Protocol of the Session on January 22, 2003

Die Bürgerschaft (Landtag) nimmt von der Mitteilung des Senats, Drucksache 15/1291, auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU und der SPD Kenntnis.

Arbeitsplatzeffekte der Sanierungspolitik

Große Anfrage der Fraktion der SPD vom 12. November 2002 (Drucksache 15/1290)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 17. Dezember 2002

(Drucksache 15/1331)

Wir verbinden hiermit:

Wirtschafts- und Arbeitsmarkteffekte der Sanierungspolitik

Große Anfrage der Fraktion der CDU vom 12. November 2002 (Drucksache 15/1294)

D a z u

Mitteilung des Senats vom 17. Dezember 2002

(Drucksache 15/1332)

Dazu als Vertreter des Senats Herr Senator Hattig.

Gemäß Paragraph 29 unserer Geschäftsordnung hat der Senat die Möglichkeit, die Antworten auf die Großen Anfragen in der Bürgerschaft mündlich zu wiederholen. Ich gehe davon aus, sehr geehrter Herr Senator, dass Sie darauf verzichten, so dass wir sogleich in die Aussprache eintreten können.

Als erste Rednerin erhält das Wort die Abgeordnete Frau Ziegert.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Vielleicht eine kurze Vorbemerkung: Hier liegen heute zwei fast wortgleiche Anfragen, und auch noch aus der Koalition, vor, die eine „Arbeitsplatzeffekte der Sanierungspolitik“, die andere „Wirtschafts- und Arbeitsmarkteffekte der Sanierungspolitik“. Das ist sicher nicht unbedingt ein Höhepunkt der Parlamentskultur.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Obwohl wir als SPD-Fraktion Urheber des Originals waren, würde ich durchaus selbstkritisch sagen, dass wir so etwas in Zukunft vermeiden sollten. Ich muss aber für mich auch gestehen, auf so eine Idee wäre ich eigentlich gar nicht gekommen, das noch einmal fast wortgleich ein zweites Mal einzureichen. Einmal muss es vielleicht das erste Mal, kann dann aber auch das letzte Mal gewesen sein.

Nun aber zur Sache! Meine Damen und Herren, so unbestritten die Stärkung der Wirtschaftskraft für die Zukunft Bremens ist, darüber haben wir hier auch des Öfteren debattiert, und hier herrscht auch Einigkeit, für die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes, die die Sanierungspolitik schließlich auch bezahlen, ist es noch wichtiger, dass sich diese Wirtschaftskraft auch für sie selbst auswirkt, und zwar in Arbeitsmöglichkeiten, in Arbeitsplätzen, in Ausbildungsplätzen, in Zukunftschancen, auch für ihre Kinder, in Bremen und Bremerhaven, und dass die hohe Arbeitslosigkeit reduziert wird, und dies, möchte ich dann auch deutlich sagen, in absehbarer Zeit.

Wir haben hier vor kurzem die Evaluierung des ISP durch das Prognos-Institut vorgelegt bekommen, die für das Jahr 2016 die Arbeitsplatzeffekte endgültig in Höhe von zwischen 22 000 und 44 000 in Aussicht stellt. Hier müssen für die Bevölkerung, für die Menschen eher Effekte sichtbar werden. Auf so lange Zukunft lassen sich die Menschen nicht mehr länger vertrösten.

Im Übrigen, um da noch einmal auf die kleine Bemerkung einzugehen, die hier in der Antwort steht, begrüße ich natürlich ausdrücklich, dass auf ein neuerliches Gutachten verzichtet wurde, und kann nur feststellen, dass die Verwaltung auch ohne Fristverlängerung durchaus in der Lage ist und dies auch getan hat, hier zufrieden stellende Antworten zu geben.

