Protocol of the Session on September 10, 2003

Das wird auch nicht richtiger, wenn Sie es sagen. Es ist falsch, wenn Sie behaupten, dass die Politik hier zu mehr Steuereinnahmen geführt hat, jedenfalls zu deutlich mehr Steuereinnahmen. Ich weise darauf hin, Frau Linnert, Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, wo sind wir denn bei der Körperschaftsteuer gelandet? Im Jahr 2002 waren es nur noch einmal 14 Millionen Euro, die wir an Einnahmen gehabt haben. Wo kamen wir her? Wir kamen von über 200 Millionen DM! Das ist das Ergebnis Ihrer Politik im Bund, und deswegen leiden wir auch ein Stück weit unter der Politik des Bundes, und die Konsequenz müssen wir leider mit ausbaden.

(Zuruf des Abg. D r. S c h u s t e r [SPD])

Aufgewacht, Herr Dr. Schuster?

Im Übrigen, Herr Wedler, haben Sie ja gesagt, dass wir im Jahr 2005 den verfassungskonformen Haushalt erreichen wollen. Ich darf darauf hinweisen, wir haben heute den 10. September 2003, wir haben noch ein paar Tage Zeit, und erst dann, im Jahr 2005, werden wir sehen, ob wir dieses Ziel erreicht haben. Vorher zu unken, dass wir es nicht erreichen, ist, glaube ich, zu früh geunkt.

Außerdem möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass Sie bei Ihren Aussagen auch irgendwie konsequent bleiben sollten. Einerseits sagen Sie, der Finanzsenator habe richtige Eckwerte vorgelegt, andererseits kritisiert Ihr Landesvorsitzender die Sozialsenatorin, dass sie die Haushaltssperre verhängt hat. Bringen Sie das doch bitte einmal zueinander, wie das eigentlich zueinander passt! Die einen wollen keine Haushaltssperre, und Sie sagen, wir wollen weiter sparen, und das, was der Finanzsenator hier an Eckwerten vorgelegt hat, bedeutet ja ein erhebliches Einsparen. Insofern müssen Sie das einmal ein bisschen zueinander bringen.

Ich will dann noch einmal, Frau Linnert, zur Frage des Kanzlerbriefs etwas sagen. Das geht an Ihre Adresse, aber auch an die von Herrn Wedler. Die Aussage des Kanzlers in seinem Brief will ich noch einmal zur Verdeutlichung hier zitieren. Mit Genehmigung des Präsidenten will ich aus dem Brief des Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Gerhard Schröder, vom Juli 2000 an Herrn Bürgermeister Dr. Scherf und an Bürgermeister Perschau zitieren:

„Ihre Sorge, durch die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs und im Zusammenhang mit der Steuerreform drohten insbesondere finanzschwachen Ländern erhebliche Einnahmerisiken, vermag ich nachzuvollziehen. Die Bundesregierung sagt zu, sich im Gesetzgebungsverfahren dafür einzusetzen, dass die Neuordnung des bundesstaatlichen Finanzausgleichs, der gegebene finanzielle Status Bremens erhalten bleibt, auch im Hinblick auf die Steuerreform.“ Weiter heißt es dann: „Ich bin sicher, sehr geehrter Herr Bürgermeister, durch diese

Zusage“ – also die Zusage von Bundeskanzler Gerhard Schröder – „Ihnen Ihre Sorgen im Zusammenhang mit dem Einnahmeverzicht des öffentlichen Gesamthaushalts durch die Steuerreform nehmen zu können.“

Dies hat er im Jahr 2002 noch einmal ausdrücklich bestätigt, dass der Bund zu seinen Zusagen und den getroffenen Verabredungen steht. Wer sagt, wir sollen auf diese Zusagen des Bundeskanzlers verzichten, unterstellt, dass der Bundeskanzler seine Zusagen sowieso nicht einhält und dass man das weiß, und deswegen kann man darauf verzichten, das ist die eine Variante. Die andere Variante ist, glaube ich, aber eine richtigere, nämlich dass wir auf diese Zusagen nicht verzichten. Wer sich hier hinstellt und sagt, wir sollten darauf verzichten, der schadet den Interessen unseres Bundeslandes. Das will ich ausdrücklich hier festhalten.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Ich fordere auch die Opposition auf, sich im Interesse unseres Bundeslandes einzusetzen und nicht gegen die Interessen unseres Bundeslandes zu argumentieren! Sie von der FDP und den Grünen schaden mit dieser Argumentation den Interessen Bremens.

