Protocol of the Session on June 29, 2004

Es gibt auch zu dem laufenden Fitnessprogramm einfach keine Alternative. Das ist auch keine Bremensie, auch die anderen Länder einschließlich der so genannten reichen süddeutschen oder südwestdeutschen Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen wie wir. Sie sind auch dabei, Vermögen zu veräußern, um ihre Haushalte auszugleichen. Irgendwann ist das auch mit den Vermögensveräußerungen zu Ende. Auch sie stehen vor der gleichen Problematik wie wir, ihre Haushalte zu konsolidieren und ihre Ausgaben zu kontrollieren und zu überprüfen, was sich der Staat heute noch leisten kann.

Für Bremen aber ist natürlich eindeutig, dass ein alleiniges Fitnessprogramm nicht ausreichend sein kann, weil wir schlichtweg als Großstadt ganz andere Ausgabenlasten tragen müssen als ein vergleichbares Flächenland, das ist hier schon angesprochen worden, ob das Sozialhilfe ist, ob das die Benachteiligung bei der Lohnsteuer- respektive Umsatzsteuerzerlegung ist. Deshalb geht es für mich eigentlich darum, dass wir neben unseren Hausaufgaben, die wir hier im Lande erledigen können und müssen, in Zukunft die Rahmenbedingungen für unsere Finanzausstattung verbessern müssen. Bremens Bestand als Bundesland ist in der Verfassung

festgeschrieben, aber leider gewährleistet der bundesstaatliche Finanzausgleich nicht das dafür notwendige ökonomische Fundament.

Es ist eindeutig, dass wir trotz unserer gestiegenen Wirtschaftskraft diese Effekte nicht in unserem Haushalt auf der Einnahmenseite verbuchen können. Sie wissen, dass durch die Steuerzerlegung und durch die Mechanismen des Finanzausgleichs über 90 Prozent abfließen und dass wir damit auch andere Länder unterstützen. Das hat die Mai-Steuerschätzung ja auch noch einmal eindeutig gezeigt. Unser originäres Steueraufkommen ist gewachsen, und trotzdem verbleibt im Staatssäckel einfach weniger Geld. Deshalb muss dieser ungerechte Verteilungsmechanismus geändert werden. Ich bin der Auffassung, dass das die eigentliche entscheidende Zukunftsaufgabe ist neben dem, was wir hier machen müssen, dass wir das Thema im kritischen Dialog mit dem Bund und den anderen Ländern erörtern und dass wir hier Veränderungen erreichen müssen.

Ich sage aber andererseits, und das nehme ich so wahr, dass das auch eine sehr große Geschlossenheit in Bremen und Bremerhaven erfordert. Es muss uns gelingen, das Bewusstsein für die Eigenständigkeit Bremens in die Köpfe und die Herzen der hier lebenden Menschen zu transportieren, hier zu verankern. Ich bin überzeugt davon, dass Politik den Menschen am besten dienen kann, je größer die Nähe zwischen Bevölkerung und politischem Entscheidungszentrum ist. Nirgendwo sind die Voraussetzungen so gut wie hier in Bremen.

Ich will hier noch einmal ein Beispiel geben. Ich war letzten Donnerstag bei der Finanzministerkonferenz, bei der alle Kollegen und auch Herr Eichel anwesend waren. Wir waren in Dortmund. Da habe ich etwas gelernt. Als wir dort ankamen, hat der Oberbürgermeister von Dortmund, Herr Langemeyer, eindrucksvoll auf die große Bedeutung dessen hingewiesen, was aus meiner Sicht in Bremen manchmal vielleicht zu wenig beachtet wird, nämlich die Selbständigkeit. Er hat uns erzählt, dass Dortmund im Jahr 1802 als ehemalige Hansestadt in der Folge der Napoleonischen Kriege ihren Status als reichsunmittelbare Stadt, das heißt als selbständige freie Stadt, verloren hat. Er sagte, auch damals habe man in Dortmund lange gestritten, ob es in einer wirtschaftlichen Krise, die man damals hatte, nicht besser sei, den Anschluss an Preußen zu suchen. Wie es ausgegangen ist, wissen wir. Dortmund hat seine Unabhängigkeit nach über 800 Jahren, älter als Bremen, verloren. Heute trauert er in vehementen Worten dieser Unabhängigkeit nach. Deshalb meine ich, wir müssen den Menschen im Lande vermitteln, dass die Aufgabe der Eigenständigkeit Bremens immer nur die zweitbeste Lösung ist und dass es auch politische Selbständigkeit nicht zum Nulltarif gibt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Deshalb bedeutet die Sanierung Bremens und auch die Fortsetzung dieser Sanierung auch Verzicht. Es bedeutet Verzicht, und es bedeutet auch eine Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte in Bremen, aller Bürger und Bürgerinnen, aber genauso der lokalen Wirtschaft, Politik und Verwaltung. Ich bin davon überzeugt, dass wir diese politische Herausforderung gemeinsam meistern werden. Der konstruktive Dialog innerhalb der großen Koalition und das erfolgreiche Ringen um die besten Lösungen bei der Haushaltsaufstellung machen jedenfalls Mut für die Zukunft. Ich wünsche mir, dass auch die Opposition mitzieht und bei ihren Parteifreunden, ich sagte das eben schon, die an anderen Regierungen beteiligt sind, heftig für Bremen kämpfen wird.

