Protocol of the Session on September 19, 2002

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Wir sehen Gesundheit und auch Krankheit nicht als individuelles Glück oder individuelles Risiko. Krankheit kann man nicht abwählen, deshalb muss für uns Grüne eine zukunftsorientierte Gesundheitspolitik eine qualitativ gute medizinische und gesundheitliche Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger bieten, ich betone: für alle!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Unabhängig vom Einkommen, unabhängig von der sozialen Stellung, unabhängig vom Wohnort! Wir wollen, dass die Krankenversicherung weiterhin paritätisch finanziert wird, eine Aufteilung in Grundleistung und Wahlleistung lehnen wir ab.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Die CDU will mit dem Kostenerstattungsprinzip und Wahltarifen sowie mit Selbstbeteiligung den Menschen angeblich mehr Wahlfreiheit geben. Doch Sie verschweigen, meine Damen und Herren, dass Sie damit den Einstieg in den Ausstieg der solidarischen Krankenversicherung einleiten. Das hat schon Herr Seehofer 1996/97 in der dritten Stufe der Gesundheitsreform versucht. Die Verschleierungsrhetorik war damals ähnlich wie heute. Es ging damals angeblich um erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten für die Krankenkassen.

Die Möglichkeit, diese Leistungen gestalterisch ganz zu streichen, war ausdrücklich inbegriffen. Ganze Komplexe der gesetzlichen Regelleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung sollten zur Disposition gestellt werden. Das waren zum Beispiel häusliche Krankenpflege, Kuren und Teile der Rehabilitation, Heilmittel, Massagen, Krankengymnastik, Sprachtherapie, Fahrtkosten, Auslandsleistungen. Für viele Kassen wäre es ein Anreiz zur Risikoselektion gewesen. Durch die Streichung von häuslicher Krankenpflege, Krankengymnastik hätten die Kassen ihre Attraktivität für chronisch kranke Menschen drastisch verringern können.

Doch gerade die Versorgung von chronisch Kranken muss verbessert werden. Die von der Bundesregierung eingeführten Disease-Management-Programme sind dafür eine wichtige Grundlage. Hier geht es um strukturierte und nach Leitlinien ausgerichtete Behandlungsprogramme, die zum Beispiel für Diabetiker und Brustkrebspatienten die gute Behandlung sicherstellen sollen.

Auch hier im Lande steht es mit der Versorgung von Diabetikern nicht zum Besten. Ich denke an unsere Debatten darüber hier im Hause. Die Teilnahme an diesem Disease-Management-Programm ist freiwillig. Was will die CDU, meine Damen und Herren? Herr Seehofer hat schon nach einem eventuellen Wahlsieg der Union angekündigt, die gerade erst eingeführten Behandlungsprogramme für Diabetes und Brustkrebs zu stoppen, und der für die Überprüfung der Qualität zuständige Sachverständigenrat soll aufgelöst werden. Hier lässt die CDU den Patientinnen und den Patienten nicht einmal mehr die Wahl, an diesen Programmen teilzunehmen. Die viel zitierte Wahlfreiheit für die Patienten besteht für die CDU darin, für die optimale Behandlung das Portemonnaie zu öffnen oder nur die Grundversorgung zu erhalten, meine Damen und Herren. Kannst du dir das leisten oder nicht, das ist die Wahlfreiheit!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Lassen Sie uns noch einen Blick auf die Krankenhäuser werfen! Unbestritten ist, die Krankenhäuser müssen sich in der Zukunft einem stärkeren Wettbewerb stellen, und sie müssen Schwerpunkte für ihr Angebot entwickeln. Auch die Einführung der Fallpauschalen stellt die Krankenhäuser vor neue Aufgaben, die sie zu meistern haben. Deshalb ist es wichtig, dass die Krankenhäuser besonders in dieser Phase Planungssicherheit haben. Das gilt auch für die kommunalen Krankenhäuser der Stadt Bremen. Sie müssen endlich wissen, ob die Rechtsform für sie geändert werden soll oder nicht. Hierzu gibt es immer noch keine klare Aussage der CDU, jedenfalls nicht mit einer langen Halbwertzeit.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Für die Planungssicherheit der Krankenhäuser hier in Bremen ist es auch wichtig, dass es einen abgestimmten Landeskrankenhausplan gibt. Ich sage, einen abgestimmten Landeskrankenhausplan! Frau Dreyer hat allerdings schon angekündigt, dass sie diesen Landeskrankenhausplan ablehnen wird. Hier wird nicht einmal die Diskussion angestrebt, hier wird gleich abgelehnt. Dieses Verhalten gibt den Häusern nicht die nötige Planungssicherheit, die sie dringend benötigen, meine Damen und Herren!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD – Abg. Frau D r e y e r [CDU]: Das haben wir ausführlich in der Deputa- tion diskutiert! Öhrchen aufmachen, nicht immer schlafen! Poft immer vor sich hin!)

