Protocol of the Session on January 26, 2006

Um das Wort von der Ich-AG aufzunehmen: Ich will keine Ich-AG sein, ich bin aber auch nicht die Gute

Laune-Abteilung, sondern ich muss mit daran arbeiten, dass Bremen eine Zukunft hat.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wo immer ich über Bremen und Bremens Zukunft spreche, fange ich nicht damit an, über Bremens Probleme zu sprechen, sondern ich fange damit an, über Potentiale zu reden. Nur wenn man seine Potentiale kennt, weiß man auch, wie und ob man Probleme lösen kann.

Das sage ich auch unter der Überschrift der Debatte, die wir gerade von außerhalb spüren. Wir sind nicht Almosenempfänger, wir sind nicht Kostgänger der bundesstaatlichen Gemeinschaft, wir sind ein vitales, lebendiges und attraktives Bundesland Bremen, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich sage überall, wo ich über Bremen spreche, schaut euch unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit an! Wir erwirtschaften in diesem Bundesland ein Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner von 40 Prozent über dem Bundesdurchschnitt, wir sind bei der Bestenliste der deutschen Länder auf Platz zwei. Sehen Sie sich bitte an, was wir in den letzten Tagen erlebt haben! Nach dem Jahr „Stadt der Wissenschaft – Bremen und Bremerhaven“ ist unsere Universität unter den zehn besten. Das sind Erfolge!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Ich empfehle uns allen, über diese Erfolge auch zu reden. Auch Richter am Bundesverfassungsgericht lesen Zeitung, auch andere Ministerpräsidenten lesen Zeitung, auch die Landtagsabgeordneten lesen Zeitung. Wir sind darauf angewiesen, dass wir nicht als gallisches Dorf im Norden erscheinen, das hier mühsam sein Inselleben erhalten will, sondern wir sind ein vitaler Bestandteil des deutschen Föderalismus und leisten unseren Beitrag,

(Beifall bei der SPD)

zum Beispiel dazu, dass es in Bremerhaven Containerterminals und Schleuse gibt. Das machen wir doch nicht alles für uns, das machen wir für den Exportweltmeister Deutschland. Das ist unser Beitrag für Deutschland. Das ist die Grundlage, auf der wir um die Selbständigkeit Bremens und um die Stabilisierung und nachhaltige Sicherung unserer finanziellen Handlungsfähigkeit kämpfen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Ich bitte auch darum, darüber zu reden, warum wir das tun. Selbständigkeit ist eine wunderbare Tradi

tion, Selbständigkeit ist eine große Geschichte, aber es geht hier um etwas ganz anderes. Es geht darum, dass wir für die Menschen in diesem Bundesland das ermöglichen und sicherstellen, was selbstverständlich sein muss, dass wir hier nicht eine Blut-Schweißund-Tränen-Politik signalisieren, sondern dass es darum geht, nicht 500, 700 oder 800 Millionen Euro von einem Vier-Milliarden-Haushalt an Zinsen zu bezahlen, sondern dass wir das Geld für Kindertagesstätten, Bildung, Ausbildung, Polizisten und Feuerwehr ausgeben können. Das ist das Thema, um das es geht. Die finanzielle Handlungsfähigkeit dieses Bundeslandes sicherzustellen, und zwar im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und nicht irgendeiner politischen Klasse, darum geht es!

(Beifall bei der SPD)

Da will ich Ihnen sagen, warum die Zeit so drängt, warum wir nach vorn kommen müssen. Wir lesen doch auch alle überregionale Zeitungen. Was ist denn? Ich nehme es so wahr, dass in der bald sechzigjährigen Geschichte dieser Freien Hansestadt Bremen die Attacken auf Bremen noch nie so heftig waren wie in den vergangenen Wochen und Monaten.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist so!)

Das ist so! Es wird über Bremen schwadroniert, und es ist wohlfeile Profilierungsmöglichkeit, auf Bremen zu zeigen und zu sagen, was ist das denn da. Das ist doch so, in allen Parteien, davon ist niemand frei! Wir haben da alle eine Aufgabe. Was ich zum Beispiel als richtig anstrengend empfunden habe, war, dass unser Nachbarministerpräsident Christian Wulff auch noch die Grundlagen im Grundgesetz in Artikel 29 verändern wollte, dass nicht mehr die Bürgerinnen und Bürger am Ende entscheiden, in welchem Bundesland wir leben, sondern das irgendwo anders entschieden wird.