(Beifall bei der SPD)

Zum Abschluss möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei all denen bedanken, die an der Entstehung dieses Doppelhaushalts beteiligt waren, insbesondere bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, aber auch bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Hauses. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Als nächster Redner hat das Wort der Abgeordnete Böhrnsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe nicht geahnt, dass Finanzsenatoren untereinander so offene Worte pflegen wie Senator Dr. Nußbaum eben zu Thilo Sarrazin, aber ich kann aus eigener Anschauung bestätigen, dass Thilo Sarrazin es sich redlich verdient hat, was wir eben gehört haben.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich habe mich nicht gemeldet, um mit Herrn Kastendiek in einen Wettstreit darüber einzutreten, wessen Handschrift in diesem Haushalt nun mehr erscheint, rot oder schwarz.

(Zuruf von der CDU)

Ich glaube, in einer gut funktionierenden Koalition, und eine solche sind wir, müssen sich beide Partner in diesem Haushalt wiederfinden, und ich sage für die SPD: Wir finden uns in diesem Haushalt wieder.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich will aber auch gern sagen, diese Haushaltsaufstellung war keine Lust, sondern sie war eine Last. Es ist eine quälende Haushaltsaufstellung gewesen. Ich finde, zur Wahrheit

gehört auch dazu, dass es keinem von uns leicht gefallen ist, über Einschnitte und Einsparungen zu reden und am Ende zu entscheiden, die uns alle weh tun und für die wir für Verständnis in dieser Stadt werben müssen. Das, glaube ich, gehört dazu, dass man das auch noch einmal sagt.

Meine Damen und Herren, ich möchte mich aber insofern mit Herrn Kastendiek auseinander setzen, als er die Investitionen angesprochen hat. Herr Kastendiek, es gibt doch überhaupt keine Meinungsverschiedenheiten zwischen der SPD und der CDU darüber, dass wir auf dem Kurs des Investierens ebenso wie auf dem des Sparens fortfahren müssen und wollen. Es gibt auch keine Meinungsunterschiede über Quoten. Wir haben übrigens im Sanierungssicherstellungsgesetz eine Quote festgelegt, die wir einmal als Untergrenze bezeichnet haben. Sie liegt bei 14,2 Prozent, wenn ich mich richtig entsinne. Wir sind jetzt real bei über 18 Prozent.

Über Quoten, glaube ich, reden wir nicht. Quoten allein aber sind noch keine Politik. Quantität ist nicht Qualität,

(Beifall bei der SPD)

sondern Qualität muss in die konkrete Investitionsentscheidung. Darum geht es, und darüber unterhalten wir uns. Die Auseinandersetzung, die wir in den letzten Tagen gehabt haben, ging doch von den Koalitionsverhandlungen aus. Wir halten, so haben wir da festgestellt, an diesem Kurs fest. Wir haben mehr Projektideen, Vorstellungen, gute Ideen, als wir Geld zur Verfügung haben. Da muss man eine Auswahl treffen. Da muss man Prioritäten setzen. Um diese Frage geht es und auch um die Frage, wie weit man in die Zukunft greift.

