Protocol of the Session on January 26, 2000

Es gibt zum Glück aber auch andere Meinungen und Stimmen, die vorausschauen und Veränderungen des Zivildienstes professionell begegnen. Der Zivildienst ist für sie das, was er dem Gesetz nach sein soll: ein Ersatzdienst auf Zeit. Diese Zeit richtet sich nach dem zu leistenden Grundwehrdienst und nicht nach den Wünschen und Problemen der Wohlfahrtsverbände.

(Beifall bei der SPD)

Angesichts der Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr und der Wehrpflicht ist es ungewiss, ob der Zivildienst überhaupt erhalten bleibt. Das Diakonische Werk Baden-Württemberg hat diesen Gedanken aufgenommen und veröffentlichte ein Positionspapier für die Zeit nach der Wehrpflicht. Unter der Überschrift „Konversion des Zivildienstes“ kommen die Autoren zu dem Schluss, es geht auch ohne Zivis. Aber noch ist es nicht so weit, und die Organisationen, die Zivis beschäftigen, müssen sich auf die jetzige Situation einstellen. Die Institutionen, die aufgrund der Verkürzung des Zivildienstes Probleme bekommen sollten, ihre übernommenen Aufgaben zu erfüllen, müssen zwangsläufig dazu übergehen, festes Personal einzustellen. Alle Untersuchungen auf dem Gebiet kommen zu dem Schluss, dass zehn Zivildienstleistende durch sechs bis sieben hauptamtliche Kräfte ersetzt werden können. Ein Drittel dieser Stellen fällt auf Fachkräfte, zwei Drittel auf Ungelernte.

Wir in Bremen wollen, ja, wir müssen Arbeitsplätze schaffen! Warum immer nur in Verkaufsflächen und Call-Center investieren?

(Beifall bei der SPD)

Der soziale Dienstleistungssektor bietet dafür ein großes Betätigungsfeld. Auch hier können die beschäftigungspolitischen Initiativen des Senats sinnvoll umgesetzt werden.

(Beifall bei der SPD — Abg. Frau S t r i e - z e l [CDU]: Weil wir ja gar nicht wissen, wohin mit dem Geld aus dem Ressort!)

Der Vorschlag der CDU, die nicht zu besetzenden Stellen mit einer systematischen Förderung der Freiwilligenarbeit auszugleichen, kann nur ins Chaos führen. Ehrenamtliche Arbeit kann und darf nicht

gefördert werden, um hauptamtliche Stellen zu verhindern beziehungsweise zu ersetzen.

(Beifall bei der SPD — Zuruf des Abg. F o c k e [CDU])

Betriebswirtschaftlich, aber auch volkswirtschaftlich führt uns diese Strategie ins Abseits. Um nicht missverstanden zu werden: Dies bedeutet nicht einen Verzicht oder ein Verdrängen der Freiwilligenarbeit, ganz im Gegenteil, es gibt unendlich viele Einsatzfelder, auf denen ehrenamtliche Kräfte sehr sinnvolle Arbeit leisten können.

(Beifall bei der SPD)

Der Staat kann hier gewisse Rahmenbedingungen schaffen, umsetzen müssen es die Organisationen aber selbst, indem sie ihre Tore weit öffnen. Liebe, Zuwendung, ein wenig Zeit für Menschen, das heißt, die Schaffung eines privaten sozialen Umfeldes, das sind die Einsatzfelder für Ehrenamtliche! — Danke!

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Meine Damen und Herren, das war eine Erstrede! Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die rechtlichen Vorgaben für den Zivildienst sind klar, Frau Arnold-Cramer hat hier auch schon darauf hingewiesen. Ich zitiere aus der Richtlinie zur Durchführung des Zivildienstgesetzes, da heißt es nämlich: „Zivildienstplätze dürfen nicht anerkannt werden, wenn sie nachweislich einen bisherigen Arbeitsplatz ersetzen oder eine Einrichtung eines neuen Arbeitsplatzes erübrigen sollen.“ Das ist die Grundlage, auf der wir hier diskutieren sollten.