Die Antwort zeigt, dass es zwar positive Ergebnisse am Arbeitsmarkt gibt, dass diese bisher aber, wenn man sie realistisch gewichtet, auch nur ansatzweise zu sehen sind. Dies ist möglicherweise auch der Grund für die CDU gewesen, noch einmal die Anfrage in Richtung Wirtschaftskraft und Wirtschaftseffekte zu stellen. Die positive Nachricht, und

als Arbeitsmarktpolitiker ist man immer froh über jede positive Entwicklung am Arbeitsmarkt: Seit 1997 sinkt die Rate der Arbeitslosigkeit in Bremen etwas stärker als im Bundesdurchschnitt. Seit 1998 steigt auch die Zahl der Arbeitsplätze, nachdem wir bisher immer noch einen jährlichen Rückgang an Arbeitsplätzen zu verzeichnen hatten.

Aber man muss dann auch wieder den Vergleich sehen. Im Vergleich zu 1990 sind die Arbeitslosenzahlen in Bremen heute immer noch um ein Viertel höher. Wenn man einmal den Vergleich zur Bundesentwicklung nimmt, dann liegt der Abstand der Bremer Arbeitslosenquote zur Bundesquote wieder wie 1993 bei 26 Prozent, ist also immer noch ein Viertel höher als im Bundesdurchschnitt, lag allerdings zwischendurch auch schon bei 35 Prozent. Noch ungünstiger wäre diese Relation, wenn man jetzt den Abstand nehmen würde zu den westdeutschen Bundesländern. Hier sind ja die neuen Bundesländer mit ihren großen Arbeitsmarktproblemen auch immer noch dabei.

Um sich über die Dimension des Problems klar zu werden: Die Zahl der Arbeitsplätze in Bremen liegt immer noch um vier Prozent niedriger als zu Beginn der neunziger Jahre, also am Anfang des Sanierungszeitraums, während sie in der gleichen Zeit im Bundesdurchschnitt um über drei Prozent gestiegen ist. Nun muss man gerechterweise dazu sagen, dass dazwischen die Arbeitsmarktkatastrophe der Vulkan-Krise gewesen ist und dass Bremen sehr große Umstrukturierungsprozesse auf dem Bremer Arbeitsmarkt zu bewältigen hatte.

Schließlich und endlich, auch dies mag trösten, und darauf wird in der Antwort auf die Große Anfrage hingewiesen, liegt Bremen mittlerweile im Großstädtevergleich, und zwar die Stadt Bremen allein gesehen, durchaus in einem Mittelfeld. Aber dies reicht eben nicht aus, um die Arbeitsmarktentwicklung im Bundesland Bremen an das Bundesgebiet heranzuführen, denn besorgniserregend ist die Situation in Bremerhaven, nicht nur mit einer Arbeitslosenquote von mittlerweile wieder 18 Prozent, sondern weil in Bremerhaven auch die Gefahr besteht, dass sich der Arbeitsmarkt wieder von der bundesweiten Entwicklung abkoppelt. Auch die neuesten Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit lassen die Lage nicht unbedingt rosiger sehen, denn die zeitweise günstige Entwicklung des Bremer Arbeitsmarktes im Laufe des Jahres 2002 hat sich immer mehr angenähert, ist immer mehr von der konjunkturellen Krise im ganzen Bundesgebiet erfasst worden, so dass wir da leider wieder in der negativen Entwicklung gleichauf sind.

Jedenfalls zeigen diese Zahlen insgesamt, welch großer Aufholprozess diesem unserem Zwei-Städte-Staat immer noch bevorsteht, damit wir nicht nur in der Wirtschaftsentwicklung, sondern auch in Bezug auf die Arbeitsplätze den Anschluss an die bundesweite Entwicklung bekommen und hier wenigs

tens nicht mehr diesen Rückstand in Bezug auf unsere Arbeitslosenzahlen haben.