Nein, meine Damen und Herren, solchen Attacken müssen wir begegnen, einmal, indem wir deutlich sagen, wie zum Beispiel dem niedersächsischen Ministerpräsidenten, wir wollen, dass das in der Hand der Bürgerinnen und Bürger bleibt und dass nicht die Bürgerbeteiligung im Grundgesetz denunziert wird!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Zum anderen, und dazu komme ich noch einmal, reicht es nicht aus, dass wir uns gegenseitig sagen, wie gut unsere Argumente sind, sondern wir müssen sie zu einer Gesamtstrategie zusammenführen, um andere davon zu überzeugen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Dieser Ansatz ist mein Anliegen mit diesem Papier.

Ich habe Ihnen vorgeschlagen, was wir beim Bundesverfassungsgericht beantragen und was nicht, dass wir Dinge, die in eine Verhandlungssituation kommen, auch in eine Verhandlungssituation bringen. Wir wollen beim Bundesverfassungsgericht klagen, das ist mein Vorschlag, auf den Anspruch, den wir haben, weil wir unverschuldet in einer extremen Haushaltsnotlage sind. Das ist der Anspruch, den wir beim Bundesverfassungsgericht geltend machen wollen. Alles andere, Hafenlasten, Einwohnerwertung, Steuerzerlegung, Einkommensteuer, Umsatzsteuerverteilung, wollen wir auf den Tisch der Verhandlungen legen.

Zum Thema Zeit! Wir haben doch alle den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung in Berlin gelesen. Da gibt es zwei Stufen einer Föderalismusreform, eine erste, eine grundsätzliche Renovierung unseres Grundgesetzes, die erste große der Kompetenzordnung des Grundgesetzes. Sie soll bis Juni abgeschlossen sein. Es wird noch eine zweite Stufe geben, das ist die Reform der Bund-Länder-Beziehungen unter anderem mit dem Ziel, eine aufgabenadäquate Ausstattung von Bund, Ländern und Gemeinden zu organisieren. Da muss man nicht annehmen, dass alle begeistert sind, dass es solche Runden gibt, sondern das ist anstrengend. Da müssen wir dafür sorgen, dass wir unsere bremenspezifischen Themen und Interessen auf den Tisch einer solchen Verhandlung bekommen. Das ist die Chance!

Unsere Chance besteht doch nicht darin, dass wir eine Reise ins Bundeskanzleramt machen, unsere Themen da auf den Tisch legen und dann auf Antwort warten, sondern unsere Möglichkeit ist, dass wir in diese große Debatte der Reform der Bund-LänderFinanzbeziehungen unsere Interessen einbringen können. Da müssen wir alle werben, rot, schwarz, grün, überall müssen wir in den Ländern dafür werben, dass unsere Interessen da berücksichtigt werden. Das verstehe ich unter Alle-Mann- oder AlleFrau-Manöver.

(Beifall bei der SPD)

Dann der letzte Punkt! In der Sekunde, in der wir unsere Klage beim Bundesverfassungsgericht eingelegt haben, werden 15 Bundesländer, das Bundesverfassungsgericht und der Bund ganz genau auf uns schauen, ob wir entweder ein Fass ohne Boden sind, in das man Geld steckt, ohne dass man ein Ergebnis sieht, oder aber ob wir ein Bundesland sind, das eine eigene Strategie hat, mit der Hilfe anderer das rettende Ufer zu erreichen. Wir müssen beschreiben, wie unser Weg sein soll.

Dafür habe ich Vorschläge gemacht. Im konsumtiven Bereich haben wir nachhaltige Sparanstrengungen gemacht. Um das noch einmal zu sagen, wir sind bei den konsumtiven Ausgaben bei den drei Stadtstaaten, mit denen vergleichen wir uns ja zu Recht, unter Hamburg und unter Berlin sowieso. Das ist ein

Zeichen dafür, was wir in den letzten Jahren erreicht haben. Bei den investiven Ausgaben sind wir weit über Berlin und weit über Hamburg.

