Wenn gesagt wird, dass es gut sei, die Justiz auf ihre Kernaufgaben zu beschränken, dann fällt mir sofort das Strafrecht ein. Es gibt überhaupt keinen Grund, warum zum Beispiel das Schwarzfahren immer noch eine Straftat ist, bei der mit einem riesengroßen Aufwand für die Justiz gearbeitet wird und es zu üblen Konsequenzen für die Betroffenen kommen kann, mit denen sich zum Beispiel ein Falschparker nicht herumschlagen muss. Falschparken ist eine Ordnungswidrigkeit, während Schwarzfahren als Straftat verfolgt wird. Schwarzfahren ist mit Sicherheit nicht krimineller als Falschparken.
Es ist nicht lange her, da wurde einem knapp 70 Jahre alten Mann, ungefähr so alt wie Henning Scherf, mit einem riesengroßen Polizeieinsatz richtig mit Einsatzkommando die Wohnung gestürmt. Der Mann wurde verhaftet, weil er schwarzgefahren ist und sich nicht um die Briefe gekümmert hat, die ihm zugeschickt worden sind. Er hat dann in Oslebshausen eine Ersatzfreiheitsstrafe wegen Schwarzfahrens abgesessen. So etwas ist vollkommen unangemessen. Strafrecht ist das schärfste Mittel des Staates, die Ultima Ratio, die für Bagatelltaten schlicht überzogen ist. Im Übrigen untergräbt der Staat seine eigene Autorität durch die Strafbarkeit von allgegenwärtigen Bagatellen.
Das Rechtssystem macht Menschen gleich, die nicht gleich sind, die in dem Konflikt, den sie austragen, häufig vollkommen unterschiedliche Möglichkeiten haben. Das weiß jeder, der sich schon einmal mit seinem Vermieter auseinander setzen musste, mit der Bank, mit der Versicherung oder auch mit dem Staat, was ja alltäglich ist. Ein Rechtssystem hat dann eine hohe Qualität, wenn es gelingt, diese Ungleichheit durch das Verfahren zu minimieren. Ob es dem Justizsystem gelingt, seine gesellschaftliche Funktion zu erfüllen, das lässt sich durch Zahlen nicht erfassen. Es ist nicht richtig, einzig und allein auf die Zahl der Erledigungen zu schauen oder auf die Zahl der streitigen und unstreitigen Erledigungen und daraus dann unmittelbar Schlüsse zu ziehen. Staat im Allgemeinen und Justiz im Besonderen lässt sich nicht rein zahlenmäßig beschreiben.
Die Große Justizreform beschäftigt sich mit diesen Verfahrensabläufen. Es werden verschiedene Einzel
vorschläge unter diesem Begriff zusammengefasst, die teilweise schon älter sind. Grundsätzlich spricht nichts gegen eine Zusammenlegung von Fachgerichtsbarkeiten, insbesondere im Bereich der öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit. Es gibt jeweils geschichtliche Gründe, warum die verschiedenen Gerichtsbarkeiten entstanden sind. In dem jeweiligen Bereich war die Ausprägung einer Fachgerichtsbarkeit jeweils ein Meilenstein, der erst einmal erkämpft werden musste, und darum ist es natürlich nicht leicht, einfach einmal so das Erreichte aufzugeben, wenn man nicht weiß, was die Zukunft bringt. Aber als Begründung dafür, dass alles so bleiben muss, wie es ist, reicht das natürlich auch nicht. Es geht auch darum, das muss man ehrlicherweise sagen, Geld zu sparen. Das ist nicht verwerflich in dieser Zeit. Die Frage ist, ob und wie viel eingespart werden würde, was bislang nicht gerechnet ist, ob und welche Nachteile dem gegenüber stehen. Die Spezialisierung auf bestimmte Rechtsgebiete, was ein Gericht in bestimmtem Umfang tatsächlich effizienter machen kann, das ist in einem größeren Gericht vielleicht sogar viel besser und einfacher möglich, und wir sehen ja auch beim Landgericht, dass es sehr wohl möglich ist, da je nach Prozessart unterschiedlich zu agieren, und wo es möglich ist, auch unterschiedliche Betroffene als ehrenamtliche Richter einzubeziehen. Man kann innerhalb einer Gerichtsbarkeit verschiedene Verfahren machen, das geht ja ohne Weiteres. Eine Vereinheitlichung der Gerichtsverfassung und der Prozessordnungen für alle Gerichtsbarkeiten ist sinnvoll, allerdings muss man sich nicht allzu viel davon erhoffen. Weil in verschiedenen Prozesssituationen die Rechte der Betroffenen zueinander und das Verhältnis zum Gericht aus Gründen der materiellen