Protocol of the Session on March 17, 2004

Ich glaube, wir sollten unsere Chance nutzen, die wir als Land Bremen haben, als ein Stadtstaat, der modernisiert ist, der hervorragende Arbeit leistet im Bereich von Verwaltungsreform, und wir sollten die Chancen nutzen, die auch in unserer Kleinheit liegen. Vielleicht können wir den anderen damit zeigen, dass es doch nicht ganz überflüssig ist, dass

wir dieses System haben und Bremen als Stadtstaat auch manchmal eine wichtige Vorreiterrolle spielen kann. – Danke!

(Beifall bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Kastendiek.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema Bürokratie und Entrümpelung hat uns in diesem Haus in den vergangenen acht Jahren schon das eine oder andere Mal beschäftigt. Bürokratie gilt als mühselig, langwierig, behindert und belastet nicht nur Bürger, sondern belastet insbesondere mittelständische Unternehmen, was wiederum auch der Schaffung neuer Arbeitsplätze entgegensteht.

Das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn hat folgende Daten über die Bürokratiebelastung in Deutschland erhoben: Bei Kleinbetrieben, also Unternehmen von einem bis neun Mitarbeitern, liegen die Kosten der Bürokratie pro Mitarbeiter bei 4361 Euro im Jahr, bei typisch mittelständischen Unternehmen zwischen 50 und 99 Mitarbeitern sind es 1345 Euro pro Jahr, und bei Großunternehmen ab 500 Mitarbeitern liegen die Bürokratiekosten pro Mitarbeiter bei 345 Euro pro Jahr. Diese Zahlen machen deutlich, dass insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen über Gebühr von Bürokratie belastet sind, und diese mittelständischen Unternehmen sind die tragende Säule unserer Wirtschaft.

Daher war es eigentlich selbstverständlich, dass sich dieses Haus in der Vergangenheit schon öfter mit dem Thema Bürokratie beschäftigt hat. Das war nicht nur der Ansatz der beiden Regierungsfraktionen im März des vergangenen Jahres, sondern es gab auch eine Senatsarbeitsgruppe aus dem Jahr 1999, die dann eher sang- und klanglos eingeschlafen ist.

Wesentliche Forderungen der beiden Regierungsfraktionen waren zu überprüfen, darauf hinzuwirken, gegebenenfalls zu handeln, Verordnungen, Gesetze und Vorschriften auf den Prüfstand zu stellen. Parallel hierzu hatten das Bundeswirtschaftsministerium und die Bertelsmann-Stiftung den Vorschlag von Modellregionen zum Bürokratieabbau vorgetragen. Es sollten Öffnungsklauseln vom Bundesrecht ausprobiert werden, und Bremen hat sich durch eine kreative und innovative Bewerbung als Testregion empfohlen, hat Vorschläge ausgearbeitet, welche Vorschriften Anwendung finden könnten für Abbau von Bürokratie.

Es gab hier in diesem Raum auch eine eindrucksvolle Auftaktveranstaltung: „Der Elan für die Arbeit, der Elan für die Entwicklung von Vorschlägen zum Abbau von Bürokratie“. Was passierte dann auf Bremer Ebene? Der Senat handelte, setzte eine Arbeitsgruppe ein, der Elan aus Bemühung wurde aber leider nur beschränkt aufgenommen und kompensiert.

Ich will hier ganz bewusst ein wenig Wasser in den Wein gießen, weil ich, nachdem ich dann das Vergnügen hatte, in dieser Arbeitsgruppe mitzuarbeiten, doch ein wenig resigniert war, welche Abläufe es in dieser Arbeitsgruppe zum Teil gab. Da gab es eine Hauptarbeitsgruppe und eine Unterarbeitsgruppe, die Mitarbeiter des einen Ressorts, die in der Unterarbeitsgruppe die Vorschläge entwickelt haben, haben sie dann in der Hauptarbeitsgruppe wieder in Frage gestellt. Es machte auch ein wenig den Eindruck, dass sich Bürokratie entwickelt, um Bürokratie abzubauen. Welche Begründungen und Papiere dort niedergeschrieben worden sind, warum eine Vorschrift nicht verzichtbar ist, das war schon sehr bemerkenswert.

