Protocol of the Session on February 23, 2005

Ich kann Ihnen daher nur empfehlen, vielleicht einmal ein wirtschaftswissenschaftliches Seminar an der Universität Bremen zu besuchen.

(Beifall bei der CDU – Abg. D r. G ü l d - n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Wahrschein- lich bei Herrn Haller! Das würde nützen! Bei dem haben Sie nachgefragt!)

Ich glaube, auch das wird Ihnen weiterhelfen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Bremen hat in dem vergangenen Jahr mit dem Erreichen des Ziels eines verfassungskonformen Haushalts im Jahr 2005 als wesentlichen Bestandteil die schriftliche Zusage des Bundeskanzlers Schröder für den Ausgleich der Ausfälle aus der Steuerreform mit ergänzenden Zahlungen aus dem Bundeshaushalt in die eigene Finanzplanung eingestellt. Dieser Brief, diese Zusage war keine Tagträumerei oder Phantasia, es waren auch nicht irgendwelche Luftspiegelungen, die zu hohe Erwartungen generiert haben. Der Brief des Bundeskanzlers war im Zusammenhang mit der Verabschiedung der Steuerreform im Jahr 2000 die konkrete und verbindliche Zusage der Bundesregierung, vertreten durch den Bundeskanzler, die von der Steuerreform verursachten Ausfälle, die dem Bundesland Bremen entstehen, auszugleichen. Das war auch die Geschäftsgrundlage für das Abstimmungsverhalten Bremens im Bundesrat.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Ja, da ist die CDU hereingelegt worden! Vielleicht doch einmal ein Politik- seminar besuchen!)

Das heißt, die Einbrüche bei den Einnahmen werden durch die Zuschüsse des Bundes ausgeglichen. Das ist ein übliches Verfahren. Auch andere Bundesländer haben finanzielle Kompensationen erhalten. Der Inhalt des Schreibens des so genannten Kanzlerbriefes wurde mehrmals bestätigt. Zum Beispiel in einem Schreiben des Chefs des Bundeskanzleramtes, Dr. Steinmeier, vom 16. März 2001 heißt es, die gegebene Erklärung des Bundeskanzlers ist unverändert gültig.

In einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Bremer Bundestagsabgeordneten Neumann am 6. September 2002 wird mit einem unmissverständlichen und deutlichen Ja die Frage beantwortet, ob die Zusage des Kanzlers gegenüber dem Bundesland von Mitte 2000 noch Gültigkeit hat, ebenso das Schreiben des Bundeskanzlers vom 19. September 2002, in dem der Bundeskanzler selbst noch einmal klarstellt, dass seine Zusagen aus dem Jahr 2000 weiter Bestand haben.

Das Ergebnis dieser Zusagen, dieses Versprechens des Bundeskanzlers mussten wir Ende Januar zur Kenntnis nehmen. Bremen erhält statt der zugesagten Kompensation in Höhe von 500 Millionen Euro pro Jahr einen Einmalzuschuss in Höhe von 130 Millionen Euro für zwei Verkehrsprojekte, Cherbourger Straße in Bremerhaven und den Bau der A 281 in Bremen, die abgezinst einen jährlichen Betrag von fünf bis zehn Millionen Euro darstellen. Statt 500 Millionen fünf Millionen Euro!

Der Bundeskanzler, das müssen wir feststellen, hat seine Zusage nicht eingehalten. Der Bundeskanzler hat sein Wort gebrochen. Der Bundeskanzler hat nicht nur die Politik in Bremen hinter das Licht geführt, sondern auch die Bürgerinnen und Bürger in unseren beiden Städten.

(Beifall bei der CDU)

Daher können und werden wir dem Kanzler weder dankbar sein noch zukünftig ein besonderes Vertrauen entgegenbringen.

(Beifall bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund, und das muss man leider in diesem Zusammenhang auch deutlich sagen, relativieren sich auch die Zusagen, dokumentiert in der Absichtserklärung des Bundes, im Rahmen der Innovationsoffensive im Bereich Logistik und Raumfahrt den Standort Bremen zu unterstützen. Dieses Handeln, meine Damen und Herren, ist leider symptomatisch für die Regierungspolitik in Berlin. Sie führt nicht nur Bremen und Bremerhaven in eine existenzbedrohende Situation, sie führt auch Deutschland

ins wirtschaftliche Abseits und zum Schlusslicht in Europa.

(Beifall bei der CDU – Abg. G ü n t h n e r [SPD]: In welcher Koalition sind Sie eigent- lich, Herr Kastendiek?)

Die Folge ist dramatisch für die Haushalts- und Finanzsituation Bremens.

(Abg. G ü n t h n e r [SPD]: Mit wem koalieren Sie eigentlich?)

Es fehlen im Jahr zirka 500 Millionen Euro an laufenden Mitteln. Beim Fortschreiben der jetzigen Ansätze und keinen Gegensteuerungsmaßnahmen haben wir als Konsequenz das durchaus realistische Szenario am Horizont: Die Zinslasten würden bald den größten Ausgabeposten in dem Haushalt darstellen, die Zinsen würden uns spätestens im Jahr 2012 auffressen, Personal müsste in größerem Umfang entlassen werden, freiwillige Leistungen könnten nicht mehr bezahlt werden, Hafen- und Hochschulentwicklung wären nicht mehr möglich, die Förderung von Kultureinrichtungen wären nur einige Beispiele, die zur Disposition stünden.

