Protocol of the Session on March 21, 2002

Fünftens: eine Verpflichtung zur Mitwirkung des Klientels!

Sechstens: Ausbau von Sanktionen bei vorsätzlicher Nichtmitwirkung; wir verfahren in Bremen auch so.

Siebtens: Für erfolgreiche Vermittlung werden dem Jobcenter Prämien gezahlt; eine Sache, die jetzt auch bundesweit im Gespräch ist, Arbeitslosen Geld zu zahlen oder Vermittlern Geld zu bezahlen, damit sie die Menschen in Arbeit bekommen. Das kann also auch nicht so falsch sein.

Achtens: Durch den Ausbau in Niedriglohnsektoren mit Hilfe von Kombilöhnen wird eine Alternative zur öffentlich geförderten Beschäftigung geschaffen.

Neuntens: Das Ganze soll ein Wettbewerb der Länder um das erfolgreichste Programm oder, besser gesagt, um die wenigsten Hilfeempfänger sein.

Ich würde noch einen Schritt weitergehen: Dieses Gesetz ist geeignet, um die Schwachen zu unterstützen, damit sie stark werden, und die Faulen zu erwischen, damit sie fleißig werden, meine Damen und Herren.

Das sind die Kernpunkte der hessischen Reforminitiative. Seit der hessische Ministerpräsident laut darüber nachgedacht hat, hat sich die Diskussion um die Zusammenführung von Sozialhilfeleistungen und Arbeitslosenhilfe im Bund doch extrem beschleunigt,

das kann doch keiner abstreiten. Zwei prominente Zeitzeugen sind dafür der Beweis: der Chef der Bundesanstalt für Arbeit, Gerster, und der niedersächsische Ministerpräsident Gabriel, beide Sozialdemokraten. Zitat Gerster: „Deutschland ist zu langsam, zu bedenklich, zu schwerfällig, was die Flexibilisierung von Arbeitsverhältnissen in der ergänzenden Beschäftigung angeht.“ An einer anderen Stelle in einer Rede von Herrn Gerster: „Wenn es gelingt, den Niedriglohnsektor zu aktivieren, Arbeitslosenhilfebezieher und Sozialhilfeempfänger in legale Beschäftigung zu bekommen, dann schaffen wir auch die Voraussetzung, um aus illegaler Arbeit legale Arbeit zu machen.“ – Soweit als Zeitzeuge Herr Gerster!

In der Antwort des Senats auf die Große Anfrage wird auf einen Beschluss der Arbeits- und Sozialminister verwiesen, die im November 2001 unter dem Motto „Fördern und fordern“ beschlossen haben, aktivierenden Hilfen, ich sage, endlich, aktivierenden Hilfen den Vorzug gegenüber passiven Leistungen einzuräumen. Was ist also falsch an der hessischen Initiative? Dass sie aus Hessen kommt, kann kein Grund sein. Das allein kann nun wirklich kein Grund sein.

(Zuruf von der SPD)

Auf diesen Zwischenruf habe ich eigentlich gewartet, danke schön, Herr Kollege, er passt genau in die Rede!

Damit eines ganz klar ist: Wir befinden uns mit unserem Bremer Modell auf dem richtigen Weg, das streite ich hier überhaupt nicht ab. Wir als CDU haben ja auch intensiv für die Verwirklichung dieses Weges mitgeschritten. Wir machen auch unter dem Motto „Fördern und fordern“ einen neuen Ansatz oder Paradigmenwechsel. Vor vier Jahren habe ich nicht geglaubt, dass die linke Seite des Hauses bereit ist, so weit zu gehen, wie wir jetzt gemeinsam gegangen sind. Auf Tagungen der CDU-Sozialpolitiker lobe ich unseren gemeinsamen Weg ausdrücklich.

(Beifall bei der CDU)

Das hat viel Arbeit gekostet, gemeinsame Arbeit. Aber ich sage Ihnen, dies hat sich auch für die Menschen gelohnt, für die wir gearbeitet haben, weil wir ihnen, manchmal auch erst einmal gegen ihren Willen, eine neue, bessere Lebensperspektive geben, und das ist meine feste Überzeugung.

Wir nehmen dafür in Bremen auch viel Geld in die Hand. Wir geben allein 29,6 Millionen Euro im Jahr aus, um BSHG-19-Stellen und andere Verträge zu finanzieren, damit Menschen, die nicht in Arbeit sind, eine neue Startchance bekommen. Das ist vernünftig und gut so, und nichts anderes will die hessische Initiative.

Wenn wir heute auch bei der angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt bei Besuchen in den Sozialzentren erfahren, dass es klappt mit dem Fördern und Fordern, wenn wir hören, dass junge Menschen in verpflichtenden Programmen erst einmal eine Chance bekommen zu arbeiten und sich zu qualifizieren, dann ist das Lohn für diese Arbeit. Wenn wir dann auch noch erfahren, dass sich zum Beispiel die Belegschaft eines Sozialzentrums vorgenommen hat, innerhalb eines Jahres 70 bis 80 Altfälle, meine Damen und Herren, wir haben ja jetzt die Verpflichtung, dass alle Neufälle sofort in Beschäftigung, Qualifizierung oder Arbeit kommen, dass 70 bis 80 Altfälle aus dem HLU-Bezug herausgenommen werden, dann ist das der richtige Weg. Rechnen Sie das bei zwölf Sozialzentren einmal hoch, dann haben Sie eine Zahl, die irgendwo bei 800 liegt! Ich glaube, das ist der Schweiß den Edlen wert.