Beides, meine Damen und Herren, hier wieder den Elan aus der Arbeitsgruppe, aus den Bemühungen aller Beteiligten herauszunehmen, ist nicht akzeptabel! Ich muss leider sagen, dass auch der erste Entwurf dieses Berichts, den wir heute diskutieren, eine entsprechende Intention hat, so dass die beiden Fraktionen in Zusammenarbeit mit der Handelskammer hier noch einmal deutlich gemacht haben, dass ein solches Einschlafen der Bemühungen um Bürokratieabbau nicht zu akzeptieren ist.

Ich denke, dass wir mit dem vorliegenden Entwurf, der auf breiten Schultern von allen Beteiligten getragen wird, einen Riesenschritt zum Thema Bürokratieabbau gemacht haben. Folgende wesentliche Punkte sind in diesem Entwurf niedergeschrieben: erstens die Vereinfachung im Erhebungsverfahren, zweitens Überprüfung und Erleichterungen für Existenzgründer im Bereich der Vorauszahlungen! Meine Vorrednerin hat hier die einzelnen Punkte schon genannt,

(Abg. Frau S t a h m a n n [Bündnis 90/ Die Grünen]: Meisterzwang abschaffen!)

Punkte, die gerade für Existenzgründer von hoher Bedeutung sind.

Verwaltungsmodernisierung ist ein Stichwort, die Vollzugserleichterungen im Umweltrecht! Endlich lohnt es sich auch für Unternehmen, sich zertifizieren zu lassen, es gibt konkrete Vorteile für die Unternehmen, die sich diesem Verfahren unterwerfen. Die Änderungen im Baurecht und in der Landesbauordnung sind angesprochen worden, dass auch für Gewerbebetriebe eine vereinfachte Genehmigung erfolgen kann, wenn dies gewünscht wird, mit entsprechend kurzen Fristen, das ist ja ein Problem in vielen Bereichen. Die Überprüfung der Registerführung und der Aufgaben im Schornsteinfegerwesen und die konkrete Befristung und Entrümpelung mit dreistufigen Verfallsdaten!

Der Druck und die Anforderung an Senat und Verwaltung müssen hier aufrechterhalten werden. Ich denke, dass sich mit den Hausaufgaben, die der Senat bis zur Sommerpause abzuarbeiten hat, auch zei

gen wird, wie ernst es die Verwaltung selbst meint mit der Entrümpelung, mit dem Abbau von Bürokratie. Wir werden die Verwaltung und den Senat an ihren Selbstverpflichtungen auch messen. Ich bin sehr optimistisch, dass wir hier zu messbaren Ergebnissen kommen.

Herr Böhrnsen hat in der Diskussion im Mai des vergangenen Jahres gesagt, dass wir uns nicht freuen dürfen, wenn wir ein neues Gesetz verabschieden, sondern dass wir uns freuen müssen, wenn wir ein Gesetz aufgehoben und es für nichtig erklärt haben. Ich hoffe, dass wir uns in diesem Sinne öfter in diesem Haus freuen dürfen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der CDU und bei der SPD)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Möhle.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Als Oppositionspolitiker hat man es in Zeiten der großen Koalition manchmal nicht ganz so leicht, da interessanterweise die Vertreter der großen Koalition eigentlich Oppositionsreden gehalten haben. Sie haben vorgetragen, die Verwaltung schlanker zu machen, weniger Bürokratie haben zu wollen. Die Idee ist ja nicht schlecht, wobei ich der Meinung bin, dass man grundsätzlich nicht so tun kann, als seien Bürokratie und Verwaltung an sich schon das Übel, da muss man genau aufpassen. Das macht es nämlich auch so schwierig herauszufinden, welche Verwaltungsvorschriften, welche bürokratischen Abläufe tauglich, dem Gemeinwohl nützlich und welche es genau nicht sind.

Nun ist es offensichtlich geworden, dass die CDU ihr Interesse mehr in Richtung Vereinfachung für den Mittelstand lenkt, während es bei der SPD – ich habe, glaube ich, gut zugehört und dies herausgehört – auch um die Frage geht, was die Bürger eigentlich davon haben. Nun kann ich mich locker in die Mitte hinstellen und sagen, wenn man beides bedenkt, liegt man möglicherweise viel richtiger, als wenn man nur das eine oder das andere beschreibt.

