Das ist es, was dabei herauskommt, und zwar Schritt für Schritt in einem atemberaubenden Tempo. Ich frage mich manchmal, ob Sie bei dieser Entwicklung Bremser sind oder Sie sie noch vorantreiben. Innerhalb der Grünen gibt es da, glaube ich, unterschiedliche Meinungen.
Die Sparkassen und zum Beispiel auch die Bremer Landesbank sind Institutionen, die wir erhalten müssen, und hier sind wir diejenigen, die dafür kämpfen. Da sehe ich wenig Unterstützung, zumal wenn ich von dem Kollegen Dr. Kuhn angesprochen werde, der sich hier vielleicht einmal klarer äußern könnte.
Dies heißt nämlich, dass wir in dem Moment keine Marktwirtschaft haben, sondern eine soziale Institution, die eben den Bürgern verpflichtet ist, sei es in ökonomischer Hinsicht – um Geld zur Verfügung zu stellen – oder sei es auch im Sinne der schutzwürdigen Interessen wie beim Glücksspiel, wo wir es gestern gerade noch geschafft haben, ein Gesetz zu verabschieden, das hoffentlich mit den europäischen marktliberalen Regelungen nicht allzu sehr kollidiert und trotzdem Bestand hat. Ansonsten schönen Dank, gestern haben Sie ein Gesetz beschlossen, und heute haben Sie beschlossen, weswegen das Gesetz nicht
Ja, das hoffe ich, dass das Blödsinn ist! Das werden wir aber noch sehen, und wenn Sie dazu beitragen, dann – –.
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Sie hoffen, dass das, was Sie sa- gen, Blödsinn ist?)
So kann man auch versuchen, Leute durcheinander zu bringen. Wir haben hier gerade von Herrn Dr. Sieling gehört, dass wir hier keine Herabsetzung und so weiter machen wollen. Man kann da nicht vor sich hinnölen, sage ich einmal, und meinen, das stört nicht! Entschuldigen Sie bitte!
Arbeitet man sich mühsam durch die Formulierungen dieses Reformvertrags, so stellt man am Ende fest, dass sich inhaltlich so gut wie nichts vom gescheiterten Verfassungsvertrag unterscheidet. Es ist der sprichwörtliche alte Wein in neuen Schläuchen, zum Beispiel die Wirtschaftspolitik, die seit Maastricht im EG-Vertrag stehenden und im Verfassungsvertrag übernommenen neoliberalen Inhalte bleiben unverändert erhalten. Es ist keine Rede mehr von einem Sozialprotokoll, das selbst Kanzlerin Frau Merkel dem Verfassungsvertrag nach dessen Scheitern in Frankreich und den Niederlanden noch beifügen wollte. Allein bei den Werten der Union verzichtet man auf die „Herausstellung“ – das ist jetzt ein Zitat, mit Genehmigung der Präsidentin – „eines Binnenmarktes mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“. Das hat man also herausgenommen.
Es ist aber klar, dass sich damit inhaltlich nichts ändern soll, es wird deshalb im Protokoll gleich angefügt, wonach der EU – jetzt wieder ein Zitat aus dem Protokoll zum Vertrag – „ein System gehört, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt“. Das ist es doch, auch Stichwort VW, liebe Kolleginnen und Kollegen vom Gewerkschaftsflügel, was uns allenthalben dann natürlich entgegenschlackert, wenn Sie die Arbeitsplätze bei VW dann in dieser Form leider auch nicht mehr erhalten können, weil das EU-Recht dagegen steht. Aber in diesem Moment gestalten Sie EU-Recht, seien Sie sich dessen bewusst und sehen Sie bitte diese Verbindung! Sie haben auch die Verantwortung für EU-Recht, das ist hier gerade heute der Fall. Deswegen geht hier einmal nicht Schnelligkeit vor Qualität, denn gerade damit kann man natürlich einiges durchsetzen, und diese Tricks machen wir nicht mit. Auch die Bevölkerung in Deutschland wird dies möglicherweise kritisieren, wie es in anderen Ländern auch schon geschah. Wir kommen dann auch noch auf die Frage der Abstimmung.
Auf der anderen Seite wird die Grundrechtecharta nicht im Vertrag enthalten sein, aber sie wird durch einen Verweis als rechtsverbindlich erklärt. Großbritannien hat sich jedoch eine Ausnahme ausgehandelt, sodass der Grundrechtecharta von britischen Gerichten kein Rechtsschutz gewährt werden soll. Zwei andere Staaten – Irland und Polen – haben sich die Prüfung einer Ausnahme vorbehalten. Insofern hält es auch das Europäische Parlament für einen dramatischen Rückschlag und für eine schwere Beschädigung des innersten Selbstverständnisses der Europäischen Union, wenn der eine oder andere Mitgliedsstaat ein Opt-Out von der Charta der Grundrechte für sich in Anspruch nimmt. Dies ist anscheinend nicht so wichtig wie der gemeinsame Markt, da sind sich offenbar alle einig, und zwar eigentlich, weil sie gerade einmal die Mehrheit haben. Man kann nicht, wenn man europaweit gerade einmal günstige Mehrheiten hat, einen solchen Vertrag machen, der verfassungsähnlich ist und der dann das, was gerade einmal an Mehrheit vorhanden ist, als verfassungsähnliches Konstrukt dahinstellt, was dann eben eine Langzeitwirkung hat, die wir – ein solches Europa – eben nicht wollen.
