Protocol of the Session on December 13, 2006

Die siebte Anfrage bezieht sich auf die unbefriedigende Datenlage zum Übergang in das duale System. Die Anfrage ist unterschrieben von den Abgeordneten Frau Ziegert, Dr. Sieling und Fraktion der SPD.

Bitte, Frau Kollegin Ziegert!

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir fragen den Senat:

Erstens: Wie bewertet der Senat die Ergebnisse einer von bremischen Schülerinnen und Schülern erarbeiteten Befragung, die wie die Untersuchungen des Bundesinstituts für Berufsbildung darauf hindeutet, dass drei Jahre nach Verlassen der Schule nur rund die Hälfte der Absolventen und Absolventinnen von Haupt- und Realschulen eine Ausbildung im dualen System beginnen konnte?

Zweitens: Welche Erkenntnisse oder Hinweise hat der Senat hinsichtlich des mittelfristigen Verbleibs der Absolventen und Absolventinnen von Haupt- und Realschulen, die statistisch als „unbekannt“ geführt werden?

Drittens: Wie erklärt der Senat die signifikanten Abweichungen zwischen verschiedenen statistischen Erhebungen und Untersuchungen zur Versorgung von Schulabsolventen und Schulabsolventinnen im dualen Ausbildungssystem, beziehungsweise welche Schlussfolgerungen zieht er daraus?

Die Anfrage wird beantwortet von Herrn Senator Lemke.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Frage eins: Die von Bremer Schülerinnen und Schülern durchgeführte Befragung macht auf ein bundesweit vorhandenes Problem des dualen Berufsbildungssystems aufmerksam: Der Anteil der dualen Ausbildung an den Neuzugängen in das berufliche Bildungssystem in Deutschland ist von 51,2 Prozent im Jahr 1995 auf 43,3 Pro

zent im Jahr 2004 zurückgegangen. Der Anteil des Berufsschulsystems hat leicht zugenommen auf 17,1 Prozent, während der Anteil sogenannter Übergangssysteme wie zum Beispiel Berufsgrundbildungsjahre, berufsvorbereitende Maßnahmen der Agenturen für Arbeit oder der Berufsfachschulen von 31,9 Prozent – 1995 – auf 39,5 Prozent – 2004 – gestiegen ist. Trotz vielfältiger Anstrengungen der verschiedenen Partner ist es bisher aber noch nicht gelungen, für alle einen bruchlosen Übergang in Ausbildung zu erreichen.

Die vielfältigen Aktivitäten in Bremen und Bremerhaven, die im Regionalen Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs und im Bündnis für Arbeit und Ausbildung koordiniert werden, haben zu einer Steigerung der eingetragenen Ausbildungsverhältnisse geführt. Bezogen auf den Stichtag 30. September liegt die Steigerung im Laufe der letzten drei Jahre im Land Bremen mit 13,5 Prozent deutlich über dem Bundesdurchschnitt mit 7 Prozent. Seit dem Jahr 2002 steigt die Ausbildungsquote im Lande Bremen, während sie im Bundesdurchschnitt nahezu gleich geblieben ist. Der Senat wird seine Anstrengungen fortsetzen, durch praxisnahe Angebote in den Schulen die Ausbildungsfähigkeit der Schülerinnen und Schüler zu verbessern und jedem ausbildungsfähigen und ausbildungswilligen Jugendlichen ein Angebot zu machen.

Zu Fragen zwei und drei: Die Schulverwaltungssoftware MAGELAN erfasst nur Daten von Schülerinnen und Schülern, die die Bremer Schulen besuchen, über andere Verbleibsdaten verfügt der Senat nicht. Viele Jugendliche bewerben sich direkt bei Firmen, erhalten eine Lehrstelle in einem anderen Bundesland oder besuchen dort eine weiterführende Schule. Andere Schülerinnen und Schüler treten nach der Schulpflicht Arbeitsplätze an, melden sich arbeitslos bei den Agenturen für Arbeit oder leisten zum Beispiel Wehr- oder Zivildienst oder ein soziales oder ökologisches Jahr ab.