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Zum Schluss, Frau Linnert, noch zu einer Falschaussage, die Sie gemacht haben!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Falschaussage? Wie vor Gericht?)

Sie haben davon gesprochen, dass dieser Bericht hier davon spricht, dass die Sanierungseffekte erst im Jahr 2021 eintreten. Deswegen möchte ich doch einfach einmal aus dem Bericht zitieren. Da heißt es dann:

„Infolge des Realisierungsverlaufs der ISP-Maßnahmen und der zu erwartenden jeweiligen Wirkungsverzögerungen werden die maximalen Beschäftigungseffekte des Investitionsprogramms im Jahr 2016 erwartet. Die in dieser Hinsicht vorsichtigere Variante einer makroökonomischen Modellrechnung weist aus, dass demnach im Jahr 2002 gut 14 Prozent der Arbeitsplatzwirkung des ISP beziehungsweise knapp elf Prozent der Effekte von ISP und AIP als realisiert gelten können, denen die Normalentwicklung ohne ISP gegenzurechnen ist.“

Wenn wir im Jahr 2002 erst 14 Prozent der Investitionen getätigt haben mit ihren Wirkungen und das ISP-Nachfolgeverfahren, das AIP, erst im Jahr 2010 ausläuft, ist es logisch, dass die Wirkungen nicht schon im Jahr 2005 eingetreten sein können. Das leuchtet auch, glaube ich, Ihnen ein, denn wir haben ja das ISP, das bis zum Jahr 2005 läuft, und das

Anschlussinvestitionsprogramm bis zum Jahr 2010, und dass die Wirkungen erst danach mit einem gewissen Abstand erfolgreich eintreten können, muss auch Ihnen einleuchten. Insofern führt Ihre Kritik so, wie Sie sie hier dargestellt haben mit der späten Wirkung, in die falsche Richtung mit einer irreführenden Wirkung, und ich finde, dass Sie als Finanzpolitikerin solch eine Darstellung hier nicht geben sollten. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU)

Das Wort erhält die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Pflugradt! Der Kanzlerbrief! Zum Kanzlerbrief heißt es im Protokoll des Finanzplanungsrats, in dem auch CDU-regierte Bundesländer sitzen: „Bremen hat sich im Rahmen seiner Haushaltsautonomie für eine Sanierungsstrategie entschieden, die statt auf möglichst schnelle Teilentschuldung auf überproportionale Investitionsausgaben setzt. Das Ergebnis dieser selbstgewählten Strategie muss Bremen auch selbst verantworten.“ Das ist zumindest die Position auch der CDU-regierten Bundesländer.

Ich glaube, dass es eine sinnvollere Strategie für Bremen ist, wenn wir nicht gegen das, was alle um uns herum sagen, versuchen, eine Strategie zu fahren, nämlich zu glauben, dass wir über den Kanzlerbrief besondere Summen an Geld für Bremen besorgen können, sondern ich glaube, dass eine Strategie, Bündnispartner zu suchen bei Großstädten und bei Bundesländern, die in hohe Verschuldung kommen, auch bei der Bundesregierung, die sinnvollere ist. Im Übrigen hat der Kanzler nach übereinstimmender Meinung versprochen, dass das bei einer Neuordnung des Finanzausgleichs ausgeglichen wird. Schauen Sie sich auch noch einmal die Jubelpresseerklärung an, die Herr Perschau damals bei der Neuordnung des Finanzausgleichs herausgegeben hat! Dabei ist Bremen besonders gut weggekommen.

Wo ist jetzt also der Verlust, der für Bremen bei der Neuordnung des Länderfinanzausgleichs eingetreten ist? Den gibt es nicht! Die Grünen, ordentlich verhauen vom Senat, sind damals diejenigen gewesen, die gesagt haben, dass diese viel bejubelte Neuordnung des Länderfinanzausgleichs Bremen nicht dauerhaft besser stellt und dass damit das große Problem mit der Finanzverteilung in Deutschland nicht gelöst wird. Wo sind jetzt aber die Defizite, die für Bremen entstanden sind? Es gibt keine! Deshalb hat Herr Kröning an dem Punkt leider Recht: Dieses Versprechen des Kanzlerbriefs ist eingelöst, und Sie sind ––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

