die Ereignisse. Mohammed war Silvester wieder an einer schweren Körperverletzung beteiligt und tauchte anschließend unter, und es scheint der Verteidiger gewesen zu sein, der dafür sorgte, dass Mohammed nun endlich in U-Haft sitzt. Man muss sich fragen, was die Gerichte bewogen hat, eine solche Entscheidung zu treffen; eine Entscheidung, die zur Folge hatte, dass erneut Menschen verletzt und gefährdet wurden. Der Bürgermeister versteht das nicht, für den Innensenator ist diese Entscheidung nicht nachvollziehbar, und der Staatsrat im Justizressort findet diese Entscheidung wenig glücklich. Dem können wir uns nur anschließen. Auch die Informationen im Rechtsausschuss brachten keine erhellenden Erkenntnisse, was die Gründe für diese Entscheidung betrifft. Richter, sie sitzen dort oben, sind unabhängig, das ist gut, und das ist ein Element unserer Demokratie. Richter sprechen aber ein Urteil im Namen des Volkes, und das impliziert, dass eine Entscheidung eines Gerichtes von den Bürgern nachvollziehbar sein muss.

Ich habe niemanden getroffen, der versteht, warum jemand eine Disco besuchen darf, der wegen einer schweren Körperverletzung oder einer Schießerei vor einer Disco angeklagt ist. Eine solche Entscheidung hat Einfluss auf das Sicherheitsgefühl der Bürger, und wie Sie vielen Leserbriefen entnehmen können, sind die Bürger irritiert.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen muss eine solche Entscheidung auch in diesem Hause thematisiert werden. Es müssen darüber hinaus Fragen gestellt werden, nämlich erstens: Wie gehen wir in Bremen mit Gewalt um?, und zweitens: Versagt unser staatliches Sanktionssystem angesichts der zunehmend brutalen Delikte, die uns täglich begleiten? Wie also schützen wir unsere Bürger und die Opfer vor erwachsenen und jugendlichen Kriminellen und Gewalttätern?

Die Ereignisse auf der Discomeile und im „New York, New York“ sind nur ein Beispiel für zunehmende Gewaltdelikte und viele kriminelle Karrieren, die meist schon im jugendlichen Alter begonnen haben. Die „Bild“-Zeitung zitierte in der letzten Woche: „Bei jeder Fahrt haben wir Angst.“ Gemeint sind Überfälle von Jugendlichen auf Taxifahrer. Ich erinnere Sie aber auch an Überfälle von Jugendlichen auf Tankstellen und Apotheken, ich erinnere Sie an die aktuelle Berichterstattung über jugendliche Gangs in Huchting, Kattenturm, in der Vahr und Hemelingen und die Notrufe dieser Stadtteile. Ich erinnere Sie an Kinder unter 14 Jahren mit langen Listen von Delikten, Kinder, die oft vorgeschickt werden, weil sie nicht strafmündig sind, Kinder, die sich zum Beispiel damit brüsten, 50 Handys abgezockt zu haben. Das sind deutsche Jugendliche ebenso wie Jugendliche mit Migrationshintergrund. Nebenbei gesagt, Jugendliche mit Migrationshintergrund haben inzwischen einen Anteil von über 35 Prozent an unseren Schulen.

Das ist die gesamte Kriminalitätsentwicklung im Bund seit 1993. Beim Anteil der jungen Erwachsenen gibt es einen Anstieg um 80 Prozent, bei den Jugendlichen um 35 Prozent und bei den Erwachsenen um 48 Prozent. Das ist die Lebenswirklichkeit heute. Dramatisch sind auch die Zahlen bei den Gewaltdelikten bei gefährlicher, schwerer und vorsätzlicher Körperverletzung. Wir haben bundesweit einen Anstieg von 180 000 auf 370 000 in nur 14 Jahren. Das nehmen die Bürger wahr, und das brennt ihnen unter den Nägeln. Darauf muss auch der Senat in Bremen eine Antwort finden, die sich auf der Basis der Realität bewegt und sich nicht in sozialen Träumereien ergeht.

(Beifall bei der CDU)

Was also ist zu tun? Oberstes Gebot muss sein, insbesondere die Jugendgewalt von Deutschen wie von Migranten nicht zu verharmlosen. Die Große Koali

tion hat daher für ausreichend Personal bei der Polizei gekämpft, und sie hat das Projekt „Stopp der Jugendgewalt“ auf den Weg gebracht.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Absurd! Das ist das Absurdeste, was Sie je in diesem Hause erzählt haben!)

Hören Sie erst einmal zu Ende!

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: 25 neue Stellen im Polizeidienst!)

Das ist eine ganz andere Diskussion, die können wir hinterher auch gern führen.

(Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Jetzt begrenzen Sie einmal nicht das Thema auf diese Polizeidiskussion,

(Beifall bei der CDU)

sondern widmen Sie sich einmal den wirklichen Problemen, die wir hier jeden Tag zu beklagen haben, die Sie jeden Tag in der Zeitung lesen können, die Sie in den Leserbriefen lesen können und die Sie hier mit den Bürgern in Bremen einmal diskutieren sollten, statt sich hier auf irgendwelche Zahlen zu beziehen!

(Zuruf des Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen])

Also, noch einmal! Was müssen wir tun? Wir haben das Projekt „Stopp der Jugendgewalt“ als Große Koalition auf den Weg gebracht, es muss aber weitergehen. Es müssen drei Dinge geschehen, diese müssen auch in Bremen oberste Maxime sein. Das sind die Themen: Wie können wir vorbeugen? Wie sehen wir hin? Wie greifen wir ein? Das heißt, wir müssen die Kriminalität an den Wurzeln ergreifen und gleichzeitig die Strafen konsequent und schnell aussprechen.

