Protocol of the Session on March 17, 2004

Immerhin können wir positiv festhalten, dass es keinen faulen Kompromiss gegeben hat, denn ein Nizza-II-Vertrag, das haben wir in den Europadebatten in diesem Parlament immer vertreten, wäre keine Lösung, sondern würde mehr Probleme im europäischen Haus schaffen und diese für Jahre zementieren. Man kann nur hoffen, dass das vorläufige Scheitern die Einsicht befördert, dass es eine Lösung auf der Grundlage des Entwurfs des Konvents mit den bereits in der Regierungskonferenz erzielten Kompromissen geben wird. In diesem Zusammenhang sage ich nicht zum ersten Mal: Jetzt noch darauf zu satteln und Forderungen nachzuschieben, damit würde nicht nur die Autorität des Konvents und seines Entwurfs in Frage gestellt, nein, erschwert würde damit auch, dass die weiteren Beratungen zu einem guten Ergebnis führen.

Meine Damen und Herren, das Unken und Orakeln über Kerneuropa, über verschiedene Geschwindigkeiten muss aufhören. Wer hier auch immer glaubt, dass das Scheitern des Gipfels zumindest den Vor

teil hat, im Zusammenhang mit der Verfassung beispielsweise über die neue Finanzverteilung zwischen Gebern und Nehmern verhandeln zu können, dazu kann ich nur sagen, diejenigen haben von Europa wenig begriffen. Das Ziel muss sein, die Einsicht in die europäisch gebotene Vernunft zu mehren. Diese Vernunft liegt in Gestalt der europäischen Verfassung auf dem Tisch. Lassen Sie uns vernünftig sein, denn für unsere gemeinsame europäische Zukunft müssen wir streiten! Dies heißt, wir müssen für den Entwurf des Konvents streiten, denn die Bürgerinnen und Bürger sollten wissen, was die Grundlage der Europäischen Union ist, wenn sie im Juni, also genau in 89 Tagen, zur Europawahl gehen. Wir dürfen jetzt keine Zeit verlieren. Es gilt, neuen Mut zu fassen, es gilt, nach neuen Lösungen zu suchen. Europa bedeutet Geben und Nehmen, es bedeutet, Kompromisse zu schließen.

(Beifall bei der SPD – Präsident W e b e r übernimmt wieder den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, die so genannte doppelte Mehrheit, an deren Frage letztlich die Verfassung gescheitert ist, ist eine kluge Konstruktion. Die doppelte Mehrheit muss einfach kommen, und zwar möglichst im Verhältnis 50 zu 60. Gemeint ist damit, dass Mehrheitsentscheidungen im EU-Rat künftig getroffen sind, wenn hinter der Zustimmung 50 Prozent der Staaten und 60 Prozent der von den Regierungen repräsentierten Bevölkerung stehen. Eine erweiterte Union mit 25 Mitgliedsstaaten muss einfach die Blockademöglichkeit einschränken, um handlungsfähig zu bleiben.

(Beifall bei der SPD)

Ich habe Verständnis dafür, dass Polen mit der Abgabe von Souveränität Schwierigkeiten hat. Dieses Land hat sich erst vor wenigen Jahren vom Joch des Kommunismus befreit. Nur, diese Diskussion hätte man natürlich im Vorfeld des Beitritts mit Polen führen müssen. Umso erfreulicher ist es, dass die Vorsitzenden der Europaausschüsse der Parlamente von Frankreich, Deutschland und Polen bei ihrem Treffen in Berlin am 28. Januar 2004 forderten, eine EUVerfassung noch vor den EU-Wahlen am 13. Juni zu beschließen.

Mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich die Aussage des Vorsitzenden des EU-Ausschusses in der französischen Nationalversammlung, Pierre Lequiller: „Es wird sehr schwierig, Wahlen abzuhalten, ohne über eine konkrete Verfassung sprechen zu können.“ Eine eindeutige Aussage, der ich meinerseits nichts mehr hinzuzufügen habe!

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag „Am Ziel einer Europäischen Verfassung festhalten!“ wollen wir allen Gedankenspielen über ein eventuelles Kerneuropa eine Absage erteilen, solange es

noch die Hoffnung gibt, sich auf eine Verfassung für alle zu einigen.

