Protocol of the Session on November 16, 2006

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Glocke)

Herr Crueger, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Ahrens?

Ja, bitte!

Bitte, Frau Ahrens!

Es mag ja sein, dass Herr Pfeifer ein harter Hund ist, wie Sie es so schön formulieren, aber noch ist es so, dass das Bundesministerium für Familie die Zeche zahlt. Ich kenne es so, dass diejenigen, die die Zeche zahlen, auch bestimmen, welche Musik gespielt wird.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist ja genau das Problem!)

Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen, dass auf Seite 4 dieses entsprechenden Vorschlags auch ganz deutlich steht, dass das Bundesministerium zugestimmt hat, dass der Kontrollgruppe alle anderen Leistungen nicht verwehrt sind, dass sie also selbstverständlich, wenn sie den Bedarf haben, beim Bremer Familienhebammenmodell mitmachen können und ihnen auch alle anderen Leistungen wie die Häuser der Familie, die Frühberatungsstellen offen stehen?

Ich danke Ihnen für die Zwischenfrage, Frau Ahrens! Sie sprechen nämlich genau den richtigen Punkt an! Bestimmen, was passiert, tut derjenige, der es bezahlt, und das ist nicht Bremen. Das heißt, bei all diesen Beschlüssen, die heute hier gefasst werden, können wir nur davon ausgehen, dass wir etwas von dem Zahler vorgesetzt bekommen, nämlich dem Bundesministerium, und das entscheidet, was hier passiert und was nicht. Wir verlieren die Hoheit darüber, was mit unserem Bremer Familienhebammenmodell passiert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich habe ja schon kurz versucht, noch so ein bisschen die Geschichte zu beleuchten. Es ist tatsächlich so: Herr Pfeifer ist auf Frau von der Leyen zugegangen und hat gesagt: Wenn du ins Bundesministerium kommst, dann setze bitte dieses Programm um! Es ist auch so, ohne dass ich dort zu viel Geschmäckle in die Sache hineinbringen will, dass Herr Pfeifers Frau dieses Programm evaluiert. Das ist sozusagen Pfeifersche Familienwirtschaft. Ich glaube einfach nicht, dass man sich gegen diese Wissenschaftler wird durchsetzen können – wenn man selbst nicht derjenige ist, der am Geldhahn sitzt und sagt, notfalls suchen wir uns jemand anderen, der das macht –, so lange man gezwungen ist, mit dem Personal und den Instituten, die das auswählen und durchführen und die vom Bundesfamilienministerium bezahlt werden, zu leben und zu arbeiten. Das ist der entscheidende Punkt. – Danke schön!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Als Nächste hat das Wort Frau Senatorin Rosenkötter.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich finde es bemerkenswert, mit welcher Überzeugung hier über ein Projekt, das noch nicht angelaufen ist, geurteilt wird.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich will versuchen, die Debatte an dieser Stelle noch einmal etwas zu versachlichen und vielleicht auch auf die Grundzüge der scheinbar nach außen gesehen sehr unterschiedlichen Ansätze zu sprechen zu kommen.

Wie Sie wissen, liegt der Schwerpunkt der Arbeit der Familienhebammen in Bremen und Bremerhaven in der Beratung und Betreuung von schwangeren Frauen, Müttern beziehungsweise Familien und ihren Kindern, die hohen gesundheitlichen, medizinisch-sozialen und psychosozialen Risiken ausgesetzt sind. Die Beratung und Betreuung zielt meistens auf die Versorgungskompetenz der Mütter, das familiäre Beziehungsgefüge, die Gesundheit von Kind und

Kindesmutter, die Lebensweise und materielle Situation der Mutter oder noch Schwangeren.

Mir ist bewusst – ich sage das ganz deutlich –, dass wir die heutige Debatte zur Kleinen Anfrage der Grünen

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Antrag!)

vom Juni dieses Jahres unter anderen Vorzeichen führen müssen als noch vor einem halben Jahr. Der tragische Tod von Kevin verleiht dieser Debatte eine Betroffenheit, der wir uns nicht erwehren können und auch nicht wollen. Kevins erstes Lebensjahr sollte auch durch die Familienhebammen begleitet werden. Kindesmutter und Vater haben diese Hilfe abgelehnt.

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/Die Grünen]: Da hätte sich das Jugendamt durch- setzen müssen!)