So lässt sich eine sichere und zukunftstragende Krankenhausplanung nicht machen. Lassen Sie mich zusammenfassen! Ich sage, Gesundheitsministerin Schmidt hätte mutig eingeleitete Reformen von Andrea Fischer fortsetzen müssen, dann wären wir weiter. Das ist die grüne Position. Doch wir sind in keiner Sackgasse, die Weichen sind richtig gestellt. Wenn wir allerdings in die alte Hausapotheke von Herrn Seehofer sehen, dann wird klar, dass die CDU wieder Gesundheitspolitik zu Lasten der Kranken machen will,

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

weil latent unterstellt wird, dass kranke Menschen das Gesundheitssystem ausnutzen. Herrn Seehofers alte Hausapotheke macht aus Opfern eines reformbedürftigen Systems die Angeklagten. Frau Dreyer, jetzt noch einige Punkte zu Ihrer Rede! Mir ist aufgefallen, dass Sie keine konkreten Lösungen genannt haben, nur immer den Satz: Das ist mit der CDU nicht zu machen. Klare Lösungen habe ich hier nicht gehört!

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Das werden Sie wahrscheinlich gleich noch einmal probieren. Irgendwo beschleicht mich immer das Gefühl, Sie wollen Schnürsenkel an Leute verkaufen, die Klettverschlüsse an den Schuhen haben.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Tittmann.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem Sie den DVU-Antrag für eine sozial gerechte Gesundheitspolitik in der August-Sitzung abgelehnt haben, ver

wundert mich Ihre Große Anfrage, Drucksache 15/ 1218, Gesundheitspolitik des Bundes und die Auswirkungen im Land Bremen, doch schon sehr, zumal ich Ihnen die Auswirkungen einer gescheiterten und unsozialen Gesundheitspolitik namens der Deutschen Volksunion hier doch sehr deutlich aufgezeigt habe. Sie hätten nur genauer zuhören müssen, insofern hat sich damit Ihre Große Anfrage erledigt!

Ich möchte aber trotzdem noch einmal einen letzten Versuch – bei Ihnen vielleicht vergeblichen Versuch – starten, Ihnen noch einmal die schrecklichen Auswirkungen einer in allen Bereichen gescheiterten und unsozialen Gesundheitspolitik für Bremen zu erklären.

Die Gesundheitsreform, sprich Gesundheitspolitik, ist gerade für die Kassenpatienten im Lande Bremen, aber nicht nur in Bremen, katastrophal. Die betriebene Gesundheitspolitik der Bundesregierung hat eindeutig zu einer Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen geführt. Meine Damen und Herren, das von der Solidargemeinschaft bezahlte Gesundheitswesen hat sich in vielen Bereichen schon lange kläglich vom Solidarprinzip verabschiedet. Wir haben im Land Bremen im medizinischen Bereich eine unverantwortliche Unterversorgung. Hinzu kommt, dass Asylanten und Asylbewerber eine bessere medizinische Vorsorge als Kassenpatienten erhalten.

(Zurufe von der SPD)

Frau Wangenheim, wenn Sie jetzt wieder wider besseren Wissens behaupten, das wäre Quatsch, kann ich nur dringend raten, Ihrem Kanzlerkandidaten Stoiber einmal richtig zuzuhören,

(Lachen bei der SPD)

der hat nämlich gesagt – das war allerdings nach meiner Rede, vielleicht ist er ja lernfähig –, es geht nicht an, dass ein Kassenpatient eine schlechtere medizinische Vorsorge erhält als ein Asylant oder Asylbewerber. Also, Frau Wangenheim, was wollen Sie, sagen Sie jetzt immer noch, das wäre Quatsch?

(Zurufe von der SPD)

Sie brauchen hier gar nicht so unqualifiziert herumzureden. Das ist nämlich genau der große Unterschied zwischen Ihnen und mir. Während Sie hier laufend unqualifiziert dazwischenlabern, wenn ich rede, sage ich das, was ich denke, und tue das, was ich sage, während Sie nicht einmal das sagen, was Sie wirklich denken, und Sie schon gar nicht das tun, was Sie sagen! Darum werden Sie mich hier auch nicht los und die Deutsche Volksunion erst recht nicht!

(Abg. Frau M a r k e n [SPD]: Doch, doch! Aber hallo! Dann ist er weg! – Zurufe von der SPD)

Da müssen Sie mich schon länger ertragen. Ich bin nicht weg, ich bin noch hier! Hören Sie mich nicht? Wir werden uns noch lange – –! Ich bin noch da, da sind Sie schon längst weg, darauf können Sie sich verlassen!

Meine Damen und Herren, allerdings glaubt das kein Mensch, was der Kanzlerkandidat Stoiber gesagt hat. Er wird nicht dazu in der Lage sein, hier wirklich seinen Worten große Taten folgen zu lassen.

Tatsache ist doch, dass wir hier in Bremen, aber nicht nur in Bremen, erhebliche Defizite in der Behandlung von chronisch Kranken und Schmerzpatienten haben. Leistungen werden rationalisiert, und sehr wichtige pflegerische und ärztliche Tätigkeiten werden rigoros eingespart. Darüber hinaus haben die gesetzlichen Krankenkassen schon im ersten Halbjahr mehr als zwei Milliarden Euro Defizit.