(Beifall bei der SPD)

Im Antrag bitten wir deshalb den Senat, sich weiter gemeinsam mit den übrigen Ländern und gegenüber der Bundesregierung für einen EU-Verfassungsvertrag auf der Grundlage des Konvententwurfes einzusetzen. Wir gehen davon aus, dass die Regierungschefs der Länder zu ihrem Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz am 18. Dezember 2003 stehen. Bund und Länder stimmen darin überein, dass der vom Konvent vorgelegte Vertragsentwurf Grundlage aller weiteren Verhandlungen sein muss trotz teilweise unterschiedlicher Bewertungen zu einzelnen Vertragsbestimmungen.

Das nächste Treffen der Staats- und Regierungschefs ist für den 25. und 26. März 2004 geplant, also nächste Woche. Auf dieser Konferenz darf der Verfassungsentwurf nicht zerfleddert werden. Den Anstrengungen der irischen Präsidentschaft, in bilateralen Gesprächen mit den Mitgliedsstaaten die Einigungsmöglichkeiten auszuloten, gilt unsere volle Solidarität. Der Verfassungsentwurf ist mehr als nur Ausgangspunkt, er ist in seiner Ausgewogenheit, seinem Gleichgewicht und in allen wesentlichen Elementen die Lösung.

Meine Damen und Herren, mit unserem Antrag solidarisieren wir uns mit der Resolution des EUParlaments vom 21. Dezember 2003. Das EU-Parlament hat mit großer Mehrheit von vier Fraktionen, Konservativen, Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen, einen Beschluss über die erste europäische Verfassung bis zum 1. Mai 2004, dem Datum der Aufnahme von zehn Beitrittsstaaten, gefordert. In der Entschließung stellt das EU-Parlament das Scheitern der Methode der Regierungskonferenz fest und erinnert an die Effizienz des europäischen Parlaments. Weiter wird zutiefst bedauert, dass es dem Europäischen Rat nicht gelungen ist, eine umfassende Einigung zu erzielen. Das bisher Erreichte darf nicht zerlaufen. Das Momentum für den Konventstext darf nicht verloren gehen.

Wenn wir am 13. Juni 2004, also in 89 Tagen, vor unsere Wähler treten werden, müssen wir ihnen ein Projekt für Europa anbieten, das zu den Kernaussagen aus dem Beschluss des EU-Parlaments am 21. Dezember 2003 steht. Nicht mehr und nicht weniger beinhaltet auch unser gemeinsamer Antrag „Am Ziel einer Europäischen Verfassung festhalten!“ an den Senat die Aufforderung, sich in den entsprechenden Gremien auf Länderebene und gegenüber der Bundesregierung dafür einzusetzen, die europäische Verfassung auf Grundlage des Konvententwurfes so schnell wie möglich Realität werden zu lassen. – Herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Speckert.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Am 1. Mai 2004 wird die EU um zehn Länder wachsen. Die EU-Osterweiterung ist wohl das einschneidendste Ereignis der europäischen Einigung, ein elementarer Fortschritt, der die Menschen in Europa näher zusammenbringt. Angesichts dieser Entwicklung müssen auch die Rahmenbedingungen der Union verändert werden. Die EU muss handlungs- und entscheidungsfähiger sein.

Der Verfassungsentwurf des EU-Konvents wird diesem Anspruch gerecht. Es ist daher von grundlegender Bedeutung, ihn endlich auf den Weg zu bringen. Die jetzige Situation ist nur eine Belastung für die erweiterte Union.

Meine Damen und Herren, der Weg Europas ist ein ständiger Prozess, aber wir sind weiter auf dem besten Weg dahin. Eine Alternative zur EU gibt es nicht, um in Zukunft Wohlstand und Sicherheit für die europäischen Gesellschaften zu gewährleisten. Einzelne Staaten allein sind angesichts der Herausforderungen nicht fähig, die Probleme zu lösen. Dazu brauchen wir die Europäische Union. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion begrüßt die Vorlage des Entwurfes für eine Verfassung der Europäischen Union durch den Konvent. Der Konvententwurf trägt in bestimmten Punkten auch die Handschrift der CDU, auch wenn wir uns einen Gottesbezug in der Präambel gewünscht hätten.

Wir danken hier noch einmal ausdrücklich dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Erwin Teufel, der als Mitglied im Konvent die deutschen Bundesländer vertreten hat.

Unserer Auffassung nach kommen die Vorschläge des Konvents zur Weiterentwicklung der europäischen Integration dem Ziel einer handlungsfähigeren, transparenteren und demokratischeren Gemeinschaft näher. Zu begrüßen sind insbesondere die institutionellen Reformvorschläge. Wir sehen hier eine wichtige Bedingung für die EU-Erweiterung. Leider ist es an Polen und Spanien gescheitert. Erstmals ist es gelungen, eine klare Kompetenz zur Ordnung über die Zuständigkeit der Europäischen Union mit einer Einteilung und Auflistung der Kompetenzkategorien festzulegen.