Gerechtigkeit unterschiedlich ausgestaltet sein müssen, wird man die verschiedenen Prozessarten zahlenmäßig nicht reduzieren können. Niemand kann ein gleiches Prozessrecht wollen für Fälle, in denen es um meinetwegen die Zahlung einer Unfallrente geht, und Fälle, in denen es um die Anfechtung eines Steuerbescheids geht. Auch die unterschiedlichen Regeln für ehrenamtliche Richter haben ihren Sinn in der jeweiligen Rechtsmaterie. Wenn man das in einer Prozessordnung zusammenfasst, ist das eine Verbesserung, aber sie ist eine für die alltägliche Arbeit der Juristen, die sie vielleicht etwas einfacher macht, aber so kompliziert ist das in Wirklichkeit ja nicht. Wir Grünen sind genauso wie die beiden anderen Fraktionen dagegen, den Rechtsweg einzuschränken. Berufung und Revision sind nicht etwa ein Luxus oder etwas für Querulanten, die sich mit Entscheidungen nicht abfinden wollen, sondern sie sind Teil des Gesamtsystems Justiz, und dass die erste Instanz aufgebläht werden würde, wenn man die weiteren quasi entfallen lassen würde, das ist eigentlich jedem auf den ersten Blick ziemlich klar. Ich weiß nicht, warum dieser Vorschlag überhaupt gemacht worden ist. Er ist ziemlich offensichtlich nicht zweckmäßig.
Vorschläge, bestimmte Bereiche zu privatisieren, sind, glaube ich, eher ideologisch begründet und nicht in der Sache. Da wird davon ausgegangen, dass private Unternehmen aus irgendwelchen Gründen besser verwalten können als der Staat, aber gerade in den konkreten Beispielen gibt es keinen Anhaltspunkt, genau das anzunehmen. Die Privatisierung der Register ist wohl unsinnig. In anderen Ländern, ist mir mitgeteilt worden, ist es wohl so, dass das riesige Zuschussbetriebe sind, von denen sich der Staat verabschieden möchte. Das ist hier in Bremen nicht so. Das hat auch damit zu tun, dass hier moderne Technik eingeführt worden ist. Auch die Dienstleistungsqualität stimmt vollkommen. Wenn man beim Amtsgericht in Bremerhaven die Eintragung einer Gesellschaft beantragt, dann kann man da, wenn alles perfekt läuft, innerhalb von 48 Stunden tatsächlich die Eintragung erreichen. Das ist gut und vernünftig.
Überhaupt nicht nachvollziehen können wir eine Privatisierung der Zwangsvollstreckung durch die Gerichtsvollzieher. Da, wo der Staat unmittelbar Gewalt anwendet, muss der Staat auch grundsätzlich selbst handeln. Die Vorstellung, man könnte so wie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts einen neuen freien Beruf schaffen, ignoriert, dass wir in Zeiten der europäischen Dienstleistungsrichtlinie leben, und man wird sich nicht einfach so ein Berufsbild schnitzen können, mit dem im Prinzip alles so bleibt wie bislang, nur die Personen, die jetzt Gerichtsvollzieher sind, verdienen dann plötzlich mehr.
Dass das System so funktioniert, wie es jetzt funktioniert, liegt genau darin begründet, dass die Personen Beamte sind. Der Maßstab des beamteten Gerichtsvollziehers ist die Rechtmäßigkeit seines Handelns und nicht die Menge Geld, die er den Gläubigern einbringt. Es ist doch häufig so, das manche Menschen erst dann richtig begreifen, dass sie tatsächlich zahlen müssen, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht. Würden wir die Gerichtsvollzieher privatisieren, dann würde da demnächst der Mitarbeiter eines Inkassobüros vor der Tür stehen. Es gibt zweifelsohne Inkassobüros, die legal und korrekt arbeiten, aber spätestens dann, wenn gegen den Willen eines Menschen erheblich in seine Privatsphäre eingegriffen wird, muss Rechtmäßigkeit das oberste Ziel sein und nicht Gewinnmaximierung. Wir sind darum dagegen, den Bereich der Gerichtsvollzieher zu privatisieren. – Vielen Dank!
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich auf die wenigen Dissenspunkte beschränken, die in dieser Debatte erwähnt worden sind. Man muss sie mit der Lupe betrachten, um die Nuancen zu erkennen. Von daher gesehen ist das im Grunde genommen ein positives Ergebnis, dass eine Reform auf einer so breiten Basis bisher diskutiert und auch begleitet wird.