Tragischerweise wurde dies akzeptiert. Wir wissen natürlich nicht, ob durch den Einsatz einer Familienhebamme der tragische Tod von Kevin hätte verhindert werden können, aber vielleicht wäre der Verbleib von Kevin bei seinen Eltern früher beendet worden, weil es offensichtlicher geworden wäre, dass die Eltern nicht in der Lage sind, das Kind gedeihlich zu versorgen. Soweit noch einmal zu dem, was auch dieser Debatte, glaube ich, noch einmal eine sehr große Deutlichkeit verleiht!

Es hat den Anschein, dass ein wachsender Anteil von Familien in Deutschland und eben auch in Bremen in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben überfordert sein könnte. Die Zahl der von Vernachlässigung und Verwahrlosung bedrohten Kinder wächst. Die Motive und Hintergründe, warum Eltern ihre Kinder misshandeln, vernachlässigen, ihnen Gewalt antun oder sie sogar töten, sind außerordentlich vielschichtig. Alle bekannt gewordenen Fälle zeigen, dass es sich häufig um eine Mischung von individuellem Versagen, psychischen Belastungen und sozialen und ökonomischen Ursachen handelt.

In der Regel sind es sehr komplexe Problemlagen, die dazu führen, dass Eltern überfordert sind und ihre Kinder vernachlässigen oder misshandeln. Erklärungsversuche für die tragischen aktuellen und andere Fälle von Misshandlungen dürfen sich aber daher nicht allein auf das individuelle Versagen von Eltern beschränken. Sie müssen ebenso die sozialen und ökonomischen Hintergründe genauer in die Bewertung einbeziehen.

Wenn wir über den Einsatz von Familienhebammen sprechen, dann unter dem Motto: Frühzeitig helfen, rechtzeitig eingreifen! Kinder in schwierigen Lebenssituationen haben Anspruch auf rechtzeitige und verlässliche Hilfen. Sie sind darauf angewiesen, dass sie, wenn erforderlich, auch außerhalb des Elternhauses entsprechend gefördert und geschützt

werden. Auf die Realisierung dieses Anspruchs müssen sie sich verlassen können. Daraus ergeben sich Anforderungen an das Profil und die besondere Fachlichkeit der Kinder- und Jugendhilfe und der Hilfen aus dem Gesundheitsbereich. Sie müssen insbesondere in sozial belasteten Regionen und für Familien mit besonderen Risikofaktoren niedrigschwellige rechtzeitige Angebote bereitstellen und auf ein dichteres Netz des Zusammenwirkens mit anderen betroffenen Institutionen setzen.

In der Praxis zeigt sich, dass dadurch riskante Lebenslagen früher erkannt und damit auch wirkungsvollere Angebote frühzeitiger bereitgestellt oder intervenierende Prozesse rechtzeitig eingeleitet werden können. Dies sind die Kennzeichen und die besondere Bedeutung sozialer Frühwarnsysteme, die sich bereits in der Praxis bewährt haben, wie eben auch die Leistung, das sage ich ganz deutlich, der Familienhebammen in Bremen und Bremerhaven, die es weiterzuentwickeln und auszubauen gilt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Wie Sie wissen, wird sich Bremen an einem Modellversuch des Bundes beteiligen mit der Absicht, den Aufbau wirksamer früher Hilfen zu fördern. Dieser Modellversuch „Prävention durch Frühförderung – Modellversuch zur Prävention von Krankheit, Armut und Kriminalität für Kinder aus sozial benachteiligten Familien“ mit der Stiftung Pro Kind soll in Bremen und Bremerhaven im Januar 2007 mit einer ersten Aufbauphase beginnen.

(Beifall bei der SPD)

Wichtig dabei wird sein, die Erfahrungen aus dem Projekt mit dem bestehenden Familienhebammenprogramm bei den beiden Gesundheitsämtern zu verbinden und die Arbeitsansätze für einen besseren Kinderschutz in Bremen gemeinsam zu verbessern.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich kann das nur noch einmal sehr deutlich unterstreichen: Natürlich muss es eine Vernetzung dieser beiden Programme geben. Ich erlebe die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den bisherigen Programmen so, dass sie aufgeschlossen sind, dass sie bereit sind, hier auch neue Wege zu erproben.