Außerdem muss die Europäische Union dort, wo sie zuständig ist, die Prinzipien der begrenzten Einzelermächtigung, der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit beachten. Damit sind allgemeine Zielformulierungen nicht mehr kompetenzbegründend. Alle diese Festlegungen unterliegen einer Kontrolle durch die nationalen Parlamente. Das neue Klagerecht verbindet die verschiedenen Ebenen noch enger und fordert die europäische Ebene auf, sich noch stärker an den Belangen der Staaten auszurichten. Alle Teile des Verfassungsvertrages haben

die gleiche Rechtsqualität. Durch den Verfassungsvertrag wird die EU stärker als bisher als Wertegemeinschaft definiert.

Bei der Tagung des Europäischen Rates am 19. und 20. Juni 2003 im griechischen Thessaloniki legte der Europäische Konvent den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union das Ergebnis vor. In der Erklärung von Thessaloniki begrüßt der Europäische Rat den Entwurf des Vertrages über die Verfassung, stellt heraus, dass dieser Entwurf ein historischer Schritt zur Förderung des Ziels der europäischen Integration ist und im Wortlaut auf der kommenden Regierungskonferenz zum Ende des Jahres 2003 eine gute Ausgangslage bildet.

Ziel war es, dass die Regierungskonferenz am 13. Dezember 2003 in Brüssel dann die Arbeit möglichst abschließt, so dass der Verfassungsvertrag unmittelbar nach dem Beitritt der neuen EU-Mitglieder am 1. Mai 2004 und noch vor den turnusgemäßen Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004, an denen die neuen EU-Mitglieder erstmals teilnehmen, unterzeichnet werden kann.

Meine Damen und Herren, wenn das so beschlossen worden wäre, hätten wir heute unseren gemeinsamen Antrag nicht in die Bürgerschaft einbringen müssen. Der 13. Dezember 2003 war kein guter Tag für Europa. Das Scheitern dieses Gipfels und der Regierungskonferenz darf kein Scheitern der Verfassung bedeuten. Die Verfassung ist die Voraussetzung, damit Konflikte auf Grundlagen des Rechtes gelöst und die europäischen Werte definiert und in der Welt verteidigt werden.

Die Alternative ist der Rückfall in die bloße Zusammenarbeit von Regierungen und Achsenbildungen zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten. In diesem Zusammenhang gilt es doch noch einmal deutlich zu machen, dass die CDU-Bürgerschaftsfraktion Überlegungen zu einem so genannten Kerneuropa nicht glücklich findet. Es sollten doch möglichst alle Länder die Entscheidungen und Entwicklungen der EU mittragen. Dass die These vom Kerneuropa kein Weg in eine gemeinsam gestaltete Zukunft ist, hat lobenswerterweise mittlerweile auch Außenminister Fischer vom Bündnis 90/Die Grünen erkannt, der seine These in seiner Humboldt-Rede vom Jahr 2000 am 6. März 2004 in der „FAZ“ korrigierte. Ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten: „Die verstärkte Zusammenarbeit wird sich kaum noch auf ein Kerneuropa beziehen.“ Ein sehr lesenswertes Interview!

Zurückgehend auf unseren gemeinsamen Antrag fordern wir deshalb, dass auf der Grundlage der Reformvorschläge des Europäischen Konvents in der kommenden Regierungskonferenz unter der irischen Präsidentschaft am 25. und 26. März 2004 in Brüssel der weitere Fahrplan für die abschließende Beratung noch im ersten Halbjahr 2004 festgelegt wird.

Die EU-Verfassung darf nicht erneut über den Streit um die künftige Gewichtung bei Mehrheits

beschlüssen scheitern. Spanien und Polen hatten im Dezember das Prinzip der doppelten Mehrheit abgelehnt. Laut Verfassungsentwurf heißt das, Beschlüsse kämen nur zustande, wenn sie von mehr als 50 Prozent der Staaten getragen werden, die zugleich mehr als 60 Prozent der Bevölkerung repräsentieren. Die Bundesregierung hatte in der Regierungskonferenz im Dezember 2003 strikt an dieser Position festgehalten. Berichterstattungen zufolge geht die Bundesregierung mittlerweile in die richtige Richtung, den kleinen Mitgliedstaaten etwas Gutes zu tun. Das stimmt mich optimistisch.