Jetzt frage ich Sie: Was sagt man beim Bundesverfassungsgericht zur Rechtfertigung dafür, dass man, aufgebaut auf dem Solidarprinzip, Hilfe von anderen haben will? Wenn wir gefragt werden, warum und wieso erlaubt ihr euch in diesen Fällen mehr als andere, dann sagen wir, wir haben zehn bis elf Jahre eine Investitionspolitik gemacht, die auch auf Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beruhte, nämlich dass wir mit Hilfe zur Selbsthilfe unsere grundsätzlichen wirtschaftsstrukturellen Probleme lösen sollen. Das war richtig, und das bleibt auch richtig. Ich finde, wir geben ganz viel Geld aus, wenn wir es können.

Investieren und Reformieren heißt die Überschrift über dem Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung, ein richtiger Weg. Nur, man muss wissen, was man sich leisten kann. Die Philosophie der letzten Jahre beruhte darauf, dass wir gesagt haben, weil wir Unterstützung von anderen bekommen, die wir für solche wirtschaftsstrukturellen Umbauvorhaben und Projekte nutzen sollten, deswegen waren wir in der Lage, mehr zu investieren als andere.

Im Moment steht die Frage, wo wir die Hilfen noch nicht erkämpft und erstritten haben, was wir aus eigener Kraft investieren können und was nicht. Da ist der Vorschlag, sich an Hamburg zu orientieren. Das ist schwierig, weil es ein Geberland ist. Das ist aber wiederum richtig, weil Hamburg Hafenstadt und wirtschaftsstrukturell vielleicht ähnlich ist, das spricht eigentlich wieder dafür, dass wir mehr machen. Darüber kann man streiten, natürlich kann man darüber streiten. Das Papier ist in diesem Punkt nicht dazu angelegt zu sagen, das ist die letzte Weisheit.

Nur, ich bitte um eines, ich bitte um einen konstruktiven Umgang mit dem Papier. Eines geht nicht, und zwar zu sagen, so, wie da vorgeschlagen, soll es nicht sein, und dann sich abzuwenden und zu sagen, irgendwie wird es weitergehen. Konstruktiver Umgang heißt, dass ich einen anderen Vorschlag machen kann, wie ich dem Bundesverfassungsgericht, dem Bund und den Ländern zeigen kann, dass Bremen auf einem richtigen Weg ist. Das erwarte ich!

(Beifall bei der SPD)

Zuletzt, liebe Frau Linnert: Sie haben von Illusionen, glaube ich, gesprochen. Eines habe ich mir fest vorgenommen, ich möchte nicht, dass wir Illusionen erzeugen. Wir haben selbstkritisch rückblickend gesagt, wir haben lange einem Traum und einer gewissen Illusion eines Kanzlerbriefes angehangen. Dieser Traum ist zerplatzt. Ich möchte nicht, dass wir Illusionen erzeugen, sondern dass wir einen Weg gehen, der die Realitäten betrachtet, auch insofern,

was die Aussichten von Klage und Verhandlungen angeht. Ich möchte, dass wir in einen bremischen Haushalt erst dann Geld, was wir von anderen erwarten, einstellen, wenn wir die Erfolge auch tatsächlich erreicht haben, und keine Sekunde früher, meine Damen und Herren. Das, glaube ich, ist Verantwortung im Umgang damit, aber auch in der Perspektive. – Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit!

(Starker Beifall bei der SPD)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte gern genauer auf eine Passage aus der Rede des Bürgermeisters eingehen, nämlich auf die Passage, wo er gesagt hat, Bremen wird so angegriffen wie nie zuvor. Das stimmt, das nehmen wir auch so wahr, mit steigender Tendenz und steigendem Unverständnis, mit steigender Inkompetenz und auch steigend unangenehm in der ganzen Republik, parteiübergreifend, das ist richtig.