Bremen hat sich aus ganz verschiedenen Gründen entschieden, an diesem Bundesmodellprojekt teilzunehmen. Erstens: Ein neuer Ansatz der frühen Unterstützung von Risikogruppen von Müttern ab der 16. Schwangerschaftswoche wird Bremen und Bremerhaven ermöglichen, mit zusätzlichen Ressourcen Frauen sehr früh in ihrer Versorgungs- und Erziehungskompetenz zu unterstützen. Mit 100 Teilnehmerinnen in der Hauptphase des Projektes kann Bre

men für ein Viertel der entstehenden Kosten – 75 Prozent trägt der Bund – für die beiden Städte eine beachtliche Leistungserweiterung organisieren. Ich glaube, das darf man doch nicht außerhalb der Diskussion lassen, dass wir hier Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, die es uns ermöglichen, weitere Dinge zu erproben und zu installieren!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Zweitens: Bremen kann im Rahmen des Bundesprojektes von den angelegten Begleitforschungen profitieren. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Hier wird insbesondere die Frage der Wege der Hineinnahme von Frauen zu einem frühen Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft in eine Beratungs- und Hilfestruktur eine Rolle spielen. Vermittlungs- und Zugangsfragen, aber auch das Halten in einem Programm sind entscheidende Dinge, gerade die Frauen in dieser schwierigen Lebenssituation sozusagen anzusprechen und sie auch dabeizuhaben. Hier bestehen auch bei den existierenden Familienhebammenprogrammen des Gesundheitsamtes Fragen, das wissen wir. Genau das war doch das Problem, dass wir hier die, über die wir gesprochen haben, in dieses Programm der Familienhebammen nicht hineinbekommen haben. Uns muss es gelingen, sie aufzunehmen. Von den Erfahrungen und Antworten wird das gesamte Bremer Hilfesystem profitieren. Bezogen auf die Wirksamkeit des Programms wird es ein sehr gutes Monitoring geben, in dem die Entwicklung der Kinder dokumentiert wird.

Drittens: Im Modellversuch werden die Kinder und Familien für den Zeitraum bis zum zweiten Geburtstag des Kindes begleitet. Hier unterscheidet sich das Programm von „Pro Kind“ von unserem bestehenden Familienhebammenprogramm. Erfahrungen aus diesem Ansatz können und sollen dann auf das Bremer Programm übertragen werden. Es wird hier noch einmal deutlich: Es ist eine Verbindung angelegt zwischen dem Bestehenden und zwischen dem, was wir aus diesem neuen Programm für uns an Erfahrung und an Erkenntnissen ziehen wollen. Hier wird dann insbesondere die Frage der Verknüpfung mit den Leistungen, auch aus anderen Bereichen, interessant, wie die der Tagesbetreuung von Gruppen, Familienarbeit und Förderung. Wir kennen hier eine ganze Reihe von begleitenden Programmen, Opstapje, Hippy, Häuser der Familie, Pekip und weitere mehr.

Viertens: Die Zusammenarbeit und das Wirken der verschiedenen Hilfe- und Unterstützungsansätze wird für uns das Hauptthema sein. In dem vom Bund angelegten Forschungs- und Unterstützungsansatz geht es gerade darum, nicht vereinzelt neue Modelle zu schaffen, sondern insbesondere die Vernetzung bestehender Programme mit neuen Ansätzen als einen in der Fläche wirksamen Ansatz zu unterstützen. Das heißt, wenn wir in diesem Modellprojekt des Bundes sind, haben wir doch nicht nur die Erfahrungen

aus Bremen, sondern können auch an möglicherweise guten Projekten anderer Bundesländer teilhaben. Ich glaube, das darf man auch hier an dieser Stelle nicht außer Acht lassen. Vielleicht kommen wir zu einem ganz anderen gemeinsamen Programm. Dazu gehört dann in Bremen, ich kann es nur noch einmal sagen, unser Familienhebammenprogramm des Gesundheitsamtes, auch die Frühberatungsstellen, die Elternschulen an den Geburtskliniken, die Angebote für Mütter und Väter der freien Träger, Stillgruppen und so weiter. Wir werden dazu eine Beiratsstruktur schaffen, eine Art runden Tisch, mit der Überschrift „Frühzeitig helfen, rechtzeitig eingreifen“.

Ich möchte zum Schluss sagen: Ich habe verstanden, Herr Crueger, dass die Notwendigkeit nicht infrage gestellt wird, das ist gut so. Worum es hier aber geht, heißt, das eine zu tun und das andere nicht zu lassen.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Wir kommen zur Abstimmung.

Als Erstes lasse ich über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen.

Wer dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit der Drucksachen-Nummer 16/1119 seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen!

(Dafür Bündnis 90/Die Grünen)

Ich bitte um die Gegenprobe!

(Dagegen SPD und CDU)

Stimmenthaltungen?