Zivildienst ist neben den Vorteilen, die er für die Träger und auch für behinderte Menschen bringt, auf jeden Fall immer eine wichtige Erfahrung für junge Männer.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Viele bekommen darüber das erste Mal in ihrem Leben Kontakt mit den Problemen von Alter und Behinderung. Aber auch die gegenwärtige Diskussion, auch die Proteste zeigen, der Regelfall ist, dass Zivildienstleistende für Regelaufgaben missbraucht werden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD) _______ *) Von der Rednerin nicht überprüft.

Diese Erfahrung, die die jungen Männer machen, dass sie gegen das Gesetz für Regelaufgaben missbraucht werden, halten die Grünen ganz klar für schädlich und auch für ungesetzlich. Schädlich ist also das, was hier passiert, für das Rechtsverständnis der jungen Männer —

(Zuruf der Abg. Frau T u c z e k [CDU])

ja, dazu sage ich gleich etwas, Frau Tuczek! —, schädlich ist das auch für die Personen, vor allen Dingen für die behinderten und alten Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind, wenn sie nämlich merken, dass Aufgaben von nicht ausreichend qualifizierten Kräften durchgeführt werden. Hier wird immer so viel von gefährlicher Pflege geredet; dass Zivildienstleistende einer bestimmten Aufgabenstellung gar nicht gewachsen sein können, darüber soll man auch reden. Zivildienst kann keine qualifizierte Pflege ersetzen, schon von der Ausbildung her, und deshalb darf man Zivildienstleistende dafür auch eigentlich nicht einsetzen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Schädlich ist das, was passiert, auch für die berufliche Weiterentwicklung der im Pflegebereich beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die nämlich merken, dass ihren Rechten und Interessen und der tariflichen Eingruppierung durch die Möglichkeit für die Wohlfahrtsverbände, Zivildienstleistende einzusetzen, eher ein Bärendienst erwiesen wird und dass dies zum Teil für Lohndumping benutzt wird. Schädlich ist das, was passiert, auch für das marktwirtschaftliche Gefüge.

Ich habe mich sehr gefreut über Ihren Redebeitrag, Frau Arnold-Cramer, weil man nämlich feststellen muss, dass es da zum Beispiel im Bereich von handwerklichen Tätigkeiten ganz klar zu Wettbewerbsverzerrungen kommt. Das weiß jeder, das pfeifen auch die Spatzen von den Dächern, wenn es da einmal Knopf auf spitz kommt, wird das vor keinem Europäischen Gerichtshof standhalten, was da passiert.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Es kommt aber auch zu Wettbewerbsverzerrungen im Bereich der ambulanten Pflege. Hier ist es so, das hat Frau Arnold-Cramer auch gesagt, das war mir auch aus der Seele gesprochen, es kommt zu ganz klaren Wettbewerbsvorteilen der Wohlfahrtsverbände gegenüber den privaten Anbietern von Pflegeleistungen, leider, sage ich einmal, hier in Bremen auch unterstützt durch Maßnahmen der senatorischen Behörde, die diese Wettbewerbsvorteile für die Wohlfahrtsverbände zum Beispiel durch

die Investitionsförderung nach dem Pflegeversicherungsgesetz weiter zuspitzen.

Man kann darüber denken, was man will, auch über die Wohlfahrtsverbände, die Verfasstheit des Sozialstaates, das ist ein weites Feld. Ich würde es vielleicht nicht in der Schärfe vertreten, wie Frau Arnold-Cramer das gemacht hat. Wir werden auch für die Wohlfahrtsverbände für die Zukunft besondere Regelungen innerhalb des Sozialstaates brauchen. Der Gesetzgeber hat aber spätestens mit der Verabschiedung des Pflegeversicherungsgesetzes ganz klar eine Gleichwertigkeit der verschiedenen Akteure im Sozialbereich, also der Wohlfahrtsverbände und der privaten Anbieter von Pflegeleistungen, gewollt. Die Rechtslage ist also auch dort klar.