(Beifall bei der CDU)

Nur, Arbeitslosen- und Sozialhilfe werden bei uns leider noch nicht gemeinsam von einer Hand über ein Formular aus einer Kasse bedient. Das ist aber der besondere Charme des hessischen Modells oder der hessischen Initiative. Diese Zusammenlegung lehnen Sie aber als Bremer SPD immer noch ab. Anders sehen das mittlerweile die Bundesregierung und andere Sozialpolitiker in diesem Land. Ich mache hier erst einmal eine Zäsur.

(Beifall bei der CDU)

Nächster Redner ist der Abgeordnete Pietrzok.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir müssen uns noch einmal kurz daran erinnern, was überhaupt der Hintergrund dieser ganzen Geschichte des Gesetzentwurfs von Roland Koch ist: Das ist die Wisconsin-Debatte. Da ist der Ministerpräsident in die USA gereist, hat sich dort das Sozialsystem angesehen, ist wiedergekommen und hat in einer Pressekonferenz erzählt, dass er diese ganzen Sachen möglichst weitgehend auch in Deutschland übernehmen will.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Auf seiner Pressekonferenz hat er dann von der Sozialdezernentin aus Offenbach die Einladung bekommen, sich endlich einmal in seinem Musterländle die entsprechenden Modellversuche anzusehen.

(Beifall bei der SPD)

Das beschreibt doch genau die Problematik, dass wir nämlich hier im Land schon eine ganze Menge an

Prozessen haben, die durch diesen Gesetzentwurf überhaupt nicht berücksichtigt werden. Hier wird schon vieles modellhaft erprobt, während Roland Koch dann, für meine Begriffe populistisch, fordert, dass er eine fünfzigprozentige Senkung der Zahl der Sozialhilfeempfänger durchsetzen kann und das dann gleich damit verknüpft, dass man die Sanktionen gegenüber Sozialhilfeempfängern verschärft.

Sehen wir uns doch die Bundesdebatte noch einmal an! Wir haben 16 Jahre der Regierung Kohl gehabt, und ich muss sagen, dass das im Hinblick auf die Armutsbekämpfung nicht gerade eine erfolgreiche Geschichte ist.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben einen drastischen Anstieg der Fallzahlen bis 1997 zu verzeichnen. Man muss allerdings auch sagen, dass dieser Anstieg schon in den siebziger Jahren begonnen hat. Wir haben insbesondere bei den ungelernten Arbeitslosen eine sehr große Problematik, und gleichzeitig verweigert sich die CDU auf Bundesebene, und übrigens auch hier auf Landesebene, eine Armutsberichterstattung tatsächlich durchzuführen. Politisch wird aber durchaus immer wieder diskutiert, und das kommt auch in diesem Gesetzentwurf zum Ausdruck, dass man die Fallzahlen im Bereich der Sozialleistungen besonders dadurch senken kann, dass man mit Leistungsentzug droht.

Deswegen erkennt meiner Meinung nach die CDU auch nicht, dass die Erfolge von Wisconsin zu einem ganz großen Teil völlig andere Ursachen haben. Sie haben es hier mit einem Senken der Zahlen in einer Zeit zu tun, wo wir eine enorme Konjunktur in den USA gehabt haben. Dieser konjunkturelle Effekt wirkt natürlich insbesondere im Hinblick auf die Niedriglohngruppen. Von daher ist es eine Situation, in der man tatsächlich sehr leicht von einer Integration sprechen kann. Die Frage ist eben nur, wie es vor dem Hintergrund, dass wir natürlich in wirtschaftlichen Krisen auch entsprechende Entlassungen zu verzeichnen haben, mit der Nachhaltigkeit bestellt ist. Eine entsprechende Entwicklung zeichnet sich durchaus auch in Wisconsin ab.

(Beifall bei der SPD)

Wir haben hier natürlich durchaus Probleme. Ich will nicht sagen, dass hier überall alles bestens ist. Ich will nur ein Beispiel nennen: Natürlich haben wir ein systematisches Problem, was den Bereich der Beschäftigung aus Arbeitsmarktmitteln einerseits und aus BSHG-Stellen andererseits betrifft. Natürlich haben wir hier lange Jahre das System gehabt, dass wir BSHG-Stellen eingerichtet haben. Eines der Ziele war natürlich, dass man diese Menschen nicht nur in den Arbeitsmarkt integriert, sondern der Hintergrund war auch, dass es dabei zu einer Entlastung

der kommunalen Haushalte kommt, auch wenn die Leute nicht nachhaltig in den Arbeitsmarkt integriert sind.