auf dem Holzweg und verfolgen eine falsche Strategie.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Man kann, glaube ich, hier auch nicht so tun, als würde eine finanzielle Sanierung unter der Glasglocke stattfinden, also, wir sitzen unter der Glasglocke, haben irgendwann einmal Annahmen gemacht, und alles Böse von außen stört uns nur, prallt am Glas ab. Egal, was die Bundesregierung oder die Weltkonjunktur macht, alles unter der Glasglocke soll geschützt sein, wir machen hier die richtige Politik. Irgendwann müssen wir die Glocke dann einmal wieder hochnehmen, und dann sehen wir ganz entsetzt, dass die Welt um uns herum sich ganz anders entwickelt hat und da vielleicht Wirtschaftsschwäche ist und was noch so alles passiert ist. So geht das einfach nicht, Herr Pflugradt! Die Annahmen sind nicht eingetroffen, wie sinnvoll und wie valide die nun gewesen sind, ist nun auch alles Schnee von gestern. Richtig ist, dass wir die Probleme jetzt lösen müssen. Die Prognosen sind nicht eingetreten, der verfassungskonforme Haushalt ist nach wie vor nicht in Sicht, und die Wirtschaftsentwicklung ist nicht so gewesen, wie wir sie uns gewünscht haben.

Es ist aber auch so, dass die Effekte, die wir, die große Koalition insbesondere, uns von den Investitionsmaßnahmen versprochen haben, nicht eingetroffen sind. Da kann man jetzt nicht sagen, die gute Politik wurde hier in Bremen gemacht, und die böse Bundesregierung ist uns ständig in die Parade gefahren, sondern da muss man sich anschauen, wie das im Bundeskonzert – die anderen haben auch Probleme – bewertet wird, und was kann man aus dem Beispiel Bremens über die Reichweite von Politik und die Reichweite von staatlichen Investitionen eigentlich lernen? Ich habe auch nicht gesagt, wie Sie behauptet haben, Falschaussage wurde das hier genannt, dass Bremen keine zusätzlichen Steuereinnahmen hat. Ich habe gesagt, dass Wirtschaftswachstum und Steuereinnahmen in Deutschland entkoppelt sind und dass sich das um ein riesiges Problem handelt.

Als Nächstes möchte ich gern noch etwas zu Herrn Wedler sagen. Sie haben sich auf meinen Redebeitrag bezogen, und ich möchte hier gern noch einmal für das ganze Haus und für die Öffentlichkeit auf die Unterschiede unserer Sichtweise eingehen. Die Grünen haben sich in der Vergangenheit bei einer ganzen Reihe von Investitionsmaßnahmen sehr kritisch verhalten, Space-Park, das haben Sie selbst erwähnt, aber das ist nur die Spitze eines Eisberges, und zwar aus zwei Gründen: einmal, weil wir einige Projekte insgesamt problematisch fanden, weil wir aber auch immer auf den Zusammenhang hinweisen, dass die Zinsen, die bedient werden müssen, konsumtiv sind und in Konkurrenz stehen zu Ausgaben, die wir hier in den so genannten weichen