Ich beginne einmal mit dem letzten Thema, Privatisierung. Es gibt in der Tat durchaus Bereiche, wo man sich fragen muss, gehört das zum Kernbereich der Justiz. Wir haben das bei der Frage Handelsregister positiv entschieden und gesagt, im Prinzip kann man das privatisieren. Es ist dann anders gekommen.
Im Bereich der Gerichtsvollzieher haben wir seit langem eine Diskussion, die zum Ergebnis geführt hat, dass wir sagen, eine echte Privatisierung der Zwangsvollstreckung ist nicht möglich. Dagegen sprechen massive rechtliche Überlegungen. Von daher gesehen kann das nur eine Kombination werden aus einem Modell der Beleihung bei der Wahrnehmung staatlicher Aufgaben in staatlicher Kontrolle, und dies dann ergänzt durch ein System, welches hier dann auch die Leistung honoriert und das ganze System damit effektiver macht. Aber nur in dieser Kombination ist das überhaupt vorstellbar. Dies als einen gewerblichen Betrieb in normaler Form zu organisieren steht nicht auf der Tagesordnung.
Die Situation im Bereich der Notare sieht fast ähnlich aus. Es steht der Vorschlag zur Diskussion, dass zukünftig einvernehmliche Ehescheidungen vor einem Notar erfolgen. Darüber gibt es eine sehr breite Debatte, und das Ergebnis ist noch nicht absehbar. Ich sage persönlich, ich habe da gewisse Zweifel. Ich glaube nicht, dass wir bei einer Scheidungsvereinbarung dann die Situation haben, zukünftig zwei Vereinbarungen zu haben, einmal eine mit Kindern und einmal eine ohne Kinder. Das ist eigentlich nicht zu befürchten. Aber dennoch denke ich, dass unsere Gerichte bisher in diesem Bereich eine sehr gute Arbeit geleistet haben und dass nicht ohne Grund so weit reichende Entscheidungen wie eine Ehescheidung dem Staat zugeordnet waren und nicht privaten Institutionen. Von daher gesehen glaube ich, dass wir darüber noch sehr lange diskutieren werden, und ich bin nicht sicher, ob am Ende eine Mehrheit im Bundesrat und Bundestag sich dafür finden wird.
Frau Dr. Hannken, in einem Punkt weichen wir voneinander ab, und das ist unser Verhältnis zur Arbeitsgerichtsbarkeit. Wir haben uns ja immer um die Arbeitsgerichtsbarkeit bemüht. Sie ist jetzt mit Beginn der Legislaturperiode zum Justizresort gekommen, zum Senator für Justiz und Verfassung. Wir haben dann als Erstes die Arbeitsgerichte Bremen und Bremerhaven fusioniert. Wir haben vor zwei Wochen in Bremerhaven das Gerichtszentrum eingeweiht, wo dann erstmals Arbeitsgerichtsbarkeit und Amtsgericht Bremerhaven zusammenarbeiten.
Auf unserer Agenda steht demnächst die räumliche Verbindung der Arbeitsgerichtsbarkeit im Land Bremen in unserer zweiten Bauphase am Altenwall. Das ist unsere Vision, nachdem wir dort nun die Sozialgerichtsbarkeit, die Finanz- und die Verwaltungsgerichtsbarkeit untergebracht haben, das noch mit der Arbeitsgerichtsbarkeit, dem Landesarbeitsgericht und dem Oberlandesgericht zu arrondieren. Das heißt also, wir warten nicht auf den Bundesgesetzgeber – da kann man, glaube ich, manchmal auch vergeblich warten –, sondern wir bewegen die Gerichte aufeinander zu, wir versuchen, die Justiz leistungsfähiger und natürlich auch kostengünstiger zu machen, und nutzen alle Möglichkeiten aus, die wir als Land zur Verfügung haben.
Ich denke aber, das Thema Fusion von ordentlicher Gerichtsbarkeit und Arbeitsgerichtsbarkeit steht bei uns nicht auf der Tagesordnung. Das ist ein Thema, über das man, glaube ich, lange diskutieren sollte. Das hat historische Wurzeln, über die kann man nicht so einfach hinweggehen. Beide Systeme haben sich im Prinzip bewährt, und ich denke, dass wir zunächst einmal in der Form, wie ich sie beschrieben habe, aufeinander zugehen sollten. Da ist noch sehr viel zu tun, bevor man über weitere Sachen nachdenkt.