Frau Linnert, dass man bei Investitionen in die Zukunft greift, das ist im Privaten auch so. Wahrscheinlich kann kaum einer von uns sein Einfamilienhaus bar bezahlen, sondern muss es aus dem Einkommen der Zukunft finanzieren, und so machen wir das öffentlich auch. Man muss nur aufpassen, dass man mit dem Geld der Zukunft auch wirklich Zukunft baut. Das ist die entscheidende Frage.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das heißt, man muss darauf achten, dass man sich für Projekte entscheidet, die solche sind, auf die unsere Nachfolger in zehn, in 15 Jahren zurückschauen und sagen, ja, sie haben es richtig gemacht, dass sie sich 2004 dafür entschieden und dafür das Geld ausgegeben haben. Darum ringen wir, darüber streiten wir, das ist die Frage, um die es geht.

Herr Kastendiek, ich muss leider sagen, Sie haben den Senatsbeschluss augenscheinlich immer noch nicht verstanden. Ich habe das schon Ihrer Pressemitteilung entnommen. Es ist nicht mehr so, dass wir sagen, ein Drittel streichen und zwei Drittel in

die Zukunft strecken. Nein, wir haben jetzt ein anderes Verhältnis! Wir haben eine Quotenregelung, und das ist vernünftig. Wenn Sie es noch nicht verstanden haben, lesen Sie es noch einmal nach, dann werden Sie die Vernunft in dieser Regelung empfinden. Wir wollen dafür sorgen, dass wir eben nicht an einem Tag oder an mehreren Tagen die Millionen verplanen. So etwas gab es ja schon, Frau Linnert, 1999, 2003 hat es auch solche Wirtschaftsförderungsausschusssitzungen gegeben, in denen man innerhalb weniger Stunden Hunderte von Millionen bewegt hat. Es ist viel vernünftiger, step by step über einzelne Investitionsvorhaben zu entscheiden und Jahr für Jahr Tranchen zu bilden. Das haben wir erreicht, und darauf sind wir stolz.

(Beifall bei der SPD)

Frau Linnert, Sie haben, wie haben Sie das gesagt, von Grundirrtümern gesprochen, die Sie der Koalition vorhalten. Ich will mich überhaupt nicht drücken, auch darauf einzugehen, aber ich hätte mich viel lieber mit einer alternativen Finanzperspektive der Grünen auseinander gesetzt.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Da muss man nur feststellen: Fehlanzeige! Das ist ein Armutszeugnis der Opposition, dass wir hier nichts von Ihnen gehört haben.

Frau Linnert, Sie haben hier jetzt schon zum wiederholten Male gesagt oder uns geraten, sagt doch als große Koalition, die Sanierung habt ihr nicht erreicht. Sagt es doch!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Das ist doch auch einfach so!)

Schauen Sie doch noch einmal zurück! Was ist denn die bremische Sanierung? Seit Anfang der neunziger Jahre sind es immer zwei Teile dieser Sanierung. Das ist die Haushaltssanierung, und das ist der bremische Strukturwandel, über den wir auch die Haushaltssanierung befördern wollen. Wenn Sie sich diese beiden Teile ansehen, dann muss man sagen: Ja, die Haushaltssanierung ist nicht gelungen, sonst würden wir uns nicht hier über diesen Haushalt quälen. Sie ist nicht gelungen, sie konnte nicht gelingen, weil wir zwei historische Einbrüche in der Phase 1994 bis 1998 hatten, und jetzt in der Phase bis 2004 haben wir Konjunktureinbrüche gehabt, die uns die Einnahmeseite richtig in den Keller gefahren haben. Deswegen ist es nach wie vor richtig, wenn gesagt wird, wir haben kein Ausgabeproblem, wir haben ein Einnahmeproblem. So, das ist die Wahrheit, und in diesem Bereich brauchen wir auch weitere Hilfe!

Die andere Seite aber ist der wirtschaftliche Strukturwandel in Bremen! Frau Linnert, wir haben schon

in der ersten Lesung darüber diskutiert. Ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie das stereotyp weiter wiederholen. Bremen ist Stadt der Wissenschaft!

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Das ist doch nicht nur ein Symbol. Das ist doch real, was da in Bremen passiert ist. Das ist doch real, was in den letzten Jahren passiert ist. Der Jobmotor Wirtschaft und Wissenschaft, da kann man doch nicht sagen, das ist alles nichts gewesen!

(Abg. Frau L i n n e r t [Bündnis 90/Die Grünen]: Wo spiegelt sich das in den Zah- len wider?)

