Protocol of the Session on July 9, 2003

Ich eröffne die dritte Sitzung der Bürgerschaft (Landtag).

Ich begrüße die hier anwesenden Damen und Herren sowie die Zuhörer und die Vertreter der Presse. Auf der Besuchertribüne begrüße ich recht herzlich eine Klasse des Berufsbildungswerks Bremen. – Herzlich willkommen!

(Beifall)

Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen zu Beginn der heutigen Sitzung Veränderungen in der Zusammensetzung der Bürgerschaft mitteilen: Frau Senatorin a. D. Christine Wischer hat von ihrem Recht aus Artikel 108 Absatz 2 der Landesverfassung beziehungsweise Paragraph 36 Absatz 3 des Wahlgesetzes Gebrauch gemacht, wieder in die Bürgerschaft einzutreten.

Die Feststellung darüber habe ich getroffen.

Die Abgeordnete Elisabeth Motschmann ist durch Verzicht, die Abgeordneten Jens Eckhoff und Thomas Röwekamp sind durch die Wahl in den Senat aus der Bürgerschaft ausgeschieden. Als Listennachfolger mit Wirkung vom 7. Juli 2003 sind Frau Sandra Ahrens, Herr Michael Bartels und Herr Wolfgang Pfahl in die Bürgerschaft eingetreten.

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Ausübung Ihres Mandats!

(Beifall)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, außerdem möchte ich Sie von einem Schreiben in Kenntnis setzen, das mir der Präsident des Senats mit Datum vom 4. Juli 2003 übersandt hat. Er schreibt:

„Sehr geehrter Herr Präsident, der am heutigen Tage vereidigte Senat hat sich in seiner ersten Sitzung konstituiert und gemäß Artikel 114 der Landesverfassung Herrn Senator Perschau zum Bürgermeister gewählt.

Weiter hat der Senat Frau Staatsrätin Dr. Kerstin Kießler zur Bevollmächtigten der Freien Hansestadt Bremen beim Bund und für Europa bestellt.

Als Anlage füge ich die vom Senat beschlossenen Ressortaufteilungen bei. Bremen, den 4. Juli 2003.“

Ich verlese die Ressortaufteilung:

„Bürgermeister Dr. Henning Scherf, Der Präsident des Senats, Der Senator für kirchliche Angelegenheiten, Der Senator für Justiz und Verfassung, Der Senatskommissar für den Datenschutz; Bürgermeister Hartmut Perschau, Der Senator für Wirtschaft und Häfen, Der Senator für Kultur; Senator Thomas Röwekamp, Der Senator für Inneres und Sport; Senator Willi Lemke, Der Senator für Bildung und Wissenschaft; Senatorin Karin Röpke, Der Senator für

Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, Die Senatskommissarin für die Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau; Senator Jens Eckhoff, Der Senator für Bau, Umwelt und Verkehr; Senator Dr. Ulrich Nußbaum, Der Senator für Finanzen.“ Meine Damen und Herren, die Eingänge bitte ich der Mitteilung über den voraussichtlichen Verlauf der Plenarsitzungen sowie dem heute verteilten Umdruck zu entnehmen.

Eingänge gemäß § 21 der Geschäftsordnung

1. Für den Erhalt des Landespflegegeldes

Antrag des Abgeordneten Tittmann (DVU) vom 7. Juli 2003 (Drucksache 16/13)

2. Gesetz zur Änderung des Bremischen Besoldungsgesetzes

Mitteilung des Senats vom 8. Juli 2003 (Drucksache 16/15)

3. Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze

Mitteilung des Senats vom 8. Juli 2003 (Drucksache 16/16)

Diese Angelegenheiten kommen auf die Tagesordnung der September-Sitzung.