(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Jetzt verstehe ich, warum Sie ges- tern protestiert haben in Brüssel!)
Da inzwischen auch die tschechische Regierungspartei ODS angekündigt hat, die Vereinbarkeit von Grundrechtecharta und Landesrecht überprüfen lassen zu wollen, wird sich die Wirksamkeit der Charta für die Bürgerinnen und Bürger erst noch zeigen müssen.
Nein, bei aller Sympathie für dieses Verfahren mit Zwischenfragen, ich habe hier doch einen relativ umfangreichen Text.
Der zweite große Punkt – das werden einige von Ihnen wahrscheinlich auch wissen – ist die Frage der Militarisierung. Enthalten bleiben die Vorschriften des Verfassungsvertrags zur weiteren Militarisierung. Hier
findet sich der berüchtigte Satz aus dem Verfassungsvertrag wieder, wonach – Zitat, mit Genehmigung der Präsidentin – „die Mitgliedsstaaten sich verpflichten, ihre militärische Fähigkeit schrittweise zu verbessern“. Das ist es doch, was zu viel Protest geführt hat, und Sie segnen es heute wieder ab. Schönen Dank dafür!
Wir haben noch Gelegenheit, das Weitere auszuführen, denn Sie brauchen ja auch erst einmal eine Zeit, um es vielleicht zu verarbeiten. – Danke!
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss mich eben einmal zu Wort melden. Ich sehe hier keinen weiteren Schritt zu mehr Demokratie, ganz im Gegenteil! Ich bin für mehr Demokratie, ich bin für eine effektive, gelebte Demokratie wie in der Schweiz. Dort, meine Damen und Herren, wird das Volk befragt. Ich bin für eine Demokratie, in der das Volk, die Bürgerinnen und Bürger, über wichtige Fragen des Landes selbst mit abstimmen und entscheiden dürfen. Ich bin für eine Demokratie, in der das Volk gefragt wird und die Meinung anerkannt wird. Das heißt für mich mehr Beteiligung des Volkes, das heißt für mich Volksabstimmung und sonst gar nichts!
Man hätte unsere Bürgerinnen und Bürger über die Einführung des „Teuro“, sprich Euro, befragen und abstimmen lassen müssen, über die Milliarden für US-Kriegseinsätze auf Kosten der deutschen Steuerzahler hätte man sie abstimmen lassen müssen, ich sage nicht sollen, sondern müssen! Man hätte unsere Bürgerinnen und Bürger über die EU-Verfassung abstimmen lassen müssen, meine Damen und Herren. Deutschland ist der größte Nettozahler der EU, Deutschland bekommt auf der anderen Seite jetzt schon circa 80 Prozent der Gesetzgebung durch die EU vordiktiert. Sie halten unsere Bürgerinnen und Bürger auch weiterhin einfach, glaube ich, für zu dumm, um über ihre eigenen Interessen entscheiden und abstimmen zu dürfen,
sonst hätten Sie es gemacht. Sie fürchten die Meinung des Volkes wie der Teufel das Weihwasser. Das,
meine Damen und Herren, ist für mich keine gelebte Demokratie, Volksabstimmung bei allen wichtigen Entscheidungen des Landes im Interesse der Bürger! Sie aber fürchten diese Meinung. Ich aber sage Ihnen: Unsere Bürger und Bürgerinnen sind keine nützlichen Dummerchen, sie sind auch kein nützliches Stimmvieh vor der Wahl, sondern unsere Bürger haben das Recht darauf, über wichtige Entscheidungen des Landes mitbestimmen und abstimmen zu dürfen.
Dafür bin ich, das ist für mich wirkliche Demokratie, Volksabstimmung und sonst gar nichts! Ich lehne Ihre Anträge ab, und abschließend möchte ich noch dazu sagen: Ich kann Ihnen bis morgen früh hier noch vorlesen, wie die EU auch mit deutschen Steuergeldern umgeht, wie sie verschwendet werden, es geht in die Milliardenhöhe, und das haben unsere Bürgerinnen und Bürger nicht verdient. Ich bin für Volksabstimmung! – Ich bedanke mich!
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Der Kollege Beilken ist jetzt leider nicht zu seiner Konklusion gekommen, aber aus der Tatsache, dass die Fraktion Die Linke den Antrag der vier anderen Fraktionen nicht mitgemacht hat, schließe ich einmal, dass Sie nicht nur den Antrag, sondern auch den Vertrag von Lissabon, die Ratifizierung, ablehnen.
Stimmt? – Gut! Ich sage Ihnen einmal eines: Die Bilder, die gestern Abend über das Fernsehen gingen, die gleichen Plakate, die gleichen T-Shirts, der gleiche Krawall – das sage ich mit Betonung – im Europäischen Parlament auf der linken wie auf der rechten Seite, darüber müssen Sie schon nachdenken, Herr Kollege! Das kann man nicht einfach irgendwie abtun, darüber müssen Sie schon nachdenken!