Nun weist die Antwort auf die Große Anfrage auf einige wichtige Besonderheiten des Bremer Arbeitsmarktes hin, und ich möchte auf drei eingehen. Auffällig ist die für eine Großstadtregion starke Stellung der Industrie, des verarbeitenden und produzierenden Gewerbes in Bremen. Die Namen der Großbetriebe sind uns allen geläufig. Bremen ist eben nicht nur Handels- und Hafenstadt, sondern Bremen ist ein wichtiger Industriestandort. Die Industrie hat eine große Bedeutung für die Wirtschaftskraft dieses Landes und stellt auch einen wichtigen Sektor für den Arbeitsmarkt dar. Von daher ist es wichtig, diesen Sektor auch zu pflegen, diese Art von Arbeitsplätzen bereitzuhalten und Industrie bei aller Förderung des Dienstleistungsbereiches nicht zu vernachlässigen, zumal, und das zeigt sich auch, wenn man sich jetzt die gesamte Bremer Entwicklung anschaut, Industrie auch immer ein wichtiger Nachfragefaktor für Dienstleistungen ist.

Erfreulicherweise, das steht nicht in der Antwort des Senats auf die Große Anfrage, aber es geht aus anderen Statistiken hervor, haben gerade die unternehmensnahen Dienstleistungen in den letzten beiden Jahren in Bremen eine sehr positive Entwicklung genommen. Hier funktioniert schon die Verzahnung zwischen industrieller Entwicklung, Modernisierung im Industriebereich und entsprechenden Dienstleistungsentwicklungen und auch Arbeitsplätzen.

Zweiter Punkt ist, dass natürlich in Bremen genau wie anderswo der Dienstleistungssektor eine wachsende Bedeutung hat, und darauf richten sich auch in erster Linie die Bemühungen zur Umstrukturierung der bremischen Wirtschaft. Allerdings, wenn man sich das anschaut – –. Haben Sie eine Zwischenfrage?

(Abg. Frau D r. T r ü p e l [Bündnis 90/ Die Grünen]: Nein, ich habe mich nur zu Wort gemeldet!)

Das ist eine Wortmeldung!

Ja, ich bin das so gewöhnt, immer auch gleich anzunehmen!

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das mache ich von hier oben, sehr geehrte Frau Kollegin!

Es ist auch gut, dass hier Arbeitsteilung besteht.

Wichtig ist immer, dass man sich nicht nur linear den Längsschnitt anschaut, wie es in Bremen gelau

fen ist. Da haben wir einen Zuwachs an Dienstleistungsarbeitsplätzen immer wieder festgestellt, aber wenn man den Vergleich zur Bundesentwicklung nimmt, dann muss man eben feststellen, dass auch die Entwicklung im Dienstleistungssektor in Bremen trotz positiver Ansätze insgesamt hinter der bundesweiten Entwicklung zurückbleibt. Zum einen, was allein die Zahl der Arbeitsplätze betrifft, ist es bisher in Bremen nicht gelungen, den Verlust an Industriearbeitsplätzen, der durch die Produktivitätsentwicklung in den letzten Jahren entstanden ist, durch zusätzliche Arbeitsmöglichkeiten im Dienstleistungsbereich insgesamt auch quantitativ aufzufangen.

Das andere ist aber, wenn man sich einmal den Vergleich mit ähnlichen Regionen, mit Großstadtregionen vornimmt, dann muss man feststellen, dass in den Bereichen Handel, Verkehr, Finanzdienstleistungen und auch im Tourismus, Hotel- und Gaststättengewerbe Bremen in der Entwicklung, was die Arbeitsplätze betrifft, was die Entwicklung in diesem Sektor betrifft, zurückgeblieben ist, also nicht die Entwicklungsquoten in anderen Regionen erreicht hat, insofern auch seiner oberzentralen Funktion bisher noch zu wenig gerecht wird. Weiterhin muss da geprüft werden, woran es liegt, dass bisher die Programme noch nicht so gegriffen haben, und es müssen in diesem Bereich verstärkt Anstrengungen unternommen werden.

Im Übrigen möchte ich nicht versäumen, darauf hinzuweisen, dass unter beschäftigungspolitischen Gesichtspunkten natürlich auch auffällig ist, wenn man sich die Zahlen einmal anschaut, dass der öffentliche Dienst seit Anfang der neunziger Jahre einen Arbeitsplatzabbau von fast 20 Prozent zu verzeichnen hatte, was natürlich auch einen Abbau von Dienstleistungen für die Bürger bedeutet. Ich weiß, dass dies politisch so gewollt ist im Rahmen der Sanierungspolitik, aber es ist natürlich ein Verlust an Arbeitsplätzen, der an anderer Stelle durch die Entwicklung im Privatsektor zumindest wieder kompensiert werden muss, damit die Arbeitsmarktbilanz stimmt.