Zur Abwicklung der Tagesordnung wurden interfraktionelle Absprachen getroffen, und zwar beginnen wir mit der Regierungserklärung des Senats und anschließender Aussprache. Für die Aussprache über die Regierungserklärung ist für den ersten Redner je Fraktion eine Redezeit von bis zu 30 Minuten vereinbart, für die fraktionslosen Abgeordneten jeweils bis zu 15 Minuten. Im Übrigen wird nach Geschäftsordnung verfahren. In dieser Aussprache erhält als erster Redner nach dem Präsidenten des Senats der Vertreter der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort, danach der Vertreter der CDU-Fraktion und dann der Vertreter der SPD-Fraktion. Im Übrigen wird nach der Reihenfolge der Wortmeldungen das Wort erteilt. Nach der Grundsatzdebatte ist eine zweite Runde mit dem Themenschwerpunkt Bremerhaven vorgesehen, in der ebenfalls zunächst der Vertreter von Bündnis 90/Die Grünen, danach der Vertreter der CDU und der der SPD das Wort erhalten.

Nach der Regierungserklärung werden der Tagesordnungspunkt vier, Wahl und Vereidigung eines weiteren Mitglieds des Senats nach Artikel 107 der Landesverfassung, und im Anschluss daran die Fragestunde und die Aktuelle Stunde aufgerufen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich dem Abgeordneten Jan Köhler ganz herzlich zu seinem heutigen Geburtstag gratulieren.

(Beifall)

Ich wünsche Ihnen für Ihr neues Lebensjahr alles Gute!

Wir treten in die Tagesordnung ein.

Regierungserklärung des Senats

Dazu als Vertreter des Senats Bürgermeister Dr. Scherf.

Meine Damen und Herren, die Beratung ist eröffnet.

Das Wort hat Bürgermeister Dr. Scherf.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Wählerinnen und Wähler haben uns am 25. Mai den Auftrag gegeben, die erfolgreiche Arbeit für die Sanierung Bremens fortzusetzen und den begonnenen Strukturwandel weiter voranzubringen. Alle Beobachter und Analysen stimmen überein, welche Kernbotschaft uns die Wähler für die kommenden vier Jahre mit auf den Weg gegeben haben. Sie lautet: Die große Mehrheit der Bremerinnen und Bremer, der Bremerhavenerinnen und Bremerhavener hat die Fortsetzung der großen Koalition gewollt und gemeint. Sie hat die bisherige Bilanz der großen Koalition gewürdigt, für gut befunden und den Partnern darum ein weiteres überzeugendes Mandat erteilt. Die Wählerinnen und Wähler haben sich für Stabilität, Kontinuität und für breit getragene Konsense entschieden. Sie wollen, dass wir weiterhin parteiübergreifende, vertrauenstiftende und sachorientierte Problemlösungen suchen.

Ich lege das Ergebnis vom 25. Mai als nachdrückliche Aufforderung an die Bürgerschaft wie an den Senat aus: Verständigt euch, zerstreitet euch nicht, bleibt handlungs- und entscheidungsfähig, denn wir wissen genauso wie ihr, die Zeiten sind schwierig, die Kassen überall knapp, Bremen ist auf einem schwierigen, aber auf einem richtigen Weg!

Überall müssen wir uns heute einstellen auf tiefgreifende gesamtgesellschaftliche Umbau- und Reformprozesse. Überall werden neue Balancen ausgelotet zwischen staatlichen Garantien und öffentlicher Vorsorge einerseits und privater Verantwortung und eigener Initiative andererseits. Überall die gleichen Fragen: Was können wir aus öffentlichen Kassen noch bezahlen? Wie und wo ist das knapper werdende Geld am wirksamsten, am nachhaltigsten und am gerechtesten angelegt? Wie lindern wir akute Notlagen, und wie bewältigen wir gleichzeitig den nötigen Strukturwandel, um, wie es der Name sagt, nicht nur für den Augenblick, sondern strukturell, dauerhaft neue Wege und belastbare Perspektiven zu finden?

In Bremen und Bremerhaven stehen wir mit diesen Fragen nicht allein da. Wir sind in guter und

schwieriger Gesellschaft. Es werden nicht weniger, sondern mehr, die die richtigen Antworten suchen.