Ich glaube, wenn wir den Begriff Entrümpelung wählen – er ist ja irgendwie ein wenig dem Sperrmüll entlehnt und hört sich genauso an –, wenn man das so auffasst, dass man den Sperrmüll aus diesen Verwaltungen aus den Vorgängen herausbekommen will, dann muss man nicht glauben, dass man die Verwaltung genau mit diesem Thema beauftragen kann. Das funktioniert systematisch nicht, da die Verwaltung nicht als Allererste das Interesse hat, sich selbst zu reduzieren. Bürokratie oder, ich sage einmal, im üblen Sinne Bürokraten sind nicht daran interessiert, die Tätigkeit, die sie durchaus auch bezahlt ausüben, schlanker zu machen. Das ist nicht deren Interesse, und deswegen sind es auch nicht die ersten Verbündeten in dieser Frage.

Wenn Sie aber einen Ausschuss gründen, eine Arbeitsgruppe, eine Unterarbeitsgruppe, die Opposition ist nie gefragt worden, warum machen Sie eigentlich nicht einen Parlamentsausschuss, der ganz regulär an diesen Fragen arbeitet?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Warum glauben Sie eigentlich, dass Sie in diesen komplizierten Fragen ohne Opposition auskommen? Es kann doch wohl nicht angehen, dass man einen wichtigen Bestandteil dieser Gesellschaft in der Arbeitsgruppe ausklammert.

Dann sage ich Ihnen, dass es nicht ausreicht, mit der Handelskammer oder der Handwerkskammer zu kooperieren, und es auch überhaupt nicht ausreicht, bürokratische Verwaltungstätigkeiten in die Hände eben dieser Kammern zu legen. Sie können Bürokratie aus staatlicher Bürokratie auch in private Bürokratie hinüberschieben. Das macht das Verfahren nicht einfacher, es sind dann nur andere Akteure am Werk. Das nützt uns gar nichts!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich lese Ihnen einmal mit Erlaubnis des Präsidiums ein Beispiel vor. Das kommt ja immer gut. Ich habe mir eines ausgesucht, das relativ deutlich macht, worum es eben auch geht. Das ist nämlich die Friedhofsverordnung. In der Friedhofsverordnung steht unter Paragraph 5 – –.

(Unruhe)

Bitte? Gibt es da irgendwelche Aufregung?

Es steht in Paragraph 5 Absatz 1 c: „Grabmale aus Holz: Die Schrift soll erhaben oder stark vertieft sein. Zur Imprägnierung des Holzes dürfen nur Mittel verwendet werden, die das natürliche Ansehen des Holzes nicht wesentlich beeinträchtigen. Anstriche und Lackierungen sind nicht gestattet.“ Punkt d: „Grabmale aus Schmiedeeisen: Eisenteile sind dauerhaft gegen Rost zu schützen. Sie dürfen nur dunkelgrau oder schwarz sein.“ Dann haben wir noch den Punkt sieben, da wird es ganz abenteuerlich, da wird nämlich verlangt, wenn ein Nutzer eines Grabes eine abweichende Vorstellung von der Grabgestaltung hat: „Dem Antrag ist eine Zeichnung im Maßstab eins zu zehn und eins zu eins beizufügen. Die Behörde kann Modelle anfordern, soweit es zum besseren Verständnis des Entwurfes erforderlich ist.“

(Heiterkeit)

Ich sage Ihnen ganz deutlich, man kann sich auch zu Tode regeln. Der Hintergrund solcher Vorschriften ist doch im Grunde genommen, dass man den Menschen nicht zutraut, gerade in der Frage von Beerdigungen pietätvoll vorzugehen. Man glaubt of

fensichtlich, dass die Bürgerinnen und Bürger das nicht können. Deswegen denkt sich eine Behörde aus, machen wir einmal eine Vorschrift. Das sortieren und ordnen wir.

Genau diese Denkweise zu glauben, wir müssen alles vorschreiben, damit sich die Bürger wohlgefällig verhalten, macht es so unglaublich schwer. Ich glaube nämlich, dass man dem Bürger viel mehr Freiheit lassen kann, und das finde ich gerade an diesem Beispiel extrem deutlich. Warum um Himmels willen sollen die Leute, im wahrsten Sinne des Wortes, ihre Gräber nicht so gestalten können dürfen, wie sie es möchten?