Ein zweiter Punkt, diese kaum nachvollziehbare funktionale Zweigliedrigkeit der Justiz! Ich glaube, außerhalb dieses Hauses versteht das schon überhaupt niemand mehr. Es ist wie so häufig ein Kompromiss auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das ist so ein Problem dieser föderalen Struktur. 16 Bundesländer, 16 Justizministerinnen und -minister zusammenzubekommen ist schon nahezu unmöglich, dann noch den Bundestag zu bewegen fast ausgeschlossen, und vor diesem Hintergrund sind dann auch solche Lösungsansätze zu diskutieren.
Wir haben uns eigentlich etwas ganz anderes vorgestellt. Unsere Vision war: Wir schaffen ein gemeinsames Eingangsgericht, das heißt, wir organisieren unsere Amtsgerichte gemeinsam mit dem Landgericht, damit man nicht einmal überlegen muss, muss ich nun mit meinem Streitwert zum Amtsgericht gehen oder zum Landgericht, sondern dieses gemeinsame Eingangsgericht ist stets richtig, da kann nichts falsch laufen, und dann wird gerichtsintern geregelt, ob eine Kammer darüber entscheidet oder ob es der Einzelrichter macht. Leider haben die großen Flächenländer damit erhebliche Probleme, weil so eine Umstrukturierung mit Kosten verbunden ist. Wir in Bremen könnten das von heute auf morgen organisieren. Die Wege sind kurz, die Häuser nahezu von jeder Seite zu erreichen, aber bei 16 Ländern sieht die Lage völlig anders aus. Das erklärt, warum man dann auch zu solchen Kompromissen kommt, die für sich betrachtet so nicht überzeugen können. Insofern teile ich Ihre Auffassung.
Zum Abschluss: Ich glaube, wir haben noch einen sehr langen Weg vor uns, große Reformen sind nicht das Ding der Justizministerkonferenz. Wir haben
schon so viele große Reformen gehabt, die wir alle irgendwann ad acta gelegt haben. Ich hoffe, dass wir es hier über den Konsens aller Beteiligten schaffen – das ist, glaube ich, ganz entscheidend –, dass wir auch über den Tag der Bundestagswahl hinaus versuchen, diese Sachen voranzutreiben, die bundesdeutsche Justiz zu modernisieren, sie auch im Wettbewerb zu den anderen europäischen Ländern zu halten, dazu beizutragen, dass unsere Verfahren kürzer werden. Ich denke, wir müssen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten, sondern vieles läuft vernünftig, manches könnte besser laufen, und wenn wir dazu einen Beitrag leisten, sind wir auf dem richtigen Weg. – Schönen Dank! (Beifall bei der SPD)
Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Antwort des Senats, Drucksache 16/651, auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD Kenntnis.
Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antwort auf die Große Anfrage in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen.
Herr Staatsrat, ich gehe davon aus, dass Sie darauf verzichten wollen, so dass wir gleich in die Debatte eintreten können.
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Als ich mich mit diesem Thema das erste Mal beschäftigte, wurde ich aus dem Kreis meines sozialen Umfeldes etwas erstaunt angesprochen, warum ein solches Thema in einem Landtag debattiert werden soll. Ich muss gestehen, mir ging es zunächst auch so, aber dann ist mir klar geworden, die Bundesrepublik hat ein föderales System, und außerdem – und darauf komme ich noch in meinen weiteren Ausführungen –, das,
womit sich dieses Zusatzabkommen beschäftigt, taucht in allen Gruppierungen unseres gesellschaftlichen Lebens auf.
Im Dezember 2002 hat die UN-Generalversammlung das Zusatzprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen angenommen. Der UN-Unterausschuss für Prävention verpflichtet die Vertragsstaaten, unabhängige und effektive innerstaatliche Besuchsmechanismen als Kontrollgremien einzurichten. Deutschland hat das Zusatzprotokoll bisher weder unterzeichnet noch als Folge, das ist klar, ratifiziert.
Nun ist es natürlich so, dass Deutschland sich nicht Anti-Folter-Maßnahmen verschließt, das ist klar. Es liegen andere Gründe vor, und zwar hängt das ausschließlich – und das ist gut so, dass es ausschließlich damit zusammenhängt – an den geforderten Kontrollgremien. Hier gibt es Bundeskompetenzen, aber hauptsächlich und vor allem Länderkompetenzen. Hierzu wird mein Kollege Grotheer noch einige ergänzende Ausführungen machen.