(Beifall bei der CDU)

Der Senat muss die Integration vorantreiben, er muss dafür sorgen, dass alle Jugendlichen eine Bildungschance haben und dass es ein ausreichendes Angebot an erzieherischen Mitteln gibt.

Ich will Ihnen nur ein Beispiel aus einer fehlgeleiteten Bildungspolitik nennen: Stadtbekannte Eltern, die ihre Kinder nicht von einer bremischen Schule unterrichten lassen wollen, werden mit großen Einsatz und härtester Sanktion verfolgt. Die Bildungsbehörde sollte sich lieber darum kümmern, wie Kriminalität an den Schulen verhindert wird und wie

deutsche und zugleich auch Migrantenkinder zu einem Schulabschluss kommen, um nicht mit allen Folgen auf der Straße zu enden.

(Beifall bei der CDU – Abg. Frau S t a h - m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das hat die CDU aber 12 Jahre nicht interessiert!)

Wie wir der Fragestunde eben entnommen haben, ist da keineswegs ein brauchbares Konzept in der Tasche oder in der Schublade, sondern da gibt es erheblichen Diskussionsbedarf und Nachbesserungsbedarf. Das ist die Wahrheit.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Das hat die CDU aber anders be- wertet in der Deputation!)

Allerdings dann, wenn soziale und erzieherische Maßnahmen nichts mehr nützen, wenn wir von Intensivtätern sprechen mit mehr als 50 Straftaten, dann brauchen wir strikte und schnelle Strafen, um unsere Bürger vor Gewalt zu schützen.

(Beifall bei der CDU)

Wenn Bewährungsstrafen nicht mehr helfen, können wir die Verbrechensbekämpfung nicht den Sozialarbeitern überlassen.

(Beifall bei der CDU)

Sie kennen die Aussage eines Jugendlichen nach seinem Urteil auf Bewährung. Gefragt, was er bekommen habe, antwortete er: „Nichts!“ Wenn also die Strafe nicht auf dem Fuße folgt, wird sie von vielen Jugendlichen nicht ernst genommen. Nun hat der Bürgermeister angekündigt, die Jugendverfahren sollen nur noch einen Monat dauern. Von schnellen Urteilen bei Gewaltdelikten zum Beispiel kann aber in Bremen keine Rede sein. Sie dauern, staatsanwaltliches Verfahren plus gerichtliches Verfahren, mindestens sechs Monate und bei Erwachsenen, wie Sie angesichts des Falles Mohammed M. sehen, mehr als zwei Jahre.

Das liegt an der großen Personalnot in der Staatsanwaltschaft, beim Landgericht und bei der Polizei. Die Staatsanwaltschaft ist hoffnungslos überlastet, jeder der sieben Jugendstaatsanwälte hatte 2007 etwa 1600 Fälle auf dem Tisch. Sehr geehrter Herr Senator Nagel, Sie selbst sagen, es darf keinen weiteren Stellenabbau in der Staatsanwaltschaft geben. Der von Ihnen eben gerade vorgelegte Haushaltsentwurf sagt aber etwas anderes. Er definiert Personalabbau, er mildert dies etwas durch Personalverstärkungsmittel für das Jahr 2008, aber schon 2009 sinken die Personalmittel wieder um 100 000 Euro. Sagen Sie, Herr Senator, dass Sie es ernst nehmen mit Ihrer Politik gegen Jugendgewalt, und sorgen Sie für eine dau

erhaft akzeptable personelle Ausstattung der Staatsanwaltschaft und der Gerichte!

(Beifall bei der CDU)

Schnelle Verfahren sind unabdingbar, aber sicherlich nicht die einzige Maßnahme, um der Jugendgewalt Herr zu werden. Wir haben in Bremen wenig Mittel, die geeignet wären, Gefängnisstrafen für Jugendlich zu umgehen und uns um auffällige Kinder zu kümmern. Wir haben geschlossene Heime abgeschafft, Arreststrafen gibt es nicht, dafür aber teure pädagogische Reisen. Dabei hat zum Beispiel Niedersachsen gute Erfahrungen gerade mit den Arrestzeiten mit Erziehungscharakter gemacht. Sie konnten sich gerade selbst in der Presse darüber informieren. Dort lernen Jugendliche zum ersten Mal, dass es Grenzen gibt und dass Grenzen einzuhalten sind.

(Beifall bei der CDU)

Deswegen sind auch wir für einen Warnschussarrest als Abschreckung und nicht als Strafe. Genauso sinnvoll erscheint es, Jugendlichen ein Fahrverbot aufzuerlegen. Auch die Angebote der Jugendlichen im Rahmen der sozialen Trainingskurse sind hier in Bremen nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Trotzdem ver- lieren Sie in Hessen, Frau Winther!)

120 Plätze gibt es laut aktuellem Jugendhilfebericht bei 2464 jugendlichen Tatverdächtigen und 768 tatverdächtigen Kindern. Ich bin gespannt, ob das Konzept, das Sie hier angekündigt haben, hierzu eine Antwort gibt.

Insgesamt, meine Damen und Herren, sehr geehrte Kollegen von der Koalition, ist unser Appell: Verharmlosen Sie nicht die Situation und zeigen Sie null Toleranz gegen gewalttätige Jugendliche!