Dritter Punkt, auch das ist, glaube ich, wichtig: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zeigen, beziehungsweise wird ihnen das abverlangt, in Bremen ein überdurchschnittlich hohes Maß an Flexibilität. Nirgends sonst gibt es hier ein so hohes Maß an Überstunden, an Teilzeit und an befristeten Einstellungen. Mit aller Vorsicht gesagt, man muss immer die Frage stellen, ob vielleicht auch diese Zurückhaltung bei Festeinstellungen darauf zurückzuführen ist, dass Bremer Unternehmer weniger Mut oder weniger Zuversicht haben, denn der Umstand, dass ein großer Teil der Befristungen in Festeinstellungen einmündet, widerlegt nicht diese Vermutung einer ziemlichen Zaghaftigkeit, sondern bestätigt sie eher.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir wird signalisiert, dass die Zeit abgelaufen ist. Wir werden im

Lauf der Debatte dann vielleicht noch einmal Gelegenheit haben, auch auf die Konsequenzen einzugehen. – Vielen Dank!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächster hat das Wort der Abgeordnete Focke.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Ziegert, dass wir nun zwei Anfragen haben, das ergab sich eben so, weil wir beide uns nicht einigen konnten, die wirtschaftlichen Effekte und die Arbeitsmarkteffekte zusammenzuführen, was ich auch als durchaus richtig empfunden hätte. Nun haben wir zwei Anfragen, und nun haben wir beide Antworten bekommen. Da, wo Ihre nicht weit genug gegriffen hat oder das nicht aufgenommen hat, ist dann eben extra geantwortet worden, und zwei Drittel sind zusammen beantwortet worden. Ich glaube, es ist so schlimm auch nicht.

(Vizepräsident R a v e n s übernimmt den Vorsitz.)

Ich glaube aber, Frau Ziegert, dass Sie sich hier doch ein bisschen zu negativ über die Folgen, die aus der Sanierungspolitik gekommen sind, ausgelassen haben. Wir wissen doch alle, wie schwierig es ist, einen Umstrukturierungsprozess durchzuführen, und wir wissen auch, wie lange das dauert. Das sagen alle Untersuchungen, und das wird uns auch immer wieder mit auf den Weg gegeben, dass man eben nicht nach zwei Jahren sehen kann, dass der Strukturwandel vollkommen durchgeführt worden ist, sondern dass das ein Zeitraum von zehn bis 20 Jahren ist. Wir können wahrscheinlich erst im Jahr 2015/2016 genau sehen, ob die ganzen Maßnahmen, die eingeleitet worden sind, im Endeffekt auch gegriffen haben.

Aber eines können wir ganz sicher sagen, der Strukturwandel ist in die Wege geleitet worden, und es ist mittlerweile eine ganze Menge passiert. Wir sind von einem Land, das dauernd nur Arbeitsplatzabbau gehabt hatte, immer weniger sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hatte, seit 1998, mit einem gewissen Vorlauf natürlich – der Sanierungszeitraum hat 1992/1993 begonnen, aber man kann nicht von heute auf morgen Tausende von Arbeitsplätzen neu schaffen oder umstrukturieren –, zu einem Land geworden, das in den letzten drei Jahren einen Arbeitsplatzzuwachs von 11 000 Stellen gehabt hat. Den haben wir gehabt, obwohl in der Bundesrepublik die Konjunktur schlecht läuft. Das heißt also, gegen den Trend hat hier das Sanierungsprogramm, das schon Jahre vorher begonnen hat, an––––––– *) Vom Redner nicht überprüft.

gefangen zu greifen, und das ist eine ganz positive Entwicklung, meine Damen und Herren.