Die Bundesregierung versucht mit der Agenda 2010, dem Hartz-Konzept und der Steuerreform, ihren Beitrag zu leisten. Alle Bundesländer kämpfen mit wachsender Verschuldung bei gleichzeitig steigenden Ausgaben für Sozialleistungen und dringendem Investitionsbedarf. Am Anfang waren es das Saarland und Bremen, heute sieht sich die große Mehrheit aller 16 Länder außerstande, einen verfassungskonformen Haushalt aufzustellen. Das Gleiche gilt in bedrängendem Maße für die Kommunen.

Die große Koalition hat ihre Antwort auf diese strategische Herausforderung auf eine prägnante, treffende und nachweislich erfolgreiche Formel gebracht. Sie heißt Sparen und Investieren.

Die Erfolge von acht Jahren Arbeit unter dieser zentralen Überschrift sind unbestreitbar. Damit meine ich nicht nur, dass wir während des gesamten Sanierungszeitraums alle Verabredungen gegenüber dem Finanzplanungsrat erfüllt oder übererfüllt haben. Das ist in guter Ordnung. Da können Politiker in Bremen sehr vorzeigbare Sanierungsberichte bei den Kollegen in Bund und Ländern abliefern und sich umgekehrt ordentliche Zeugnisse abholen. Viel entscheidender ist aber, was im wirklichen Leben, was in den Strukturen der bremischen Wirtschaft, was auf dem Bremer Arbeitsmarkt, was bei den Menschen angekommen ist.

Nur einige wenige, aber wichtige Indikatoren, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Lange Jahre sind wir mit unseren Wirtschaftswachstumsraten abgeschlagen im unteren Drittel aller Länder gelandet. Seit fünf Jahren stehen wir endlich wieder in der Spitzengruppe. Jahrelang sind, wie übrigens in vielen anderen Großstädten auch, die Menschen aus Bremen weggezogen. Jetzt kommen sie zurück. Bremen wächst wieder. Auch in Bremerhaven wächst die Chance, die Abwanderung zu stoppen. Die große Koalition wird es sich auch in den nächsten vier Jahren zur Hauptaufgabe machen, neue Einwohner für unsere beiden Städte zu gewinnen und neue Arbeitsplätze zu schaffen.

Bis über den Vulkan-Konkurs 1996 hinaus haben wir immer wieder Jahr für Jahr mehr Arbeitsplätze verloren, als neue geschaffen. Auch wenn unsere Arbeitslosenzahlen immer noch bedrückend hoch sind, der Trend hat sich umgekehrt. In den letzten drei Jahren ist die Zahl der Erwerbstätigen um über 8700 gestiegen. Zugleich haben wir jeden Euro für die öffentliche Verwaltung dreimal umgedreht und sind bundesweit mit deutlichem Abstand absoluter Tabellenführer beim Sparen. Trotzdem ist das Dienstleistungsangebot für die Menschen in vielen Bereichen bürgerfreundlicher geworden.

„Sparen und Investieren“ ist kein Selbstzweck und keine politische Mode. Sparen und Investieren ist unsere Kurzform für eine umfassende Modernisie

rungsstrategie mit klaren Zielen. Wir wollen Wettbewerbsfähigkeit und Wirtschaftskraft stärken. Wir wollen auf Innovation, neue Unternehmen und Branchen setzen. Wir wollen bestehende Arbeitsplätze sichern und gute Rahmenbedingungen für neue schaffen und, dies ist am Ende das Entscheidende, den Menschen ein verlässliches Fundament, überzeugende Perspektiven und begründete Hoffnung geben. So und nur so sorgen wir gleichzeitig auch für Steuereinnahmen und erarbeiten uns Schritt für Schritt wieder höhere Unabhängigkeit von den Finanzhilfen von Bund und Ländern, auf die uns das Verfassungsgericht Anspruch auf Zeit zuerkannt hat.