So soll an der doppelten Mehrheit festgehalten werden, nicht aber an den Prozenten. Eine mögliche Formel sei, dass die Mehrheit 55 statt 50 Prozent der Staaten und 55 statt 60 Prozent der Bevölkerung benötigt würde. Damit würde ein Staat für Mehrheiten gebraucht, während das Blockierungsgewicht der großen Länder verringert wird. Die Stimmen Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens würden für eine Blockade nicht mehr ausreichen.

Wir unterstützen diese Entwicklung. Signale aus Warschau sind noch nicht bekannt. Es kommt jetzt auf die Initiativen der amtierenden irischen Ratspräsidentschaft an. Sie kann auf dem Gipfel im März einen Vorschlag vorlegen und eventuell im Mai einen Sondergipfel einberufen. Wir unterstützen deshalb den vorgelegten gemeinsamen Antrag. Die CDU-Bürgerschaftsfraktion hofft in diesem Sinne, der Europäische Rat wird seine Entscheidung treffen.

Lassen Sie mich abschließend aus der Präambel des Verfassungsentwurfs, mit Erlaubnis des Präsidenten, zitieren: „Schöpfend aus den kulturellen, religiösen und humanistischen Überlieferungen Europas, deren Werte in seinem Erbe weiter lebendig und die zentrale Stellung des Menschen und die Unverletzlichkeit und Unveräußerlichkeit seiner Rechte, sowie den Vorrang des Rechtes in der Gesellschaft verankert haben, sind wir übereingekommen, uns auf eine Verfassung für Europa zu verständigen.“ – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall bei der CDU)

Als nächste Rednerin hat das Wort die Abgeordnete Frau Dr. Trüpel.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben heute einen interfraktionellen Antrag zum europäischen Verfassungsentwurf vorgelegt. Wir haben vor etlichen Wochen schon einmal hier in diesem Hause darüber gesprochen und uns einvernehmlich, zumindest in allen großen demokratischen Fraktionen, darauf verständigt, den Verfassungsentwurf gutzuheißen und die Konventsmethode als eine besonders positive Methode hervorzuheben. Wir wa––––––– *) Von der Rednerin nicht überprüft.

ren gemeinsam davon überzeugt, und das ist heute nicht anders, dass dieser Verfassungsentwurf ein guter Kompromiss ist, und es wäre, wie mein Vorredner und meine Vorrednerin schon gesagt haben, ein gewaltiger Schritt in Europa nach vorn, wenn es uns gelingen würde, diesen Verfassungsvertrag bald zu verabschieden.

Ich möchte mit zwei grundsätzlichen Bemerkungen beginnen. Erstens: Nicht die EU-Verfassung ist gescheitert, sondern die Regierungskonferenz im Dezember in Rom ist gescheitert, und das ist etwas anderes. Zweitens möchte ich noch einmal ein paar grundsätzliche Bemerkungen zu Europa machen: Wir befinden uns im Vorfeld der Europawahlen, Herr Nalazek hat eben gesagt, es sind nur noch 89 Tage.

Angesichts vieler anti-europäischer Unkenrufe links- und rechtspopulistischer Argumente gegen Europa möchte ich feststellen, dass sich die Grünen als eine pro-europäische Partei verstehen. Warum sind wir für Europa? Wir sind davon überzeugt, dass wir gemeinsam stärker sind, dass wir den Nationalismus in Europa überwinden müssen und wollen, der im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert soviel Elend und Kriege über unseren Kontinent gebracht hat. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass wir die großen anstehenden Fragen, sei es Umweltpolitik, Klimaschutz, Umbau der Landwirtschaft, aber auch die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nur gemeinsam bewältigen können, und nach den schrecklichen Anschlägen in Madrid können wir auch den Kampf gegen den Terrorismus nur gemeinsam angehen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, allein kann kein europäisches Land die großen Probleme lösen, das geht nur gemeinsam. Deswegen sind wir eine pro-europäische Partei, die Europa politisch gestalten will in sozialer Hinsicht, in ökologischer Hinsicht, und wir zielen auf Integration.