Jetzt müssen Sie sich doch die Frage stellen, warum das so ist! Wenn man nach all dem vielen, was man über Herrn Sarrazin, Herrn Wulff oder wen auch immer noch an Gedanken verlieren kann und sich über die Strategie Bayerns lange genug ausgebreitet hat, was die miesen Motive der anderen wohl sein könnten, da fällt uns hier gemeinsam eine ganze Menge ein, dann kommt doch irgendwann der Punkt, wo man auch vor seiner eigenen Tür fegen muss.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn Sie das nicht schaffen, dann verschenken Sie die Argumente gegenüber denen, die uns Übles wollen. Also, fegen Sie vor der eigenen Tür, haben Sie die Kraft für Korrekturen! Was die anderen uns doch zu Recht vorwerfen, das muss verändert werden, und zwar ab sofort, das ist ein Haushaltsgebaren, das nicht mehr die Taten des Staates widerspiegelt, sondern irgendwie zusammenkommt und man Folianten braucht nebenbei als Haushaltsausschuss, um irgendwie noch nachvollziehen zu können, was der Staat eigentlich in den jeweiligen Haushaltsjahren macht. Das wissen doch die anderen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es ist unser Verhalten im Bundesrat, da habe ich jetzt in der letzten Zeit eine Menge dazugelernt, dass offensichtlich mittlerweile in der Koalition Einigkeit darüber herrscht, dass das, was wir da mit dem Heranwerfen an Bayern gemacht haben, ein ganz nachhaltiger und großer strategischer Fehler gewesen ist. Aus unserer Sicht kann das jetzt auch erledigt sein.

Das Dritte, was die anderen uns zu Recht vorwerfen, ist ein Investitionsfeuerwerk, wo eben nicht geschaut wurde, was der Staat in Zukunft davon hat. Die Grünen sind noch nie Gefahr gelaufen, den Berliner Kurs richtig zu finden. Ich finde es nämlich nicht richtig, sich darauf auszuruhen, das Hauptstadterbarmen wird kommen, weil die Bundesrepublik Deutschland es sich nicht erlauben kann, dass dort die Straßen völlig verrotten. Das ist nicht in Ordnung, und im Sinne einer nachhaltigen Finanzpolitik ist es genau richtig, Sachen dann zu reparieren, wenn es für den Staat am günstigsten ist. Dafür braucht man Investitionen. Aber der Knackpunkt ist – und Sie haben sich wieder gedrückt, Herr Kollege Perschau –, hören Sie mit der Praxis auf, zukünftige Haushaltsjahre über die nächsten Legislaturperioden zu belasten für das, was Sie sich hier heute wünschen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Als sei es irgendwo in diesem Haus mit irgendjemandem strittig, dass Investieren schön ist! Ehrlich gesagt, wie kann man nur auf so eine Idee kommen! Natürlich ist das schön, natürlich freuen sich alle, wenn diese Stadt besser ist, wenn wir es schaffen, die Quartiere aufzuwerten, wenn wir eine Wirtschaftsförderung machen können, die der Wirtschaft hilft. Wer stellt das denn in Frage? Aber Sie haben doch einfach vergessen, die Frage zu stellen, was wir uns denn überhaupt leisten können, damit es schön ist. Das hat nie jemand in Frage gestellt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wenn man will, dass Bremen das überlebt, was da gerade ist, dann hören Sie auf, den anderen die Argumente zu liefern, dass man dieses Bundesland nicht selbständig bleiben lassen kann, weil wir hier nicht zu einem seriösen Finanzgebaren in der Lage sind! Sie liefern doch mit dieser Praxis die Sargnägel an, die die anderen weiter hineinhämmern wollen. Damit müssen Sie aufhören!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Alle-Mann- oder Alle-Frau-Manöver! Die Grünen sind dazu bereit – Schwamm darüber über die Vergangenheit, da haben wir unterschiedliche Auffassungen –, wir sind bereit, hier auch Verantwortung für eine klare Strategie und Zukunft zu übernehmen. Aber wenn Sie weiterhin für 2011 bis 2014 Geld ausgeben und sich über das, was das Volk zu entscheiden hat, in ungeheuer arroganter und auch rechtswidriger Art und Weise erheben, dann werden Sie uns ganz bestimmt nicht in diesem Boot finden. Äußern Sie sich endlich hier in der Öffentlichkeit dazu, ob Sie das weiter machen wollen oder nicht!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)