Genau das ist der Punkt! Lassen Sie uns deswegen die beiden Seiten betrachten! Der wirtschaftliche Strukturwandel Bremens ist ein gutes Stück vorangekommen. Wir sind auf einem guten Weg und setzen ihn auch fort.

(Beifall bei der SPD und bei der CDU)

Die Frage der Haushaltssanierung hängt damit zusammen, dass das, was wir an Wirtschaftskraft generieren, sich eben nicht in unseren Steuereinnahmen wiederfindet. Das ist das eine Problem, daran müssen wir arbeiten.

Noch einmal das Stichwort „Kanzlerbrief“, auch zu Herrn Kastendiek gesagt: Herr Kastendiek, ich glaube, Henning Scherf und Ulrich Nußbaum nehmen die Verantwortung, in Berlin für die Umsetzung des „Kanzlerbriefs“ zu verhandeln, zu arbeiten, sich zu engagieren, gern an. Es geht aber nicht, die Vergangenheit zu verklären oder falsch darzustellen. Was war denn? Finanzsenator Perschau hat in Berlin keinerlei Gesprächskontakte gehabt, aber er hat uns in jedem Jahr all die Mindereinnahmen und Mehrausgaben lustig auf den „Kanzlerbrief“ geschrieben, und jetzt muss er umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD)

Vielleicht gab es ja keine Alternative dazu. Ich will das jetzt gar nicht als persönlichen Vorwurf ansehen, aber es geht nicht, vor dem Hintergrund einer solchen Vergangenheit heute zu sagen, nun geht einmal nach Berlin, wir stellen uns an die Seite und schauen einmal, was da herausgekommen ist. So geht es nicht, das ist auch eines Koalitionspartners nicht würdig, da müssen Sie sich anders verhalten, meine Damen und Herren!

(Beifall bei der SPD)

Noch eine Bemerkung zu der Frage: Wie geht es weiter? Ich glaube, dass sich im Laufe dieses Jahres der Zeitpunkt ergeben wird, zu dem wir uns im Sin

ne einer Zwischenbilanz fragen müssen: Was ist aus den Risiken und aus den Chancen unseres Haushalts geworden? Was ist aber auch aus der großen Einnahmeposition, über 500 Millionen Euro, geworden, die im Haushalt steht? Das kann man jetzt noch nicht sagen, aber man wird es, jedenfalls für das Jahr 2005, spätestens dann sagen, wenn der Bundestag im Dezember den Bundeshaushalt beschlossen hat. Dann wird man sich fragen müssen: Wie geht es weiter? Ich finde, da muss man redlicherweise sagen, wenn über den „Kanzlerbrief“ keine strukturelle Besserstellung Bremens unmittelbar über den Finanzausgleich erreicht werden kann, dann muss man über andere Schritte und Wege nachdenken, wie man auf einen solchen Zug kommen kann. Da, meine Damen und Herren, finde ich eigentlich, dass man gar nicht früh genug anfangen kann zu denken. Die Entscheidungen wird man später treffen müssen, aber denken muss man. Da empfehle ich uns, dass wir vielleicht gemeinsam und nicht parteipolitisch separiert darüber nachdenken. Übrigens gibt es sowohl in Hamburg als auch in Berlin in den Landtagen solche Anstrengungen über Enquetekommissionen, das kann man für richtig oder für falsch halten, aber jedenfalls eine gemeinsame Anstrengung, über die Zukunft der Stadt oder des Bundeslandes nachzudenken ist nötig. Da wird sich doch die Frage stellen: Ist es ein Weg, über eine verbesserte Einwohnerwertung zu einem Ziel zu kommen? Ist es ein Weg über die Frage Haushaltsnotlage und eine mögliche dritte Sanierungstranche, oder geht es um andere Dinge? Darüber muss man nachdenken. Letzte Bemerkung, weil meine Kollegin Wiedemeyer zu Recht auf die Zeit zeigt: Frau Linnert, wir haben Ihnen schon mehrfach gesagt, es geht nicht um die Frage sparen oder nicht sparen, verfassungskonform oder nicht verfassungsgemäß ist dann auch nicht die Alternative zu sparen oder nicht sparen, sondern es geht darum, wenn man sparen muss, wie man spart. Da sage ich Ihnen nur ganz allgemein und ganz pauschal: Seien Sie ganz sicher, die SPD in Bremen wird auch unter diesen schwierigsten Rahmenbedingungen weiterhin für eine soziale Politik stehen. – Danke!

(Beifall bei der SPD)