Ressourcen, im Bildungs-, Kinder-, Kultur- und Sportbereich für die Bevölkerung machen. Ich glaube auch, dass, wenn die große Koalition eine ganze Reihe von Fehlern nicht gemacht hätte, also auf bestimmte Investitionsmaßnahmen verzichtet hätte, eine niedrigere Investitionsquote vorgelegt hätte und wenn man sich auch einigen konsumtiven Schnickschnack gespart hätte, ich sage einmal exklusiv hier Roland Berger, wenn die hier nicht eingefallen wären, hätte man viel Geld sparen können und auch viel Frust. Ich finde auch, dass ein bisschen viele Gutachten in Auftrag gegeben worden sind. Alles verschüttete Milch, aber die Grünen behaupten nicht, wenn man das alles nicht gemacht hätte, könnte man hier locker einen verfassungskonformen Haushalt auflegen. Das behaupten wir gerade nicht, sondern wir sehen den Zielkonflikt zwischen der Haushaltskonsolidierung und dem, was Politik der Bevölkerung bietet, und dass weiche Standortfaktoren das sein werden, was in Zukunft darüber entscheidet, ob wir hier Bevölkerung verlieren oder trotz schrumpfender Bevölkerung in Deutschland Bevölkerung gewinnen. Das ist für die Grünen der Ansatzpunkt der Politik, und ich werde mich niemals hier hinstellen und so martialisch wie Sie, Herr Wedler, ohne eigene Vorschläge zu machen, wo wirklich noch gekürzt werden kann, konkrete Vorschläge, hier so tun, als sei das total locker, einen verfassungskonformen Haushalt zu erreichen, sondern wir sagen ja gerade, Sie haben den Finanzsenator dafür gelobt, ich tue das nicht, er muss den Koalitionsvertrag umsetzen. Ich halte das für einen Kamikazekurs. Wenn die Koalition das wirklich versucht, dann wird die Stadt anders aussehen als jetzt, und das muss hier jeder beantworten, ob er oder sie das will. Vorschläge für Einsparungen haben Sie nicht gemacht, Sie haben gesagt, Gewerbesteuer abschaffen, das kostet uns ein paar Millionen, und mehr nach Bremerhaven. Wer will, dass hier 2005 ein verfassungskonformer Haushalt vorgelegt wird, der wird sich damit auseinander setzen müssen, dass jede vierte Jugendeinrichtung dicht gemacht wird. Wollen Sie das eigentlich, dass wir auf ein Museum verzichten können, eines in Bremen und eines in Bremerhaven, dass wir jeden vierten Kindergarten nicht mehr werden bezahlen können, dass wir den Zuschuss für eine Privatschule werden einstellen müssen, für jeden vierten Sportverein, 24 Prozent, zehn Prozent im Haushalt 2004, 14 Prozent im Haushalt 2005? Herr Wedler, damit müssen Sie sich auseinander setzen, anstatt hier einfach so locker zu fordern, das ist ja so total easy, und wenn die nicht so blöd wären, dann würden die das hinbekommen!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Wir werden einmal sehen, wie es weitergeht! Von den Mehrbelastungen im Bildungsbereich, zu dem

wir alle sagen, wir wollen die Zukunft über die Bildungspolitik gewinnen, einmal ganz zu schweigen! Sie müssen sich auch, wir auch, mit dem Zielkonflikt auseinander setzen, möglichst zu einer Konsolidierung der Haushalte zu kommen, die nicht unsere Finanzpolitik zu Lasten zukünftiger Generationen macht, gleichzeitig aber sicherzustellen, dass unsere Städte so attraktiv sind, dass es nicht demokratiegefährdend wird. Die Zustimmung zu unserem Gemeinwesen wird davon abhängen, ob wir der Bevölkerung Dinge bieten, die es schön machen, hier zu leben. Davor werden Sie sich nicht drücken können, vor diesem Zielkonflikt!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.

Die Beratung ist geschlossen.

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mitteilung des Senats, Drucksache 16/1, Kenntnis.

Für den Erhalt des Landespflegegeldes

Antrag des Abgeordneten Tittmann (DVU) vom 7. Juli 2003 (Drucksache 16/13)

Dazu als Vertreterin des Senats Frau Senatorin Röpke.

Die Beratung ist eröffnet.

Das Wort erhält der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Senatorin Röpke, Sie haben eben darauf hingewiesen, wie und was man unseren Jugendlichen nicht alles zumuten kann. Nun werde ich Ihnen einmal deutlich machen, was man unseren behinderten Menschen nicht zumuten kann und darf. Nachdem Herr Dr. Scherf seine Regierungserklärung hier gebetsmühlenartig heruntergespult hat, gerade in Bezug darauf, dass wir alle sparen und Opfer bringen müssen, könnte man ja direkt der Meinung sein, dass diejenigen, zum Beispiel blinde Menschen, behinderte Menschen und andere Bevölkerungsgruppen, von denen Sie jetzt unsoziale Einsparungen und eine große Opferbereitschaft verlangen, an den jetzt rigoros durchgeführten und geplanten drastischen Kürzungen und Streichungen im Sozialbereich selbst schuld wären.

Meine Damen und Herren, so ist es ja nun nicht. Ich frage Sie allen Ernstes: Was können zum Beispiel blinde und behinderte Menschen für die missratene und verschwenderische Großmannssucht der Bremer Landesregierung und eine verfehlte Politik der großen Koalition? Rein gar nichts! Dafür tragen

Sie die alleinige Verantwortung und sonst niemand, damit das ein für alle Mal klar ist!