Der Skandal ist, dass dieses Desaster im Gesundheitswesen von der Bundesregierung auch noch schöngeredet beziehungsweise tabuisiert wird. Aber ich sage Ihnen in aller Deutlichkeit, die Gesundheitsreform der rotgrünen Chaosregierung ist die größte Reformruine in der laufenden Legislaturperiode. Ich sage Ihnen jetzt schon für das Bundesland Bremen voraus, nach dem 22. September werden zwar wahrscheinlich die Minister wechseln, die Krise, das Desaster, die Zweiklassengesellschaft im Gesundheitswesen werden bleiben.

Meine Damen und Herren, Wettbewerb, Transparenz, Kontrolle und Eigenverantwortung könnten viel stärker zur Kostendämpfung im Gesundheitswesen beitragen. Eine staatliche Vorschrift ein Gesundheitswesen, das Krankheit, nicht die Gesundheit belohnt, kann nicht funktionieren! Ein Gesundheitssystem, in dem Asylbewerber besser gestellt sind als Kassenpatienten, kann nicht funktionieren! Damit wir uns hier aber gleich richtig verstehen, niemand, aber auch niemand, schon gar nicht die Deutsche Volksunion, will den Asylbewerbern, den Asylanten die notwendige ärztliche Versorgung verweigern. Sie sollten aber Kassenpatienten gleichgestellt sein.

Gesundheitspolitik, meine Damen und Herren, hat auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Es kann doch wohl nicht angehen, weiterer Punkt, dass zum Beispiel Kriminelle, Schwerkriminelle, Psychopathen meinetwegen, im Gefängnis sozusagen ein Recht auf ein Einzelzimmer haben, das natürlich auf Kosten der Steuerzahler, aber Kassenpatienten, die dafür ihre Leistungen erbringen, die haben es nicht, das kann ja wohl nicht sein! Darüber sollten Sie einmal nachdenken. Das hat auch etwas mit sozialer Gerechtigkeit zu tun.

Ich sage in aller Deutlichkeit, und hören Sie jetzt genau zu, das Gesundheitswesen der Bundesregierung steht unter dem Motto „Früher sterben oder länger leiden“. Das macht die Deutsche Volksunion

nicht mit. Die Gesundheit ist für die Deutsche Volksunion das höchste menschliche Gut, hierfür wird sich die Deutsche Volksunion im Interesse der Bürger immer jederzeit rigoros einsetzen.

(Abg. Frau H ö v e l m a n n [SPD]: Un- eingeschränkt!)

Die Deutsche Volksunion steht für eine soziale gerechte Politik, und das nicht nur im Bereich des Gesundheitswesens!

Als Nächste erhält das Wort die Abgeordnete Frau Dreyer.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Das ist ja eine richtig lebhafte Debatte. Ich bedanke mich bei allen, die daran mitgewirkt haben, das macht ja richtig Spaß. Frau Hoch, ich fange einmal von hinten an. Sie lieben ja immer die bildhafte Sprache bei den Grünen, und Sie reden ja auch von Schnürsenkeln und Klettverschlüssen an den Schuhen. Wissen Sie, Frau Hoch, Sie als Rotgrün haben den Patienten inzwischen ja schon die Schuhe ausgezogen und haben die barfuss im Regen stehen lassen!

(Beifall bei der CDU)

Nur damit Sie merken, dass wir das mit den Bildern und den Metaphern auch ganz gut können! Was mir sowohl bei Herrn Brumma als auch bei Frau Hoch aufgefallen ist, Sie haben ja nicht einmal die Worte Bremen und Bremerhaven und die Menschen in unseren beiden Städten erwähnt. Es stellt sich für mich wirklich die Frage, was Sie in diesem Parlament eigentlich wollen!

(Unruhe bei der SPD)

Dann noch einmal zu Herrn Brumma! Herr Brumma, Sie haben ja noch einmal sehr nett die Internetseite der SPD vorgelesen, und Sie persönlich können ja gar nichts dafür, dass Falsches auf dieser Internetseite zu finden ist. Ich würde Ihnen aber trotzdem empfehlen, das doch noch einmal genauestens zu recherchieren. Sie behaupten ja, wir hätten 1998 eine schlechte Bilanz hinterlassen. Dann sehen wir uns noch einmal die Bilanz von 1998 bis jetzt aktuell an, meine Damen und Herren. Bei den Krankenkassen hat es 1998 eine Rücklage in Höhe von 1,5 Milliarden Euro gegeben. Heute beträgt das Defizit per 30. Juli dieses Jahres 2,5 Millionen Euro.

(Abg. E c k h o f f [CDU]: Milliarden!)

2,5 Milliarden Euro! Sie haben also insgesamt fünf Milliarden verwirtschaftet. Die Frage ist: Wofür? Doch nicht dafür, die Gesundheitsversorgung zu ver

bessern, denn die ist nicht besser geworden, das haben Sie in Ihren Reden ja selbst zugegeben!