Wir haben diesen Anspruch, aber wir sind damit auch Verpflichtungen eingegangen. Bund und Länder helfen uns nach der gleichen Devise, die wir in Bremen auch zum fairen Maßstab für Hilfe gegenüber Schwächeren gemacht haben: Fördern und Fordern. Wir haben eine Verabredung, und danach lautet die begründete Forderung von Bund und Ländern: Liebe Bremer, setzt das zusätzliche Geld bitte so intelligent ein, dass ihr am Ende eurer Sanierung wieder auf eigenen Beinen laufen könnt und ohne unsere Hilfe auskommt! Versucht bitte alles, um eure Strukturprobleme zu bewältigen und eure laufenden Ausgaben wieder mit euren laufenden Einnahmen zu bestreiten! Arbeitet mit aller Kraft auf einen verfassungskonformen Haushalt hin! Kurz: Tut mit aller Energie das, was das Grundgesetz, was eure eigene Landesverfassung und eure Landeshaushaltsordnung euch ohnehin aus gutem Grund abverlangen!

Verfassungskonformer Haushalt, vielleicht muss man doch noch einmal mit einem fatalen Missverständnis aufräumen! Verfassungskonformer Haushalt ist eben kein abstrakter Wert für Verfassungsjuristen, für Volkswirte oder für Finanzpolitiker, kein verquaster Politikjargon und kein listig erfundener Vorwand nach der Devise, jetzt reden sie wieder vom verfassungskonformen Haushalt und meinen Kürzungen der Beamtenbezüge und Schließungen von Schwimmbädern. Nein, die schlichte Wahrheit, die das Grundgesetz meint und fordert, kennt jedes Unternehmen, jeder Handwerksmeister, jede Familie ganz genau, und sie leuchtet jedem direkt und unmittelbar ein. Man kann nicht Monat für Monat, Jahr für Jahr mehr ausgeben, als man einnimmt.

Natürlich kann man auch einmal Schulden machen, wenn man sicher weiß, sie in absehbarer Zeit zurückzahlen zu können. Man kann auch höhere Schulden machen, wenn man das geliehene Geld nicht kurzerhand verfrühstückt, sondern es investiert und zum Beispiel sein Haus damit finanziert. Schließlich steht den Schulden dann ein Gegenwert gegenüber, sogar einer, der langfristig sparen hilft, nämlich die Miete. Eines aber geht nicht: ständig und ohne jede Perspektive, die Schraube je wieder zurückzudrehen, über seine Verhältnisse zu leben. Dann ist man irgendwann am Ende, dann entschei

det man irgendwann nicht mehr selbst über sein Leben, sondern die Gläubiger, der Gerichtsvollzieher oder der Insolvenzverwalter entscheidet.

Das ist der schlichte Kern der Lebensweisheit, den das Grundgesetz uns Politikern auf den Weg gibt und von uns verlangt: Auch wer die Staatskasse verwaltet, muss laufende Ausgaben und laufende Einnahmen in Einklang bringen. Der Senat ist sich einig, auf die kluge Forderung des Grundgesetzes nach einem ausgeglichenen Verwaltungshaushalt ist Sparen und Investieren die einzige, richtige und alternativlose Antwort. Es ist gleichzeitig die einzig richtige Antwort auf den geforderten Strukturwandel und den weltweiten Wettbewerb der Standorte.

Es gibt heute überhaupt keinen Grund, die verbliebenen Aufgaben klein oder die Lage schönzureden, im Gegenteil. Die große Koalition hat in acht Jahren eine Menge geschafft, aber wir sind noch weit entfernt davon, es geschafft zu haben. Ich will die heutige Regierungserklärung nutzen, Ihnen, den Abgeordneten der neu gewählten Bremischen Bürgerschaft, aber vor allem den Bremerinnen und Bremern, den Bremerhavenerinnen und Bremerhavenern zu sagen, wo wir heute stehen, wo wir hin wollen, was wir dafür tun wollen und müssen. Ich tue das übrigens mit dem guten Gewissen, heute nichts anderes zu sagen als vor der Wahl.