Die Abweichungen zwischen verschiedenen statistischen Erhebungen resultieren in der Regel aus den unterschiedlichen Fragestellungen der erhebenden Stellen. So erfassen beispielsweise die Agenturen für Arbeit nur diejenigen, die sich bei ihnen ausbildungssuchend melden. Die Kammern tragen die Ausbildungsverhältnisse ein, die real abgeschlossen wurden, und die Arbeitsgemeinschaften erfassen nur die unter 25-Jährigen der Bedarfsgemeinschaften.

Das novellierte Berufsbildungsgesetz sieht seit dem 23. März 2005 in Paragraf 35 Absatz 3 die Möglichkeit der Weitergabe einschlägiger Daten an die Bundesagentur für Arbeit vor. Die zuständigen Stellen haben auf dieser Grundlage mit den regionalen Agenturen für Arbeit entsprechende Verwaltungsvereinbarungen abgeschlossen und tauschen Daten aus.

Nach Änderung des Bremischen Schuldatenschutzgesetzes – vorgesehen noch im Jahr 2006 – kann die

Datenübermittlung in analoger Anwendung für die schulischen berufsqualifizierenden Ausbildungen an die Agenturen für Arbeit erfolgen. Mit der diesjährigen Umstellung des Vermittlungssystems von COMPAS auf VerBIS hat die Bundesagentur für Arbeit zusätzlich für eine zukünftig transparentere Abbildung der Motive alternativ verbliebener Bewerber gesorgt.

Der Senat wird sich gemeinsam mit den Partnern des Regionalen Paktes und des Bündnisses für Arbeit und Ausbildung auch weiter für eine Verbesserung der Datenlage einsetzen und diese dann auch in den Veröffentlichungen darstellen. – Soweit die Antwort des Senats!

Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Ziegert!

Herr Senator, stimmen Sie mit mir darin überein, dass es sich hier nicht nur um ein Problem unterschiedlicher Statistiken handelt, sondern dass es vielleicht auch ein falsches Bild der tatsächlichen Lage auf dem Ausbildungsmarkt gibt, wenn am Ende immer wieder dargestellt wird, dass nur ein relativ kleiner Anteil von Jugendlichen unvermittelt oder unversorgt, wie es so schön heißt, bleibt und man diesen großen Teil, das haben Sie ja selbst gesagt, das ist ja mittlerweile die Mehrheit, die direkt nach der Schule keinen Ausbildungsplatz bekommt, obwohl sie einen sucht, diese Mehrheit eigentlich gar nicht mehr im Blick hat? Meinen Sie nicht, dass man sehr schnell daran arbeiten muss, hier ein wirkliches Bild der Situation, auch im Interesse der jungen Leute, zu bekommen?

Bitte, Herr Senator!

Es ist den Schülerinnen und Schülern zu danken, dass sie durch ihre Fleißarbeit und durch ihr Engagement diese Daten, was wir in dieser Fülle über die Behörde hätten überhaupt nicht leisten können, zusammengetragen haben. Wir sind dadurch an Daten gelangt, die genau auf das von Ihnen geschilderte Problem hinweisen, das ja auch damit zusammenhängt, dass wir die Schülerinnen und Schüler, die im Vorjahr oder in den Vorjahren noch keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, vor uns wie eine Bugwelle hertragen. Da sind wir den Schülerinnen und Schülern schon zu Dank verpflichtet, dass sie unsere Sichtweise so geschärft haben.

Ich habe in der Antwort versucht, Ihnen klarzumachen, wir müssen in Zukunft die Datenlage verbessern und die Transparenz erhöhen, um die Öffentlichkeit noch deutlicher auf das riesengroße Problem auf dem Ausbildungsmarkt aufmerksam zu machen. Aber trotzdem dürfen wir unsere Anstrengungen natürlich nicht verringern, weil jeder Ausbildungsplatz, den wir zusätzlich schaffen, und da sind wir im Vergleich zum Bundesgebiet deutlich besser, zählt.

Wir dürfen da auch nicht nachlassen. Die Datenlage ist eine Frage, aber der Kampf um jeden Ausbildungsplatz ist mit genau solcher Priorität oder vielleicht sogar noch verstärkter voranzutreiben.

Frau Kollegin, haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Ziegert!