Meine Damen und Herren, unsere Bevölkerung kann nun wirklich nichts dafür, dass Sie schon seit Jahrzehnten auf Kosten und zu Lasten der Bevölkerung eine unverantwortliche Politik der Steuergeldverschwendung betreiben. Ich nenne nur ein Beispiel: Projekt Space-Park! Da sind Millionen zum Fenster hinausgeworfen worden und so weiter. Meine Damen und Herren, unsere blinden und behinderten Menschen haben es nicht verdient, dass sie für Ihre verfehlte Politik jetzt zahlen und büßen müssen, und das, obwohl Sie erst vor zwei Jahren dem Erhalt des Landespflegegeldes hier allesamt zugestimmt haben. Sie haben sogar vollmundig vor der Wahl, ich betone es, vor der Wahl behauptet, dass eine ersatzlose Aufhebung des Landespflegegeldes auch zukünftig nicht zu erwarten sei. Kurz nach der Wahl wollen Sie das Landespflegegeld ersatzlos abschaffen. Ich weiß nicht, wie Sie das nennen, ich jedenfalls nenne es einen ungeheuerlichen und niederträchtigen Wahlbetrug auf Kosten und zu Lasten behinderter Menschen, denn Sie wissen genau, dass das an die blinden Menschen gezahlte Landespflegegeld zum Ausgleich der Nachteile ihrer Behinderung sowie zur Förderung der Teilnahme am öffentlichen Leben in unserer Gemeinschaft dringend erforderlich und unverzichtbar ist.

Meine Damen und Herren, ich muss Sie einmal wieder daran erinnern: Dabei haben unsere blinden Menschen bereits im Jahre 2001 während der Auseinandersetzung um das Landespflegegeld eine Kürzung von sage und schreibe 13 Prozent anstandslos hingenommen. Jetzt wollen Sie diesen Menschen auch noch das letzte bisschen Geld, welches sie dringend brauchen und was ihnen auch zusteht, skrupellos wegnehmen. Sie sollten sich allesamt zutiefst schämen!

Blinde Menschen werden im täglichen Leben mit einer Vielzahl von Problemen konfrontiert, in die Sie sich nicht im Entferntesten hineinversetzen können. Frau Linnert, wenn Sie es lustig finden, dann lachen Sie ruhig! Das finde ich sehr interessant. Zum Beispiel finden 70 Prozent der blinden Menschen im erwerbsfähigen Alter keine Arbeit. Ich weiß nicht, ob Sie das lustig finden, Frau Linnert, ich finde es jedenfalls nicht lustig, ich finde es traurig. Blinde Menschen benötigen dringend Hilfe, zum Beispiel bei der Erledigung ihrer Post, beim Putzen, beim Einkaufen, bei Reparaturen und bei sehr vielen anderen Dingen des täglichen Lebens.

Meine Damen und Herren, blinde Menschen sind darüber hinaus auch dringend auf regelmäßige Hilfe von zum Beispiel Eltern, Bruder, Schwester, Ehepartner oder anderen Angehörigen angewiesen, die dadurch alle finanzielle Einbußen haben, das dürfte auch Ihnen klar sein, oder aber blinde Menschen müssen fremde Hilfe in Anspruch nehmen, die sie sehr teuer bezahlen müssen. Jeder Mensch muss

Geld für besondere Lebenssituationen sparen können. Das können blinde Menschen durch diesen finanziellen Mehraufwand nicht. Sie werden also doppelt bestraft.

Blinde Menschen benötigen eine bedarfsgerechte Wohnung mit einer dementsprechenden Verkehrsanbindung. Die Mieten für solche bedarfsgerechten Wohnungen sind um zirka 300 Euro teurer als für andere Wohnungen. Blinde Menschen müssen sehr viel mehr Geld für den Lebensunterhalt aufwenden. Zum Beispiel kosten Bücher in Blindenschrift das Zehnfache eines normalen Buches und so weiter.

Bedenken Sie bitte, viele blinde Menschen, die zum Beispiel vor kurzem noch sehen konnten, haben vielleicht so wie Sie finanzielle Vorsorge für einen geruhsamen Lebensabend getroffen, haben sich also mühsam ein bisschen Geld zusammengespart! Dieses mühsam ersparte Geld müssen sie nun aufgrund ihrer schweren Behinderung für die eben von mir genannten Mehrkosten ausgeben. Viele blinde Menschen werden dadurch zum Sozialfall. Das ist eine belegbare Tatsache, die nicht einmal Sie verschweigen und widerlegen können.