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Bürokratieabbau ist also nicht nur eine Frage, die Wirtschaft flotter zu machen, keine Frage, da stimme ich an vielen Stellen auch mit Herrn Kastendiek überein. Es gibt aber eben auch noch ein ganz anderes Element, und das ist nämlich dasjenige von mehr Freiheit. Ich wünschte mir, wenn Sie ernsthaft darüber nachdenken, Innovationszonen in unserem Bundesland Bremen machen zu wollen, oder wenn Sie den Zuschlag für dieses Projekt bekommen wollen, dass Sie dann auch tatsächlich in dieser Innovationszone Gewerbefreiheit einführen, das heißt, den Meisterzwang aufheben!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das ist doch genau das Problem mit diesen Kammern, dass sie natürlich auch ein eigenes Interesse haben und behaupten, es sei zum Zwecke der Qualitätssicherung notwendig. Ich will die Meister nicht abschaffen, das haben wir hier in der Diskussion vor einiger Zeit alles schon einmal gehabt. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht darum, Gewerbefreiheit einzuführen, dass Menschen ohne Meistertitel ein Gewerbe gründen können.

Die Bundesregierung ist dort ein Stück in die richtige Richtung gegangen. Ich finde, das Stück ist zu kurz. Wir hätten da meiner Meinung nach viel weiter gehen müssen, viel größere Freiräume schaffen müssen, weil man das Innovationspotential der Menschen, die keinen Meistertitel haben, mit Sicherheit auch wirtschaftlich viel sinnvoller nutzen könnte, als das zurzeit der Fall ist.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auf der einen Seite sagen Sie ja, das ist alles wunderbar. Nein, so haben Sie es ja gar nicht gesagt, Entschuldigung! Sie haben gesagt, Sie wollten etwas Wunderbares machen, haben es aber noch nicht richtig hinbekommen. So war es von Ihnen vorgetragen, sowohl von der SPD als auch von der CDU. Wenn Sie künftig also vorhaben, es hinzubekommen,

dann rate ich Ihnen, einen Parlamentsausschuss in dieser Angelegenheit einzusetzen, weil es auch das richtige Mittel ist. Ich glaube, daran würden wir viel Freude haben und damit tatsächlich ein Stück vorwärts kommen.

Lassen Sie sich nicht von Lobbyisten ins Bockshorn jagen! Ich bin ja selbst Kammermitglied in der Handwerkskammer, ich weiß genau, wie dort argumentiert werden wird. Es ist dennoch so, dass wir mehr Freiheiten brauchen sowohl im wirtschaftlichen als auch im bürgerlichen, im menschenrechtlichen Sinne und dass wir vor allen Dingen damit Ernst machen müssen.

Es hat keinen Sinn, dass die große Koalition versucht, es jeweils ressortintern – wer hat eigentlich welches Ressort? – hin und her zu schieben. Das ist nicht richtig! Bürokratie abzubauen, auf das Richtige und auf das Notwendige einzugrenzen, das ist eine Aufgabe des ganzen Hauses und nicht eines Ressorts, das ist in allen Bereichen zu finden. Wenn man Lust und Spaß daran hätte, sich die aberwitzigsten Verordnungen in allen Bereichen anzusehen, könnte man im Sozialressort etwas finden und im Wirtschaftsressort mindestens genauso. Wenn man sich also daran machen würde, das einmal auf breiter Fläche zu hinterfragen, hätten wir, glaube ich, eine ganze Menge weniger Bürokratie.

Letzter Punkt: Dieses Haus selbst ist natürlich als Gesetzgeber auch in der Verpflichtung, künftig genauer hinzuschauen, welche Gesetze wir hier eigentlich verabschieden,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

die dann nämlich in bürokratisches Handeln und Verwaltungshandeln münden. In diesem Sinne wünsche ich uns allen in gewisser Weise einfach auch einmal ein bisschen mehr Mut auch gegenüber den Lobbyisten dieser Stadt. – Recht herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erhält der Abgeordnete Wedler.