Die Antwort auf die erste Frage legt ein bisschen die Vermutung nahe, weil Sie sagen, Sie haben auch Anstrengungen unternommen, die Schülerinnen und Schüler in den Schulen besser berufsfähig zu machen, dass es auch teilweise an einer mangelnden Berufsreife der Abgänger liegt, dass es keine Ausbildungsplätze gibt.

Teilen Sie nicht auch die Auffassung, dass es in erster Linie daran liegt, dass wir zu wenig Ausbildungsplätze haben und dass die Schülerinnen und Schüler nicht übergehen? Ist Ihnen die Untersuchung des Bundesinstituts für berufliche Bildung bekannt, die sagt, dass die Chancen der Schülerinnen und Schüler oder die Chancen der Jugendlichen auf einen Ausbildungsplatz nach dem Aufenthalt in verschiedenen Maßnahmen oder auch teilweise eben auch in den Schulen, die zu diesem Übergangssystem gehören, sich nicht verbessern, sondern sich eher verschlechtern, sodass unsere Anstrengung auch dahin gehen muss, nicht nur die Datenlage zu verbessern, sondern zu ermöglichen, dass Jugendliche möglichst schnell nach Beendigung der Schule in eine Ausbildung übergehen können?

Bitte, Herr Senator!

Dass wir das wünschen, ist überhaupt keine Frage! Ich finde, man darf sich nicht nur einreden, dass es nur eine Frage der nicht vorhandenen Ausbildungsplätze ist, das wäre aus meiner Sicht zu wenig differenziert. Man muss sehr wohl schauen, wir benötigen dringend mehr Ausbildungsplätze für die vielen Jugendlichen, die einen Ausbildungsplatz suchen, aber ich sage genauso klar, wir müssen bereits früher in den Schulen beginnen, die Schülerinnen und Schüler gezielter auf den Beruf vorzubereiten, sie zu orientieren. Die Schülerinnen und Schüler müssen sich selbst früher motivieren und sagen, ich will demnächst das und das werden.

Gehen Sie bitte in die achten, neunten, zehnten Klassen hinein und fragen die Schülerinnen und Schüler, was habt ihr im nächsten Jahr denn vor! Da erlebe ich allzu oft, dass die Schülerinnen und Schüler sagen, ja, das weiß ich noch nicht ganz genau, ich habe noch genug Zeit. Es gibt auch eine Menge Schulvermeider, wie Sie wissen. Es ist ganz schwer, diese zu überzeugen, einen guten Schulabschluss zu bekommen, weil sie ohne den Schulabschluss erst einmal überhaupt keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben. Da müssen wir besser werden, das ist unser Beitrag.

Nur zu sagen, diejenigen, die uns keine Ausbildungsplätze zur Verfügung stellen, sind die Alleinschuldigen, das ist mir zu wenig. Ich sehe mich absolut mit in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Schülerinnen und Schüler so früh wie möglich eine gute Praxisorientierung bekommen. Sie sollen so viele Praktika wie möglich machen, damit sie sehen, ist es das Richtige für mich, gehe ich da gern hin, was wird von mir verlangt, bekomme ich dort meine Stärken gestärkt, das ist das, was ich wünsche. Dann, glaube ich, werden wir auch besser. Aber wir dürfen den anderen Bereich nicht vernachlässigen, da haben sie hundertprozentig recht! Wir brauchen zusätzliche Ausbildungsplätze, aber wir brauchen auch motivierte Schülerinnen und Schüler, die ausbildungsfähig und bereit sind.

(Beifall bei der SPD)

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte, Frau Ziegert!

Ich stimme Ihnen darin ja zu, und es ist ein differenziert zu sehendes Problem. Aber meinen Sie nicht auch, dass es auch die Motivation der Schülerinnen und Schüler heben könnte, wenn sie auch wüssten, wenn ich mich jetzt anstrenge, wenn ich einen Hauptschulabschluss schaffe, dann habe ich auch die Chance, einen Ausbildungsplatz zu bekommen? Unabhängig von den statistischen Darstellungen spricht sich das in den Hauptschulklassen herum, dass sie sagen, du brauchst dich nicht zu bemühen, du hast doch keine Chance. Sehen Sie nicht auch die Gefahr, dass das wieder Rückwirkungen auf die Schule und auch auf die Motivation der Schülerinnen und Schüler hat?