Die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen bliebe auf der Strecke. All das, was Bremen und Bremerhaven lebens- und liebenswert macht, ginge verloren. Letztendlich ginge auch dem Bundesland die Perspektive verloren. Das Ergebnis wäre ein Teufelskreis, in dem nicht mehr viel bleibt, wie es einmal war, an dessen Ende nur noch eine Bankrotterklärung stehen könnte. Wir fahren, wenn es uns nicht gelingt gegenzusteuern, wenn es uns nicht gelingt, die erforderlichen Weichen jetzt zu stellen, auf einen finanz- und wirtschaftspolitischen Abgrund zu, der nicht nur die politische Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit für Generationen blockieren wird, sondern auch die Selbständigkeit des Bundeslandes massiv gefährdet.

Diese Dramatik ist nicht nur bei der interessierten Öffentlichkeit meiner Einschätzung nach bisher im Bewusstsein zu wenig angekommen, sondern auch in breiten Teilen der Bevölkerung.

(Abg. D r. G ü l d n e r [Bündnis 90/Die Grünen]: Man hat ihnen ja auch immer et- was anderes erzählt!)

Wir müssen, wollen wir die politische Handlungsund Gestaltungsfähigkeit erhalten, wollen wir die Selbständigkeit Bremens erhalten und wollen wir auch den Menschen eine Zukunft in den beiden Städten geben, Perspektiven und Wege formulieren, wie Bremen und Bremerhaven aus dieser an sich ausweglosen Situation durch Weichenstellungen herauskommen können.

Wir als CDU wollen diese Herausforderung annehmen. Wir sehen eine Perspektive für Bremen und Bremerhaven. Wir wollen Bremen und Bremerhaven als moderne, als lebenswerte und leistungsstarke Städte weiterentwickeln, in denen das Wirtschaftsund Arbeitsplatzwachstum fortgesetzt werden kann und muss, damit Arbeitsplätze gesichert und geschaffen werden, damit die Menschen in Bremen eine Zukunft haben,

(Beifall bei der CDU)

in der auch der Bildungs- und Wissenschaftsstandort weiter gestärkt wird und eine zentrale Rolle in der Zukunftsstrategie Bremens einnehmen kann,

(Abg. Frau M ö b i u s [SPD]: Schön geredet!)

in der die Familienfreundlichkeit verbessert wird, in der eine Haushaltskonsolidierung umgesetzt wird, die wieder Luft für politische Gestaltung schafft und letztendlich die Selbständigkeit Bremens sichert.

Die Selbständigkeit Bremens, meine Damen und Herren, ist kein Selbstzweck. Die Selbständigkeit Bremens ist auch kein Festhalten an veralteten Strukturen. Bremens Selbständigkeit begründet sich in der Tradition unserer Stadt, in der Entwicklung über Jahrhunderte hinweg als Handels- und Hafenstadt mit der jetzigen Bedeutung. Sie begründet sich in der Überzeugung, dass gerade leistungsfähige und schlagfertige Einheiten, mit denen sich die Menschen in der Region identifizieren und zum Selbstbewusstsein der Stadt gehören, erfolgreicher den Strukturwandel und die Herausforderungen der Zukunft bewältigen können als starre und unflexible Gebilde, die in ihrer Gleichheit sich weder ge-genseitig befruchten noch innovativ sind.

Das Bundesland Bremen ist ein wertvoller und unverzichtbarer Bestandteil des deutschen Föderalismus und daher nicht wegzudenken. Hieraus ergeben sich der Weg und die Ziele der dritten Sanierungsphase, mit der Bremen und Bremerhaven die Ziele und Grundlagen einer zukünftigen Haushalts- und Finanzpolitik legen muss. Gestaltungsfähigkeit bleibt dabei nur mit einem konsequenten und stringenten Handeln.

Nach unserer Auffassung, meine Damen und Herren, ergeben sich zwei Handlungsstränge aus dem Ausbleiben des Kanzlerbriefs.

(Abg. D r. S c h u s t e r [SPD]: Da sind wir jetzt gespannt!)

Zum einen muss die ungerechte Finanzsystematik beseitigt werden. Bremen ist ein starker Wirtschaftsstandort. Bremen hat das zweithöchste Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner in Deutschland und

liegt im oberen Drittel der Regionen in Europa. Bremen hat eine hohe Arbeitsplatzdichte, Bremen hat einen hohen Bestand an Arbeitsplätzen, die sich leider durch die hohe Pendlerquote auch im Umland niederschlagen. Bremen werden durch die Steuerverteilung 36 Prozent seiner eigenen Finanz- und Steuerkraft genommen. Dies ist nicht akzeptabel. Daher hat die große Koalition verabredet, den Klageweg zum Bundesverfassungsgericht vorzubereiten. Abschließend muss eine Entscheidung dazu noch gefällt werden. Es ist aber auch klar, ein Klageweg ist kein Blankoscheck für die Darstellung zukünftiger Haushalte.