Für mich erhebt sich aber die Frage, ob die Gründe, die die Bundesrepublik und die Bundesländer letztlich dazu gebracht haben, nicht zu unterschreiben und nicht zu ratifizieren, ausreichend überzeugend sind. Was ich im Folgenden ausführe, ist so selbstverständlich, dass es schon beinahe banal klingt, aber leider ist es auch notwendig, darauf hinzuweisen.
Folter ist eine besonders gravierende Verletzung der Menschenrechte, und der Schutz der Menschenrechte gehört zu den Grundrechten, wie sie auch in unserer Verfassung gesichert sind. Ich zitiere, um es noch einmal ins Bewusstsein zu rufen, Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Nicht, weil dieser Schutz ein Bestandteil unseres Grundgesetzes ist, halte ich das Thema der Folterbekämpfung für besonders wichtig, ich hoffe sehr, dass das, was wir hier ausführen, keine Sonntagsreden sind, sondern dass da wirklich etwas im politischen Raum passiert.
Ich hätte mir früher nicht vorstellen können, dass das Thema Folter in Staaten mit Rechtsstaatlichkeit noch ein gewichtiges Thema darstellen kann. Lassen Sie mich aber einige Beispiele vortragen, ich denke, die werden überzeugend sein!
Nicht nur das, was auf Kuba in Guantanamo passiert, zeigt und beweist in erschreckendem Maße, dass ein Rechtsstaat oder ein Staat, der sich als Rechtsstaat bezeichnet, durchaus mit Foltermethoden Menschen quält. Denken Sie an den Skandal um die Vorfälle bei der Bundeswehr! Denken Sie an den sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in diversen Einrichtungen! Die SPD-Fraktion hat eine
Kleine Anfrage vorgelegt, in der es um die präventiven Maßnahmen gegen Vernachlässigung von Kindern geht. Anlass und Grund war der tragische Todesfall eines siebenjährigen Mädchens, das nach langer andauernder Vernachlässigung an Hunger verstorben ist.
Hier stoßen wir auf Grenzerfahrungen menschlichen Handelns und in meinen Augen auch menschlicher Fantasie. Mir ist es überhaupt nicht vorstellbar, wie Elternteile sich so verhalten können, dass ein Kind so qualvoll sterben muss! Auch das ist aber Folter, und auch da müssen Mechanismen entwickelt werden, dass so etwas nicht passieren kann.
Darum war ich auch sehr froh über diese Kleine Anfrage, weil solche Schutzmechanismen da gefordert und erbeten werden.
Es gibt bereits viele Bestimmungen in internationalen und regionalen Menschenrechtspräventionen, die Folter verbieten. Das Zusatzprotokoll soll vor allem im präventiven Bereich wirken. Allein diese Forderung bedeutet, dass das Zusatzprotokoll unbedingt ratifiziert werden muss. Ich denke nicht, dass Folterbekämpfung erst dann eintreten soll, wenn es bereits geschehen ist, es ist noch viel wichtiger, im Präventivbereich Maßnahmen zu entwickeln, die jegliche Form von Folter verhindern.
Das Zusatzprotokoll fordert nicht allein die Folterverhinderung, sondern setzt sich auch mit den Bereichen der unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung oder Strafe auseinander. Hier öffnet sich für mich ein weites Feld. Ich habe mich bei der Vorbereitung zu diesem Debattenbeitrag oft gefragt, ob Folter nicht auch in einer Grauzone entstehen kann, die uns unbedingt zwingt, sich dieses Themas anzunehmen. Lassen Sie mich einmal ein Beispiel nennen: Ich habe mich vor kurzem mit einer jungen Frau unterhalten, die nach einem psychischen und physischen Zusammenbruch ihren Beruf gewechselt hat. Sie war lange Zeit in einem Altenheim als Altenpflegerin tätig, und die Bedingungen für die zu pflegenden Menschen dort waren so inhuman, dass sie das als Folter für die Betroffenen empfunden hat, die sie nicht mehr ertragen konnte.
Ich möchte einige Beispiele nennen: In diesem Altenheim wurden zum Beispiel benutzte und beschmutzte Windeln wieder verwendet. Ein Tablett mit Mahlzeiten wurde den betroffenen Menschen aufs Zimmer ans Bett gebracht, nach einer gewissen Weile wieder weggenommen. Diese Menschen waren nicht in der Lage, die Mahlzeit zu sich zu nehmen, die Pfleger und Pflegerinnen waren nicht behilflich, dann wurde das Tablett weggeräumt mit dem Hinweis: „Ach, Sie hatten wohl keinen Appetit.“ Verbandswechsel