Der Einsatz von Zivildienstleistenden im Bereich der Pflege ist eine ganz klare Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der privaten Anbieter von Pflege. Das weiß auch jedes Kind, wenn sich da einmal Leute einen ordentlichen Anwalt nehmen und auch bereit sind, das durchzuklagen, fliegt es uns um die Ohren. Dieses Gefüge, so wie es jetzt ist, ist sowieso rechtlich problematisch und wird auf Dauer nicht standhalten. Deshalb ist es gut, je eher man sich auf eine Veränderung einstellt, desto besser.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir werden ja hoffentlich bald über dieses ganze Gefüge von privaten Anbietern und Wohlfahrtsverbänden in der Deputation reden. Frau Senatorin Adolf hat auf unsere Initiative hin eine Deputationsvorlage versprochen, mit der wir über die Frage der Ausschreibung von sozialen Dienstleistungen reden werden. Da wird das ein zentraler Punkt werden.

Die Klagen über das, was die Bundesregierung jetzt macht, sind auch nicht so einhellig, wie Herr Oppermann das hier versucht hat darzustellen. Ich sage einmal, eine Stimme aus dem Bereich ist vom Verband behinderter Arbeitgeberinnen. Diese haben eine ganz andere Sichtweise auf das, was da passiert. Sie sagen nämlich, dass zivildienstleistende Helfer des freiwilligen sozialen Jahres und ehrenamtlich Tätige im Pflegebereich den Arbeitsmarkt für die freie Wahl von Pflegekräften verderben, weil ihre Existenz eine marktgerechte Lohnentwicklung bremst und dies zu einem ständigen Unterangebot an verfügbaren Helfern führt. Das ist zum Beispiel deren Sichtweise über den Einsatz von Zivildienstleistenden.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Auch von Vertreterinnen der Wohlfahrtsverbände wird nicht in Frage gestellt, ob es richtig ist, die Wehrdienst- und Zivildienstzeiten einander anzupassen. Das hat die Bundesregierung gemacht. Dass es dabei auch um Sparpolitik geht, bestreite ich nicht,

aber diese war sozusagen am ehesten inhaltlich zu begründen und richtig.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Meiner Meinung nach sollten sich die Wehrdienstund Zivildienstzeiten überhaupt nicht voneinander unterscheiden, für mich ist das, was da passiert ist, eher nicht weitgehend genug. Indizien, dass der Staat beim Einsatz von Zivildienstleistenden für eigene Tätigkeiten am wenigsten Hemmungen hat, Zivildienstleistende für Regelaufgaben einzusetzen, gibt es zuhauf. Über die Tätigkeitsfelder der 389 beschäftigten Zivildienstleistenden im Lande Bremen schweigt sich die Vorlage leider vornehm aus. Dass wir selbst nicht wissen, was in unserem eigenen Bundesland passiert, ist ja auch ein Ding.

Ich möchte gern noch ein bisschen auf das Kostenargument eingehen. Die Grünen-Fraktion hat vor Weihnachten ein Altenpflegeheim in Schwachhausen besucht und dort auch die Frage der Zivildienstleistenden angesprochen. Es war klar, dass man sich in den Einrichtungen selbst lange mit der Frage des Einsatzes von Zivildienstleistenden auseinandersetzt und auch gegeneinander abwägt, wie hoch die Kosten eigentlich sind, dass Leute eingearbeitet werden müssen. Der Trend geht auch da immer mehr in Richtung einer qualifizierten Pflege. Die Erkenntnis, dass dieser Wechsel von Zivildienstleistenden und die Tatsache, dass sie nicht ausreichend qualifiziert sind, auf jeden Fall anfangen, das aufzuwiegen, führt dazu, dass man eben lieber sagt, wir stellen, so wie Frau Arnold-Cramer das auch gesagt hat, feste Kräfte ein. Davon haben die Träger auch mittlerweile mehr.