Der zweite Handlungsstrang, meine Damen und Herren, sind die eigenen Bemühungen für die Wiederherstellung der politischen Gestaltungsfähigkeit. Dazu zählen natürlich finanzpolitische Zielsetzungen. Genannt ist hier der Ausgleich des Primärsaldos als Mindestziel, meine Damen und Herren, in einer mittelfristigen Finanzplanung, ein Mindestziel, um die Zins-Schulden-Spirale außer Kraft zu setzen. Das setzt voraus, die Zuwachsrate bei den Ausgaben bei 0,2 Prozent einzufrieren, die Personal- und sonstigen Kosten um jährlich 0,5 Prozent zu senken, und führt durch die Tatsache, dass die Zinsleistungen dennoch von knapp 500 Millionen auf 700 Millionen Euro pro Jahr ansteigen, zu der Konsequenz, dass in den sonstigen konsumtiven Ausgaben bis zum Jahr 2009 170 Millionen Euro eingespart werden müssen. Wer die Enge des bremischen Haushalts kennt, der weiß, dass dies hohe Anforderungen an Rückgrat und Mut zur Erreichung dieses Ziels setzt.

Ein verfassungskonformer Haushalt muss dabei in der langfristigen Finanzplanung weiter Ziel der Haushaltspolitik sein und darf nicht aus dem Auge verloren werden. Grundsätzlich muss Bremen in allen Bereichen deutliche Sparanstrengungen vornehmen. Die Umsetzung von Sparbeschlüssen sollte sich dabei nach folgenden Kriterien richten:

Erstens, langfristig wirkende strukturelle Veränderungen müssen gleichberechtigt zu kurz- und mittelfristigen Einsparungen behandelt werden.

Zweitens, pauschale Kürzungen für die Ressorts und Budgets sind auf ein Mindestmaß zu begrenzen.

Drittens, trotz einer umfassenden Sparpolitik muss die Politik eindeutige Prioritäten setzen. Dazu gehört dann auch, dass einzelne Bereiche von Sparbemühungen ausgenommen werden können.

Viertens, die Politik muss auch frühere Sparanstrengungen stärker gewichten und insbesondere Rücksicht auf die Bereiche nehmen, die schon hohe Sparbeiträge geleistet haben.

Fünftens, auch die regionale Verteilung der Belastungen im Land Bremen muss berücksichtigt werden.

Sechstens, zusätzliche Unterstützung verdienen Projekte, die Arbeitsplätze sichern und zusätzliche schaffen.

Siebtens, die Unterstützung von Projekten, die zur Neubürgergewinnung beitragen, sollen bei den Sparanstrengungen gesondert beachtet werden.

Achtens, in der Regel sollen keine Kürzungen bei Projekten erfolgen, die gleichzeitig oder zeitlich versetzt zu höheren Kosten in anderen Bereichen führen.

Umsetzen und erreichen lassen sich die Ziele und Schritte nur, wenn Strukturen geändert werden, wenn alle Maßnahmen und Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden. Es darf keine Tabus geben. Insbesondere den Strukturveränderungen muss ein besonderes Augenmerk gewidmet werden. Es macht keinen Sinn, meine Damen und Herren, die zehnte pauschale Kürzungsquote nach dem Motto „Es lebe der Rasenmäher“ auf die Ressorts zu legen, um dann am Ende eines Jahres festzustellen, dass es nicht funktioniert.

Daher müssen, wenn wir die ehrgeizigen Ziele erreichen wollen, die Strukturen verändert werden. Das betrifft eine Erhöhung der Flexibilität im Personalbereich ebenso wie neue Beschäftigungsmodelle im öffentlichen Dienst, genauso wie den Aufwand und die Organisation von Verwaltungsaufgaben, den Abbau von Doppelstrukturen und Doppelförderungen in Verwaltung, im Zuschussbereich und auch die Kooperation mit Dritten, seien es Private oder andere Kommunen und Länder, und die Reduzierung von Leistungen, die sich am Schnitt anderer Bundesländer und Kommunen orientieren müssen. Aber auch Einnahmeverbesserungen und erhöhte Anforderungen an Investitionen hinsichtlich Arbeitsplatzeffekte und fiskalischer Rentabilität müssen konsequent umgesetzt werden.

Die große Koalition, das haben auch die Ausführungen von Frau Linnert deutlich gemacht, ist dabei die einzige politische Konstellation, die zurzeit diese Aufgabe bewältigen kann.

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Ich wusste nicht, dass ich das ge- sagt hätte!)

Beruhigen Sie sich doch! Die Erfolge der großen Koalition sind Belege hierfür. Die Bilanz der ersten und zweiten Sanierungsphase ist beeindruckend,

(Widerspruch beim Bündnis 90/Die Grünen)

die Begrenzung der Ausgabenentwicklung, das Erreichen einer strukturellen Haushaltsverbesserung, die Einleitung des wirtschaftlichen Aufholprozesses

durch Strukturwandel, mehr Wachstum und mehr Beschäftigung.

(Beifall bei der CDU)