Ein weiteres Problem, das dieses Gesetz thematisiert, ist die Tatsache, dass wir es mit unterschiedlichen Leistungssystemen zu tun haben, die nicht genug aufeinander abgestimmt sind. Natürlich haben wir es auch mit bürokratischen Doppelungen zu tun, die dazu führen, dass für die Menschen keine klar ersichtlichen Hilfesysteme geleistet werden können. Die Debatte ist aber in Deutschland schon seit einigen Jahren im Gang, und das OFFENSIV-Gesetz, meine Damen und Herren, erscheint mir da nicht als der große Wurf oder als ein Beitrag, der diese Debatte fortführt.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Wir haben Modellversuche auf breiter Front. Wir haben Modellversuche, was die Beratungsleistungen betrifft und was die Pauschalierung bestimmter Sozialleistungen betrifft, um zu entbürokratisieren. Wir haben Projekte wie zum Beispiel Mozart, wir haben das Mainzer Modell. Wir haben in NordrheinWestfalen insgesamt eine Zusammenführung von Arbeits- und Sozialämtern zu 36 Sozialagenturen. Auch Riester sagt, dass man dieses ganze Thema sehr grundlegend im Jahr 2004 angehen muss.

Ich erinnere noch einmal an das Job-AQTIV-Gesetz. Hier wird ein individueller Hilfeplan entwickelt, es wird Eingliederungsvereinbarungen geben, also sind sehr viele Bestandteile, die wir in der sozialpolitischen Debatte haben, durch das Job-AQTIVGesetz längst schon zum Ausdruck gebracht.

(Beifall bei der SPD)

Jetzt schauen wir nach Bremen! Wir haben hier gemeinsame Assessment-Center für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, eine Verdoppelung der Beschäftigung nach BSHG mit dem Ziel, diese Menschen auch tatsächlich in Beschäftigung zu bringen. Wir haben die Sozialzentren eingerichtet und wollen jetzt sozialraumorientiert Sozialpolitik machen. Wir machen Fallmanagement und versuchen über die Arbeit Bremen GmbH, arbeitsmarktpolitische und sozialpolitische beschäftigungsorientierte Elemente zusammenzuführen.

Was ist der Sinn? Der Sinn ist, der Erkenntnis zu folgen, dass wir es mit Menschen zu tun haben, die viele Problemlagen haben. Es geht darum, diese Vielzahl von Problemlagen zu lösen und sie dadurch in den Arbeitsmarkt zu integrieren.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Das OFFENSIV-Gesetz hat eine ganze Reihe von Mängeln. Nehmen wir zum Beispiel einmal die Tatsache, dass das Gesetz Rahmenregelungen bis 2007 beinhaltet! Ich glaube, dass das eher Probleme bereiten wird, denn wir werden in den nächsten Jahren ganz grundlegende Reformen vorzunehmen haben, und wenn wir jetzt Rahmenregelungen bis 2007 haben, dann hält das Reformen auf, anstatt sie zu fördern.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Im Kern hätten wir es auch in Zukunft, wenn wir das OFFENSIV-Gesetz hätten, weiter mit Doppelstrukturen, was die Arbeitsverwaltung und die Vermittlungsagenturen betrifft, zu tun. Diese Doppelstrukturen wären de facto noch vorhanden, auch wenn sie in einem Frontoffice so offensichtlich nicht mehr zu erkennen wären. Im Wesen hätten wir das Problem damit nicht geklärt.

Eine weitere Problematik, die aus meiner Sicht überhaupt noch nicht gelöst ist, ist, dass der Finanzausgleich, den wir zwischen Kommunen, Bund und dann möglicherweise auch noch den Ländern zu bewerkstelligen haben, überhaupt noch nicht gelöst ist. Ich kann nur davor warnen, dass wir als Kommunen hier noch zusätzliche Risiken übernehmen müssen, die sich aus arbeitsmarktpolitischen Instrumentarien ergeben. Ich weiß, dass es da auf Bundesebene Diskussionen gibt, die aus meiner Sicht für die kommunalen Haushalte jedenfalls eine hohe Brisanz in sich bergen.

(Beifall bei der SPD)

Noch einmal ganz deutlich: Es gibt im Bereich der Sozialleistungen natürlich eine Mitwirkungspflicht. Die wird es auch weiterhin geben. Es gibt auch nach wie vor Fälle, in denen man tatsächlich Leuten, die diese Mitwirkung nicht im ausreichenden Maße leisten, unter Druck setzt. Aber das zu einer Politik zu erklären und ins Zentrum zu stellen, ist aus meiner Sicht eine falsche Schwerpunktsetzung.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/ Die Grünen)

Insofern, meine Damen und Herren, gilt für den Entwurf von Roland Koch, dass er zu weit gefahren und dann zu kurz gesprungen ist und dass ein solcher Entwurf deswegen mit der SPD nicht zu machen ist. – Danke!

(Beifall bei der SPD)

Als Nächste hat das Wort die Abgeordnete Frau Linnert.