Bitte, Herr Senator!

Ich kann nichts damit anfangen, dass wir unseren Jugendlichen stets und ständig sagen, dass sie keine Chance in unserer Gesellschaft haben.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich gehöre zu denen, die sagen, ihr habt eine Chance, jeder von euch hat eine Chance, aber ihr müsst euch selbst in diesen Prozess auch einbringen, ihr müsst in die Betriebe gehen. In den Sommerferien spreche ich mit den Schülerinnen und Schülern, geht doch einmal jobben, versucht, dort vor Ort in den kleinen und größeren Betrieben Erfahrungen zu sammeln. Ich kenne unglaublich viele Fälle, in denen dann ein Ausbilder sagt, Mensch, du bist aber patent, du bist freundlich, höflich, kommst pünktlich, hast du nicht Lust, bei mir ein Ausbildungsverhältnis zu beginnen. Da gibt es viele positive Beispiele.

Wir müssen unbedingt daran arbeiten, den jungen Menschen das klarzumachen, und nicht immer

überall sagen, ihr habt keine Chance, ihr braucht doch sowieso keinen Hauptschulabschluss, bleibt doch am besten gleich weg von der Hauptschule, ihr habt sowieso keine Chance, sondern sagen, du kannst deine Chancen absolut wahrnehmen, aber du musst die Chancen auch packen, du musst sie ergreifen. Wir sollten alles daransetzen, das ist jedenfalls meine Politik in den letzten siebeneinhalb Jahren gewesen, den Schülerinnen und Schülern zu zeigen, wo sie ihre Stärken haben. Jedes Kind in Deutschland hat Stärken, und es ist unsere Aufgabe, die Kinder darin zu bestärken.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Halten Sie es im Sinne von aufnehmen und bestärken für eine gute Idee, würden Sie es unterstützen, wenn die Schülerinnen und Schüler mit der Untersuchung, die sie hier gemacht haben, vielleicht auch einmal die Gelegenheit hätten, sie in der Handelskammer oder in der Handwerkskammer vorzutragen?

Bitte, Herr Senator!

Ich habe zu beiden Kammern hervorragende Beziehungen, die verantwortlichen Lehrkräfte, die hier oben sind, kenne ich seit Jahren persönlich, und da würde ich den Ball sofort aufnehmen und anbieten, dass wir gemeinsam in die Kammern gehen und die Ergebnisse dort vorstellen und auch aus der Schülersicht darum werben, dass wir mehr Ausbildungsplätze bekommen als bisher.

Eine weitere Zusatzfrage durch den Abgeordneten Crueger! – Bitte, Herr Crueger!

Ich möchte diese SPD-interne Auseinandersetzung nur ungern stören.

(Zurufe von der CDU: Oh!)

Ich möchte aber trotzdem noch einmal gern auf das eigentliche Thema zurückkommen, auch anlässlich dessen, dass hier heute auch viele der Schülerinnen und Schüler, die an dem Projekt mitgearbeitet haben, dabei sind, und noch einmal den Senat ganz knallhart auf eine Aussage festnageln wollen. Habe ich Sie richtig verstanden, dass die bremische Senatsverwaltung im Moment nicht dazu in der Lage wäre, diese Daten in der Art und Weise, wie die Schülerinnen und Schüler es geschafft haben, zu erheben?

Bitte, Herr Senator!

Das würde sehr viel Aufwand benötigen, und ich konzentriere mich im Augenblick auf die Prioritäten, die wir zu bearbeiten haben, und das ist angesichts der rückläufigen Personalausstattung meines Amtes sehr schwierig.

Haben Sie eine weitere Zusatzfrage? – Bitte sehr!

Herr Senator, ich habe Sie aber auch richtig verstanden, dass Ihr Ressort nach wie vor das Interesse hat, die Datenerfassung zu verbessern, um nach Möglichkeit vielleicht in einigen Jahren das, was die Schüler heute schon geschafft haben, mit einem vertretbaren personellen Aufwand auch zu schaffen?