Ich finde auch, dass man eine volkswirtschaftliche Betrachtungsweise anstellen muss, die einfach dazu führt, dass man sagt, wenn man für die Stellen, die heute von Zivildienstleistenden besetzt werden, ganz einfach Arbeitslose einstellt und die Einnahmen des Staates für Lohnsteuer, indirekte Steuer und Sozialversicherung gegenrechnet, dann glaube ich nicht, dass man hier zu dem kommen kann, was Herr Oppermann gesagt hat, nämlich dass da auf jeden Fall eine riesige Verschwendung oder eine Belastung der Träger stattfindet.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Arbeitsmarktpolitisch ist das einfach richtig, den Zivildienst in dieser Funktion auch abzulehnen.

Ich würde jetzt gern noch ganz kurz zwei, drei Sätze zu unserer Position zum Wehrdienst sagen. Ich habe ja schon versucht darzulegen, dass man sich auf keinen Fall auf diesen elf Monaten, die es jetzt gibt, ausruhen darf, sondern dass es auch eine Veränderung in dem Bereich geben wird. Sie wissen das ja wahrscheinlich, die Grünen fordern, dass in

Deutschland eine Berufsarmee eingeführt werden soll, wie das ja auch in vielen anderen europäischen Ländern der Fall ist. Man kann darüber denken, was man möchte. Es gibt Argumente für beide Positionen, also auch für die Position, wie sie von den Sozialdemokraten vertreten wird, dass man die Wehrpflicht beibehalten soll. Man muss sich aber klarmachen, was vor allen Dingen die Frauenfrage, nämlich Frauen an der Waffe und wie man das sozusagen dauerhaft mit einem Wehrdienst in Einklang bringen kann, beinhaltet, dass hier in den nächsten Jahren Veränderungen kommen werden.

Es ist falsch, da den Kopf in den Sand zu stecken. Auch die Frage eines europäischen Verteidigungsbündnisses wird die Frage der Wehrpflicht natürlich ganz neu stellen. Aus heutiger Sicht sage ich einmal, es ist noch nicht so weit, aber ich glaube, dass man den Wecker danach stellen kann, wir werden in den nächsten Jahren eine Perspektive ohne Zivildienstleistende in Deutschland haben. Darauf muss man sich heute einstellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Ich finde auch nicht, das hat auch die Debatte gestern gezeigt, dass man jetzt auf Freiwilligenarbeit und Ehrenamtlichkeit ausweichen kann, was dieses Problem betrifft. Es ist in Ordnung, dass auch Pflegeleistungen durch Ehrenamtlichkeit begleitet werden. Ich glaube, dass alle Sozialpolitiker und auch die Anbieter von sozialen Leistungen gut beraten sind, sich stärker mit der Frage des freiwilligen sozialen und ökologischen Jahres auseinanderzusetzen. Das wird auch in den Mittelpunkt der Betrachtungen rücken, wenn die Wehrpflicht abgeschafft ist.

Da wird es dann, und das ist auch eine Chance, einen Wettbewerb der Anbieter geben, einen Wettbewerb um die jungen Menschen, die bei ihnen vielleicht ein soziales Jahr machen sollen und die darin einen Vorteil für ihre eigenen Qualifikationen, für ihre berufliche Entwicklung und persönliche Orientierung sehen. Dann wird man nur gewinnen. Die jungen Menschen wird man nur gewinnen, wenn vollkommen klar ist, es geht auch um sie, und sie werden da nicht als Lückenbüßer eingesetzt, um das, woraus sich der Staat unsinnigerweise zurückgezogen hat, zu kaschieren. Was diesen Bereich betrifft, gibt es noch viel zu tun, und da, glaube ich, ist das erst der Anfang der Debatte, und wir führen sie auch weiter.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das Wort erhält der Abgeordnete Oppermann.