Ich möchte noch einmal kurz ein Beispiel erwähnen, weil wir alle, wenn wir Europawahlkampf machen und mit Menschen in den Stadtteilen, in den Beiräten sprechen, es doch schnell immer wieder auch mit anti-europäischen Ressentiments zu tun haben. Ich habe ein schönes Beispiel in der letzten Zeit gehört, das ich besonders eindrücklich fand. Es gibt viele Menschen, die immer Standardabsenkungen befürchten, sei es in sozialer oder auch ökologischer Hinsicht. Letztens erzählte mir ein polnischer Wissenschaftler, dass er vor ein paar Jahren in Polen die Milch nicht gekauft habe, weil sie einfach schlecht war vom Qualitätsstandard. Mittlerweile sei, da die europäischen Standards gelten, auch die Milch in Polen so gut und lecker geworden, dass er sie dort gern kaufe. Ich denke, solche Beispiele sind einfach überzeugend, und damit müssen wir auch für Europa werben, dass die Menschen in ihrem alltäglichen

Leben von Europa etwas haben und ihnen nicht etwas weggenommen wird.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Meine Damen und Herren, am 1. Mai werden nun zehn mittel- und osteuropäische Staaten sowie Malta und Zypern beitreten. Das markiert die Überwindung der Spaltung unseres Kontinents, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auseinander gerissen war. Ich glaube, man kann gar nicht genug wertschätzen, was für eine riesengroße Chance es für unseren Kontinent ist, vor allem sich wirklich als ein politisches Projekt zu verstehen. Wir sind eben nicht nur eine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern wir sind eine politische Wertegemeinschaft. Das gilt es im Bewusstsein der Regierungen, aber auch der Bürgerinnen und Bürger zu festigen und auszubauen.

Ich finde es auch besonders bemerkenswert, dass unser neues Europa von seinem Selbstverständnis her ja nicht gerade ein Bundesstaat ist und sein soll wie die Vereinigten Staaten von Amerika, sondern das, was wir vorhaben, ist auch historisch etwas Neues. Es ist ein Staatenbund, der sich aus 25 und demnächst 27 Nationalstaaten zusammensetzt, die bestimmte Kompetenzen an die supranationale Ebene abgeben und trotzdem ein Bund der Bürgerinnen und Bürger dieser vielen Mitgliedsstaaten sein soll. Damit schicken wir uns an, historisch wirklich etwas Einmaliges zu machen, und ich finde, man kann stolz darauf sein, dass wir etwas vorhaben, was es so in der Geschichte noch nicht gegeben hat und was ungeheure Chancen birgt. Es gibt natürlich auch immer Risiken, aber ich finde, die Chancen überwiegen bei weitem.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

So können wir feststellen, dass der Konvent schon zum großen Teil einen politischen Selbstverständigungsprozess geleistet hat. Europa ist eben nicht nur die Überwindung der Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland, und es ist eben nicht nur ein Kerneuropa, darauf ist bereits hingewiesen worden. Ich fand es übrigens interessant, Frau Speckert, dass Sie zwar die bemerkenswerte Rede von Joschka Fischer angeführt haben, aber was Herr Schäuble eigentlich zu Kerneuropa sagt und ob er sich davon kritisch abgewandt hat, das haben Sie dann lieber verschwiegen. Ich erkläre hier ganz deutlich: Wir sind keine Anhänger der Gedanken eines Kerneuropa oder von verschiedenen Geschwindigkeiten, sondern wir wollen wirklich ein Europa, das integriert ist und das große und kleine Staaten, westeuropäische, mittel- und osteuropäische, zusammen mit in die politische Zukunft Europas nimmt.

Darum ist dieser Entwurf für einen Verfassungsvertrag ein großer politischer Schritt in die Zukunft Europas, und im Konvent ist von daher auch schon

die Finalitätsdebatte Europas geführt worden, was die Zielbestimmung unseres Integrationsprozesses ist. Der Konvent hat die verschiedenen Traditionen Europas zusammengeführt: die der sechs Gründungseuropäer, der Südeuropäer mit ihren anderen Erfahrungen der überwundenen Diktaturen, Griechenland, Spanien, die pragmatischen Nordeuropäer, die jetzt hinzukommenden Europäer aus den mittel- und osteuropäischen Staaten, die die Erfahrungen mit der sowjetischen Diktatur über fünf Jahrzehnte erdulden mussten. Wenn man sich schon diese verschiedenen Traditionen und Geschichten der beteiligten Staaten anschaut, sieht man natürlich, dass es nicht einfach sein wird, aber dass darin gerade vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Geschichtsverständnisse und auch Politiken in diesen Ländern auch eine ungeheure Potenz und eine sehr große Chance liegt, daraus ein größeres gemeinsames Europa zu bauen.