Nicht erst seit gestern haben die Kommunisten, die radikale Linke, die europäische Integration von Anfang an genauso abgelehnt wie die radikale Rechte. 50 Jahre Tradition haben Sie darin, die Begründungen haben gewechselt, einmal haben Sie mit diesem argumentiert, einmal gefällt Ihnen dieses nicht, einmal jenes.
Den Vertrag von Maastricht haben Sie abgelehnt, Sie haben den Euro abgelehnt, Sie haben alles abgelehnt. Dann stellen Sie sich doch nicht hin und tun
so, als würde es an der einen oder anderen Formulierung liegen! Sie haben eine generelle Haltung gegen die europäische Integration mit abstrusen Begründungen, vielleicht wären Sie noch dazu gekommen. Ich bin gespannt.
Ich äußere mich zunächst zu dem, was Sie bisher vorgetragen haben, zunächst die sogenannte Militarisierung: Im Vertrag steht, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union versuchen sollen, die militärischen Kapazitäten gemeinsam einzusetzen und diese Gemeinsamkeit aufzubauen. Dazu frage ich Sie: Was soll daran schlecht sein? Fast jedes Mitgliedsland der EU, und leider ist die Lage in der Welt so, dass wir darauf nicht verzichten können, hat bewaffnete Kräfte. Ist das jetzt gut oder schlecht, wenn die Staaten der EU dort zusammenarbeiten? Es ist nicht nur eine Frage von Kosten oder von Effizienz, es ist die Frage von gegenseitigem Vertrauen und von Verhindern, dass es zwischen diesen Staaten Streitereien gibt, die bis in das Kriegerische gehen können. Das ist europäische Politik, und dass Sie ausgerechnet dagegen polemisieren, das verstehe ich nun überhaupt nicht!
(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. B e i l k e n [Die Lin- ke]: Es geht um Aufrüsten, Herr Dr. Kuhn!)
Das Zweite betrifft den Aspekt Soziales, das will ich einmal versuchen zu erklären. Dort sind jetzt zwei scheinbar unvereinbare Pole aufgetreten, der Kollege Möllenstädt und Sie. Der eine bedauert das, der andere findet das immer noch zu viel mit dem freien und unverfälschten Wettbewerb. Ich will Ihnen einmal ein Beispiel nennen, was Ihnen vielleicht näher liegt oder vielleicht der einen Hälfte des Hauses, wobei ich nicht weiß, ob Sie das heute noch lesen wie wir früher.
Sie kennen vielleicht das 13. Kapitel aus dem ersten Band des „Kapital“ von Karl Marx. Darin beschreibt Karl Marx, wie es zu der ersten gesetzlichen Regelung des Arbeitstages, der Beschränkung damals in England auf 10 Stunden gekommen ist. Das Interessante dabei ist, und das ist die Parallele zur Europäischen Union, dass der Anstoß natürlich immer von den Arbeitern ausging, die das beklagt haben, aber der entscheidende Umschwung kam von den Unternehmern, die ihre Arbeiter aufgrund der Art der Arbeit nicht mehr 12, 14 Stunden oder länger beschäftigen konnten und gesagt haben, wir arbeiten jetzt 10 Stunden, und wir wollen nicht, dass es einen verfälschten Wettbewerb gibt. Wir wollen gleiche Bedingungen zwischen dem und dem, und deswegen setzen wir uns für eine gesetzliche Regelung, gesetzliche Beschränkung des Arbeitstages ein.
Das war die Triebkraft, die es damals zum Klappen gebracht hat, Gewerkschaft hin und her, aber entscheidend war, dass es selbst im Wettbewerb Kräfte gibt, die sehen, dass man den Wettbewerb regeln
muss, dass man Rahmen und Grenzen setzen muss, und genauso ist der Gang der Dinge in der Europäischen Union. Schauen Sie sich doch einmal an, wie die Sozialgesetzgebung ist! Ich will gar nicht einmal von dem großen Kohäsionsfonds reden, von den 350 Milliarden, die innerhalb von sechs Jahren zwischen den armen und reichen Ländern verteilt werden, ich rede von der Sozialgesetzgebung. Ich spreche davon, dass die Arbeitsschutzgesetzgebung auf europäischer Ebene entwickelt worden ist, weil die Unternehmen sagen: Wir lassen uns nicht unsere Aufträge kaputt machen von jemandem, der zu ganz anderen miesen Bedingungen arbeiten lässt, wir wollen gleiche Regelungen haben.
Das ist auch die Ursache für die europäischen Regelungen im Umweltschutz, dass Unternehmen gesagt haben, es darf kein Umweltdumping geben. Es kann nicht sein, dass dort jemand die Luft, unsere gemeinsame Luft, unser gemeinsames Wasser, verpestet und deswegen billiger produzieren kann. Wir wollen gleiche Regeln in ganz Europa. Das ist die direkte Folge des freien Marktes. So ist die Logik, die Dialektik der Geschichte, lesen Sie es einmal nach bei Karl Marx!